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Abendausgabe

Nr. 228 43. Jahrgang Ausgabe B Nr. 112

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Vorwärts

Berliner Dolksblatt

10 Pfennig

Montag

17. Mai 1926

Berlag und Anzetgenabteilung: Gefchäftszeit 9-5 Uhr

Berleger: Borwärts- Verlag GmbH. Berlin SW. 68, Lindenstraße 3 Fernsprecher: Dönhoff 292-297

Zentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands

Marx zum Reichskanzler ernannt.

Alles andere vorläufig unverändert.

erklären, weil seine persönliche Ehrenhaftigkeit und seine republikanische Gesinnung außer Zweifel standen. Marr hätte vielleicht zum Reichspräsidenten beffer gepaßt als zum Reichskanzler, weil ihm das Vermitteln besser liegt als das Kämpfen.

Reichspräsident v. Hindenburg hat den bisherigen Reichs-| wollte. Sie fonnte sich mit Marg auch deshalb einverstanden| bar. Nachdem durch den bekannten Brief des Reichspräsiden­juftizminister marg zum Reichskanzler ernannt und ihn gleichzeitig mit der einstweiligen Wahrnehmung der Geschäfte des Reichsminifters der Justiz und des Reichsminifters für die besetzten Gebiete beauftragt. Ferner hat der Herr Reichs­präsident auf Vorschlag des Reichskanzlers Marg die mit­gliedern der bisherigen Reichsregierung in ihren Uem­tern bestätigt.

Die Ernennung des Herrn Marg zum Reichskanzler, die heute gegen mittag erfolgte, ist ein Ergebnis der Berhand­lungen, die das Zentrum im Laufe des gestrigen Tages mit der Bolkspartei geführt hatte. Zwischen diesen beiden Parteien fam folgende Vereinbarung zustande:

1. Die bestehende Regierungskrise muß unverzüglich gelöst werden; deshalb find beide Parteien bereit, in ein Minder­heitstabinett einzutreten.

2. Es besteht Uebereinstimmung, daß die außen- und innen­polifische cage mit möglichster Beschleunigung die Schaffung einer Regierung erfordert, die sich auf eine Mehrheit des Reichstages Regierung erfordert, die sich auf ein e Mehrheit des Reichstages stüht.

3. Für die Mehrheitsbildung fönnen nur Parteien in Frage kommen, die die Rechtsgültigkeit bestehender internationaler Abmachungen anerkennen und für die Fortführung der bis­herigen Außenpolitit eintreten.

Auf Grund dieser Vereinbarung beschloß die Zentrums­fraktion gestern abend, Marg die Annahme des Reichskanzler­amts zu empfehlen, worauf dieser dem Reichspräsidenten mit­teilte, daß er zur Verfügung stehe. Das nunmehr ernannte Kabinett Mary wird durch die vorstehende Abmachung als ein Uebergangs fabinett gekennzeichnet. Der Kampf, ob die Erweiterung nach rechts oder nach links erfolgen soll, bleibt

unentschieden.

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Die Annahme des Kanzleramts durch Marr ist erfolgt, ohne daß mit den Parteien ausgenommen das Zentrum und die Volkspartei Fühlung genommen worden ist. Das gilt besonders auch für die Sozialdemforatie, die also dem neugebildeten Kabinett ohne jede Bindung gegen übersteht.

Bon Marg zu Luther , von Luther zu Marg, das ist der Lauf der innerpolitischen Entwicklung seit November 1923.

Im August war Cuno in den Fluten der Inflation ver­funten. Stresemann hatte als sein Nachfolger alle Kräfte zusammengerafft, um den Ruhrkrieg zu beenden. Die Große Roalition zerbrach an den sächsischen Ereignissen. Da ernannte Ebert am 30. November den Zentrumsvorsitzenden Marr zum Reichskanzler. Sein Kabinett war ein Rabinett der Mitte mit Jarres für das Innere, Luther für die Fi­nanzen, Emminger für die Justiz. Das Verhältnis der Sozialdemokratie zu diesem Kabinett Marg wechselte von Fall zu Fall. Man braucht nur an die Justizreform des Herrn Emminger zu denken, um sich zu erinnern, daß es auch scharfe Konflikte gegeben hat. In der Außenpolitik aber hielt das Kabinett Marg die Linie, die von der Sozialdemokratie für richtig gehalten wurde: die Londoner Konferenz, auf der mit dem Dames- Plan eine vorläufige Regelung der Reparations­frage erzielt wurde, legte den Grund zu einer außenpolitifchen Stabilisierung und zu einer gewissen Beruhigung auch im

Innern.

Das erste Kabinett Marg wurde von der Bolts partei gesprengt, die den Deutschnationalen für ihre fünfzigprozentige Zustimmung zu den Dames- Gesetzen drei Ministerposten versprochen hatte. Marg wurde mit allen Mitteln zum Rücktritt gedrängt und Luther wurde sein Nach­folger. Luther regierte dann erst mit den Deutschnationalen, dann vier Monate lang ohne sie bis zu seinem Sturz vor wenigen Tagen. Und nun ist Mary wieder an der Reihe.

Im zweiten Gang der Reichspräsidentenwahl des vorigen Jahres war Mary Randidat des Bolts blods gegen den Kandidaten des Reichsblods D. Hindenburg. Hinden burg fiegte mit relativer Mehrheit, weil ihm die Kommunisten durch die Aufstellung ihrer Thälmann - Kandidatur halfen. Und jetzt ernennt Hindenburg Marg zum Reichstanzler!

Aehnliche Fälle werden sich in der fünftigen Geschichte Deutschlands vielleicht noch öfter wiederholen. Denn der deutsche Reichspräsident hat nicht die starke Stellung des amerikanischen Präsidenten, der von sich aus und aus feinen Barteigängern die Regierung ernennt. Im parlamentarischen System, wie wir es besigen, liegt der Schwerpunkt der Re­gierungsbildung in der Boltsvertretung, und es ist die Auf­gabe des Staatsoberhauptes, ein Kabinett zustande zu bringen, bas sich dem Parlament gegenüber halten fann. So mußte Ebert feinerzeit Luther , Schiele, Schlieben und manchen an­deren zum Minister ernennen, deren politisches Geficht ihm menig gefiel. Und so hat jetzt Herr v. Hindenburg seinen Gegner im Kampfe um die Reichspräsidentschaft, Wilhelm Marr , zum Reichstanzler ernannt.

Die Sozialdemokratie hatte Marg als Präsidentschafts­tandidaten akzeptiert, weil sie einen Sieg der Rechten verhindern

Nur den Fernstehenden konnte es überraschen, daß Marx als Justizminister im Kabinett Luther die Rolle eines still be­scheidenen Fachministers spielte. Aber peinlich wirkte es doch, daß der Mann, der unter den schwarzrotgoldenen Fahnen um den Sieg im Kampfe um die Reichspräsidentschaft gekämpft hatte, daß der Reichsbannermann Marg im Rabi­nett passiv blieb, als die Flaggenverordnung zur Diskussion stand. Darum kommt man nicht herum und das gerade jezt offen auszusprechen, ist notwendig.

Bon Mary als Reichskanzler erwarten wir nicht nur republikanische Gesinnung, sondern auch etwas mehr republi­fanische Energie. Ob er sie aufbringen wird, das wird zum Teil davon abhängen, welche nächste Berater er fich wählt. In einer bureaukratischen Umgebung leidet er an der Gefahr der Entpolitisierung.

Das Zurüdpendeln der Regierungsbildung von Luther zurück zu Marg zeigt das labile Gleichgewicht der politischen Kräfte. Auch in der Flaggenfrage wird fein neuer Weg ficht

Volksentscheid: 20. Juni!

Amtlich wird gemeldet:

Nachdem der Reichstag den im Boltsbegehren verlangten Entwurf eines Gesetzes über Enteignung der Fürstenvermögen abgelehnt hat, hat die Reichsregierung in ihrer gestrigen Sigung beschloffen, den Gefehentwurf zum Voltsentscheid zu ftellen. Die Abstimmung findet am

Sonntag, den 20. Juni,

statt. Die Verordnung zur Durchführung des Volfsentscheids wird vom Reichsminister des Innern im Laufe des heutigen Tages erlaffen werden.

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ten der Bersuch unternommen worden ist, durch Schaffung einer Einheitsflagge" die Quadratur des Zirkels zu finden, ist der Kampf zum Stehen gekommen, und es ist zunächst nicht mehr zu erwarten, als daß praktisch nichts geschieht, was die Gefühle der republikanisch gesinnten Bevölkerung heraus­fordert. Also: teine schwarzweißroten Flaggen auf die Häuser der auswärtigen Missionen!

Auch sonst würde man sicherlich schwere Enttäuschungen erleben, wenn man das neu- alte Kabinett mit irgendwelchen hochgespannten Erwartungen begrüßen wollte. Abgesehen da­von, daß die Rechte in Herrn Luther einen rührigen und be­weglichen Verbindungsmann verloren hat, ändert sich ja an der Zusammensetzung nichts, und auch Herr Bell, der ver­mutliche Nachfolger von Marg im Reichsjustizamt, ist kein Himmelsstürmer.

Wenn durch die Ereignisse der letzten Zeit überhaupt etwa Wesentliches gewonnen ist, so kann es nur die Erkennt­nis sein, daß der Kampf zwischen rechts und Iints zur Entscheidung drängt. Die Umbildung des Kabinetts bedeutet nur eine Aufschiebung dieser Entschei­dung. Die Mitte kann nicht führen, sie fann nur balancieren und sie läßt wegen ihrer eigenen inneren Zerrissenheit, auch in dieser Kunst jede Geschicklichkeit vermissen.

Die Entscheidung steht zwischen Deutsch­nationalen und Sozialdemokraten. Sie wird beim Bolfsentscheid fallen und durch die nächsten Reichstags­wahlen bestätigt werden.

Das Kabinett Marg fann also nur ein Uebergangskabinett fein, und wohin die Reise weiter geht, wird das Volk selber entscheiden.

Die Erklärung des neuen Kanzlers.

Der Reichstag will programmäßig am Donerstag in die Pfingstferien gehen, die bis zum 4. Juni dauern sollen. Zuvor marg entgegenzunehmen und über sie zu befinden haben. Der wird er jedoch noch die Erklärungen des Reichskanzlers Aeltestenrat wird heute nachmittag zusammentreten, um diese An­

gelegenheit zu regeln.

Die neue Regierung in Polen .

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Pilsudski Heeresminister.

riums der Bodenreform Unterstaatssekretär Raczynski betraut. Das Kabinet ist bereits vereidigt worden.

In Polen ist die neue Regierung bereits im Amt. I feffor an der Warschauer Technischen Hochschule Broniewski, Ministerpräsident ist Abg. Bartel, ein linksgerichteter| Arbeiten und öffentliche Fürsorge Departementsdirektor Jurkiewicz. Professor vom Arbeitsklub", einer Fraktion, die sich Mit der Leitung des Ministeriums des Aeußern wurde vor einigen Monaten Don der linken Bauernpartei der ehemalige Gesandte in Rom August 3alesti, mit der Lei­Wyzwolenje"( Befreiung) abgespalten hat. Marschall tung des Kultusministeriums Professor Mitulomsti- Pomorski und Pilsudski ist in diesem Kabinett, das zumeist mit der Leitung des Landwirtschaftsministeriums und des Ministe­aus Beamten besteht Wehrminister. Er wird sich wohl nicht so sehr mit dem Verwaltungsfram befassen, den ein Kriegsministerium zu besorgen hat, als mit einer großen Ausräumungsarbeit. Denn seit langem hören die Korruptionsaffären größten Umfangs in der polnischen Armee nicht auf. Sowohl Lieferungs- wie Muste­rungsstandale aller Art fonnte man immer wieder in der Presse Polen lesen, zum Teil auch in der Form von Gerichts­berichten.

Rorruption war aber auch dem Herrn Witos und manchen seiner Leute nicht nur nachgesagt, sondern auch in bedeutendem Maße nachgewiesen worden. Und die weit­verbreitete Berachtung dieser traurigen Helden hat sicher viel zur Erschütterung der Regierung Witos und zum Erfolg des Bilsudstischen Unternehmens beigetragen.

In Polen außerhalb von Barschau scheint der ganze Umfturz irgendwelche größere Störungen des täglichen Lebens nicht erzeugt zu haben.

Was die Gegner Pilsudskis , tie besonders in Bosen figen, etwa planen, ist unbekannt. Es ist nicht ausgeschlossen, daß sie Posen zu einer Vendée machen wollen, zu einem reaktionären Sonderstaat, der beansprucht, das wahre Bolen zu fein. Das wäre zwar lächerlich, aber darum ist es nicht unmöglich. Vor einem Krieg Barschau- Krakau gegen Bosen wird dann vielleicht die Tatsache der Volksgemeinschaft Bolen bewahren. Vielleicht....

Die neue Regierung.

Warschau , 15. Mai. ( WTB.) Sejmmarschall Rataj hat in Bertretung des Präsidenten der Republik den Abg. Professor Bartel zum Ministerpräsidenten ernannt. Bartel zum Ministerpräsidenten ernannt. Auf dessen Antrag hat er folgende Kabinettsliste genehmigt: Ministerpräsidium und Eisenbahnministerium Abg. Bartel, Inneres der Bojwode von Bolefinn General Bledzignowiti, militärische Angelegen. heiten Marschall Pilsudski, Finanzen Unterstaatssekretär Czechowicz, Justiz Universitätsprofessor Matomsti, Industrie und Handel Departementsdirektor Gliwic, Deffentliche Arbeiten Bro

Ministerpräsident Bartel erklärte Pressevertretern u. a.: Meine Regierung ist berufen, die geschaffene Lage zu entwirren. Sie wird bis zu der in nächster Zeit stattindenden Neuwahl des Präsidenten der Republik durch die Nationalversammi­Meine Regierung wird unbedingt lung im Amte bleiben.. auf dem Boden der Verfassung stehen.

Warschau befiehlt Frieden.

Warschau , 16. Mai. ( WTB.) Eine Verordnung des stellv. Staatspräsidenten Rataj, des Ministerpräsidenten Bartel und des Heeresministers Marschall Pilsudsti bestimmt, daß alle feindseligen Handlungen der Truppen einzustellen sind, die Wiederaufnahme feindseliger Handlungen durch die Truppen ohne Bustimmung des Präsidenten der Republik verboten und dem Heeresminister anheimgestellt wird, weitere Maßnahmen zur Ronfolidierung der jetzigen Lage zu ergreifen.

Vermittlungsaktion in Posen.

Warschau , 16. Mai. ( WTB.) Senatsmarschall Tromp.

39nfti reifte nach Pofen ab, um in dem Pilsudski feindlichen Westpolen zu vermitteln und den Abzug der bei Zyrardow aufge­stellten Bosener Regimenter zu veranlaffen.

Trompczynski ist der deutschen Oeffentlichkeit aus seiner jahrelangen Führerschaft der Polenfraktion im preußischen Dreiflaffenlandtag bekannt. Nach seiner Parteizugehörigkeit steht er rechts, aber als nationaler Bole will er gewiß sein Bolt vor einem Bürgerkrieg bewahren.- 3yrardow, wo also Posener Militär stehen soll, ist eine Webereistadt mit starker deutscher Minderheit zwischen Lodz und Warschau .

In letzter Stunde wird uns berichtet, daß am Sonn tagabend Verhandlungen zwischen Pilsud­sti Bertreterna und Posen abgebrochen worden seien. Wir geben diese Meldung mit Vorbehalt wieder.