Nr. 235 43. Jahrg. Ausgabe A nr. 120
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Freitag, den 21. Mai 1926
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Abgeordnete der Mordanstiftung verdächtig
Kubes und Wulles Auslieferung bei Reichstag und Landtag beantragt.
Die gestrige Verhandlung des Falles Grütte- Lehder im Preußischen Femeausschuß hat die moralische Katastrophe der völkischen Wulle, Kube und des ehemaligen Abgeordneten Ahlemann besiegelt. Als der Vertreter des Justizminifteriums, Ministerialrat Birth, feinen mehrstündigen Aktenvortrag mit der Mitteilung beendete, daß heute oder morgen das Ersuchen der Staatsanwaltschaft an Reichstag und Landtag um Aufhebung der Immunität von Wulle und Kube erfolgen wird, da tonnte man dies nicht mehr als Sensation, sondern nur noch als felbftverständliche Folgerung aus dem Borangegange nen ansehen.
Bor Herrn Wirth hatte Ministerialrat Schönner als Vertreter des preußischen Innenministeriums das Ergebnis der Bolizeiermittlungen in der Sache gegen Ahlemann und Genoffen vorgetragen. Es sind etwa 50 Beugen vernommen worden. Als Fazit ihrer Aussagen ergibt sich, daß Grütte Lehder in allen wesentlichen Buntten die Wahrheit gefagt, dagegen die Herren Mulle, Kube und Ahlemann in ihren öffentlichen Erklärungen die glatte unwahrheit gesagt haben.
Die Aussagen der Zeugen find deswegen von befonderem Wert, weil sie schon vor den Enthüllungen Grütte- Lehders im Untersuchungsausschuß gemacht wurden, mährend umgefehrt Grütte- Lehder bei seiner eigenen Aussage vor dem Untersuchungsausschuß die Aussagen der von der Polizei ver nommenen Zeugen nicht gefannt hat. Dennoch decken fich diese Aussagen bis in die fleinsten Details. Nur zwei Zeugen weichen von Grütte- Lehders Angaben abes waren dies die persönlichen Adjutanten des Hern Bulle im völkischen Bureau.
Wenn die Herren Bulle und Kube in ihrer öffentlichen Erklärung ihre intime Bekanntschaft mit Grütte- Lehder verleugnen und auf ein einziges flüchtiges Gespräch beschränkt haben, so ist das als Lüge entlarot. Durch Aussagen der verfchiedenen Zeugen stehen bereits eine ganze Anzahl Unterredungen Bulles mit Grütte- Lehder fest. Ein( völkischer!) Beuge hat allein Grütte- Lehder dreimal unangemel det zu Wulle ins Zimmer gehen sehen, einem anderen( ebenfalls völlischen!) Zeugen ist aufgefallen, daß bei einer Unterredung Bulle dem Grütte- Lehder durchaus als guten Be tannten behandelte. Drei weitere Zusammenfünfte sind dokumentarisch erwiesen. Diese Lüge Wulles und Kubes hat also furze Beine gehabt!
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Fest steht, daß das Attentat auf Severing wirk lich geplant und seine Vorbereitung schon in Angriff ge nommen war. Feft steht, daß Herr Ahlemann diese Borbereitungen zum mindesten getannt, wenn nicht geför dert hat. Fest steht, daß Herr Ahlemann, der Grütte- Lehder erst gelegentlich einer Agitationsreise in Pommern zufällig fennengelernt haben will, vordem bereits zwei Unterredungen mit Grütte- Lehder gehabt hat. Derselbe Herr Ahlemann hat zugestanden, von Grütte- Lehder Briefe tompromittierenden Inhalts erhalten zu haben, die er jedoch berbrannt haben will!
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Fest steht ferner, daß der Spizel Dammers deswegen erschoffen worden ist, weil er sich im Besitz von Papieren und Briefen über das geplante Severing Attentat gesetzt hatte, die für prominente völkische Abgeordnete außer ordentlich belastend waren. Es steht weiter feft, daß Grütte- Lehder im Kreise seiner Hermsdorfer Ortsgruppe schon Dor und gleich nach der Ermordung des Dammers erflärt hat, daß er im Auftrag der Parteileitung, einem Zeugen auch, daß er im Auftrage Wulles handele. Es steht weiter fest, daß er den ihm von Rube ausgestellten Ausweis zur Beschaffung der Unterlagen im Falle Dammers" verwandt hat, um sich einen Revolver für die Erschießung des Dammers von einem Parteiangehörigen zu beschaffen, womit der 3 wed dieses Ausweises hinreichend gekennzeichnet ist.
Ebenso steht fest, daß Herr Wulle, der behauptet hat, den Grütte- Lehder nach der Mordtat nicht mehr gefehen zu haben, zwei Tage nach der Tat persönlich ihm jen en Ausweis ausgefertigt hat, in dem Herr Wulle den Siebzehnjährigen zum Organisator der halben Provinz Pommern ernennt! Herr Mulle hat behauptet, diesen Ausweis habe sein Sekretär geschrieben. Tatfächlich ist der Ausweis auf einen Briefbogen des Reichstags geschrieben und Bulle, M. d.." persönlich unterfertigt. Grütte- Lehders Behauptung, daß dieser Ausweis die Be lohnung für die Ermordung des Dammers dargestellt habe, gewinnt damit außerordentlich an Wahrscheinlichkeit.
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Kein Bestreiten der Herren Wulle, Kube und Ahlemann| Erscheinen verweigert hatte, ließ jetzt durch seinen fann mehr aus der Welt schaffen, daß sie wofern nicht im strafrechtlichen zum mindeſten im moralischen Sinne als die Begünstiger und Förderer eines geplanten und eines vollendeten Fememordes entlarvt find. Ihre Dementis find schon in einer ganzen Reihe von Puntten als wahrheitswidrig entlarvt. Damit verliert auch der Rest jeden Anspruch auf Glaubwürdigkeit. Für die Politik sind diese Herren erledigt.
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Bor
Ihre Katastrophe darf aber eine zweite Katastrophe nicht übersehen lassen, die in der gleichen Berhandlung zutage trat: eine neuerliche Ratastrophe der Justiz. Die Art, wie im Prozeß gegen Grütte- Lehder das Schwurgericht fizender Landgerichtsdirektor Bombe, Berichterstatter Landgerichtsrat Bornbaum die Frage der Anstiftung mit juristischen Spitfindigkeiten umschifft hat und alle juristischen Finessen aufgewendet hat, um eine Vernehmung der Dölkifchen Abgeordneten als Zeugen zu verhindern, entpuppte fich als neuer Justiz standal allergrößter Dimen fion. Bei den Aften lag ein ausführliches Schreiben Grütte- Lehders an Wulle und Kube, daß Grütte- Lehder einige Wochen vor der Berhandlung auf illegalem Wege aus dem Gefängnis zu schmuggeln versucht hatte. Es war aber abgefaßt und beschlagnahmt worden. In diesem Brief beschwört Grütte- Lehder die beiden Abgeordneten immer wieder, ihm einen Weg zu zeigen, wie er, ohne das Geheimnis der Anstiftung preiszugeben, fich auf ehrenvolle Weise verteidigen tönne. Dies Beweisdokument allerersten Ranges ist in der Hauptverhandlung überhaupt nicht erwähnt worden. Weder das Gericht, noch der Oberstaatsanwalt Jäger nahmen Veranlassung, darauf einzugehen. Schon vor der Hauptverhandlung hatte Herr Bombe die von der Verteidigung beantragte Ladung der völkischen Abgeordneten als Beugen abgelehnt, ohne von diesem Schriftstück Notiz zu nehmen. Dabei handelte es fich um einen jugendlichen, noch nicht voll strafmündigen Angeklagten, bei dem die Anstiftung durch prominente Erwachsene eine ganz besondere strafrechtliche Rolle spielen mußte.
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Am Schluß gab es in nichtöffentlicher Sigung ein Satyrspiel. Herr Rube, der vor wenigen Wochen in einer anderen Sache vom Ausschuß als Zeuge geladen- in einem unflätigen Schreiben an den Ausschuß fein
Mundwart, den völkischen Abgeordneten Körner den von ihm beschimpften Ausschuß anflehen, ihn, Wulle und Ahlemann, sofort am nächsten Tag als Zeugen zu vernehmen. Wie sagt Mephisto? Jetzt ist der Lümmel zahm." Der Ausschuß tat jedoch den Herren den Gefallen nicht, sondern vertagte sich auf den 31. Mai, um den Vortrag des Bericht erstatters über den Inhalt der Strafatten entgegenzunehmen.
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Der Feme - Untersuchungsausschuß des Landtags trat gestern zu einer öffentlichen Sitzung zusammen, um die Vernehmung des Robert Grütte Lehder fortzusetzen.
Robert Grütte- Lehder hat seine letzte Aussage an Der= Ahlemann hätte erklärt: Diese ganze Bande( Severing, Reschiedenen Punkten berichtigt. Früher hatte er u. a. ausgesagt, gierungsdirektor Weiß usw.) müßte gehenft werden und es werde auch geschehen". In der berichtigten Aussage heißt es:
„ Ahlemann fagte, diese ganze Bande müsse gehenkt werden." Borf.: Die berichtigte Aussage ist viel schärfer gefaßt! aufrecht. Zeuge Grüffe- Cehder: Ich halte meine berichtigte Ausfage
Weiter hat der Zeuge berichtigt seine frühere Aussage:" Natürlich müßte so etwas gut ausgedacht werden"( das Attentat auf Gevering), die er jegt präzise dahin abändert, daß Ahlemann selbst gefagt habe: So etwas müffe gut durchgedacht werden". im Frühjahr 1923 zu der von ihm früher erwähnten miliDer Zeuge hat noch seine Aussage dahin berichtigt, daß er nur tärischen Ausbildung im Fort Sahneberg war, wo, wie er sich ausdrüdte, Soldat gespielt werden sollte!"
In feinen weiteren Berichtigungen zu seiner Aussage hat der Beuge Grütte- Lehder zweimal an Stelle des früher erwähnten Namens Bulle den des Ahlemann gefeßt.
Früher hatte er auch befundet:„ Schon sechs Wochen vor meiner Ankunft sollte das Rollkommando Ehrhardt unter Leutnant Rosensechs Wochen vor meiner Ankunft sollte das Rollfommando Ehrhardt berg ihn( Severing) umbringen." Jetzt lautet diese Aussage:„ Schon ihn umbringen, das fagte mir Leutnant Rosenberg."
Severing- Mord, von der Sie sprachen, erfolgt? Abg. Szillat( Soz.): Ist die Bildung der Spezialgruppe für den
Zeuge: Es verblieb bei der Auftragserteilung, weil Dammers dann gleich als Spigel entlarvt wurde. immer gleich auf die Idee des Mordes gekommen. Sprach man Abg. Kuffner( Soz.): Bei Severing und Dammers find Sie benn in dieser Beise ständig in Ihren Kreisen?
sprochen. Auch bin ich der festen Ueberzeugung, daß die Abgeord Zeuge: Es wurde in diefer Weise in den Organisationen ge
Explosion einer Pulverfabrik.
10 Tote, 100 Verlegte.
Wertheim , 20. Mai. ( Eigener Drahtbericht.) Heute früh um 10 Uhr ereignete fich in der Pulverfabrik Haßloch eine große Explosion. Bon der 220 Mann zählenden Belegschaft wurden 100 Mann verlegt. Die Zahl der Toten beträgt 10, davon vier Frauen.
Die von WTB. verbreitete Nachricht hat folgenden Wortlaut: Am Donnerstag vormittag gegen 11 Uhr flog in dem etwa vier Kilometer von Wertheim entfernten bayerischen Ort Haßloch a. M. die Pulverfabrik in die Luft. Die ganze Fabrit ist vernichtet und ein Teil der umliegenden Wohngebäude schwer beschädigt. An der Explosionsstelle befindet sich ein riesiger Trichter. Die Zahl der Toten ist noch nicht bekannt, doch rechnet man mit mindestens 15 bis 20. Die Zahl der Verwundeten ist erheblich größer. In das Krankenhaus in Wertheim sind bisher etwa 30 Berlegte eingeliefert worden, von denen drei inzwischen gestorben sind. Die Fabrik beschäftigte 90 Arbeiter. Die Rettungsarbeiten sind mit Gefahr verbunden, da weitere Explosionen zu befürchten sind. Die Lusterschütte rung hat nicht nur in Haßloch , sondern auch in den umliegenden Orten Fensterscheiben zerstört. Selbst in Wertheim a. M. wurden Fensterscheiben zertrümmert.
Es scheint sich also glücklicherweise zufolge unserem eigenen Drahtbericht und auch dem des WTB. die Sensationsmeldung eines Ber liner Abendblattes von 41 Todesopfern nicht zu bestätigen. An der furchtbaren Schwere des Unglücks wird allerdings da durch nichts geändert.
Wertheim , 20. Mai. ( TU.) Zu dem Explosionsunglüd in her Pulverfabrik Haßloch werden folgende Einzelheiten bekannt: Die Grplosion on Grund auf zerstört worden. Einzelne Teile gesamten Anlagen der Pulverfabrik sind durch die Der Anlagen brennen noch. Die Räumungsarbeiten der Feuerwehr und der Sanitätsmannschaften machen gute Fortschritte, werden je boch immer noch durch drohende Explosionen erschwert. Bisher find neun Tote und dreißig Berlegte geborgen worden,
Die Stätte des Unglücks wurde bald nach Bekanntwerden der Explosion von einer dichten Menschenmenge besucht. Die Sicherheitspolizei traf fofort energische Absperrmaßnahmen. Durch die Explosion ist der umliegende Wald bis zur halben Höhe total umgelegt worden. Die Straßen und der Wiesengrund sind mit Steinen und Trümmern dicht befät. Sämtliche Telegraphenleitungen sind zerstört. Ueber die Ursache des Unglücks liegen bisher noch keine genauen Angaben vor.
Haßloch , 20. Mai. WTB.) Wie die Pulverfabrit Haßloch festgestellt: 7 Tote, 1 Bermißter und eine große Anzahl Schwer am Main mitteilt, sind bisher als Opfer des Explosionsunglüds und Leichtverletter. Vom Bezirksamt in Mark Heidenfeld wird zu dem Explosionsunglüd mitgeteilt: Die Zahl der Schwerverlegten beträgt zwölf. Ueber die Ursache des Unglücks ift noch nichts Genaues bekannt. Man nimmt an, daß die Explosion Dom Kesselhaus ausgegangen ist, da die meisten der vollständig Derkohlten Leichen in nächster Nähe des Kesselhauses aufgefunden Brand ist vollständig gelöscht. wurden. Jede weitere Explosionsgefahr ist ausgeschlossen. Der
Trauerkundgebung des bayerischen Landtags. München , 20. Mai. ( TU.) Im bayerischen Landtag wurde heute abend eine Trauerfundgebung anläßlich des Explosionsunglücks in Haßloch veranstaltet. Präsident Königsbauer teilte mit. bisher sechs Tote und 15 bis 20 Schmerverlegte zu beklagen seien. daß nach den an den bayerischen Landtag gelangten Meldungen Eine große Anzahl von Familien sei damit in die tiefste Trauer perfegt worden. Der Präsident des Landtages hat an den Vor, stand des zuständigen Bezirksamtes ein Telegramm gesandt, worin Unglüds Ausdrud gegeben wird. Der bayerische Minister für der Teilnahme des Landtages für die Opfer des Boltswohlfahrt hat fofort einen größeren Betrag zur Linberung der ersten Not der Hinterbliebenen und der Angehörigen der Verletzten überwiesen. Auch die bayerische Regierung wird zur Linderung in fürzester Beit alles tun, was möglich ist.