Mittwoch 26. Mol 1926
Unterhaltung unö AAissen
Seilage öes vorwärts
Großmutter Malusthka. Von Gabriele Preih. Lei der kleinen Dreisaltigteltekapelle hinter dem Dorf«, wo sich die Strobe zur Stadt mit dem Fahrwege nach dem benachbarten Dorfe kreuzt, faß die alte Maluschka in sich versunken, still und un- beweglich. In der welken Aechten hielt sie einige Halme Blutnelken, im Voltsmund Tränen der helligen Jungfrau genannt, die ihr vor- hin ihr« mittlere Enkelin aufgenötigt und in die Hand gedrückt hatte: sie schaute starr und mit einem trostlosen Ausdrucke auf die Blumen in ihrer Hand nieder. Drei, ihrer Obhut anvertraute Enkelkinder im Alter von 1% bis zu 5 Jahren spielten, für den Augenblick Im guten Einoernehmen, miteinander unweit von ihr im Sande, in welchen sie Keller und Gärten hineinbauten. Die Großmutter hatte heute schon schweigsam das Haus vir» lassen, obwohl sie sonst nicht einsilbig, ja eher redselig war und ihre Rede mit einer lächelnden Miene zu begleiten pflegte. Ihr« sorgenbeladen« Schwiegertochter, deren Häuslichkeit sie teilte, hatte schon kein so freundliches Wesen. In ihrer Verdrossenheit bedachte sie die Schwiegermutter oft mit einem harten Worte, obwohl diese solch« am wenigsten verdiente Als die gute Alle heute— nachdem sie sich schon vorher die Kinder zusammengerichtet— mit Appetll nach ihrem Häserl Arme- leutkaffe griff, sagte ihr die Schwiegertochter vor den Kindern, daß sie von aller Arbeit am besten zum Essen dazuschaue, und ihr Sohn, «in Steinbrecher, verstand es gut, hatte aber für seine Mutter nicht cm einziges freundliches Wort zur Milderung des bitterm Tin - drucke« gehabt. Die alte Maluschka war nicht imstande, ein einzige» Löfferl von ihrem heutigen Frühstück hinunterzubringen, hungrig verließ sie das Hau». Sie wußte, daß die Schwiegertochter kein böses Herz hatte, ja diese behandelte sie sogar bester, als Ihre beiden eigenen Töchter, welche der Mutter zu beweisen wußten, daß sie sie nicht ernähren könnten, aber«ine solche Bemerkung tat doch weh. Darum war sie heute, die Kränkung still in der Seele mit tragend, schweigend aus dem Hause verschwunden, und als sie sich hier an den Stufen der Kapelle niederließ und die Kinder gerade ihre Aufmerksamkeit nicht beanspruchten, befiel sie eine tiefe Traurig- keit. E» war heute ein so schöner Frühlingstag, daß sich alle» um sie herum des Lebens sreute, aber ihr kam es vor, daß es bester und traulicher im Grabe sein müßte. Wie hatte sie sich doch in ihrer Jugend das Leben anders vorgestellt. Ms sie ihren seligen Mann heiratete, hatten sie beide nichts, als ihre gesunden Hände, aber dennoch fürchteten sie nicht des Lebens Rot und Sorgen, auch dann nicht, als sich ihr Hausholt um drei Kinder vergrößerte. Während die Mutter ihr Jüngstes abends mit einem Liedchen einschläferte, stellte sie sich immer im Geiste vor, wie sie die Kinder gut erziehen und für sie etwas zu- rücklegen werde: es kam ihr vor, als würden sie mit den Kindern immer so beisammen bleiben. Sie arbeitete bis zur Erschöpfung, gönnt« sich nicht da» geringste Gute und brachte et doch zuwege» dem Sohn« eine Hütte und den Mädchen je hundert Gulden zu er- wirtschaften. So hatten sie die Kinder dennoch weicher gebettet, als ihnen selbst einst gebettet worden war. Aber das Schicksal wollte«» nicht so erfüllen, wie sich's die Maluschka In ihrem Kopse zusominengesponnen hall«. Der Mann ließ sie unvermutet allein in der Welt zurück, und ohne ihn hatte sie bald niemanden, auf den sie sich verlosten konnte. All« Kinder, nachdem sie dieselben viel besser versorgt hatten, al» sich selbst, klagten nur. daß sie zu wenig haben, und so stand es hauptsächlich mit den beiden Töchtern, deren eine kinderlos war und die andere die Eltern ihres Mannes bei sich hatte, welche bisher dem Sohne nicht ihren ganzen Besitz abtraten. Beide gaben ihr ganz deutlich zu verstehen, daß sie ihrer nicht bedursten. Sie hatte nichts als eine Ausgedingskammer in der Hütte ihres Sohnes, die Kost mußte sie sich bisher noch immer verdienen. Sie ging ins Aehrenlesen, sammelte Reisig und. dürre« Laub, räumte nach Kräften im Hause der Schwiegertochter zusammen und hatte hauptsächlich die Kinder zu beaufsichtigen. Mit dem jüngsten, das noch am Arm getragen werden mußte, schleppte sie sich oft bis zum Umfallen. Und für dies alle» warfen heute auch sie ihr schon den kargen Bissen Brot vor. In solch' trübe Gedanken versunken, hörte sie sich plötzlich von jemanden angerufen. Es war der Landbriesträger, welcher eben von seinem täglichen Gange au» der Stadt heimkehrte. Zwischen dem Boten und dem alten Mütterchen bestand keine nähere Bekanntschaft, denn«in Brief verirrte sich selten in das Haus ihres Sohnes. Es überraschte sie daher nicht wenig, als er ihr lebhaft, ja lustig, zu- winkte. Die Kinder hörten auch zu spielen auf, und alle schauten erstaunt auf den Boten, als er ausrief:.Einen Brief habt ihr da, Maluschkowa,«inen Briefl" Und indein er das Schreiben aus der Tasche zog, setzte er hinzu:.Don Wien ist er, und es sind fünf- undzwanzig Gulden darin!" Das Mütterchen erblaßte, Gänsehaut überlief ihren Körper. .Ich?", brachte sie mühsam hervor,.daß muß eine Irrung sein!" .Nu, warum glaubt ihr mir denn nicht? Schenkt mir also den Brief!" fügte der Bote lachend hinzu..Da schaut her: Frau Barbara Maluschka, Steinbrecherswitwe— das seid ihr doch— nicht?" .Da» ist mein Name— aber lieber Bot', ich kann nicht lesen— und bin ein altes Weib.. sprach das Mütterchen unsicher und leiderfüllt.»Da hat jemand euch und mich zum Narren gehalten!" .Nu, wir werden sehen," sagte der Bote..Wenn ihr wollt, so mach' ich'» auf. Nur müßt ihr mir dabei genau zuschauen. Gesiegelt ist er. wie sich's gehört." Und während ihm unser Mütterchen mit weitgeöffneten Augen zuschaute, zog der Bote einen Taschenfeitel hervor, schnitt das Kuvert auf und klopfte den Inhalt auf seine flache Hand heraus..Ja, er war wirklich so, ein weihe«, beschriebenes Papier und darin zwei neue Zehngulden- und eine Fünfguldennote. Jetzt färbten sich die Wangen des Mütterchens mit lebhaftem Rot. »Die Unterschrift Vaclav Maluschka, Mariahilf," las der Post- böte, und dann erst trug er den Inhalt des ganzen Briefes vor: .Liebe Tante! Nie bin ich dazu gekommen, euch zu schreiben und die Nachricht zu geben, daß mir da» Glück in Wien geblüht hat. Ich bin schon elf Jahre verheiratet und habe einen sehr lieben Buben mit Namen Leopold, der schon auf Jahr in die Realschule kommt. Zu der Meinigen sagt man gnädige Frau, weil wir uns schon ein hübsche» Vermögen erspart haben. Bald hätten wir aber Grund zu einem großen Jammer gehabt, wovor uns aber der allmächtige Gott be- wahrte. Unser Leopold hat«ine Halsentzündung bekommen, die sehr arg war. er hat zwei Doktoren gehabt und die haben nicht mehr dafür gutstehen können, daß er davonkommt. Da haben ich und mein Weib vor Gott das Gelübde gemacht, daß wir den Armen eine hübsch« Summe spenden wollen, wenn unser Kind wieder ge- sund wird, und da» haben wir ausgehallen: wir haben 50 Gulden
Hugenberg kontra Hilgenberg.
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gespendet, die Hälfte den hiesigen Armen, und mit der anderen Halste habe ich mich an euch erinnert, liebe Tante, weil ich von einem hiesigen Tischlergehilfen erfahren habe, daß es euch nicht be sonders gut geht, und so fällt das Geld auch In einen armen Schoß. Erinnert euch, wie Ihr mich einmal, als ich ohne Arbeit war. mehrere Tage umsonst ausgehalten habt: das zahlt euch jetzt ab euer donkbarer Neffe Vaclav Maluschka, Bäckermeister. (Schluß folgt.)
Hunger unö Liebe.
Franziska Reventlow hat eine Reihe Romane Hinterlasten, die Beachtung verdienten, auch wenn nicht der Name der Verfasserin das Interesse dafür besonders weckte. Ein« unendliche Grazie hat hier die Feder gelenkt: aber obwohl Franziska Reventlow sich auch vor Klarheit und Deutlichkeit nie scheute, das beste, dos menschlichste dieser Werke steht doch zwischen den Zeilen. Was die Verfasserin schildert, sind nicht so sehr die Dinge, die Menschen, ja. vielleicht nicht einmal die Ereignisse, sondern die Eindrücke, die sie geben, und ihre Atmosphäre und ihr Rhythmus. Die Triebkraft aber zu allem und jedem, dos vorwärtstreibcnde wie das zurückdrängende Element ist die Liebe. Lieb« bestimmt das Leben der»Ellen O l e st j e r e n", Liebe schillert in unerhörter Vielsabrigkeit aus den»Amouresken", die»Von Paul zu Pedro führen, Liebe waltet schicksalhaft in dem nachgelassenen ,S e l b st m o r d v e r e i n". Selbst in Werken, wie»Der Geld komplex' und»Herrn Dame» Auszeich- nungen aus einem merkwürdigen Stadtterl", die scheindar dem Erlebnis de» Eros nur eine Nebenrolle einräumen, ist es doch wieder die allgewaltige Liebe, die die Entwicklung der Handlung lenkt. Aber der.Geldkomplex", der manchen Leser wie eine heitere Spielerei mit den Realitäten des Lebens anmuten mag, erkenm eine gewiß in ihrer ganzen Bedeutung an: den Hunger. Nicht, daß er ihn in ollen Phasen des Schreckens und der Verzweif- lung schildert. Denn in dem Nervensanatorium, in da» die Heldin des Romans aus Geldmangel vor ihren Gläubigern flüchtet und in dem sie solange bleibt, bis eine Erbschaft sie.auslöst", gibt es diesen Hunger gewiß nicht. Aber die Atmosphäre stärkster Spannung. geladen mit dem Bewußtsein, kein Geld, aber dafür um so mehr Gläubiger zu haben, deren Zahl noch täglich wächst, die immer offene Frage an da».Morgen", die ewige Jagd nach dem Geld«. sind sicher starke Bekenntnisse seiner Macht. In Wahrheit hat Franziska Reventlow diese Macht ja auch deutlich genug zu spüren bekommen. Von Hunger und von Liebe wurde ihr Leben regiert. Diese beiden Worte sind eigentlich die ganze Biographie der.tollen Fanny ", die nach ihrer eigenen Aus- sage.keine Zukunft" hatte. Die Münchener Boheme um die Wende de» zwanzigsten Jahrhundert» war ihr nicht Durchgangsstadium, sondern Dauerzustand. Nicht, daß sie der Urtyp der Bohemcnatur war. Wer sie damit identifiziert, verkennt sie völlig. In den Kreisen de» Münchener Künstler- und Literaturvölkchens war sie im Gegen- teil durchaus eine Sondererscheinung. Sie blieb das, als was sie geboren war: Franziska, Gräfin zu Reventlow. Rur wenn man das begreift, kommt man ihrer Erscheinung näher. Franziska Reventlow besaß dieselbe Kraft, die den Adel ja überhaupt Nur so viele Jahrhunderte hindurch erhalten hat: die Kraft der Negation, oder vielleicht noch richtiger, Kraft zum Negativen. Dieses sonder- bar« Beharrungsvermögen, da» der Humusboden für die Tradition ist, war auch da» Erdreich, auf dem ihre„Biographie" wachsen konnte. Hat sich die Institution des Adels behauptet durch die Fähigkeit, die Außenwelt abzulehnen, indem sie gewissermaßen sich selbst als Zentralkrast einsetzte, um die die Welt kreisen müsse, so erkennt man in der Art, wie Franziska Reventlow ihr Leben sich gestalten ließ, deutlich die Wirksamkeit dieser gleichen Fähigkeit. Sie suchte keine Beziehungen zur Umwelt, zu den Menschen, sondern nur die Beziehungen zu sich. Und wenn sie das etwa damit definiert, daß der Grundzug ihres Wesens Faulheit sei, so ist das in diesem Sinne höchstens halb richtig. Aber auch sonst war wohl nur schein- bar Faulheit eine ihrer besonders betonten Eigenschaften, und in Wirklichkeit diese.Faulheit" jeder geordneten Betätigung gegenüber mehr Müdigkeit. Der Kampf Ihrer Jugend um Freiheit, die ewige Jagd nach dem Geld«, die dann folgte, Krankheiten, Sorgen, Hunger, nichts zuletzt die kaleidoskopartig wechselnden Liebesabenteuer nahmen ihr die Kraft zur Ausdauer. Denn Franziska Reventlow konnte auch fleißig, sehr fleißig sein. Sie glaubte an ihr« Malerei, arbeitete mit rühren- der Zähigkeit immer wieder daran, ein Ziel zu erreichen— das sie wahrscheinlich auch unter günstigeren Umständen nicht erreicht hätte. Aber auch die zahllosen Uebersetzungen fremdsprachlicher Bücher, die sie für den Verlag Albert Langen vornahm, waren
schließlich kein Beweis von Faulheit. Gewiß machte sie diese Ueber- setzungen nur, um Brot für sich und ihr Kind zu haben. Doch die .tolle Fanny " hätte auch andere Einnahmequellen gehabt und zu Zeiten hat sie auch diese nicht verschmäht. Daß sie nie völlig unter- gegangen ist, mag wie ein Wunder anmuten, Ist aber nur die Folge ihrer Einstellung zum Leben.„Ach, guter Gott," schreibt sie in ihrem Tagebuch,„in Geschichten wersen sich sündige Mütter dann an der Wiege ihres Kindes nieder usw. Ich komme müde heim, bin froh, wenn ich etwa» mehr Geld in der Tasche Hab und wieder bei meinem Bübchen bin. Aber daß es mir etwas übelnehmen sollte, wenn es groß wird und einen Blick in die Abgründe tut, durch die seine Mutter gelegentlich wandelt— es möchte mir's eher übelnehmen, wenn ich ihn und mich verhungern ließe." Franziska Reventlows Fähigkeit zu gelegentlichen„Amouren" war tatsächlich so groß, daß bisweilen die Grenze des Möglichen von ihr recht weit gezogen wurde. Aber so lange es sich nicht um Herzensangelegenheiten handelte, ließ sie sich nie auch nur für einige Zeit fesseln, undKlbst „seriöse Dauersachen" hielten sie kaum je länger als einige Monate fest. Di« Ehe und damit die Verpflichtung wenigstens zu relativer Treue aber war ihr eine unmögliche Aufgabe. Selbst Zeiten bitterster Not, in der die Schulden ihr über den Kopf wuchsen, konnten sie hierzu nicht bekehren. Wenn sie auch zweimal in ihrem Leben gesetzlich anerkannte Ehebündnisse schloß, so waren das nur eigentlich Zufallssachen: das erstemal führte der Weg zur Freiheit für sie durch die Ehe, und obgleich sie ihren Mann wirklich liebte, brach sie auch dieses Band, das sie sehr milde nur fesieln wollte, das zweitemol war die Ehe nur ein Geschäft, daß zwei Menschen abschlössen, um später eine Erbschaft antreten zu können. Sogleich nach der Ehe- schließung gingen die beiden wieder auseinander. Aber wenn Fanny Reventlow auch olle liebte und keineitt treu war, einer machte davon eine Ausnahme: ihr Kind. Ihm war sie so treu, wie es nur irgendeine Mutter sein kann. Das umfangreiche Tagebuch von 1897—1910, das von dem Band ihrer.Gesammelten Werke", der jetzt im Verlag Albert Langen . München , erschienen ist, etwa die Hälfte einnimmt, ist das erschütternde Bekenntnis einer Mutterseligkeit. Ihr Rolf hatte keinen Vater, sollte keinen haben. Ihr Kind, nur ihr Kind sollte er sein. In bitterster Not erfuhr sie, was sie erwarte. Nach eiiier schweren Krankheit hatte nmn ihr die Möglichkeit abgesprochen, je wieder Mutter zu werden: jetzt zeigte es sich, daß die Aerzte sich geirrt hatten, und die Fünfundzwanzigjährige, schwach und elend, die kaum wußte, wovon sie leben sollte, jubelte vor Glück..Es ist jetzt kein Zweifel mehr Ich bin froh und ruhig. So elend, daß ich kaum durchs Zimmer gehen kann. Und denke nichts anderes mehr. Ein Kind. Ein Kind. Mein Gott." Es kamen auch schwarze Tage, Tage, an denen sie sich fragte:„Wäre es denn nicht bester, ein Ende zu machen, ehe das arme Kind da ist?" Aber die Sehnsucht nach Leben und nach Erleben des Wunders überwog immer wieder. Sa rechnete und arbeitete und darbte st«.„Krank, konnte kaum arbeiten. Aber es muß ja fein, damit mein armes Kindchen nicht gar zu arm auf die Welt kommt. O, die Gedanken und die Geldnot und die Schulden. Dazwischen so göttliche Momente von Seligkeit." So zärtlich und sorgend fühlte sie für das Ungeboren«, als lebte es schon. Jedes kleine Kind, das ihren Weg kreuzte, weckte die Sehnsucht:„Wäre es doch erst meines. Und dabei:„Arbeit, Arbeit, immer mehr im Galopp, daß ich noch fertig werde und genug Geld habe." Aber vielleicht am rührendsten stehen am 28. August 1897, vier Tage vor der Geburt des Kindes, die Worte im Tagebuch:.Seit zwei Tagen abends heftige Schmerzen, ich dachte jedesmal, nun finge es an, aber sie körten nach ein paar Stunden auf. Und jeden Abend bin ich glücklich, wenn sie anfangen. O mein Kind." Bis zu seinem dreizehnten Jahre hat sie sich dann nie längere Zeit von ihrem Knaben getrennt, und nie ist ihre Liebe zu ihm geringer geworden. Um seinetwillen hat sie Wohnungen gewechselt, mit feuchten Räumen vorlieb genommen, weil em sonniger Garten dabei war,.m den sie den Kinderwagen stellten konnte: nachts wusch sie die Wäsche des Kleinen, in früher Morgenstund« nähte sie für ihn, tagsüber schrieb sie an Uebersetzungen, um Brot zu schafften. Und jeder Festtag wurde jetzt ein Festtag ihres Kindes. Dabei blieb sie die„tolle Fanny ", die ewig Karneval feiern tonnte und die ewig neue„Amouren" anfing und bisweilen sogar alte kultivierte, und die zwischendurch noch Geld hatte für andere aus der Boheme, denen es gerade noch schlechter ging. Dieses durch dreizehn Jahre geführte Tagebuch ist sicher der schönste Teil der„Gesammelten Werke". Aber auch ein notwendiger Teil: denn er erschließt erst das völlige Verständnis für die Romane und Novellen, dic, aus Zwang, unter dem Druck harten Geldmangel» geschrieben, beweisen, wie wenig ein Mensch oft imstande ist, seine Fähigkeiten zu beurteilen. Franziska Reventlow hielt von ihren schriftstellerischen Arbelten gar nichts und glaubte an ihre Malkunst. Aber trotzdem war sie eine schlechte Malerin und eine gute Schrift- stellerin. Trude E. Schulz.