Einzelbild herunterladen
 

Abendausgabe

Nr. 253 43. Jahrgang Ausgabe B Nr. 124

Bezugsbedingungen und Anzeigenpreife Find in der Morgenausgabe angegeben Redaktion: Sw. 68, Lindenstraße 3 Fernsprecher: Dönhoff 292-297 Tel.- Adresse: Sozialdemokrat Berlin  

10 Pfennig

Dienstag

1. Juni 1926

Vorwärts=

Berliner   Dolksblatt

Berlag und Anzeigenabteilung: Gefchäftszeit 9-5 Uhr

Berleger: Borwärts- Berlag GmbH. Berlin   SW. 68, Lindenstraße 3 Fernsprecher: Dönhoff 292-297

Zentralorgan der Sozialdemokratifchen Partei Deutschlands

Mościski Polens   neuer Präsident.

Die Sozialisten gaben den Ausschlag.de

Warschau  , 1. Juni.  ( Eigener Drahtbericht.) Jm 3weiten Wahlgang haben die Sozialisten für Mofcisti geftimmt. Er wurde mit 276 Stimmen zum Präsidenten gewählt. Moscisti hat die Wahl angenommen und wird heute abend den Eid auf die Berfaffung leisten.

Die endgültigen Ziffern.

Warschau  , 1. Juni.  ( WTB.) Im zweiten Wahlgang der Wahl zum polnischen Staatspräsidenten erhielten Mofcidi 281 Stimmen, Bninski 200, Maret 1 Stimme. Außerdem wur­den 63 weiße 3ettel abgegeben.

Das Ergebnis des ersten Wahlganges. Warschau  , 1. Juni.  ( WTB.) Bei der Präsidentenwahl im Sejm   erhielten im ersten Wahlgang: Mofcifti 215 Stimmen, Bninski 211, Maret 56 Stimmen, außerdem wurden 63 weiße Zettel abgegeben. Es ist ein zweiter Wahlgang not­wendig geworden, in dem die Sozialisten wahrscheinlich ebenso

wie ein Teil der Ukrainer für Moscisti stimmen werden.

Die Klärung am gestrigen Abend. Warschau  , 1. Juni.  ( WTB.) Die politische Lage hat sich gestern in den späten Nachtstunden zu flären begonnen. Sie ftellt sich augenblicklich folgendermaßen dar: Der Block der drei regtsstehenden Parteien wird für den geftrigen Präsident­schaftskandidaten der Nationaldemokraten, den Posener Woje. schaftskandidaten der Nationaldemokraten, den Poſener Woje­ woden Bninski  , geschloffen seine Stimme abgeben. Die Mittelparteien, die polnische Linte, mit Ausnahme der Sozialdemokraten, die Juden und wahrscheinlich auch ein Teil der deutschen   und flawischen Minderheit werden den von Marschall Biljudski empfohlenen Kandidaten, Prof. Ignaz Moscidi, unter

nit" gemäß, den Kandidaten der Linten und des Zentrums unterſtüßen würden. In den Kreisen der Linken rechnet man infolge­deffen mit einem Siege Prof. Jgnaz Mofcidis.

Militärzensur des Telephons.

Danzig  , 1. Juni.  ( BTB.) Seit gestern ist für Fern. gespräche in Warschau   die Militärzensur wieder einge­führt. Berichterstatter deutscher Zeitungen wurden wiederholt in ihren Telephongesprächen unterbrochen und zum Gebrauche der polnischen Sprache aufgefordert. Berschiedene derartige Gespräche sind einfach getrennt worden, obwohl der ganze Ber­lauf des gestrigen Tages in Warschau   keinerlei Rechtfertigung für derartige Maßnahmen bietet.

Nur um die Schule?

Zum 6. Juni.

Von Dr. Richard Lohmann.

Mitten hinein in das Ringen um den Volksentscheid fallen die Neuwahlen zu den Elternbeiräten in Preußen. und manch einer empfindet dieses Zusammentreffen als eine unliebsame Störung der gewaltigen politischen Ent­scheidung: Ein fleines Gepläntel in Großkampftagenes lohnt sich nicht, Kraft und Mühe darauf zu verschwenden!" Das ist die gefährliche Einstellung, die es mit aller Macht zu bekämpfen gilt, wenn wir nicht den Gegnern einen leichten Sieg am 6. Juni zuschanzen wollen.

Wir wollen vielmehr die Zufälligkeit der äußeren Berbindung zwischen beiden Entscheidungen zum willfom­menen Anlaß nehmen, um die innere Verbindung klar­zulegen, um den breiten Massen des schaffenden Volkes zu zeigen, daß der Kampf um die Elternbeiräte nicht mehr und nicht weniger als ein Stück des großen Befreiungs­tampfes des Proletariats ist, daß alle entscheiden­den Fragen der Tagespolitik auch hier mit zur Entscheidung stehen.

-

wie bisher,

Bolens neuer Staatspräsident ist politisch wenig hervor getreten. Er ist Professor der Technischen Hochschule   in Lemberg   und technischer Leiter der ehemals deutschen Stid= stoffwerke Chorzow in Oberschlesien  . Er war früher Mit­glied der Sozialistischen Partei, gehört aber seit einiger Zeit tampfes überschätzen. Die Elternbeiräte in ihrer jetzigen Wir sind die letzten, die die Bedeutung eines solchen Teil­einer politischen Partei nicht mehr an. Wollte man deutsche Gestalt und mit ihrem jetzigen Aufgabenkreis haben an allen Begriffe auf ihn anwenden, so wäre er als linksstehender Schulen des alten Systems nur eine vorbereitende, noch keine Demokrat zu bezeichnen. Durch Beruf, politische Einrichtunggebende Bedeutung. Und den sozialdemokratischen stellung und die Freundschaft mit Pilsudski   ähnelt er Polens   Mitgliedern in vielen dieser Korporationen fällt vorlegtem Staatspräsidenten, Narutowitcz. so auch in der nächsten Zukunft die undankbar erscheinende Mit der Wahl des neuen Präsidenten ist Polens   Staats- Rolle des Mahners und Warners, des Kritikers und Anklägers trise hoffentlich überwunden. Nachdem in der Abwehr der zu. Aber alle großen Bewegungen der Weltgeschichte, jeder Reaktion Marschall Pilsudski und die demokratischen Kräfte Fortschritt der Menschheit, jeder Kampf gegen Fesseln und des Landes zur Sanktionierung des Staatsstreiches sich zu- Ketten der Vergangenheit sie beginnen nun einmal natur­fammengefunden hatten, haben die gefeßgebenden Körper- notwendig mit der Opposition. Und wer die Opposition schaften Polens   den Weg zur verfassungsmäßigen Lösung der für überflüssig erachtet, freiwillig auf sie verzichtet, der ver­inneren Konflikte wiedergefunden. Das Ergebnis der Präsi­dentenwahl sollte in ganz Polen   das Vertrauen auf den dichtet auch auf den Fortschritt der Bewegung überhaupt.

-

-

ftüken, hingegen haben die Sozialdemokraten angesichts des republikanischen Staat stärken. Mit der Wahl des neuen Flügel unserer Bewegung am langsamsten marschiert,

Berzichts Pilsudskis sich entschloffen, einen eigenen Kandidaten in der Person des Abg. Marek aufzustellen. Auch die kommu­niften und die ihnen naheftehenden Zwergparteien radikalen

Charakters find entschlossen, in dem Abg. Fiderficwicz einen Kandidaten aufzustellen.

So erscheint es unwahrscheinlich, daß im ersten Wahl­gange einer der vorgesehenen Kandidaten die erforderliche abfolute Mehrheit der abgegebenen gülfigen Stimmen erhält, so daß ein fo­fortiger 3 weiter Wahlgang notwendig sein wird, bei dem die Sozialdemokraten, der Ankündigung der heutigen Robod­

Deutsche Mietertagung.

Für eine soziale Wohnungsreform. Der Bund Deutscher   Mietervereine, Siz Dresden,

hielt in Köln   seinen 21. ordentlichen Deutschen   Mietertag ab. Die aus allen Teilen des Reiches stark besuchte Tagung wurde mit gung einer Reihe von Organisations- und Verwaltungsangelegen einer Sitzung des Bundesausschusses eröffnet, in der nach Erledi. heiten Baumeister Seidler Dresden zur Wohnungswirtschaft folgende Leitsätze vorlegte, denen der Bundesausschuß einmütig 1. Die Wohnungsverhältnisse der minderbemittelten und unbe. mittelten Boltsschichten waren in Deutschland   schon vor dem Kriege unbefriedigend.

zustimmte:

bannt. Je gesicherter Bolen aus seinen Verfassungskrisen hervorgeht, um so mehr Freiheit werden sich die im polnischen Reiche zusammengefaßten Nationen und Minderheiten er­

ringen fönnen.

In den großen wirtschaftlichen und sozialen Kämpfen, die Polen   in der nächsten Zeit bevorstehen, bedeutet freilich die nun eben überwundene Staatskrise nur eine Episode. Aber diese Episode besagt, daß die fortschriftlichen und sozialistischen Kräfte ihre Machtpofitionen im polnischen Staate gestärkt haben.

Mehr Schahzwechsel bei der Reichsbank.

Zustimmung der Reparationskommission.

Um der Reichsfinanzverwaltung die Möglichkeit zur Ausgabe eines begrenzten Betrages furzfristiger Schatzwechsel zu geben, hat die Reichsregierung im Einvernehmen mit der Reichsbank eine nommen und ist wegen dieser Aenderung mit der Reparations­Abänderung einzelner Vorschriften des Bankgesetzes in Aussicht ge­kommission in Fühlung getreten. Nachdem die Reparationsfom­mision sich mit dem Vorschlag einverstanden erklärt hat, wird die Reichsregierung nunmehr den gesetzgebenden Körperschaften eine entsprechende Vorlage zugehen lassen, sobald der Generalrat der Reichsbank zu dieser Frage abschließend Stellung genommen hat. 2. Die privatkapitalistische freie Wohnungswirtschaft hatte Natürlich handelt es sich bei dieser Erweiterung der Begebung nicht vermocht, die breiten Volksschichten zu erschwinglichen von Schatzwechseln bei der Reichsbant nur um die augenblickliche Mieten in gesundheitlich und kulturell einwandfreien, in räumlicher Befriedigung von vorübergehendem Kassenbedarf, für den die steuer­Beziehung zulänglichen Behausungen befriedigend unterzu- liche Deckung bereits vorhanden ist. Wenn diese steuerliche Deckung 3. Eine wirkliche Erlösung aus der noch immer wachsenden Wohnungsnot fann nur eine großzügige joziale oh nungsreform bringen.

bringen.

4. Die soziale Wohnungsreform bedarf jedoch nicht nur vor übergehend, sondern dauernd in starkem Ausmaße zinsloser Baugelder und Hypotheken und kann nur auf gemein. nügiger Grundlage gedeihen.

5. Als dauernd fließende Geldquelle sind dazu die Woh nungsbaumittel der Hauszinssteuer für alle Zukunft ficherzustellen.

6. Für die Wohnungsversorgung der breiten Bevölkerungs­massen ist der private Unternehmerbau nicht geeignet. Er ist durch den gesellschaftlichen Wohnungsbau auf gemeinnütziger Grundlage zu ersetzen.

7. Ein tätiges Eingreifen der Mieterorganisationen in die prat. tische Wohnungsfürsorge ist dringend erwünscht. Die Gründung neuer Baugenossenschaften dient solchen Zwecken indessen nicht. 8. Nicht die Gründung neuer Organisationen, sondern eine 3usammenfassung der bestehenden ist geboten. 9. Alle am Volkswohnungsbau interessierten wirtschaftlichen Organisationen der Mieter, Siedler, Baugenossenschaften, Klein­gärtner, Kriegsbeschädigten, Kinderreichen, Bodenreformer und im besonderen Maße sämtliche Gewerkschaften der Arbeiter, Angestellten besonderen Maße sämtliche Gewerkschaften der Arbeiter, Angestellten und Beamten sollten sich unter einem Dach, am zweckmäßigsten in der Rechtsform der G. m. b. 5. zu gemeinsamer praktischer Woh nungsfürsorge zusammenfinden.

M

Am zweiten Tage sprach in einer öffentlichen Tagung Dr. Damaschke Berlin   über die Veredelung der Hauszins steuer im Rahmen des geplanten Bodenreformgesetzes. Eine Entschließung, die einstimmig Annahme fand, spricht den Ab­geordneten, die am 5. Mai im Reichstag für das Bodenreformgesetz gestimmt haben, den Dant des Bundestages aus. Sie verlangt ferner die Entlastung der Klein und Mittelwohnungen von der Hauszinssteuer und als Erfaß für diesen Ausfall eine stärkere Belastung der größeren Wohnungen.

immer vorhanden ist, ist jeder Gedante, die Maßnahme könnte immer vorhanden ist, ist jeder Gedanke, die Maßnahme fönnte irgendwo inflationistisch wirfen, absolut abwegig. Daß die steuer­liche Deckung für jede Reichsausgabe jederzeit vorhanden ist, darüber hat die Deffentlichkeit natürlich aufs strengste zu wachen.

Reichsbannertag in Gießen  .

Eine mächtige republikanische Kundgebung. Gießen  , 1. Juni.  ( Eigener Drahtbericht.) In der Universitäts­stadt Gießen fand am Sonnabend und Sonntag unter ungeheurer Beteiligung der Bevölkerung eine Dom Reichsbanner Schwarz- Rot- Gold Gau Voltsstaat Hessen   veranstaltete größere republikanische Rundgebung statt. Die Feier wurde ein­geleitet durch einen Begrüßungsabend in der Boltshalle, an dem 4000 Personen teilnahmen. Begrüßungsansprachen hielten im Auftrage des Bundesvorstandes Polizeipräsident Krüger, der Gauvorsitzende Landtagsabgeordneter Stord, Senatspräsident Dr. Großmann, Frau Anna Blos  . Stuttgart  , Universitäts­profeffor chintel und Kamerad Frig Ebert- Brandenburg. Am Sonntag vormittag fand die Weihe des Gaubanners durch den Vertreter des Bundesvorstandes Rüger statt. Nach einem Um­marsch der Fahnenabteilung unter Borantritt eines 500 Mann starten Musikkorps begab sich das Reichsbanner in geschlossenem Buge zum Bahnhof, wo um 1,15 Uhr von einer großen Volks­menge jubelnd begrüßt Staatspräsident Ullrich in Be­gleitung des Arbeitsministers Raab eintrafen. Nach einem imposanten Ummarsch durch die reich geschmückten Straßen der Stadt fand die offizielle Feier nach Ansprachen des Staatspräfi­denten Ullrich, des Oberbürgermeisters Luppe und des Zentrums abgeordneten Knoll ihr Ende. Am Abend vereinigten sich noch viele tausende Republikaner   in der Boltshalle zu einem gemütlichen Beisammensein.

|

daß er auf die stärksten Hindernisse stößt, die Geschichte und Tradition, die jahrtausendelang allgewaltige Mächte der Ver­gangenheit aufgetürmt haben. Aber wir vergessen dabei nicht, daß dieser Flügel trotzdem der wichtigste der gesamten Linie ist, daß alle politischen und wirtschaftlichen Erfolge Stückwerk sind, so lange wir fie auf einem wesensfremden kulturellen Boden erringen müssen.

Es ist gut, wenn wir ungeduldig an dieser Verkettung rütteln. Es ist gut, wenn wir flar sehend den Widerspruch empfinden: Während die Partei beim Volksentscheid ernsthaft und mit berechtigter Siegeszuversicht um die Zustimmung der Mehrheit aller Wahlberechtigten ringt, fämpft sie auf fulturpolitischem Gebiete um ein paar Size in beratenden Körperschaften. Es gilt aber, die richtige Folge­rung aus diesem Widerspruch zu ziehen: Nun erst recht mit aller Macht hinein in den Kampf um die Schule! Und es müßte doch mit dem Teufel zugehen, wenn die Partei nicht gerade in diesem Augenblick höchster politischer für sich zu erobern! Spannung die Stimmen aufbringt, um die Elternbeiräte

-

Wir wissen, daß die deutsche Republik noch längst nicht auf einem Felsen von Erz ruht. Sonst bedürfte es keines Bolfsentscheids, um die Frage der Fürstenabfindung zu regeln. Aber von allen offenen und versteckten Gegnern der Republik  ist teiner so gefährlich wie der, der aus der heran­machsenden Jugend die Waffe gegen die Republik  Schmieden möchte: Die monarchistische Lehrerschaft an den Schulen der deutschen Republik, die das Schlagwort von der" Entpolitisierung der Jugend" auf den Lippen- vaterländische" Hekpropaganda in der Schule treibt. Wir haben kein anderes Mittel der Abwehr als den entschiede= und ihre Vertretung durch den Elternbeirat. Aber- nen Willen republitanisch gesinnter Eltern wie seltsam!- diese wichtigste politische Frage des Tages findet in der Struktur des Wahlkampfes um die Elternbeiräte überhauptteinen Ausdrud. Christlich  - unpolitisch" heißt die bürgerliche Parole. Wo sind die republika. nischen Parteien des Bürgertums? Stimmen fie geschloffen für die unpolitische", also antirepublikanische Liste der Reaktion? Stimmen sie für die sozialdemokratische Liste Schulaufbau"?

"

-

Offene Fragen. Fragen, die so recht deutlich zeigen, wie es die Reaktion verstanden hat, auf fulturellem Gebiete die Kampffront zu verschleiern. Unpolitisch und christlich- als wenn das die beiden Anker wären, an denen das Heil der Schule unserer Tage, vielleicht sogar der Schule der Zukunft hinge! Eine flug zurechtgeftuzte Parole. Der Klein­bürgerschreck der Entchristlichung der Schule, der religionslos" heranwachsenden Jugend, die das vierte Gebot nicht mehr fennt, wird herangeholt und alles andere ver schwindet im Schatten dieses Popanzes. Nichts mehr von staatsbürgerlicher Erziehung, nichts mehr von Er= ziehung im Geiste der Völkerverföhnung. Nichts mehr Dom gleichen Anrecht aller Kinder an eine ihren Anlagen gemäße Ausbildung. Nichts mehr von sozialem Ausgleich durch Verbreiterung der Grundschule. Nichts mehr von Aufbauschulen. Nichts mehr von freien Lernmitteln, von Schulspeisung, von ärztlicher Fürsorge. Noch viel weniger natürlich auch nur ein Wort von der Abschaffung der Prügelstrafe, von einer Erziehung im Geiste der Selbstverantwortung, von Gemeinschaft und Persönlichkeit.