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Dienstag

8. Juni 1926

Unterhaltung und Wissen

Unterhaltung in der Eisenbahn .

Bon Fedor B. Jljagin.

( Einzig berechtigte Uebertragung von Siegfried Don Vegesa d.) I.

Die Fahrkarten, meine Herren!"

Eine Laterne mit tropfender Talgferze leuchtete in das finstere Abteil 2. Klaffe, und eine durch festgeriebenen Schmuz schon glän­zend gewordene Hand streckte sich vor.

Wie weit ist es noch bis Woronjefch?" fragte aus dem Dunkel eine Stimme mit unverkennbar deutscher Aussprache.

" Noch gute zwei Stunden," sagte der Schaffner und knipste die Fahrkarte. Heda, dort liegt ja noch jemand! Die Fahrkarte, die Fahrkarte, mein Herr!" Und er zupfte an einem Bein, das im Lichtschein der Laterne auf dem gegenüberliegenden Bolster sichtbar wurde.

,, Ach, du Kanaille, ich habe dir doch gesagt, daß du mich nicht por sechs Uhr weden sollst, geh zum Teufel!"

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,, Ach, Sie sind es, mein Herr! Berzeihen Sie, ich habe Sie im Dunkel nicht erkannt. Beunruhigen Sie sich nicht, ich werde Sie beſtimmt um sechs Uhr weden!"

Und damit verschwand der Schaffner .

Bird mich noch um sechs weden! Was nügt mir das, wenn er mich schon jetzt geweckt hat!" brummte eine verärgerte Stimme. Was sind doch diese Schaffner für Esel! Da gibt man ihm ein gutes Trinkgeld, und er: erkennt einen nicht! Schweinerei!"

In Deutschland wäre das nicht möglich," ließ sich der Herr pon der anderen Ecke selbstzufrieden vernehmen.

Das glaub' ich: dort ist man pünktlich und genau," fnurrte es von drüben aus dem Dunkel.

,, Nein, ich meinte: bei uns in Deutschland wäre das nicht mög­lich, daß man einen Schaffner, der seine Pflicht tut, einfach be­schimpft und hinauswirft!" entgegnete der Deutsche überlegen und zugleich belehrend.

Ja, ihr Deutsche seid ein ordentliches und afturates Bolk: bei euch läuft alles wie am Schnürchen!" erwiderte der Russe und rich­tete sich auf. Aber an Schlaf ist nicht mehr zu denken, Sie, daß ich Licht mache?"

-

erlauben

,, Bitte sehr, ich muß sowieso bald aussteigen!" Der Ruffe holte ein Stearinferzenendchen aus der Tasche, zün. dete es an, tröpfelte etwas auf das Tischchen am Fenster und be bestigte so die Kerze.

II.

Im schwachen Lichtschein konnten sich jetzt die beiden einzigen Passagiere des Abteils betrachten.

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Der Russe war ein großer, breitschultriger Mann von etwa vierzig Jahren, mit schwarzem Bollbart, gelbbraunen Wangen und müden, etwas schwermütigen Augen. Der Deutsche ein fleiner, etwas aufgeschwemmter Herr, mit spärlichen, glattgescheitelten Här­chen über einer flachen Stirn und beweglichen, wachsamen Augen hinter einem schief sizenden Kneifer.

Ja, bei euch läuft alles von selbst, wiederholte der Ruffe und zündete sich eine Zigarette an, aber bei uns muß man schmieren!" ,, Geben Sie mir ein paar tüchtige deutsche Beamte, und ich will die russische Maschine in Ordnung bringen, daß sie auch ungeschmiert läuft!" versicherte der Deutsche selbstbewußt.

Der Russe sah ihn ironisch, mit faum unterdrücktem Miß­behagen an. Dann sagte er lächelnd:

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,, Und doch will ich nicht mit Ihnen und Ihrem Lande tauschen! Hier geht alles langsamer, nicht so pünktlich, aber dafür be quemer und angenehmer. Sehen Sie, schon die Eisenbahn: ich bin nur einmal bis Rönigsberg gefahren, aber das ging so, daß ich dachte, mir würden die Eingeweide aus dem Leib gerissen! Wie das stuckert und saust! Und wie angenehm und glatt geht es da­gegen hier!"

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"

Ja, in Rußland hat man Zeit," meinte der Deutsche nach­fichtig, mit gönnerhaftem Wohlwollen. Was hätte man bei uns alles mit dieser Zeit angefangen, die ihr hier verschwendet! Und mit euren Schmiergeldern, Trinkgeldern, eurer ganzen russischen Bestechlichkeit! Welche Summen, die man hier täglich zum Fenster hinauswirft: nur damit die Räder überhaupt rollen!"

Wenn wir, wie Sie sagen, das Geld zum Fenster hinaus. werfen, so müssen Sie nicht vergessen, daß auch draußen Menschen ſtehen, die eben von diesem Gelde leben!" warf der Ruffe lächelnd ein. Im Grunde kommt es auf dasselbe heraus: man zahlt, und

man verdient!"

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"

Und die Moral? Die Sittlichkeit? Die menschliche Würde?" trumpfte der Deutsche auf und zündete sich eine billige Zigarre an. Wenn ich mir Geld verdiene, dann habe ich es mir verdient. Wenn ich es mir aber in die Hand drücken lasse " Dann haben Sie es sich noch leichter, noch besser verdient!" schnitt der Russe ihm lachend das Wort ab, entforkte eine kleine Madeiraflasche und füllte einen Becher:

,, Darf ich Ihnen ein Schlückchen anbieten?" Im Deutschen kämpfte einen Augenblick Stolz und Nüglichkeits­instinkt. Aber der kräftige Madeirageruch trug den Sieg davon: er trant ein Schlückchen und dankte.

Der Ruffe goß nach und leerte den Becher in einem 3ug. Dann fuhr er fort: ,, Nein, nein, Sie können sagen, was Sie wollen: bei uns in man fann alles haben!" Rußland lebt es sich doch besser, Und was kann man denn bei uns nicht haben?" fragte der

Deutsche überlegen.

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Der Russe füllte wieder den Becher und meinte: ,, Sagen wir, zum Beispiel,- es kommen doch solche Fälle vor: Sie wollen, wie man so sagt, sich amüsieren. Was machen Sie dann?"

Eine dumme Gans.

Des Abends bei der Kerze Schimmer Bewundert sie SEIN Bildnis immer.

Doch eines Tages war, o Gott, Auch ihre Herrschaft ganz bankrott.

B#

:

Denn einst- es liegt fchon lang zurüd-, Da traf per Zufall fie SEIN Blid.

Beilage des Vorwärts

Volks­

entscheid

Was? Gegen JHN? Das fiel' mir ein! Nein! Reich und glücklich soll ER sein."

Es wird gespart an allen Enden, Drum fann ich Sie nicht mehr verwenden.* Jedoch wir andern denken drum: Nein, wir sind sicher nicht so dumm. Schluß mit der Unterwürfigkeit! Wir stimmen Ja beim Volksentscheid!"

" Ich würde wohl warten, bis ich angekommen bin. Man kann fich doch gedulden."

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,, Es gibt aber Fälle," meinte der Russe nachdenklich, wo man sich nicht gedulden tann. Das ist eine rein physische Sache. Gut, und was machen Sie dann in Rußland ?" fragte der Deutsche neugierig. Ich hole mir ein Mädchen!" Im Zuge?"

Ja, auch im Zuge."

Sie scherzen: wie fann man sich denn im Zuge ein Mädchen holen?"

" Ich sagte Ihnen doch, daß man bei uns in Rußland alles haben fann: man muß es nur bezahlen. Wenn Sie wollen, werde ich es Ihnen beweisen. Wann müssen Sie aussteigen?" In einer guten Stunde."

" Dann haben wir gerade noch Zeit. Kommen Sie mit, dann fönnen Sie sich das Mädchen selbst aussuchen!" Und dabei stand der Russe auf, öffnete die Tür und trat in den schwach erleuchteten Korridor.

Der Deutsche folgte ihm zögernd.

( Schluß folgt.)

Die Turfanfunde im Völkermuseum.

H.ABEKING.

Sie findet auf der Straße sich, Die Tränen fließen bitterlich.

Die ersten beiden der vier Expeditionen hatten das Gebiet der Dase von Turfan zum Ziel. Die hier gemachten Funde gehören in eine Zeit chinesisch- uigurischer Vorherrschaft( 7. bis 10. Jahrhundert n. Chr.). Schon von einer früheren Teilausstellung her fennt mc: diese riesigen Bilder aus der alten uigurischen Hauptstadt Choticho, in ihren Formen ostasiatisch beeinflußt man tann sich danach eine Vorstellung von der Wandmalerei der berühmten Tangmeister Chinas machen.

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Den Hauptanziehungspunkt der neuen Aufstellung bilden die Räume mit den erstmalig ausgestellten Funden der Dase von Rutscha. Während Chotscho weit im Osten der Karawanenstraße Gelegen ist, früh und lange unter chinesischer Herrschaft gestanden hat, liegt Kutscha einige hundert Kilometer nach Westen. Es ge­langt später aus Chotscho unter chinesischen Einfluß, und die Haupt­masse der dortigen Funde gehört in eine frühere Zeit( 5. bis 7. Jahrhundert). Seine Kunstübung ist eine Fortenwicklung der aus Nordwestindien bekannten sogenannten Gandhara- Kunst. Diese selbst ist aus der hellenistischen Provinzialkunst des alten Baktrien hervorgegangen. Durch den religiösen Gehalt des Buddhismus emp­fing diese Kunst den treibenden Impuls und die Beseelung, welche ihrer Stoßkraft einen Siegeszug bis an die Grenzen Chinas er­möglichte. Im Laufe der Zeit wird der antike Ausdruck überwunden. Das Bemühen dieser Mönchskünstler galt der Rührung, Abschreckung und Erbauung der Gläubigen. Repräsentative Feierlichkeit der Dauer, Harmonie der Raumbeziehungen findet man überwiegend in den Turfanfunden von Chotscho, Historienschilderung bei Ein­maligkeit der Handlung in Kutscha. Die Funde von Kutfcha über­raschen aber vor allem durch die quellende Freude an der Farbe, verblüffende Modernität. Leider haben nicht alle Stücke die ur­sprüngliche Erhaltung. Osttürkische Bauern und Schäßesucher haben das manchmal dick aufgetragene Blattgold geplündert, und aber­gläubische Leute haben die Gesichter der Personen zerstört oder die Augen ausgefragt, um die Geister der Dargestellten zu bannen und sich vor Schaden zu bewahren.

kunde wieder eröffnet, nachdem es einem völligen Umbau unter­In einigen Wochen wird das Berliner Museum für Völker­zegen worden ist. Im Erdgeschoß haben die Funde der preußischen die Buntheit der Erzählungen, die unmittelbare Schlagraft und Turfanexpedition ihren Play erhalten, die Denkmäler Mittelafiens von den Karawanenstraßen, die in alter Beit als einzige direkte Landverbindung China mit dem vorderen Orient und dem Gebiete des Mittelmeeres in Beziehung brachten. Es handelt sich, wie Dr. Ernst Waldschmidt jetzt in Kunst und Künstler" berichtet, in der Hauptsache um Wandgemälde aus buddhistischen Höhlenflöſtern, teilweise größten Formates. Es ist wie ein Wunder, daß alle diese Dinge, die oft unter Schwierigkeiten abgelöst und zerlegt werden mußten, in Risten verpackt den weiten Transport überstanden haben.

Die Wüstenei des Tarim - Beckens, in der die Berliner Museums­direktoren Grünwedel und von Le Cop die Ausgrabungen unter­nahmen, in edlem Wettbewerbe mit den Forschern anderer Kultur­nationen, liegt in troftloser Unfruchtbarkeit sich weithin ausdehnend zwischen Tibet - Indien , Persien , China , den völfergebärenden Steppen Ostsibiriens und der Mongolei . Am Fuße der dies unwirtliche Land umrahmenden Gebirge aber, im Bereich der Flüsse haben sich, ehe mals durch reiche Kanalisationsanlagen gefördert, zuzeiten mächtige Lasenstaaten entwickeln tönnen, welche auf eine wechselvolle Ge­Schichte zurückblicken. Im ersten nachchriftlichen Jahrtausend haben vor allem drei alte Rulturgebiete Einfluß auf sie ausgeübt: Indien , Persien und China . Zunächst ergoß sich ein Strom buddhistischer Propaganda mit seinen Götterbildern und Kunstformen von Indien bis an die Grenzen Chinas . Hier fand er später, aufgenommen und umgebildet, neue künstlerische Ausdrucksweisen. Die Zeitspanne des Vorstoßes der antik beeinflußten indisch- vorderasiatischen Kunst nach Osten und ihres Ringens um die Aufnahme in Ostasien , die Angleichung und Berarbeitung der übernommenen Motive durch die iranischen, sfythischen und türkisch - uigurischen Völker Oft turfestans werden durch die Funde der Berliner Gelehrten näher in den Umkreis des Erkennens gerückt. Eine fast ausschließlich religiöse Kunst tritt uns entgegen. Vorwiegend ist sie buddhistisch. Die vom Verkehr abgelegenen Klosteranlagen der buddhistischen Mönche waren meist ganz oder teilweise in den porösen Sandstein der Gebirge eingemeißelt. Die so hergestellten tuppelgewölbten feine solche Tempel enthielten in ihrer Zella die Kulturbilder und waren reich mit Relieffiguren oder Malereien geschmückt. Um die Bemalung zu ermöglichen, bedeckte man die ausgehauenen Wände zunächst mit einem Bewurf aus Lehm, Häcksel und Tierhaaren und überzog diesen mit einer dünnen Studschicht. Darauf wurde mit Tempera­farben gemalt. Und zwar im Bausverfahren nach gestechenen Um­tiffen.

Und der Russe bot ihm wieder vom Wein an. Jetzt war das Thema interessant geworden, und beide tranfen abwechselnd. Der Deutsche überlegte es sich. Dann sagte er, und seine be­weglichen Augen befamien einen eigentümlichen Glanz:

Wenn ich verheiratet bin, gehe ich zu meiner Frau, und wenn ich nicht verheiratet bin, in ein öffentliches Haus."

Und wenn ein solches Haus nicht vorhanden ist?" ,, Dann mache ich auf der Straße Bekanntschaft." ,, Und wenn Sie aus irgendeinem Grunde Bekanntschaft machen können?"

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Ich verstehe Sie nicht!" Nun sagen wir zum Beispiel, wie hier. Nehmen wir an, Sie wollen gerade jetzt eine Bekanntschaft machen, im Zuge: was würden Sie in diesem Fall tun?"

Ein feures Buch. Anläßlich des 300. Todestages von Francis lang auch die Autorschaft der Werte Shakespeares zugeschrieben Bacon , dem ersten modernen Philosophen Englands, dem eine Zeit­wurde, findet zurzeit in London eine Ausstellung von seltenen Aus­gaben seiner Werke statt, die aus dem Nachlaß des Sammlers Sir Durning- Lawrence stammen. Neben der Erstausgabe des Novum Organum ", die im zeitgenössischen Bergamenteinband das einge prägte Eber- Wappen Bacons zeigt, ist dort unter anderen kostbaren Büchern auch die zweite Ausgabe seiner" Essaies" aus dem Jahre 1598 zu sehen. Dieses Wert wurde zusammen mit zwei anderen alten Bänden vor gut 30 Jahren bei einer Versteigerung für 20 M. von einem Buchhändler erworben, der es dann Sir Durning- Lawrence für 60 m. überließ. Heute, wo das Sammeln solcher Bücher ebenso sehr als Kapitalsanlage wie als Liebhaberei betrieben wird, hat diese zweite Ausgabe einen Marktwert von 6000 bis 8000 M., da die natürlich noch unvergleichlich teure erste Ausgabe der Essaies" von Bacon aus dem Jahre 1597 zu den seltensten Büchern der ganzen Welt gehört. Hält man neben diesen Raritätenfimmel die geringe Einschägung einer den Leistungen Bacons vielleicht gleichwertigen geistigen Arbeit in unserer Zeit, so erkennt man die Kultur" unseres Zeitalters in ihrer ganzen Schönheit.

Der Speisewagen im Personenzug. Merkwürdigerweise haben nur diejenigen Menschen das Bedürfnis, etwas zu essen, die in Schnellzügen reisen. Wer aber einen Personenzug oder Eilzug be­nußt, der braucht unterwegs nichts zu essen, wenigstens wenn man die vorhandenen Einrichtungen der Reichsbahn als Merkzeichen des Bedürfnisses ansieht. Wir meinen freilich, daß dieser Standpunkt veraltet ist. Einige Kleinbahnen haben sich denn auch zu einer modernen Reform entschlossen und führen Speisewagen trozdem sie überhaupt keine Schnellzüge haben. So hat nunmehr die 65 Kilometer lange Strecke Altefähr -- Putbus - Göhren ( Insel Rügen ) einen Speisewagenbetrieb eingerichtet, der sich sofort größten Zuspruchs erfreute. Diese Bahn hat übrigens nur 75 Zentimeter Spurweite.