Nr. 127.

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Vorwärts

8. Jahrg.

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Zernsprecher: Amt 6, Nr. 4106.

Berliner   Bolksblatt.

Zentralorgan der sozialdemokratischen Partei Deutschlands  .

Redaktion: Beuth- Straße 2.

Der evangelifth- loziale Rongrek.

I.

Donnerstag, den 4. Juni 1891.

Expedition: Beuth- Straße 3.

Schuppen von den Augen fällt, und hie und da ein ver- durch den kaiserlichen Regierungsrath Dr. Wilhelmi, be­

"

bei

und

sprengter Nachzügler, dem der Kopf schwer ist von dem kannt aus den Debatten der Gewerbenovelle, das Ministerium süßen Weine des Sozialismus und der hinter der Dri- des Innern durch den Unterstaatssekretär Braunbehrens, das flamme des Herrn Stöcker einherschwankt, weil er aus Kultusministerium durch den Regierungsrath Schwarzkopf seiner bürgerlichen Haut nicht herauskam, weil die vertreten. Das stattliche Aufgebot von Ministern, Staats­In der letzten Maiwoche tagte im Saale des Missions- altererbten Vorurtheile im Zwiespalt sind mit der Einsicht und Unterstaatssekretären, Präsidenten und Regierungs­hauses am Johannistisch die zweite Generalversammlung in die wirthschaftlichen Fragen. Großgrundbesitzer und räthen, dazu berufen, dem Kongreß ein gewisses Relief zu des evangelisch- sozialen Kongresses. Fabrikanten, Juristen, die doch fast den Ruf haben, verleihen, hat allerdings nicht vermocht, die wirkliche Be­Der protestantische Pietismus, stets etliche Pferde- schlechte Christen" zu sein, Prediger und Handelskammer- deutung der Ergebnisse zu beeinflussen. Bei der augen­längen zurück hinter seinem fräftigeren, mächtigeren, lebens- Sekretäre, pensionirte Offiziere und aktive Professoren, fälligen Fadenscheinigkeit der Grundsätze des Kon­zäheren Rivalen, dem Katholizismus, hatte sich im vorigen Geheimräthe und Referendare, Vorarbeiter und Kommerzien- gresses, der Halbheit seiner Theorien Rückständigkeit Jahre zu einer sozialpolitischen Körperschaft organisirt, die räthe, Bücherschreiber und Buchbinder, Studenten und der seiner Weltanschauung war jährlich einmal zusammentritt. Wir begnügen Da werden Reden ge- Generalsuperintendenten, 700 evangelische Männer aus dies ein Ding der Unmöglichkeit. halten, da wird debattirt, da werden Resolutionen gefaßt, allen Theilen Deutschlands  " waren zusammen gekommen, uns damit, die Thatsache festzustellen, daß die Reichs­Alles natürlich zum Heile der arbeitenden Klaffe, Alles um dem Lindwurm der Sozialdemokratie den Garaus zu regierung und die preußische Regierung sich veranlaßt ge­im Interesse des Volkes, Alles unter dem Schutz und machen. sehen haben, auf dieses Meeting offizielle Vertreter zu Schirm des alleinseligmachenden lutherischen Glaubens. Da waren Leute, die wußten, was sie wollten, und schicken. Für den Kurs, welchen wir augenblicklich steuern, Der Grundzug der Berathungen und Beschlüsse ist die salbungsvolle Deklamation über die Erbärmlichkeit der solche, die nicht wollten, was sie wußten; wieder Andere, ist ein solcher Vorgang symptomatisch. Wir sind beileibe die nicht wußten, was sie wollten, und solche, die wußten, nicht darüber verwundert, und es ist nicht das erste Mal, fozialen Zustände, die allein sich verbessern können, wenn die nicht wußten, was sie wollten, und solche, die wußten, die Schäflein, die räubigen und gesunden, zum frommen was sie nicht wollten. Ein buntes Gemisch verschiedener daß die Nothwendigkeit einer solchen Entwickelung in diesen Blättern nachgewiesen worden ist. Hirten zurückkehren, der kollektive Stöcker, Richtungen, Anschauungen, Strebungen. Junge Theo­evangelische Muckerthum, die Söhne Belials, logen, die wochenlang als Fabritarbeiter verkleidet unter die Sozialdemokraten, von der Verderblichkeit ihrer den arbeitenden Volke leben, schaffen, beobachten, und in sympathischer Weise ihre Erfahrungen veröffentlichen;

das

und

Anschauungen überzeugt und in die wärmenden Falten ſtrebsame Jünger des Herrn Schmoller, die über mittel- Politische Lebericht.

an die Wurzel des Uebels zu taſten.

Berlin  , 3. Juni.

feines Talars das frierende, hungernde Elend wickelt. alterliche Bauernzustände in der Mark schreiben, die Lage Wenn die katholische Klerisei, ihnen voran der Papst, der heutigen Landarbeiter aber nicht zu schildern unter­die Heilkraft des katholischen   Glaubens mit Eifer predigt, nehmen, rabiate Schutzöllner, die das Volk scheeren und Was wir gestern über die ungünstige Aufnahme der dazu berufen sei, die Noth der Zeit zu beseitigen, so ihnen Brot und Fleisch vertheuern, konservative Sozia- fagten, welche die Caprivi'sche Erklärung betreffs der beeilen sich die Lutheraner, die unfehlbare Wirksamkeit listen, die um Haupteslänge über die übrigen Kongreßler agrarischen Kornzölle in den weitesten Kreisen der Bevölkerung ihres Heilmittels anzupreisen. Einig sind beide streitende Richtungen darin, daß sie den Pelz waschen, ihn aber porragen und munter ihren Rosinante in diesem Flug- hervorgebracht hat, wird durch die von allen Seiten eins sande tummeln, trotzdem aber das Stigma sozialistischer laufenden Berichte im weitesten Umfange bestätigt. Und nicht naß machen, weil auf das lebhafteste interessirt an Gesinnung nicht loswerden, sie Alle kochen an der breiten dabei hat die Regierung nicht einmal den Trost, die der Erhaltung, an der ungestörten Fortdauer der jetzigen ungeschmälzten Bettelsuppe, die am Johannistisch für das Agrarier befriedigt zu haben. Die Begehrlichkeit dieser Gesellschaftsform, daß sie an Symptomen dritten und vierten Volk aufgeschöpft wird. Und der Stöcker als chef de Nimmersatten ist durch den ihnen hingeworfenen Brocken, so fett er auch ist, nur gesteigert worden: sie wollen einfach Ranges ihre Künste versuchen, sich aber wohlweislich hüten, cuisine schäumt sie sogleich ab, daß kein verdächtiges alle 3. Die Kreuz- Zeitung  " spricht es ganz tühi Kräutchen eingeschmuggelt wird. Das Proletariat aber aus:„ Wir können nicht sagen, daß wir in Wer bildet ihre Gefolgschaft? Die Nutznießer der mag von dieser Sudelköcherei" mit Faust sagen: Wahrheit zufrieden gestellt seien. jetzigen Wirthschaftsordnung, die Großbürger, welche, lange die drohende Wolke des Handelsver trunken den eines noch Lehren David trages über unserem Haupte hängt, verschlägt In diesem Wust von Raserei? es im Grunde nicht viel, was im einzelnen auf dem Gebiete Friedrich Strauß, Feuerbach und Darwin  , in heller Verlang' ich Rath von einem alten Weibe?" der Zollpolitik geschieht. Für die Reichskasse mag es ja Angst vor dem Andrängen des Proletariats fich Die Kongreffe der Arbeiterpartei, der größten veuijujen vortheilhaft sein, daß es jetzt zu keiner Veränderung der be urplöglich zum lauten Lippendienste bekennen, die Bour­geoisie, die noch die Schminke auf den Wangen aus der Partei, haben auf die Freude verzichten müssen, die den stehenden Verhältnisse kommt, möglicher Weise trifft es auch lustigen atheistischen Dirnchenzeit, heute die Augen nieder- 700 evangelischen Männern aus allen Theilen Deutsch   zu, was Herr v. Caprivi über die voraussichtliche Einwir kung der von den Freihändlern geforderten Maßregeln auf schlägt und unter dem ironischen Beifall der„ Kreuz- lands" in so reichem Maße widerfahren iſt. Als Theil- die Herbstpreise in Deutschland   gesagt hat. Das alles aber Beitung" als Betschwester in dem sammetgepolsterten nehmer an den Verhandlungen des evangelisch sozialen tann nicht ausschlaggebend sein, weil es nur vorübergehend Kirchenstuhl für ihre lockeren Jahre Buße thut. Daneben Kongresses waren angemeldet: Staatssekretär v. Bötticher, zu wirken bestimmt ist, während der Handelsvertrag eine und hinterher wogt der Troß der Unaufgeklärten, denen Handelsminister v. Berlepsch, Präsident des Ober- Kirchen- da uernde Bedeutung zu gewinnen droht.". nur der letzte kräftige Anstoß fehlt, auf daß es ihnen wie raths Dr. Barkhausen. Das Reichsamt des Innern wurde

von

Feuilleton.

Nachdruck verboten.]

( 75

Mir widerstrebt das tolle Zauberivesen! Versprichst Du mir, ich soll genesen

D

So

Kurz, die Regierung soll sich den Agrariern mit Haut

hinter Bruneck   in scharfer Krümmung bildet. Dem Zuge des Mitten in dieser Herrlichkeit blieben Ambros' Blicke Thales gen Osten folgend, schweifte Ambros' Blick über die lange auf einen kleinen Punkt gerichtet: auf das graue ehrwürdig kahlen Riesenhäupter der Dolomiten, von denen Schindeldach der Schneidemühle von St. Vigil  . Gewaltsam die einen röthlich gefärbt waren, die andern grau oder weiß, wendete er sich endlich davon ab und kehrte sich wieder nach bis nach Lienz  , wo sie, das Busterthal abschließend, in ge- Norden. Wie schön war die Welt, diese grünen Thäler mit waltigen Stufen hinabzusteigen scheinen. Offen lagen vor den zerstreuten Wohnstätten der Menschen in dem warmen Die Falkner von St. Vigil  . ihm die von der weiten Thalebene bei Bruneck   nach Norden Goldton der Nachmittagssonne, darüber die ernsteren Roman aus der Zeit der bayerischen Herrschaft in Tirol in das bewaldete Mittelgebirge   hineinstrahlenden grünen Wälder, über diese weit emporragend die stolzen Berge Thäler von Gsies, Antholz   und Taufers, überragt von dem mit ihren funkelnden Kronen! Seine Brust dehnte sich; das von Robert Sa, weichel. Riesenferner, dessen Schneefelder einen filbernen Hinter- alte Kraftgefühl schwellte seine Muskeln, ein Ruck und er Nun stand er oben. Mit tiefen Zügen athmete er die grund für das graue Schloß von Taufers bildeten. Im war frei." Frei!" rief er und machte eine Bewegung mit falte Lust ein und auch den Hut nahm er ab, um sich die Nordosten thürmten sich die ungeheuren Massen der hohen den Armen, als ob er wirklich Fesseln sprengte. Stolz heiße Stirn zu fühlen. Als Knabe war er in jedem Jahre Tauern, des Groß- Glockners und Venedigers zu den richtete er sich auf und sein Auge flammte. Frei und hinaus wenigstens einmal auf dem Spitzhörndl gewesen: am Wolken auf, die ihre Gletscher und Firnen vor Ambros in die weite Welt! Johannistage, wo er mit den Buben aus St. Vigil   hier verbargen. Um so heller blizten und strahlten und funkelten Er stieg hinab. Unterhalb des Föhrenwaldes, in den oben den Scheiterhaufen gerichtet und bei anbrechender die zahllosen Zinken und Zacken der zillerthaler Alpen. der Fuß des Spizhörndl auf der Mittagsseite tauchte, war Dunkelheit in Brand gesteckt hatte, und Feuerräder den Wie ein silbernes Diadem umfaßten sie die grünen Thäler die Matte ganz roth von blühenden Alpenrosen, durch die Berg hatte hinunterlaufen lassen. Nun war er schon seit und Verge zu Ambros Füßen. Nun war er schon seit und Verge zu Ambros Füßen. Den in der Sonne blinken er im Anstieg achtlos hindurchgegangen war. Jetzt pflückte einigen Jahren nicht mehr heraufgekommen. Die starke den Schneezacken nach Westen folgend, tauchten jenseits er einen Strauß von ihnen und schmückte damit seinen förperliche Bewegung hatte das Stürmen in ihm einigermaßen Sterzing   und Brixen   aus wehenden Schleiern die Eisfelder Spizhut. Weitergehend summte er vor sich hin: beschwichtigt. Der großartige Blick in die Tiefe und in die der stubaier Alpen  , die öhthaler Gletscher und die Kolosse Weite zog ihn wenigstens eine Zeit lang von seinen un- des Ortler  . Es war ein fofettes Spiel, das sie mit ihren seligen Gedanken ab. Nebelschleiern trieben; jeden Augenblick drapirten sie sich Zu seinen Füßen lag das Pusterthal, von der Rienz anders, stets lockend die Neize verrathend, die sie zu verhüllen durchströmt, deren Mellen um den Schieferfelsen des ehe- bemüht schienen. Nach Süden sich wendend, hatte Ambros maligen Kloſters von Sonnenburg blinkten. Er schaute in sein freundliches Heimaththal unmittelbar unter sich, dahinter die Gassen von St. Lorenzen, auf die Ruinen der Michaels- ben Beitlerkoft sammt den sanftgeschwungenen Berglinien des burg und auf Brunec, das sich wie ein braunes Band um Eisackthales bis zu den aus leuchtendem Firnschnee auf­den Fuß des Berges schlingt, auf dem das Schloß, einst die ragenden Zinnen der Marmolata  . Daran schlossen sich Sommerresidenz der Bischöfe von Brixen   thront, und weiter auf dann gen Linz   zu die von Sonnenduft umdämmerten Dolo die Lamprechtsburg  , die auf abgesondertem Fels seit dem miten des Thales von Ampezzo, das großartige Rundbild frühen Mittelalter den Engpaß bewacht, den das Thal vollendend.

Ein Gamsbart auf' m Hut, Im Herzen frischen Muth, Das Büchserl in der Hand Für Gott und Vaterland Giebt der Tyroler gleich Sein Blut und Leben hin, Drum bin ich stolz, daß ich Ein Tyroler bin."

Es war die erste Strophe eines Liedes, das sie oft im Stern gesungen hatten. Plöglich brach er ab und rief: „ Heiliges Kreuz, darauf hatt' ich in den Tod ver­

geffen!"