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Abendausgabe

Nr. 269 43. Jahrgang Ausgabe B Nr. 132

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Vorwärts

Berliner Dolksblatt

10 Pfennig

Donnerstag

10. Juni 1926

Berlag unb Anzeigenabteilung: Gefchäftszeit-5 Uhr

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Zentralorgan der Sozialdemokratifchen Partei Deutschlands

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Der Hindenburg - Brief als Sprengkörper.

Erklärung der Sozialdemokraten.- Regierungsausreden. Absagen von Zentrum und Demokraten.

Im Reichstag gab heute der Brief des Reichspräsidenten präsidenten öffentlich Proteft. Sie fordert die deutschen Anlaß zu stürmischen Erörterungen. Die fozialdemokratische wählerinnen und wähler auf, das ihnen ver­Fraktion hatte zum Fall Hindenburg- Loebell folgende Er faffungsmäßig zustehende Recht des Boltsentscheids auszu­flärung abgegeben: üben, damit Bolts wohl fiegt über Fürstenraub! ( Bebhafte Zustimmung auch bei den Demokraten und einem Teil des Zentrums.)

Herr Reichspräsident v. Hindenburg ist unter Mihachtung feiner verfassungsrechtlichen Stellung veranlaßt worden, gegen den von 12% Millionen wahlberechtigten deuffchen Staatsbürgern beantragten Gefehentwurf zur Fürstenenteignung und den auf Grund des§ 73 der Berfaffung anberaumten Boltsenffcheid in einer öffentlichen kundgebung einseitig Stellung zu nehmen.

Der Herr Reichspräsident hat damit die neutrale Saltung aufgegeben, die er gegenüber innenpolififchen Streiffragen ein. zunehmen feierlich versprochen hat und fich

mit seiner Person in diese Streitfragen eingemengt. Wir erbliden darin eine Berletzung der durch fein Amt gebotenen überparteilichen Halfung

Häfte der erste Reichspräsident Friedrich Ebert in gleicher Jorm fich öffentlich für das im Boltsbegehren geforderte Gesetz aus. gesprochen, so würde ihm das sicher die schwersten Be­schimpfungen derselben Leute eingetragen haben, die den Reichs. präsidenten v. Hindenburg zu feiner bergbfebenden Krifit an dem dem Volksentscheid unterliegenden Gefehentwurf veranlaßt haben.

Der Herr Reichspräfident nennt diesen Gefehentwurf einen Berstoß gegen Recht und Moral

Wir fragen: Entspricht es dem Recht und der Moral, wenn Herzog Carl Michael von Medlenburg, der bei Ausbruch des Krieges die deuffche Staatsangehörigkeit aufgab und fich mit Zahlung von fünf Millionen die Anwartschaft auf die Thronfolge in Medienburg abfaufen ließ, Erbansprüche stellt?

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Scharfe

Der

Gefeßgebungsresultaten zu tommen, von sich aus ben heute ver. liegenden Gefeßentwurf beim Reichsrat eingebracht. Reichsrat hat diesen Gesezentwurf mit sehr großer Mehrheit ange nommen. Die Reichsregierung legt entscheidenden Wert darauf, daß auf der Grundlage des jetzt zur Beratung stehenden Gesezentwurfs befriedigende Auseinandersehung

eine

Darauf antwortete Reichskanzler Marg mit einer ge- mit den vormals regierenden Fürstenhäusern gefunden wird. Die wundenen Erklärung, in der er den Brief Hindenburgs als Reichsregierung möchte dabei keinen Zweifel laffen, daß es durchaus eine private Angelegenheit behandelte, die nicht der Gegen- irrig sein würde, anzunehmen, daß fie nach einem verneinenden Er­zeichnung durch den Reichskanzler bedürfe. gebnis des Bolfsentscheides von einer gesehlichen Regelung Abstand Diese Erklärung rief nicht nur auf der Linken Ent nehmen fönnte. Die Reichsregierung wird auch dann mit aller Ent­rüstung, sondern auch bei den beiden Regierungsschiedenheit auf eine gesetzgeberische Regelung im Geiste der Vorlage parteien dem Zentrum und den Demofraten- peinbringen und würde die ihr geboten erscheinenden Konsequenzen nicht lifte Ueberraschung hervor. Ihre Redner gaben heuen, falls sich im Reichstag endgültig die Unmöglichkeit des Zu­die von den Fraktionen formulierten Erklärungen folgenden ftandekommens eintes Abfindungsgesetzes ergeben sollte.

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Wortlauts ab:

Abg. v. Guerard( 3.):

Die Zentrumsfraffion vermag nicht anzuerkennen, daß die An­gelegenheit des bekannten Briefes des Reichspräsidenten durch die lediglich auf die staatsrechtliche und verfaffungsrechtliche Seite der Sache eingehende Erklärung des Reichskanzlers erschöpft fel.( Leb. haftes hört! hört! links.) Der Brief des Reichspräsidenten ist an fich ein politischer 2ft.( Sehr wahr! beim Zentrum und links.) Er behandelt die aktuellste politische Frage der Gegenwart, eine Frage von folcher Tragweite, daß fie das deutsche Bolt in größtem Maße aufgewühlt hat.

Wir find deshalb der Meinung, daß der Brief wegen der über­parteilichen Stellung des Reichspräsidenten besser nicht geschrieben worden wäre.( Sehr richtig! im Zentrum.) Unverant­wortlich, um feinen fchärferen Ausdrud zu gebrauchen, ist das Bor­gehen v. Loebells und feiner Hintermänner. Das Wirken dieſes Mannes ist geradezu voltsfeindlich( lebhafte Zustimmung) und gefährdet die Integrität der Stellung des Reichspräsidenten , was wir im Interesse unseres Bater­landes auf das fieffte bedauern.( Lebhafter Beifall im Zentrum und links; große Bewegung im ganzen Hause.)

Abg. Koch- Weser ( Dem.)

Wir fragen: Entspricht es dem Recht und der Moral, daß die Prinzessin montenegrinische, ehemals medlenburgische Juffa- milita eine Entschädigung von 14% Millionen Goldmark verlangt und dieje Summe unter Berufung auf den Bertrag von Versailles und den Erwerb der jugoslawischen Staats­angehörigkeit durch internationale Gerichte dem deutschen Bolte abzupreffen versucht?( Bangandauernde Zurufe, aus denen verlieft folgende Erklärung: Die deutschdemokratische Reichstags Der fraffion vermag der Erklärung der Reichsregierung man schließlich ben Namen Paul Boncour heraushört. Redner erklärt dazu: Ich bebauere außerordentlich, daß der Abge. nicht beizutreten. Sie hält an der Bismardichen Auffaffung ordnete Paul Boncour Arm in arm mit Herrn feft, daß der Repräsentant des Staates nicht ohne minifte Everling für die Ansprüche der Fürsten eintritt. clelle Bekleidungsstüde um Bismards Wort zu ge­brauchen, vor die Deffentlichkeit treten dürfe, eine Anschauung, von Heiterkeit und Zustimmung auf verschiedenen Seiten.) der erst Wilhelm II. unter dem Einfluß unverantwortlicher und falscher Ratgeber abgewichen ist. Die Dedung der öffentlichen Aeußerungen des Repräsentanten des Staates ist nicht etwa eine Forderung der Demokratie oder des Parlamentarismus oder des Liberalismus, fondern eine tonftitutionelle Forderung fchlechthin.

Wir fragen: Entspricht es dem Recht und der Moral, wenn die Schmaltaldener Forsten, die der König von Preußen im Jahre 1866

unter Bruch des allgemeinen Landrechts als Beutegut für Kriegshilfe dem Herzog von Gotha übergab, jetzt von dem aus England gebürtigen ehemaligen Herzog von Koburg- Gotha als Privateigentum beansprucht werden? Entspricht es dem Recht und der Moral, wenn diefer ehemalige Herzog, heute der Schuhherr der vaterländischen Verbände, ebenfalls unter Berufung auf den Vertrag von Versailles vermögensrechtliche Ansprüche auf einen erheblichen Teil des Gothaischen Landes geltend

macht?

Wir fragen: Enffpricht es dem Recht und der Moral, daß Wilhelm II. , der ein Millionengut in Holland befigt, noch­mals 300 000 Morgen deutsches Land, Schlöffer und Ber­mögensobjekte im Werte von 183 Millionen Goldmart be­ansprucht, während Hunderttausende von deutschen Fa­milien durch die Kriegsfolgen in die schwerste Not gestürzt

wurden?

Entspricht es der Moral, wenn das Recht auf dieses Privat­eigentum unter anderem daraus hergeleitet wird, daß Friedrich Wilhelm III. und Friedrich Wilhelm IV. unzweifelhaftes Staatseigentum unter Mißbrauch des Gesetzes durch Kabinettsordres einfach zu Hauseigentum erklärten?

Diefe Fragen wären ins Unendliche zu vermehren. Die Schamlofigkeit der Fürftenansprüche

ift im Rechtsausfchuß des Reichstages in zahlreichen Fällen erwiesen. Aber nicht darum, was Recht und Moral ift, geht unsere Auseinandersetzung mit dem Herrn Reichspräsidenten . Darüber wird das deutsche Bolt am 20. Juni entscheiden.

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Diese Forderung zu erheben, ift Pflicht eines jeden, dem an Karen Berantwortlichkeiten im Staatsleben liegt. Die Deutsche Demokratische Partei hält gegenüber dem Reichspräsidenten an der durch seine Stellung und Persönlichkeit gebotene Achtung feft. Sie bedauert, daß man sich nicht gefcheut hat, ihn in den Border­grund des politischen Kampfes zu ziehen. Sie bedauert auf der anderen Seite aber auch die Zwischenfälle, die sich im Reichstage an die Erklärung des Reichskanzlers geknüpft haben.( Beifall bei den Demokraten.)

Es ergibt sich also die im parlamentarischen Leben uns erhörte Situation, daß die Regierung durch ihre eigenen Frattionen desavouiert wird, ohne daraus sofort die notwendigen Ronsequenzen zu ziehen.

Die heutige Sigung des Reichstags begann bereits um 12% Uhr. Haus und Tribünen find gut befeßt. Auf der Regie. rungsbant haben Reichstanzler Dr. Marg, Reichsinnenminister Dr. Külz sowie einige andere Mitglieder des Kabinetts Blaz ge­nommen. Präsident öbe eröffnet die Sigung. Auf der Tages ordnung steht die erste Beratung des Gefeßentwurfs über die ver mögensrechtliche

Auseinandersehung mit den Fürstenhäusern. Eine fommunistische Interpellation, die sich gegen den Brief wechsel Hindenburg 2oebell richtet, wird mit der Aus. fprache verbunden. Das Wort erhält sofort

Reichskanzler Dr. Marx:

Wir fragen, ob es angängig ist, daß ein Reichs­präsident das Begehren von 12% Millionen Deutschen als dem Recht und der Moral widerstreitend bezeichnet und damit einen so großen Teil des eigenen Boltes mit dem Der vorliegende Entwurf entspringt dem Versuch des Reichs Matel unmoralischen und ungerechten Handelns vorfieht? tages, die vermögensrechtliche Auseinandersetzung zwischen den Jft es die Aufgabe eines Staatsoberhaupts, der gelobt Ländern und den früher regierenden Fürstenhäusern durch Initativ. hat, alle Bürger des Staates gleichermaßen zu ver- gefeß herbeizuführen. Die Regierung hat dieses gefeßgeberische Bor. freten, in folcher Weise einseitig Partei zu ergehen von vornherein begrüßt und hat es in allen Phasen seiner Entwicklung mit Nachdrud unterstüßt. Sie hat in eingehenden Ver­greifen und Millionen Deutscher zu verlegen? handlungen die Regierungsparteien auf dem Boden eines Kom­promiß- Gesezentwurfs zusammengeführt und bei der Fassung des Entwurfs mitgewirkt. Sie hat schließlich, um über das Stadium ber Ausschußberatungen hinaus zu pofitiven und prattisgen

Die deutsche Sozialdemokratie, die das Gesetz gegen die Beraubung des deutschen Bolles durch die Fürsten beantragt hat, erhebt gegen die Parteiligteit des Reichs­

Abg. v. Guerard( 3) gibt namens der Regierungs­parteien folgende Erflärung ab:

Die Regierungsparteien haben Ende April den Gesetz entwurf über die Enteignung der Fürstenvermögen, der jet dem Boltsentscheid unterliegt, ein mütig abgelehnt. Sie haben aber niemals verkannt, daß eine pernünftige gesetzliche Rege­lung der vermögensrechtlichen Auseinandersetzung zwischen Fürsten­haus und Land unbedingt erforderlich ist.

Dieser Auffassung entsprechend sind die Regierungsparteien dauernd tätig gewesen, seitdem die Frage an den Reichstag heran­trat. Ihre Arbeit hat in einem vereinbarten Gefehent wurf ihren Ausdrud gefunden, deffen Inhalt die Reichsregierung zur Grundlage des zur Beratung stehenden Gefeßentwurfes gemacht hat. Die Regierungsparteien begrüßen die heutige Erklärung der Reichsregierung und nehmen mit Genugtung davon Kenntnis, dak die Regierung gewillt ist, mit dem vollen Einfah ihrer Verantwort lichkeit auf die Berabschiedung dieses Gefeßes hinzuwirken. Ange­ſichts der Tatsache, daß im Land gefürchtet wird, im Falle der Ab­lehnung des Boltsentscheids werde jede reichsgefeßliche Regelung scheitern, wollen die Regierungsparteien feinen Zweifel darüber lassen, daß sie den Erlaß eines die Auseinandersetzung zwischen den beteiligten Ländern und den Fürstenhäusern regelnden Gesekes für unbedingt notwendig erachten. Das Gefeß wird den Fürsten nur das Vermögen belassen, welches fie als unzweifelhaftes Privateigentum erworben haben. Den Folgen. des ver­lorenen Krieges, der Verarmung des Boltes und der gesamten Ber­mögenslage der Fürsten wird ausreichend Rechnung getragen. Den Ländern soll zugeteilt werden, worauf sie aus Gründen der Kut tur oder der Boltsgesundheit Anspruch haben. Den Fürften wird feine beffere Aufwertung zuteil, als anderen Staatsbürgern.( Lachen lints, Beifall bei den Regierungsparteien.)

Abg. Müller- Franken( Soz.):

Meine Fraktion hat nicht die Absicht, zu diesem Gesetzentwurf in längerer Rede Stellung zu nehmen. Meine Parteifreunde Scheidemann , Rosenfeld und Saenger haben das bei früherer Gelegenheit ausgiebig getan.( Höhnische Rufe rechts: Die Benfionsempfänger! Erregte Gegenrufe lints.) Die Abgeord­neten Saenger und Rosenfeld als Pensionsempfänger zu bezeichnen, iſt eine gemeine Berleumdung,

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und Abg. Scheidemann hat das Recht auf Pension wie jeder andere auf Grund feiner Dienstbestimmungen.( Auf Burufe der äußersten Linken, die die gewaltige Benfion Ludendorffs in Erinnerung bringen, antwortet ein Gebrüll rechts, das auf Ludendorffs Heeres­dienst hinweist. Man hört einen gellenden Zwischenruf von der Linfen : Es wäre beffer um das deutsche Bolt bestellt, wenn Luden­dorff nie gedient hätte!" Lebhafte Zustimmung lints.) Der Reichs­fanzler und die Regierungsparteien sagen übereinstimmend, daß der vom Bolt begehrte Gefeßentwurf nicht den Grundsäßen des Rechtsstaates entspreche. Unsere Fraktionsredner haben schon bei früherer Gelegenheit betont, daß die

vorfieht.

Bor Reichsverfaffung

ausdrücklich entschädigungslose Enteignung Unferer Ueberzeugung nach ist hier der in der Verfaffung vor. gefehene Fall durchaus gegeben.( Lebhafte Zustimmung links.) Im übrigen haben wir gehört, daß die Reichsregierung darauf Wert legt, daß dieser Gefeßentwurf alsbald verabschiedet werde. dem 20. Juni wird das sicher nicht der Fall sein. Zunächst hat also das deutsche Bolt das Wort. Und von seiner Entscheidung werden die Berhandlungen in diesem Hause sehr start bestimmt werden. Meine Frattion hätte also in der gegenwärtigen Situation auf eine Stellungnahme perzichten fönnen, wenn nicht eine neue Tatsache geschaffen worden wäre durch den

Briefwechsel zwischen dem Reichspräsidenten und Herrn v. Coebell und dessen Beröffentlichung.( Stürmische Zustimmung links.) Ich muß auf diesen Briefwechfel eingehen, wenn auch das Reichs. fabinett behauptet, es handle fich um einen reinen Privatbrief des Reichspräsidenten . Aber das ist doch die reine Spiegel­fechterei.( Stürmische Juftimmung links.)

Wenn ein Staatsoberhaupt in einer Angelegenheit von höchster öffentlicher Bedeutung einen Brief schreibt, der in Millionen Exemplaren verbreitet wird, so ist von einem Privatschreiben gar feine Rede mehr.

Es ist auch gar kein Zweifel, daß der Herr v. sebell gar nicht beabsichtigt hat, einen Brivatbrief herauszuloden und ihn dem gemäß zu behandeln, sondern es war von vornherein darauf abge­