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Der Kampf um Hindenburg .

Gayl statt Meißner?

In verschiedenen Blättern ist mitgeteilt worden, daß der Gtaatssekretär beim Reichspräsidenten , Dr. Meißner, sein Amt bald verlassen soll, um dem ostpreußischen Staatsrats­mitglied v. Gayl Blaz zu machen. Dr. Meißner galt bis­her als ein loyaler und forrefter Beamter von politischem Taft. Er hatte sich diesen Ruf in der Zeit erworben, in der er als rechte Hand Eberts waltete, dem er zweifellos aus gezeichnete Dienste geleistet hat. Seit dem Briefwechsel Hindenburg- Loebell ist sein Bild einigermaßen ins Schwanken geraten, da die Rolle unaufgeklärt ist, die er bei diesem trüben Handel gespielt hat. Wäre es wahr, daß Meißner die Veröffentlichung dieses Briefwechsels ge­billigt habe, so müßte er ins Rechtslager abgeschwenkt oder doch gegenüber den ständigen Versuchen der Rechts­freise, sich des Reichspräsidenten zu bemächtigen, so schwach geworden sein, daß er als ein Aftivposten für die Republik nicht mehr in Betracht käme.

Weiß man also heute nicht genau, woran man mit Dr. Meißner ist, so weiß man desto genauer, was Herr v. Gayl als Staatssekretär des Reichspräsidenten zu bedeuten hätte. Herr v. Gayl ist ein Mann der äußersten Rechten, er, steht in Ostpreußen an der Spitze der rechtsradikalen Verbände, deren Hauptquartier in das Reichspräsidenten­haus verlegt wäre in dem Augenblic, in dem Herr v. Gaŋl sein Amt dort anträte.

Herr v. Loebell und die Seinen hätten damit das Ziel erreicht, das sie anstrebten, als sie den gänzlich unpolitischen kaiserlichen Feldmarschall in die Stellung des höchsten Re­präsentanten der deutschen Republik hineinschoben. Das Präsi­dentenhaus wäre dann ein vorgeschobener Bosten der aktiven antirepublikanischen Front, und der Kriegszustand zwischen ihm und der republikanischen Mehrheit des Volkes würde zu einem dauernden werden. Welche Aussichten sich daraus für das innerpolitische Leben Deutschlands ergeben, möchten wir zunächst nicht ausmalen. Wenn, wie wir zuversichtlich hoffen, das Ergebnis des heutigen Tages die Pläne der Re­aktion über den Haufen wirft, dann ist alles doch ganz anders!

Peitsche und Zuckerbrot.

Die Mittel der Fürstenfreunde.

In der Westfälischen Zeitung" vom Sonnabend, den 19. Juni, ist ein Inserat der Deutsch nationalen 19. Juni, ist ein Inserat der Deutschnationalen Volkspartei abgedruckt, das folgendermaßen lautet:

Achtung! Seht Euch die an, welche morgen in das Ab­stimmungslotal gehen. Merkt sie Euch, es sind die, welche Mein und Dein nicht unterscheiden können.

In sämtlichen Wahllokalen in Stadt und Land werden morgen pon bürgerlicher Seite über die Beteiligung an der Wahl Listen geführt. Nur Kommunisten und Sozis gehen diesmal zur Wahl.

Jeder ehrlich und rechtlich denkende Wähler und jeder, der sich nicht öffentlich zum Bolschewismus bekennen will, geht nicht zur Abstimmung, sondern bleibt morgen zu Hause."

In den Bielefelder Neuesten Nachrichten" vom gleichen Tage ist ein Inserat abgedruckt, das unterzeichnet ist: Ber einigter Ausschuß gegen den Boltsentscheid". In diesem Inferat wird ebenfalls u. a. gesagt, daß von bürgerlicher Seite in sämtlichen Wahlfotalen Listen geführt werden.

In der Bührener Zeitung"( amtliches Kreisblatt für den Kreis Bühren, Westfalen ) ist folgendes, groß aufgemachte Inserat in der Nummer vom 15. Juni erschienen:

Erklärung!

Die Tage der heiligen Mission sind vorüber. Herrliche Tage waren es und neue Glaubensbegeisterung ist uns in die Seele ge= zogen, besonders nach der machtvollen katholischen Kundgebung am

Wilhelm, wir rechnen ab!

Wilhelm von Doorn, jetzt ist es soweit: Wir rechnen ab beim Volfsentscheid! Ragende Schlöffer, wogende Felder,

Ungezählte Millionen Gelder,

Stahl sich in fünfhundert Jahren dein Haus. Beuge dich, Wilhelm, und rüd' sie heraus! Durchschaut ist die Cosung der fürstlichen Herrn Mit Krone, Zepter und Ordensftern:

Dem Bolte die Spreu und dem Herrscher das Korn! Wir begleichen die Rechnung, Wilhelm von Doorn! Du haft dich doch auch zur Parole bekannt: Mit Goff für König und Vaterland? Zerlumpte, verhungerte Jammergestalten, Haben im Graben wir durchgehalten, Sind dann gefchloffen nach Hause marschiert,

Du aber, Kaiser, du bist defertiert.

Nie war der oberste Kriegsherr vorn! Das ist nicht vergessen, Wilhelm von Doorn! Du hast dich verdrückt, du bist feige entflohn, Berzichtetest gern auf den Kaiserthron, Weil du die ganze unendliche Last Auf die Schultern des Volkes gebürdet haft. Was wirst du dich sorgen unfertwegen? Du führteft uns herrlichen Zeiten entgegen, Und als dann der Wahnwih zusammenbrach, Gingst du nach Holland in Schimpf und in Schmach. Heut aber, da frähst du und meldest dich: " Sei dankbar, Bolf, und verforge mich!" Beschenkt soll der Spender des Elends fein? Nein und nein und abermals nein! Deutschland erhebt sich in heiligem Zorn. Bolfsentscheid richtet dich, Wilhelm von Doorn! Henning Duderstadt.

Zwei Deserteure.

Von Paul Gutmann.

Der Gefreite Wilhelm Krause, der vier Monate lang an einem Lungenschuß schwer frant im Lazarett gelegen hatte, wurde eines Morgens vor den Oberstabsarzt gerufen. Krauſe, zum Stelett ab gemagert, tonnte sich kaum auf den Beinen halten. Der Arzt untersuchte ihn und schrieb ihn felddienstfähig. Am Tage zuvor hatte Krause folgenden Brief erhalten: Geliebter Mann. Da du ja doch wegen deiner Krankheit nicht mehr ins Feld zu gehen brauchst, schreibe ich dir endlich einmals, wie mir's um Herz ist. Ich habe dich immer mit all dem Jammer verschonen wollen, aber nun fann ich einfach nicht mehr. Es ist mehr, als eine Frau ertragen fann, die ohne Mann seit fast vier Jahren allein auf der Welt

"

Missionsfreuz, im Angesicht unserer altehrwürdigen Kirche. In allen Fragen des Lebens katholisch zu handeln, haben wir ver­sprochen. Nun haben aber unsere Bischöfe, die für uns in Fragen des Glaubens und der Sitte Wegweiser sind, und denen wir daher folgen müssen, in der Sache der Fürstenenteignung flar und deutlich gesprochen. Einer Belehrung von anderer Seite be­dürfen wir daher nicht. Darum gehen wir auch nicht in die für diese Woche anberaumten Versammlungen. Wir folgen der Parole unserer Bischöfe und leisten am nächsten Sonntag den kommunisten teine Gefolgschaft, sondern bleiben von der Abstimmung fern. Bühren, den 14. Juni 1926.

Bendler, Dechant.

Wie in Westfalen , so auch in anderen Landesteilen. In Rügenwalde , Kreis Lauenburg , zum Beispiel fordern dickleibige Inserate zur Sabotage des Volksentscheids auf, die folgende Unterschriften tragen: Deutschnationaler Orts­verein, Bürgerbund, Bürgerverein, Ackerbürgerverein, Land­bund, Hausbesitzerverein, Gastwirteverein, Kriegerverein, Rentnerverein, Deutsche Volkspartei , Stahlhelm. Das ist die offene Androhung des gesellschaftlichen Boy fotts, und was das in einem kleinen Ort heißen will, läßt fich leicht abschätzen.

Hält man diese Dokumente mit denen zusammen, die im Laufe der beiden letzten Wochen veröffentlicht wurden, so ergibt sich das Bild eines großangelegte nund wohl berechneten Terrors, das die Fürſtenagenten net artig über das ganze Reich ausgespannt haben. Wenn die Presse dieser Agenten, die durch ihre unsaubere Tattit zwar verraten, daß sie eine schlechte Sache vertreten, trok der vor­liegenden Beweisstücke die Schuhmaßnahmen der verfassungs­treuen Republikaner in Terrorafte umzulügen versucht, so paßt das ganz in den Rahmen der fürstlichen Gegenpropa ganda. Das Wort Recht und Moral fann man bei diesen hohen Herren Tag und Nacht hören, durch ihre Taten be weisen sie, daß das lediglich eitel Blendwerk und schamlose Heuchelei. iſt.

Drohender Terror in Schlesien . Deffentliche Kundgebungen in Breslau verboten. Breslau , 19. Juni. ( Eigener Drahtbericht.) Am Freitag nach mittag fam es in Breslau zu leichten Zusammenstößen zwischen einem Demonstrationszug für die Fürstenenteignung und Stahlhelm­leuten, bei denen aber nur eine ganz leichte Verletzung vorkam. liche öffentlichen Umzüge und Kundgebungen unter Daraufhin hat am Sonnabend der Breslauer Polizeipräsident fämt­freiem Himmel für den Abstimmungstag verboten. In der Stadt Breslau wird dadurch die Möglichkeit zur Propaganda für den Bolfsentscheid sehr behindert werden, zumal bereits ver schiedene öffentliche Agitationsveranstaltungen vorbereitet waren.

am

Dagegen werden auf dem Lande ähnliche scharfe Moß­nahmen der Behörden sicherlich überall ausbleiben, obwohl dort die Gewaltanwendung gegen die Teilnehmer lauer Parteisekretär Henning hat in seinen Versammlungen in Wolfsentscheid viel drohender ist. Der deutschnationale Bres dieser Woche bereits offen die Terrorparole an seine Anhänger aus­gegeben und sie mit den angeblich ebenfalls terroristischen Maß nahmen in einigen Großbetrieben der Stadt begründet, wo die Ar­beiter beim Volksbegehren Ausweise über ihre Teilnahme an der Abstimmung erhielten. Tatsächlich ist auch in diesen Großbetrieben nicht ein einziger politischer Gegner geschädigt, geschweige denn um sein Brot gebracht worden, während das auf dem Lande jetzt überall in beleidigender Form für die Anhänger des Bolfsentscheids, ins­

besondere die Candarbeiter, angekündigt wird mit der Begründung, daß es sich um Leute handle, die Mein und Dein nicht unterscheiden

fönnten.

Abstimmungskampf in Mecklenburg .

Im Urbereich der Junker.

Aus Mecklenburg wird uns geschrieben:

Nirgends in der Welt sehen wir den alten Feudaladel, den Junker pon echtem Schrot und Korn so in Reinkultur mie in diesem Lande. Diesem Lande, dem Friz Reuter in seinem Rein Hüsung" ein Denkmal gesetzt hat, das nichts an Deut­lichkeit zu wünschen übrig ließ. Unsere Parteigenossen auf dem Lande hier können heute noch ein Lied davon fingen. Aber gerade dank der aufopferungsvollen Arbeit unserer Genossen ist es auch hier gelungen, Bresche zu schlagen in die auch heute noch oft zu Leibeigenschaft grenzenden Verhältnisse des Knechtes zum Herrn". Die Versammlungen mußten oft unter freiem Himmel abgehalten werden, weil der Herr" seinen" Gasthofpächtern verboten hatte, seinen Gaal für Bersammlungen der Roten " herzugeben. Dieses Verbot war ganz generell von dem un­politischen" Landbund seinen Mitgliedern empfohlen worden. wir sind ja im allgemeinen in Deutschland daran gewöhnt, daß viele Berleumdungen von unseren Gegnern über die Sozial­demokratie im Lande verbreitet werden. Was hier aber von den Deutschnationalen in dieser Hinsicht geleistet wird, das stellt geradezu Rekordleistungen dar. Hier, wo man nur den Großgrund­besig fennt, wo es wenige Bauern, auch dann nicht freie", sondern fogenannte Erbberechtigte" gibt, wo Büdner und Häusler olles nur Untertanen" des Großgrundbesizers sind, hier gibt es auf dem Lande nur eine Presse, das ist die des Land­bundes, der Deutschnationalen und der Völkischen . Eine demo­tratische gibt es überhaupt nicht und unsere Partei­presse hat bis jetzt auf dem Lande bei dem Druck der Herrschenden nur geringe Verbreitung. Da hat man eben das Lügen leicht, schon tausendundeinmal widerlegte Behauptungen und Märchen zu wiederholen, wie z. B.: Scheidemann befigt in der Schweiz ein Schloß, auch Ebert hat hier schon mehrere, Heilmann ist Aufsichtsratsvorsitzender des Barmat- Konzerns usw. In den Städten, wo eine Korrektur sofort möglich ist, auch die Bil­dungs- und Aufflärungsmöglichkeiten jeglicher Art vorhanden sind, lacht man hierzu. Auf dem Lande glaubt man derartigen Blöde finn, auch der unwissende Landarbeiter hält dies für wahr, er hört ja Tag für Tag nichts anderes. Wenn man in den Wahlversamm­lungen dann diesen Unsinn richtigstellt und sie fragt: Wer erzählt euch denn das?", dann antworten fie treu und bieder: Dat hat

uns de Herr vertällt."

Aber noch ein weiteres: In einer Bersammlung in Blumenom war auch der Herr" von Wreden nebst Gefolge anwesend. In der hältnisse der Landarbeiter:" Dem Landarbeiter ist es Bersammlung sagte dieser Herr folgendes in bezug auf die Ver­früher schlecht gegangen und er war zufrieden, es geht ihm heute auch nicht besser und er wäre auch zufrieden, wenn die Sozialdemokraten nicht die Landarbeiter aufhezten."

Na, die Arbeiter haben ja schon am 6. Juni hier bei der Land­tagswahl gezeigt, wie sie darüber denken. Die Stimmung auf dem Lande ist troß wirtschaftlichen Terrors des Großgrundbesitzers dem Boltsenischeid nicht ungünstig. Denn die wirtschaftliche Not zwingt ja gerade den Landarbeiter, Bergleiche zwischen seinem Lohn und dem, was man den Fürsten geben will, anzustellen. nur sagen muß man es ihnen können. Berdient er doch im Kreise Strelitz neben einem tleinen Deputat pro Stunde

fünf Pfennig, in einem benachbarten Gutsdorf dret Pfennig die Stunde. Das macht nach Abzug von Kranken­und Invalidenversicherung im ersten Fall die Woche 2,20 mt., im zweiten Fall 83 Pf. die Woche. Dank der ungeheuren Auf­opferung und zähen Arbeit unserer Genossen, die oft drei bis vier Flugblättern zurücklegen, gelingt es auch hier allmählich, die Wahr. Stunden, oft per Rad pro Tag 60 Kilometer mit ihren heit im kleinsten Dorf und Gut zu verbreiten.

Es wird, davon ist man hier überzeugt, gelingen, daß die Demonstrationsverbot auch in München . Gerechtigteit auch hier wie im übrigen Deutschland : Keinen München , 19. Juni. ( TU.) Die Polizeidirektion München hat Pfennig den Fürsten !" beim Volfsentscheid zum Siege gelangen für den morgigen Abstimmungstag alle Umzüge verboten. wird.

steht. Ja, wenn man wenigstens ganz allein wäre, dann ginge es noch, aber zu sehen, wie die Kinder zugrunde gehen, das ist zuviel. Es ist die Hölle auf Erden. Lieschen hustet nun auch seit sechs Wochen, und ich habe daher unserer Milchfrau vorgeheult, daß sie doch wenigstens einen Biertelliter Milch täglich uns ohne Karte gibt. Das ging vierzehn Tage, aber irgendeine gemeine Person aus der Nachbarschaft hat es angezeigt, und die Milchfrau und ich wurden vor die Polizei bestellt. Wenn ich jetzt auch noch wegen der paar Tropfen Milch bestraft werde, dann weiß ich nicht mehr, was ich tue. Die Kinder find so verhungert, daß sie das gräßliche Graupenzeug aus der Kriegsküche mit den Maden, die darauf schwimmen, voll Gier herunterschlingen. Mir dreht sich immer der Magen um. Gestern stand ich fünf Stunden bei zehn Grad Kälte, um sechs Briketts zu bekommen. Ich glaube, ich habe mir die Füße erfroren. Gott verzeihe mir, daß ich dir das alles schreibe, aber wem das Herz voll ist, dem geht der Mund über."

Nachdem Krause von der Untersuchung zurückgekehrt war, nahm er den Brief noch einmal vor und las ihn. Die Tränen rannen über sein eingefallenes Geficht. Er war soeben gewissermaßen zum Tode verurteilt worden. Noch einmal mit seinem fiechen Körper all die Greuel durchzumachen, die er fast vier Jahre als träftiger Mann taum ausgehalten hatte, das war unmöglich. Der Gedante an Frau und Kinder, die er in der Heimat ohne Ernährer dem lang­samen Sterben verfallen fah, zerschnitt ihm die Brust. Es gab für ihn nur noch ein Ziel, da er ja doch zugrundegehen mußte, so oder so, noch einmal die Seinen zu umarmen.

Auf dem Transport an die Westfront gelang es dem Gefreiten Wilhelm Krause, bei Nacht und Nebel zu entkommen. Er wurde in einem Gehölz bei Düsseldorf , wo er seit mehreren Tagen umher­geirrt war, halb verhungert und erfroren aufgegriffen. Das Kriegs­gericht verurteilte ihn zu vier Jahren Zuchthaus. Der erste Auditeur fagte zu ihm: Ein Glück, daß solche Feiglinge wie Sie felten find. ihm: ,, Ein Unser erhabener oberster Kriegsherr müßte sich sonst seiner Unter­tanen schämen."

Krause steht jetzt als Arbeitsunfähiger am Alexanderplaß und verkauft Streichhölzer.

Zehn Millionen Menschen, teils erschossen, teils zu Krüppeln gemacht. Das verhungerte Bolt ist der Verzweiflung nahe. Ueber ihren Köpfen, hoch in den Wolken hatte ein Trugbild geschwebt: der Kaiser. Herrlichen Zeiten wollte er seine Deutschen , entgegen. führen. Seine Regierung war ein blendendes Gaukelspiel gewesen, mit Paraden, Empfängen, lärmenden Einzügen in fremde Städte und Länder. Nun ist die Front aufgelöst, das leer geblutete Land der Willkür des Feindes preisgegeben. Im Salonwagen, der mit allem Komfort und Lugus der Neuzeit ausgestattet ist, hat der Kaiser foeben noch einmal vorzüglich getafelt. Seine Umgebung ist erstaunt, daß er nicht im mindesten niedergeschlagen ist. Mit der gewohnten großartigen Geste weist er das Anfinnen einer

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Flucht entschieden ab. In jeder seiner hundert Uniformen hatte er Theater gespielt. Er weiß ganz genau, alles was er bisher in seinem Leben gesagt, wurde von seinen Untertanen als bare Münze genommen. Nun lügt er sogar mit der Schändlichkeit, die er morgen begehen wird.

Er wohnt in einem wundervollen Schloß. Er hat täglich ein paar tausend Mark zu verzehren. Zwanzig Diener sind um sein leibliches Wohl besorgt. Sein Herrschergemüt ist noch immer von Stolz gebläht. Tausende von Untertanen erblicken ja noch immer in ihm das Idealbild eines deutschen Mannes. Kein Kriegsgericht hat ihn verurteilt. Nicht er ist geflohen, lügen fie fromm zu seinen Gunsten, nein, das deutsche Volt sei desertiert.

Der Salonwagen, worin er ausgerückt ist, steht bereit, ihn wieder zu holen. Dem Volt sollen zahllose Millionen entzogen werden, um seine glorreiche Herrschaft zu erneuern.

Akademiekonzert. Es fällt fein Meister vom Himmel. Auch in den Meisterklassen wird mit Wasser gefocht. Das vorhandene Talent ber Schüler in die rechte Bahn zu lenten ist Aufgabe des fon trollierenden Meisters. Mehr tann er nicht tun. Die Phantasie und die Erfindungskraft muß im Schaffenden selber steden. Georg Schumann stellte vier seiner Schüler vor. Von den dreien, die ich hörte, ist keiner mehr als durchschnittlich begabt. Die Beherrschung des Handwerks ist kein Gegenbeweis. Aber auch hier ist besonders bei den Orchesterliedern, im Ausgleich zwischen Orchester und Sing stimme noch keine Ebenheit erzielt. Sehr hübsch die Variationen­ich mann). Von der Einfalt bis zur Fuge, vom elegischen Ge­reihe über das Volkslied ein Männlein steht im Walde"( Heinz fang bis zum Shimmy eine ganze Reihe rhythmischer, farbenreicher, geschickter Mélodieabwandlungen. Die Größe fehlt noch und die innere Steigerungsfähigkeit. Fred Franke gibt in drei Liedern mit Orchester Stimmungsansäge. Man weiß nicht recht, ob er der Melodie d'Alberts oder der Harmonie Schrefers lieber folgt, man ift das nicht, und in die Lücken eines Orcheſterfazes taucht die Sing wird jedenfalls stußig bei einem Hinhorchen auf beide. Ganz ehrlich stimme sehr unbedeutend, fast störend, unter. Die äußerlichen Ton­malereien find jedenfalls gefonnt, wenn auch noch nicht start geformt. Ein Teil der Orchestersuite Berlin " zeigt Ansätze zu düsterer und durchdringender Gesammtstimmung, bleibt aber monoton und gleich­gültig. Auch die Gefänge Alfred 3rmlers sind frampfig- bewußt, ungezügelt und ganz abhängig von halb verstandenen Borbildern. des einen tönnte von dem anderen geschrieben sein. Wo bleibt die Wie gesagt: Begabungen alle, und alle drei unpersönlich. Das Wert Luft und der Leichtsinn, der Wagemut der Jugend? Bielleicht zeigt Stuhlmachers, Galgenhumor" etwas von alledem. Ich will es R. S.

hoffen.

Vorträge. Mittwoch 7 Uhr spricht im Hörsaal 140 der Univerfität Prof. John Maynard Keynes aus Cambridge über das Thema: Das Ende des Laissez- faire. Privat- oder Gemeinwirtschaft.

Eisenstadt - Stiewe am Dienstag 8 Uhr. Artur Silbergleit wird einleitende Einen Marcel- Prouff- Abend veranstaltet bei Reuß u. Pollad Helene Borte sprechen.