Einzelbild herunterladen
 

Sonntag

20. Juni 1926

Unterhaltung und Wissen

Fürstliche Musterexemplare.

Bon Felix Fechenbach  .

Die deutschen   Fürsten  , die sich so gerne von lataienhaften Ge­schichtsschreibern als die Edelsten und Besten der Nation anpreisen lassen, die sich nicht genug tun fönnen in stolzer Ahnenverhimmelung, stürzen sich jest, würdig ihrer Vorfahren, wie gierige Raubvögel auf das deutsche Bolt, ihm die Taschen auszuleeren. Bon jeher haben es die deutschen   Fürsten   verstanden, ihr Volf auszuplündern durch Fronden und Lasten, durch Brandschatzungsgelder und Seelenverkäuferei. ,, Es soll schwer sein," sagt Franz Mehring   in seiner Leffinglegende, ,, in der ganzen Weltgeschichte eine Klaffe aufzufinden, die durch so lange Zeit so arm an Geist und Kraft und so überschmenglich reich an menschlicher Verworfenheit gewesen ist, wie die deutschen Fürsten vom fünfzehnten bis zum achtzehnten Jahrhundert." Und Friedericus Reg, der seine fürstlichen Kollegen doch kennen mußte, urteilt über sie: ,, Die meisten fleinen Fürsten  , besonders in Deutschland  , richten sich ( lies: ihr Land und Volt. Die Red.) durch einen ihre Einkünfte weit übersteigenden Aufwand zugrunde, zu dem sie die Trunkenheit ihrer citlen Größe verleitet; sogar der jüngste Sohn des jüngsten Sohnes einer apanagierten Linie bildet sich ein, mit Ludwig XIV.   etwas ähnliches zu haben; er baut fich ein Versailles, hält Mätressen und Armeen.

4.

Die Einfünfte der deutschen   Fürsten   standen aber in feinem Ber­hältnis zu ihren verschwenderischen Hofhaltungen. Neigte der Fürst zu Ausschweifungen, so war, wie Perthes berichtet, jede Familie in ihrer Sicherheit bedroht; waren seine Geldbedürfnisse größer als seine Geldmittel, so lockte ihn jeder wohlhabende Hausstand, zu nehmen, was ihm fehlte. Vor allem mar es die überall herrschende Geldnot, welche zu schmeren Bedrückungen und Gewalttäten führte. Selbst vor dem Verkauf der eigenen Untertanen ans Ausland schreckten die Landesväter nicht zurück, um mit dem Erlös ihren fürstlichen Lurus 31 bestreiten. Es ist schmer zu unterscheiden, welchem der deutschen  Fürsten des achtzehnten Jahrhunderts in bezug auf Gemalttaten, Be­drückungen, Lurus und fürstliche Ausschweifungen die Krone ge­bührt. Nur von einigen solchen Mustereremplaren foll hier berichtet werden.

August der Starte von Sachsen, der mit seinen 354 ,, natürlichen" Rindern einen fürstlichen Rekord aufgestellt hat, ent­faltete eine Prachtliebe, die ins Unerhörte ging. An seinem Hof wimmelte es von Günftlingen, Tänzerinnen, Mätressen und allen möglichen Bauflern. Steuerdrud und Kriegsverheerung hatten das Land bis zum letzten erschöpft, trotzdem trieb der Fürst sein lafter­haftes Lotterleben in alter Weise fort. Unter dem Vorgeben, daß er dem Kaifer Subsidiengelder senden müsse, erpreßte er Blutsteuern aus dem Lande, perpraßte das Geld aber mit seinen Dirnen und Zech­fumpanen. Seinen Mätressen schenkte er Landgüter, Luftschlöffer, Paläfte, Silberwert, filberne Tische und Spiegel und fonftige Roſt­barkeiten, alles auf Staatskosten. Seine Lieblingsmätresse hat ihm allein 24 Millionen Taler gefoftet. Mit welchem Zynismus dieser sächsische Auguft alle Sitte und Scham mit Füßen trat, beweist neben vielen anderen Umständen auch der, daß er 1707 mit seiner Lieblings­mätreffe, der Gräfin Rosel, mettete, er fönne ihren Cunnus( weibliche Geschlechtsteile) auf einer Münze abbilden lassen, und diese Wette mirklich gemann. Den Münzsammlern ist der auf diese Weise ent­standene Rofelgulden bekannt.

Herzog Karl Eugen von Württemberg  , der be rüchtigte Beiniger Schubarts und Mosers, war insbesondere in den ersten Jahrzehnten seiner Regierung wohl einer der schlimmsten Tyrannen feiner Zeit, was viel heißen mill. Sein Land hatte er vollkommen heruntergewirtschaftet. Er zog einen ungeheuren Hof­staat auf, Luftschlösser wurden erbaut, in denen er wildester Sinnlich feit, in tollster Verschwendung und Ausschweifung refidierte. Sein Hofftaat umfaßte" nur" 2000 Personen. Vor seiner finnlichen Gier maren auch die Frauen und Töchter des Landes nicht sicher. Schonungslos und gewaltsam zerstörte er manches Familienglüd. Peigten sich bei dem Opfer seiner Begierden Folgen, so wurde das Mädchen ein für allemal" mit 50 Gulden abgefunden".

Das Land mußte die ungeheuren Kosten für die fürstlichen Lüfte aufbringen, und als sich die Stände weigerten, für weitere Summen zu forgen, gebrauchte der Herzog Gewalt. Mit militärischer Hilfe ſetzte er seine Forderungen durch. Recht, Gesetz und Ber­faffung trat dieser edle Herzog" mit Füßen. Zur Zeit des Sieben­jährigen Krieges hatte er 6000 Mann Hilfstruppen an Frankreich  verkauft. Bei Beschaffung dieser Truppen war er in der Wahl der Mittel durchaus nicht bedentlich. Er griff zu gewaltsamen Aus­hebungen, die er mit ungeheurer Rücksichtslosigkeit durchführen ließ. Bom Feld und aus den Werkstätten, aus den Häusern und aus den Betten wurden die Leute geholt. Man umstellte Sonntags die Kirche und schleppte die Dienfttauglichen gewaltsam fort. Sur Unter­zeichnung der Kapitulation zwang man sie durch Hunger und Ge­fängnis. Kein Wunder, daß die auf solche Art zusammengestohlene Mannschaft sich empörte und meuterte. Es fam vielfach zu Deser­tionen. Wurde ein Deserteur mieder eingefangen, dann war er den grausamsten Strafen ausgeliefert.

Karl August von Pfalz 3 weibrüden, der schon zu Lebzeiten vom Bolte den Beinamen der tolle Karl" erhielt, ist wohl der grausamfte Vertreter des mit Geiftesfranten gefegneten Ge: fchlechts der Wittelsbacher  . Von ihm schrieb Genosse Adolf Müller im Sahre 1906( nach ihm aus einem Familienarchiv zur Verfügung gestellten zeitgenössischen Aufzeichnungen): In diesem Untertanen­plader schien der fleindeutsche Absolutismus   vor seinem Berscheiden fich noch einmal zu einer Musterleistung konzentriert zu haben, denn der Quodez- Nero von Zweibrücken   war in der Tat ein Kerl aus einem Guß. An Grausamkeit und Wolluft ist er faum von einem seiner höchsten und allerhöchsten Zeitgenossen übertroffen worden. Sogar die neronische Fackel fehlte nicht im Bilde dieses Potentätchen: dafeins. Als einer seiner Leibföche einst durch irgendein Bersehen die Laune des Allerhöchsten gestört hatte, befahl er ihn in sein Privat fabinett. Dort mußte sich der arme Teufel bis auf die Haut aus ziehen, worauf der Landesvater ihn kräftig mit Branntwein über­gießen ließ und dann höchstselbst das Opfer anzündete. Während bies Objekt des herzoglichen Privatvergnügens infolge der Brand­wunden und der hofärztlichen Nachbehandlung verrückt wurde, ging es einem Leidensgenossen von ihm etwas besser. Ein Sefretär, der auch allerhöchst angebrannt worden war, konnte dem Unhold noch so rasch aus den Händen geriffen werden, daß ein Kammerdiener ihn schnell mit feuchtem Dünger abzulöschen vermochte. Aber ver­ftümmelt blieb auch dieses Opfer für Lebenszeit.

Ein recht lieber Landesvater war auch der vorlegte Markgraf von Ansbach   Karl Friedrich Wilhelm. Er war als Büterich im ganzen Lande gefürchtet. Als man ihm eines Tages erzählte, daß der Wärter der Jagdhunde die Tiere nicht genügend gefüttert habe, fchoß er den Mann eigenhändig auf der Türschwelle nieder. Ein andermal ersuchte er einen Ansbacher Spießbürger der Stadtmache, der am Schloß als Wachposten stand, ihm sein Gewehr zu geben. In heiligem Refpeft gab der Bachmann das Gewehr auch hin, morauf er vom Martgrafen zur Strafe für sein Berhalten dazu verdonnert wurde, von zwei Pferden, an deren Schwänzen er an­gebunden ward, durch den Mühlteich gefchleift zu werden. Das hielt der Mann natürlich nicht lange qus. Er starb an dieser Prozedur. Die Mätreffe des Landgrafen äußerte eines Tages den Wunsch, fie möchte den Schornsteinfeger, der gerade auf dem Schloßdach arbei: tete, herunterpurzeln fehen, flugs ließ sich der Markgraf fein Gewehr bringen und schoß den Mann zur Beluftigung seiner Mätresse vom

WK

Beilage des Vorwärts

Volksentscheid

ja nein

Wir können ihn nicht mehr halten, das ist die zweite Revolution!"

Dach herunter. Die Witwe des so frivol Ermordeten wurde mit fünf Gulden abgefunden,

Ins Sardanapalische trieb Karl III., Marfgraf von Baden, seinen Lurus und seine Bergnügungssucht. Dort, wo heute Karlsruhe   steht, hatte er sich eine neue Residenz erbaut, in der er fich orientalischen Ausschweisungen hingab. Wie ein asiatischer Despot hielt sich der Markgraf 160 Gartenmägdlein. Sie bildeten eine weibliche Leibgarde, als Heiducken und Husaren verkleidet. Ald; t dieser Mägdlein haiten täglich die Bache und den Dienst. Auf Reisen durften sie natürlich nicht fehlen. Jeden Abend ließ er unter fie die 78 Karten eines Taroffpiels austeilen, um so die Auserforene für die Nacht zu erwählen. Die Glückliche, die dann den Bagat- Trumpf 30g, war dann Königin der Nacht. Die Mädchen waren sehr vielseitig ausgebildet; fie spielten in der Schloßkapelle, traten in den Komödien des Schloßtheaters auf oder mußten ihrem Herrn zur Kurzweil Opern, Balletts und Operetten aufführen. Das Serail der Mädchen war der sogenannte Bleiturm. Dort führten sie zwar ein föstliches Leben, hatten besondere Dienstmädchen zur Verfügung, aber der Marfgraf verhing über sie eine strenge Klausur. Stets mußten fie zum Dienst" bereit sein. Von den Gemächern des Martgrafen führten Klingeln in die Zellen der Mädchen. Der Markgraf brauchte nur die Klingel mit dem Namen derjenigen zu ziehen, die ihm gerade in den Sinn fam, und sofort war sie bq, die Königin der Nacht abzulösen oder sie in ihrem Dienst" zu unterstützen. Die geliebten Untertanen des Markgrafen   mußten natürlich für die Kosten seiner orientalischen Bergnügungen auffommen. Andere Fürsten   trieben es meniger auffällig, aber deshalb nicht minder kostspielig. Die deutschen Fürsten von heute, die es auch immer verstanden haben, sich ihr Leben auf Kosten ihres Volkes so angenehm wie mög­lich zu gestalten, möchten jetzt noch einmal durch die Fürstenabfindung einen großen Fischzug machen. Der 20. Juni gibt Gelegenheit, ihnen auf ihre unverschämten Milliardenforderungen die richtige Antwort zu geben. Stimmt am 20. Juni alle mit" Ja" und damit für die entschädigungslose Enteignung der Fürsten  !

Gleifende Straßen. Das Problem des rollenden Bürgersteigs ist von der franzöfifchen Regierung ernsthaft in Angriff genommen worden. In Bellevue bei Paris   merden unter der Leitung fran­zösischer Regierungsstellen zurzeit Bersuche mit rollenden Bürger­fteigen angestellt. Schon die ersten Untersuchungen führten zu dem Ergebnis, daß bei der praktischen Ausführung nur folche Rollsteige in Betracht kommen, die als endloses Band ausgebildet find. Die Geschwindigkeit ist mit 15 Kilometer die Stunde angefett.

Das Journal.

Bon Fritz Müller- Partenkirchen  .

In einem großen faufmännischen Berein. Abteilung für Stellenvermittlung. Unterabteilung Registerführung. Da liegt das Journal, das Journal für Stellenvermittlung. Was ist das für ein mächtiges Buch. Schon wenn man's betrachtet, fühlt man jeme Last.

Der Beamte davor kommt mir flein vor. Wie, der soll dieses Riesenbuch beherrschen? Nein, es ist umgekehrt: das Buch herrscht über ihn Das Buch gibt ihm seine Arbeit täglich, jährlich, vielleicht ein ganzes Leben lang.

Das Buch sagt: schreibe die Bewerbung ein. Und der Beanie schreibt sie ein. Das Buch sagt: Merke bei dieser Bewerbung jene offene Stelle vor. Und der Beamte merkt sie vor. Das Buch sagt: Streiche die Bemerkung durch, der Posten ist besetzt. Und der Be­amte streicht den Eintrag durch.

Eben jetzt hat der kleine Beamte das mächtige Journal auf­geschlagen. Ist es nicht wie ein Windstoß durch das Zimmer ge­

gangen?

Nein, das war fein Wind. Schicksale sind aus dem Journal aufgeflattert. Wie Vogeltetten flogen sie aus dem Journal auf. Einen Wirbelflug haben sie rund um das Zimmer gemacht. Die Schwingen haben sie gestreckt' es waren halbzerbrochene darunter, die Köpfe haben sie zum Fensterlicht gereckt zerzaufte waren auch dabei, und eben noch rechtzeitig find die sonderbaren Schicksalsschwärme an ihren Seitenplatz zurückgewischt, als der Beamte die nächste Seite aufschlug.

arg

Da bin ich auf den Beamten zugetreten und habe ihn gefragt, ob er die Vogelschwärme nicht gesehen hätte. Welche Schwärme?" sagte er.

"

Die aus Ihrem Journal tamen."

In meinem Journal find feine Vögel, Herr." Und dabei sah er mir in einer Art auf meine Stirne, als vermute er dahinter welche.

Aber ich mar nicht beleidigt, sondern bat ihn um Erlaubnis, in seinem großen Journal, das er ohnehin eben zuklappen wollte. ein wenig hin und herzublättern.