wegen rufen sie zum Knüppel. Sie meinen natürlich das Schießgewehr. Es ist eine kleine, immerhin symptomatische„rechte Abweichung", wenn das Schießgewehr sich bei ihnen vorläufig noch in den Knüppel verwandelt. Allen Ernstes verlangt die„Rote Fahne", daß jetzt„die 15 Millionen einen Knüppel nehmen" müßten, dann würde die Arbeiterschaft ihr Ziel erreichen. Leider spricht die„Rote Fahne" nicht davon, daß möglicherweise auch noch andere Leute das Schießgewehr oder den Knüppel ergreifen könnten und daß bei einer solchen Entwicklung der Dinge die 15 Millionen sich sehr bald verflüchtigen würden. Gerade die großen„M a r x ist e n" im kommunistischen Lager müßten doch wissen, daß nicht nur Arbeiterwähler der bllrger- lichen Parteien, sondern auch ausgesprochenes Bürgertum sich an der Abstimmung für den Voltsent- scheid beteiligt hat. Eine Verwandlung"des demokrati- s ch e n Kampfes gegen die Fürsten in einen k o m m u n i st i- s ch e n Parteikampf würde nur der Rechten willkommen sein, In ihrem Lager herrscht Verwirrung. Diese Verwirrung wäre sofort überwunden, wenn man den kommu- nistischen Parolen folgte. Rein, das kommunistische Rezept versängt nicht. Gerade der gewaltige Erfolg des Volksentscheids auch in bürge rlichen Kreisen ist die beste Quittung für die sozialdemokratische Taktik. Ohne sie wäre es nie- mals möglich gewesen, einen so tiefen Einbruch ins bürger- liche Loger durchzusetzen. Ohne die Taktik der Sozialdemo- kratie, die auf das Maulaufreißen verzichtet und dafür an der wirtlichen Reoolutionierung der Massen, an ihrer Erziehung zur freiheitlichen, demokratischen und republikanischen Gesinnung arbeitet, würden heute die Fürsten beim Volksentscheid wirklich gesiegt haben. Jetzt sind sie im wesentlichen geschlagen. Auf ihre p o l i t i- j ch e n Ziele müssen sie endgültig verzichten und bei der materiellen Auseinandersetzung wird der Reichstag an den 15 Millionen Ia-Stimmen nicht vorübergehen können. Der Versuch zu einer solchen Taktik müßte unweigerlich zur Auflösung und Neuwahl führen. Im Kampf gegen die Fürsten ist der erste große Erfolg errungen. Dieser Kampf ist noch keineswegs zu Ende. Er wird nur dann beendet sein, wenn der Reichstag dem Willen des Volkes Rechnung trägt. Wer in diese Aus- einandersetzung durch neu« Parolenfabritation nur Wirrwarr trägt, dientnurderFürstensache. Die kom- munistischen Arbeiter sollten es sich dreimal überlegen, ob sie sich zu Werkzeugen der monarchistischen Reaktion gebrauchen lassen wollten. Die Arbeiterbewegung wird zur inneren Ge- schlossenheit nur kommen aus dem Wege der Demokratie, ebenso wie sie ihre Anziehungskraft auf alle anderen Schichten der Bevölkerung nur dann steigern kann, wenn sie überall das Vertrauen in ihre aufrecht demokratische Haltung festigt, wenn jedermann weiß, daß die Arbeiterbewegung der f e st e st e Hort politischer Freiheit ist und bleibt. Ein kommunistischer, Erfolg'. Bei der Betrachtung des Ergebnisses des Dolksentscheids fällt auf, daß im Wahlkreis Chemnitz . Zwickau die Zahl der Ja- stimmen um 36 222 hinter der Zahl der Eintragungen sür das Bolks. begehren zurückgeblieben ist. Die beiden anderen sächsischen Wahl- kreise hoben die Iastimmenzahl über das Ergebnis des Bolks- begehrens hinaus gesteigert. Ueber die politischen Gründe dieser Erscheinung schreibt die.Chemnitzer Volksstimme" u. a.: .Es darf auch nicht übersehen werden, daß die Kommu- nistische Partei viel weniger für den Volksent- scheid als für ihre ganz besonderen Zwecke agitierte, daß sie hier in dem Fall, wo sie wirklich inmal den Beweis für die Ehrlichkeit ihrer„Einheitsfronttaktik" hätte erbringen können, nur ihre Eigenziele im Auge hatte und die ganzen letzten Wochen in der Hauptsache dazu benutzte, gegen die Sozial- demokratische Partei zu kämpfen, also der Sache der Fürstenknechte zu dienen. Auch das sollen und dürfen die Proletarier nicht vergessen!"
Neben den politischen Gründen scheinen auch technische Gründe vorzuliegen. Es fällt auf, daß im Wahlkreis Chemnitz d i e größte Zahl ungültiger Stimmen im ganzen Reiche gezählt wurde. Wie die.Leipziger Dolkszeitung" berichtet, sind vielfach Stimmzettel, bei denen in dem Jakreis statt des Kreuzes ein Ja geschrieben worden war, für ungültig erklärt worden. Die Zahl der ungültigen Stimmen in Chemnitz betrug 34 442. Die tech- nischen Gründe können also den Rückgang um 36 222 Stimmen nur teilweise erklären— der Rest kommt auf das kommunistische Schuld- kento._ preußischer Lanütag. Beratung des preußischen Polizeietats. Der Landtag begann seine erste Sitzung nach der Volksentscheids- pause mit der Beratung des Polizeietats. Mit d*r 35«' ratung verbunden wird die Besprechung einer kommunistischen GroßenAnsrage, die unter Bezugnahme aus die Z u s a m m e n> stoße beim Volksentscheid das Staotsministerium fragt, was es in Zukunst zu unternehmen gedenkt, um dem die Arbeiter- schaft schwer bedrohenden bewaffneten Terror der monarchistischen Verbände wirkungsvoll entgegenzutreten und deren Entwaffnung durchzuführen. Der kommunistische Abgeordnete Bartels sprach als erster Redner zum Polizeietat und begründete die kommunistische Anfrage.
Monarchistenschwinüel. Lügen der„Teutschen Zeitung" über die Polizei. Das Sodenstern-Blatt behauptet, der ihm so verhaßie Polizei- Vizepräsident Dr. Friedensburg habe durch einen besonderen Erlaß die Entscheidung über die Hastentlassung au» politischen Gründen Verhafteter sich s e l b st vorbehalten. In Wahrheit ist dieser Erlaß am 12. August 1925 ergangen, zu einer Zeit, wo Friedensburg eben Polizei Präsident war und der Erlaß mußte damals wegen der hakenkreuzlerischen Ausschreitun- gen auf dem Kursürstendamm ergehen. Von zuständiger Stelle wird erklärt, daß die Entscheidung über die Hastentlassung der au» politischen Gründen Verhafteten selbstverständlich nicht> e d e m einzelnenBeamten überlassen sein Mnn, sondern dem Polizei- Präsidenten oder, bei seiner Verhinderung, dem Vizepräsidenten vor- behalten bleiben muß. Nichts anderes bestimmt jener Erlaß. Wenn das Sodenstern-Blatt weiter behauptet, diese Perhafteten müßten eventuell den ganzen Tag in Hast sitzen, wenn keiner der beiden Präsidenten rechtzeitig erscheine, so steht demgegenüber fest, daß der Polizeipräsident bisher noch an keinem einzigen Diensttage später als um 19 Uhr vormittags seinen Dienst angetreten hat! Urbahns bleibt frei. Der Geschäftsordnungsausschuß de» Reichstags verhandelt« heute über den Antrag des Generalstaatsanwalts in Ham- bürg, zuzustimmen, daß der kommunistische Reichstagsabgeordnete Urbahns zur Derbüßung der wegen des Hamburger Aufstondes von 1923 verhängten Festungsstrafe von zehn Iahren— die durch Anrechnung der Untersuchungshast und eine Hamburger Amnestie auf 614 Jahre zusammengeschmolzen sind— in Hast genommen werde. Das Hamburger Oberlandcsgericht hatte im letzten Herbst verfügt, Urbahns aus der Strafhaft zu entlassen, weil vom Reichstag nicht die Zustimmung zur Strafverbüßung eingeholt worden war. Der Gcschäftsordnungsausschuß des Reichstags beschloß ent- sprechend dem Antrag de» Berichterstatters, Abg. Landsberg, mit allen gegen zwei deutschnationale Stimmen(G o k- Hamburg und Sachs- Franken), den Antrag des Hamburger Oberstaots- anwalls a d z u l e h ne n. Abg. Urbahns bleibt also in Freiheit.
wie'» trefft. Dieselbe„Deutsche Zeitung", die vor dem Volk»- entscheid wochenlang Stimmenthaltung predigte, schreibt jetzt Wahl pslicht aus— freilich für die Berliner Studentenwahlen. Das ist ein deutlicher Beweis für die Wahl a n g st der Hakenkreuzler und muß den Wahl e i f e r der Linken auss höchste anspannen!
�nglanö und Rußland . Chamberlain verhindert den Bruch, den die Scharfmacher »vollen. London . 22. Juni(WTB.). Der politische Berichterstatter der „Westminster Gazette" berichtet über die Meinungsverschiedenheiten im englischen Kabinett über die Frage der Beziehungen Englands zu Rußland . Lord Birkenhead und Churchill hätten auf einen Bruch mit der russischen Regierung gedrungen.� C ham- b e r l a i n, der, wie zuverlässig verlaute, mit seinem Rücktritt gedroht habe, wenn die Ansicht des Foreign Ossice unterliegen sollte, werde unterstützt u. a. von Baldwin, Balfour und Lord C h e s f i e l d._
heute Sejmsitzung in Warschau . Ernennung weiterer Minister, die der Linken stark mißfalle». Am heutigen Dienstag tritt das polnische Abgeordnetenhaus zum erstenmal seit der Nationaloersammlung, die den Staatspräsi- denten gewählt Hot, wieder zusammen. Die große Ermächtigungs- vorläge kommt erst am 27. d. M., da die Verfassung gewisse Fristen für verfassungsändernde Gesetze vorschreibt. Für heute ist ein große» politisches Exposö des Finanz Ministers Klarner vorgesehen. Die Regierung hat beschlossen, die Frage der letzten Lesung des Budgetprovisoriums als Vertrauensfrage zu stellen. Inzwischen wurden zwei neue Minister ernannt: Professor Staniewicz aus Wilna zum Minister sür Agrarreform und Alexander Kaczinski aus Krakau zum Minister sür Land- Wirtschaft. Beide Ernennungen werden von den Linken sehr u n g ü n st i g aufgenommen. Der neue Minister für Landwirtschijt hat vor einem Monat eine Broschüre.Wie der Gutsbesitzer sich gegen die Enteignung verteidigen soll" herausgegeben! Politischer Mord in der polnischen Lstmark. Warschau . 22. Juni. (Mtb.) In Grodek im Kreise Rownow wurde der ukrainische Führer Wladimir O s b i l k o, der seinerzeit Obcrkommandierender der Truppen Petljuras war, durch einen Schuß durchs Fenster getötet. Die polnischen Blätter sprechen von einem kommunistischen Anschlag, obgleich die Spur des Täters bisher noch nicht entdeckt wurde. Osbilko gab die ukrainische Zeitung.Dzin " (Der Tag) heraus und war Anhänger jeder Persöhnung mit Polen auf der Grundlage des Föderalismus .
Das Komplott von Smprna. Kemal verhört die Verhafteten. Londou. 22. Juni(WTB.). Die Morgenblätter befassen sich in Telegrammen au» Konstantinopel eingehend mit dem Smyrnaer Komplott gegen das Leben Kemal Paschas..Times" zufolge bc- finden sich unter den im Zusammenhang mit der Ausführung des Komplotte» Verhafteten der vormlige Premier- minister General Refat Pascha, der Führer der Opposi- tion, General Kiazin Ka ra b e k i r Pascha und General Ali Fuad Pascha. Der Konstontinopler Korrespondent der Morning Post berichtet dazu: Offenbar ist Konstantinopcl der Mittelpunkt der aufgedeckten Verschwörung. Der Anschlag auf da» Leben Kemal Paschas sollte während des Aufenthaltes des Präfi denten in Smyrna von einem Abg. Zio Harsch id Bey und einem Referve-Offizier Hilm! Bey sowie zwei gedungenen BanN- ten ausgeführt werden. Bisher liegen im übrigen keine Beweise dafür vor, daß das Komplott die Wiederher st ellung des Sultanats bezweckte. Weiter wird aus Konstaniinopel gemeldet, daß Kemal Pascha sich selbst nach Konstantinopel begeben hat. um die Verschwörer zu v e r h ö r e n. Es sollen bereits mehr als 2»9 Verhaftungen vorgenommen worden sein.
Abberufung eines unfolgsamen Gesandten. Der estnische Gc- sandte in Moskau , Birk, ist abberufen worden, da er den Wci- sungen seiner Regierung nicht Folge geleistet hat: Birk ist bereits abgereist.
Keine Zürsienräuber in Zriedrichstal. Ein Leser unseres Blatte» schreibt uns aus Swinemünde : Bei Durchsicht des Eintragungsergebnisses zum Volksentscheid las ich, daß der Gutsbezirk Friedrichstal mit einem--- eingetragen stand, d. h. niemand hatte sich zum Volksentscheid ein- getragen. Da mir der Schalk im Nacken saß, machte ich mich bei einem.rieselnden Naß" aus den einstündigen Marsch, um dort, mit meinem Stimmschein bewaffnet, meiner Wahlpflicht zu genügen, da- init Friedrichstal auch einen Fürstenräuber in seiner geheiligten Mitte zähle. Mit der„angeborenen" Schlauheit der Fürstenräuber fand ich nach langem Suchen den geheiligten Amtsraum, um den Raub auszuführen. Doch— o Schreck— das Heiligtum des Guts- Vorstehers, Herrn Forstmeisters von Wangelin, war leer. Erst nach geraumer Zeit erschien eine liebenswürdige Dame. Mein descheide- nes Verlangen, mein Stimmrecht auszuüben, wurde mit einem nonchalanten Lächeln quittiert:.Legen Sie nur Ihren Stimmschein dort auf den Tisch, da« andere wird schon noch vom Herrn Forst- meistcr besorgt." Ich war ungalant genug, dieser freundlichen Aus- forderung nicht nachzukommen. Die schnippische Erwiderung lautete: „Dann müssen Sie zum Herrn Forstmeister selber gehen." Auf mein Klingeln erschien ein Dienstmädchen. I ch(nach der Begrüßung): Ich möchte meiner Wahlpflicht nach- kominen. Sie: Was heißt Wahlpflicht nachkommen? Ich: Ich möchte zum Volksentscheid meine Stimme abgeben. S i e: Was heißt Volksentscheid? Ich: Ich möchte meine Stimme abgeben, denn heute ist Wahl, ob die Fürsten vom Volke 214 Milliarden bekommen sollen oder nicht. S i e: Das geht uns gar nichts an. Da ich sah, daß der dienstbare Geist gut dressiert war, verlor ich die Geduld und verlangte nach dem Gutsoorsteher. Endlich kam die geheiligte Amtsperson in höchst eigener Persönlichkeit, und der Dialog wurde sortgesetzt: Ich: Ich möchte im Stimmbezirk Friedrichstal meiner Wahl- Pflicht genügen. E r: Tun Sie das bitte. Ich: Dazu komme ich.(Da er keine Anstalten mochte, von der Haustür fortzugehen): Soll das hier auf dem Hofe geschehen? E r(nach einer kritischen Musterung meiner Person von oben bis unten): Da müssen Sie nach Camminke zur Schule gehen. Ich: Meines Wissens ist hier in Fricdrichstol be' Ihnen der Stimmbezirk. E r: Ja, wir haben aber unsere Wählerliste nach Camminke rübergeschickt. I ch: Ist das Ihre authentische Antwort als Gutsvvrsteher? E r: Ich bin der Gutsoorsteher, genügt Ihnen das? I ch: Danke! Das genügt mir. Und wiederum setzte ich mich unter dem Rieseln des Regens
in Marsch. Nach einer weiteren halben Stunde stand ich im Wahl- lokal von Camminke. Meine Mitteilung, daß ich im Stimmbezirk Friedrichstal meine Stimme abgeben möchte, wurde höflichst beont- wartet: einen eigenen Stimmbezirk Friedrichstal gebe es nicht, denn die Wähler der Gemeinde Friedrichstal wären mit denen der Ge- meinde Camminke vereinigt. Nach Prüfung meines Stimmscheines tat ich meine Pflicht. Etwas verstimmt darüber, daß die Gemeinde Friedrichstal nun doch keinen Fürstenräuber auszuweisen habe, trat ich den Rückmarsch nach Ewinemünde an. Aber der lange Weg war dennoch nicht umsonst gewesen. Wenn es auch in Zukunft im Guts- und Forstbezirk Friedrichstal keinen deutschen Schandbürger gibt, der sich am beabsichtigten Fürstenraub beteiligt hat, so habe ich doch die Genugtuung, einer alten, schwergeprüften deutschen Mutter den letzten Zweifel genommen zu haben, wie sie abzustimmen hat. Leider bin ich nicht in der Lage, die Worte des Mütterchens in ihrer Mund- art wiederzugeben. Sie: Junger Herr gestatten Sie mir eine Frage? Ich: Bitte, Mütterchen? Sie: Heute sind es zehn Jahre(und die Tränen begannen an dem vergrämten Gesicht hcrabzulausen), daß mein Sohn gefallen ist. Er wurde krank, als er im Urlaub hier war, und als der Urlaub ad- gelaufen war und er krank fort wollte, bat ich ihn, doch erst gesund zu werden. Aber er ließ sich nicht halten, und lachend sagte er: Mutter, es ist Krieg, ich muß mein Paterland verteidigen. Kaum eine Woche später erhielt ich die Nachricht, daß mein Junge gefallen sei. Ich habe bitterlich geweint, aber sein letztes Wort:„Ich muß meine Pslicht tun" ist mir in Erinnerung geblieben, meine Pflicht will ich auch heute tun. Man hat mir gesagt, ich soll mein Kreuz in.Ja" machen. Guter Herr, das will ich nicht, denn icp will nicht, daß der Aucgerissene mein Letztes kriegt! Sagen Sie mir, wie muß ich stimmen, damit der hohe Herr, für den mein Sohn vor zehn Iahren sterben mußte, nicht meinen letzten Pfennig bekommt? Ich: Mütterchen. Sie müssen tatsächlich Ihr Kreuz in den.Ja"- Kreis machen. Als mich staunend und mißtrauisch verweinte Augen ansahen, machte ich der schwergeprüften Frau verständlich, daß sie und warum sie ihre Stimme mit.Ja" abgeben müßte. Ich gab ihr dann meinen„Volksboten", zeigte auf das Wort „Sozialdemokratisches Organ" und fragte, ob sie die Bedeutung diese» Wortes kenne. Ein dankbarer Blick aus hellen Augen traf mich. Sie: Sind Sie ein Sozialdemokrat, ich meine ein Roter? Als ich nickend bejahte, ergriff sie impulsiv meine Hand, drückt« diese herzlich, und dann kam es freudig über ihre Lippen: Nun weiß ich, wie ich stimmen muß. Nun mach' ich das Kreuz in das„Ja". Wir nahmen Abschied: tief erschüttert ging ich meines Weges. Mögen alle Mütter, die ihr Kind dem Ausgerissenen geopfert haben, mögen alle Frauen, die der unglückselige Völkermord den Mann, den Kindern den Vater entrissen hat. so handeln wie diese schwer geprüfte Frau, dann ist uns für die Zukunft nicht bange.
Kicharü SternfelS f. Ein lieber, gütiger, wissender Mann ist mit Sternfeld dahin- gegangen, ein Mensch, der aus seiner herrlichen Begeisterung heraus wieder Begeisterung bei anderen weckte, der abseits von der Heer- ftroße der historischen Professoren sein Herz ganz offen hatte für die Musik. Seil der Name Richard Wagner in Deutschland austauchte, j stand Sternfeld in den vordersten Reihen der Kämpfer. Sein« Vor- träge, Vorlesungen, seine Demonstrationen am Klavier wurden be- rühmt. In Wogner-Vereinen, zuletzt auch in dem akademischen der Berliner Universität, war er Seele und Triebkraft der Anregung. Gewiß, da steckte ein Fanatismus im Erklärertum, das die Zeit spurlos am Koloß Wagner oorüberbrandcn ließ. Aber es war auch Reinheit der Gesinnung, Treue, Wahrhastigkeil, die im Glauben an den„Meister" fest blieb. Bayreuth — seine Ausgaben, Ziele, Herr- lichkeiten: noch jetzt war es sein Evangelium. Sternfeld kämpfte gegen da» nachwognerische Kunstwerk(Strauß und die Modernen), auch gegen Brahms und Mahler, aber für Wolf und Bruckner mit den Waffen eines mit dem Handwerk Vertrauten. Seine Vertraut- heit mit Wagner beweisen viele Aufsätze in Zeitschristen, erweisen auch die bekannten Bücher„Beethoven und Wagner",„R. Wagner und die Bayreuther Festspiele ",„Aus R. Wagners Pariser Zeit". Der Philologe tötete dabei niemals den Künstler ab, und so konnle es nicht wundernehmen, wenn Sternseld trotz des einseitigen Betonen» Wagnerscher Bühnenkunst sich begeistert auch anderen musi- kalischen Interessen zuwandte. Jahrzehnte war er Vorsitzender im Chor des ihm freundlchoitlich verbundenen Siegfried Ochs . Er schrieb die Geschichte de» Philharmonischen Chors. Und in den Muße- stunden komponierte er. Ein Quartett, eine(von mir urausgesührtc) Kantate aus einen Text der Mathilde v. Wesendonck , Bühnenmusik zu„Hanneles Himmelfahrt" zeigen eine für Sangbares, Frisch- melodisches, Gefühltes starke Erfindungsgabe. Zu allen Musikern, die in den letzten 39 Jahren in Deutschland von sich reden machten, hatte Sternfeld persönliche Beziehungen. Er war kein Mitgehcr und Nachsprecher, sondern ein eigener, freier, besinnlicher, ostener Kops. Er dürfte persönlich keine Feinde gehabt Kaden. Ein Herr- licher Mann und Kämpfer ging von dieser Erde fort—. uns aber war er mehr!_ Kurt Singer.
~' 3n b« volk»bühae findet all nächste Uraustübrung eine mufikolifche Komödie in 8 Bildern.Darüber lägt sich r e d e n' von Hellmuth Riedel und Emil Rameau (nach einer alt.-n Posse) statt Die Mufik ist von Friedrich Holländer . INuslkchroalt. Emil B o b n k e ist al» Nachfolger von Odkar Fried vom Berliner Sinsonie-Orchester als ständiger Dirigent verpflichtet worden. Er wird außer den ständigen Konzerten im Laus« der Saison einen ZylluS von 10 großen Nittwoch-Sinsonie-Konzerlen leiten. Ein INeisterwert von Peter VIscher . dem berühmten Nürnberger Erz- gleßer, lst aus einer Pariser Auktion für da« Baherische Natlonalmuseum in München erworben und damit sür Deutschland zurückgewonnen worden. Es bandelt fich um eine 22 Ientimeter hohe Bronzcgruppe, die früher vergoldet gewesen ist und die de» Kamps zwischen Herkules und AntäuS darstellt. Bulfifche Ehrung eine» deutschen Gelehrt«». Dl« makro-blolo- gische Gesellschaft in Leningrad ernannt« den Geheimrat Professor Dr. Uhlenhulh in Zreiburg i. Br. zu ihrem Ehrenmitglied.