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Nr. 292 43. Jaheg. Ausgabe A nr. 151

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Zentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands  

Redaktion und Verlag: Berlin   SW. 68, Lindenstraße 3 Fernsprecher: Dönhoff 292–297.

Donnerstag, den 24. Juni 1926

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Zollkampf im Reichstag.

Hilferding  : Wenn Sie die Handelspolitik ändern wollen, fragen Sie doch die Wähler!"

Hilferdings Rede über die Zollpolitik, die gestern im Reichstag bei den Freunden stürmischen Beifall, bei den Gegnern respektvolle Aufnahme fand, mag für sich selber sprechen. Uns liegt daran, die Aufmerksamkeit der Massen auf sie au lenken, weil wir sie als ein Signal zu einem Kampfe betrachten, der nicht weniger wichtig ist und die Kräfte der Partei nicht weniger in Anspruch nehmen wird als der Kampf um die Fürstenvermögen.

Die Erhöhung der Lebensmittelzölle, die auf dem Wege des deutsch  - schwedischen Handelsvertrags ein­geschmuggelt werden soll, ist eine Frage, die jeden Mann und jede Frau im Volke auf das stärkste interessieren muß. Wir ftehen nicht an, hier zu erflären, daß dieses Interesse bisher noch nicht start genug war. Angeblich hat ja die Sozialdemo­tratie die Massen zum Materialismus" erzogen. Wir merken davon nichts, und wir hegen den dringenden Wunsch, daß die Massen ein wenig mehr Unterricht im ,, Materialis­mus" nehmen möchten nicht bei uns, sondern bei den Interessenten des Großgrundbefizes und der Schwerindustrie, die ihre materiellen Interessen wahrhaftig noch nie vernachlässigt haben.

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Der Mann und die Frau aus dem arbeitenden Bolke, die für eine Schar hungriger Mäuler zu sorgen haben, sie haben nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht, sich darum zu fümmern, was für zollpolitische Experimente in den Geheim­ratsstuben ausgeflügelt werden und wie sie auf ihren Brot­schrank wirken. Offenbar haben sie dieser Pflicht bisher noch nicht in ausreichendem Maße genügt, sonst wäre es ja gar nicht denkbar, daß jetzt versucht wird, so über ihre Interessen hinwegzugehen, wie das tatsächlich der Fall ist.

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Mit erfreulicher Klarheit hat Genosse Hilferding   aus­gesprochen, daß die Sozialdemokratie feineswegs für ein in diesem Augenblid nur theoretisches Freihandelsziel fämpft. Es handelt sich für sie jetzt nur darum, eine Ver­schärfung des Schutzolls zu verhindern, die dem Arbeiter, dem Angestellten, dem Beamten, den Leuten mit geringem Einkommen geradezu die Kehle, zuschnürt, die einen großen Teil der Landwirtschaft, die viehzüchtende Bauernschaft in ihrer Not nur noch schwerer belastet und für die Gesamt­wirtschaft den Ausweg aus der Krise versperrt.

Für die Sozialdemokratie und die hinter ihr stehenden Maffen kann die 30llfrage fein weniger wichtiges Kampf­objekt sein als die Frage der Fürstenvermögen. Und wer da glaubt, die Massen seien jetzt vom Volfsentscheid abgekämpft und man fönne ihnen die Schlinge des Brotwuchers über den Kopf werfen, der soll sein blaues Wunder erleben.

Hilfe verweigern. Dann haben sie Frieden. Wenn aber nicht, dann gibt es Kampf! War die erste Lektion, die des Volksentscheids, noch nicht deutlich genug, dann muß eine zweite folgen: Auflösung des Reichstags und Neuwahlen!

Hilferdings Rede.

dänischen Handelsvertrags im Reichstag   aus: Genoffe Hilferding führte gestern bei der 1. Lesung des deutsch  .

Die neue Regelung, die mit diesem Vertrag versucht wird, be­rührt auf das allertiefste die Grundlagen unserer gesamten Handels­politit, besonders an ihrem empfindlichsten Punkte, nämlich in der Frage der Lebensmittelzölle.

Der Vertrag rollt die Frage der fünftigen Gestaltung unserer Handelspolitik in bezug auf die Lebensmittelzölle in einer Weise auf, die im vollen Widerspruch zu den Erwartungen steht, die wir nach den Verhandlungen des vorigen Jahres hegen durften.

Es ist um so auffälliger, daß die Grundlagen unserer Handelspolitit gerade jezt zur Entscheidung gestellt werden, wo die Wirt ichaftsenquete zu arbeiten angefangen hat, die beschlossen

worden ist, um die wissenschaftlichen Unterlagen für unsere fünftige Handelspolitik zu prüfen. Vor wenigen Tagen, als unsere Freunde im voltswirtschaftlichen Ausschuß ein Vorgehen der Regierung in der Kartell frage verlangt haben, waren Sie alle der Ansicht, daß das gesetzgeberische Borgehen bis zu dem Zeitpunkt zu ruhen hätte, wo in der Wirtschaftsenquete die Grundlagen für die Behandlung dieser Fragen geschaffen sein würden. In der Kartell­frage waren fie für die Verschiebung, aber in der viel einschnei­derenden Frage der Handelspolitik find sie für die sofortige Berhand­lung, sozusagen für eine Verhandlung hintenrum, indem in einem sonst nicht sehr interessanten Vertrag die gesamten Posi­tionen für die Lebenmittelzölle geändert werden.

Der bisherige Zustand beruhte auf dem Kompromiß, das zwischen den damaligen Regierungsparteien, vor allem zwischen Deutschnationalen und Zentrum abgeschlossen worden war. Die christlichen Gewerkschaften haben vor allem auf ein solches Kom­promiß in der Frage der Lebensmittelzölle gedrängt. Sie bestanden darauf, daß die gegenwärtigen niederen Säße, die bis zum 1. Auguſt gelten müssen, in das Gesetz hineinkamen. Obwohl wir auf einem anderen Standpunkt standen, haben wir damals anerkannt, daß diese Regelung eine gewisse Verbesserung gegenüber der oriage der Re­gierung bedeutete. Dieses Kompromiß hatte aber auch einen ganz bestimmten Sinn.

Die neue Regierung Briand  .

Caillaux   Finanzminister. General Guillaumat Kriegsminister.

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gabe beschränkt hatte, so würde Briand   auf ihn und die Kräfte des Nationalen Blocks, die dieser vertritt, immer wie­der Rücksicht genommen haben. Nun ist bis zur Herbsttagung des Völkerbundes eine konsequente Fortführung der Locarno   Politik umso notwendiger, als nech immer Zwischenfälle entstehen können, die den Eintritt Deutschlands   in den Völkerbund zu gefährden geeignet wären.

Paris  , 23. Juni.  ( Eigener Drahtbericht.) Das neue Ministe-| auch, wenn sich Poincaré   auf eine rein finanztechnische Auf­rium Briand  , das am Mittwoch nachmittag endlich zustandege­kommen ist, hat durch den Eintritt Caillaug' eine starke Ber­fchiebung nach links erfahren. Sein Schwergewicht liegt bei der schiebung nach links erfahren. Sein Schwergewicht liegt bei der Radikalfozialen Partei, die mit nicht weniger als vier Abge ordneten( Nogaro, Durafour, Perrier und Binel) und drei Sena­toren( Caillaur, Chapsal und Durand) vertreten ist. Die republi­tanischen Sozialisten werden im Kabinett durch Briand   und den ihnen nahestehenden Juftizminifter Laval, die radikale Linke durch Daniel Vincent repräsentiert. Außerdem gehören dem Kabinett zwei ge­mäßigte Republikaner, Cengues und Jourdain, an. Das rechte Zentrum ist in der neuen Kombination überhaupt nicht vertreten.

Start tommentiert wird vor allem die Ernennung des Gene­ rals Guillaumat  , des gegenwärtigen Oberkommandierenden der Rheinarmee, zum Kriegsminister. Guillaumat, der jeit 1919 Mitglied des Obersten Kriegsrats ist und der 1917 Sarrail im Oberkommando der Orientarmee abgelöst hatte, gilt als einer der fähigsten und energifchften Generäle, über die Frankreich   verfügt. politisch steht er der Linken nahe, was auch daraus hervorgeht, daß Herriot   ihn seinerzeit als Nachfolger des durch sein rigoroses Regiment im Rheinland bekannten Generals Mangin mit der Milderung des Offupationssystems betraut hat. Die Parteien, die in dem neuen Ministerium vertreten sind, verfügen über etwa 260 Stimmen. Es wird darüber hinaus, wenn nicht auf die Unter­ftüßung, so doch zum mindestens auf die wohlwollende neutralität der 104 Sozialisten und vielleicht auch der 40 2bgeordnete starken Gruppe Bokanowski rechnen können. Das neue Ministerium ist am Mittwoch abend um 10 Uhr zur

Leider ist es auch in diesem Zusammenhang notwendig, ein Wort über die Kommunisten zu sagen. Ihr Ver­halten war gestern idiotisch. Vorgestern waren sie noch ver­nünftig genug, dem Knappschaftsgesetz zu zustimmen, weil es für die Arbeiter Verbesserungen bringt, also praktische Arbeiterpolitik zu treiben. Gestern haben sie sich mit den extremen Agrariern vereinigt, um den deutsch- dän is fchen Handelsvertrag, der nur Erleichterungen bringt, ab­zulehnen was glücklicherweise nicht gelang. Wie die Kom munisten dazu kamen, Pferdezüchterinteressen über Arbeiterinteressen zu stellen, ist unerfindlich. Eine gefchloffene linke Front für den deutsch  - dänischen Festlegung der Regierungserklärung zusammengetreter. Vertrag wäre um so notwendiger gewesen, als von der Rechten her ein absonderliches Spiel mit diesem Vertrag gespielt wird. Die Sozialdemokratie versuchte im Arbeiter intereſſe ſeine fofortige Berabschiedung auch in dritter Lesung rechts. Es gab dabei einen Hammelsprung, bei dem die Bolksparteiler zunächst zu den Sozialdemokraten liefen, dann aber von ihren Hammeln wieder zurückgeholt wurden. Man sah Herrn Scholz heftig auf Herrn Strese mann einreden und hörte dessen verzweifelten Ruf: Ich fann doch gar nicht anders als Außenmini­ster!" Dann aber verschwand er und ward nicht mehr gesehen.

Es ist ein erbittertes zähes Ringen vor den Kulissen und hinter den Kulissen. Und sollte der Reichstag   auf­gelöst werden, so wird es nicht nur um die Fürsten­vermögen, sondern auch um die 3011frage gehen. Im Grunde mehr um die zweite als um die erste. Denn bei den Fürstenvermögen handelt es sich um ein herüber­Hinüber im Volksvermögen, bei der Zollfrage aber um ein Herüber- Hinüber im Boltseinkommen um Milliarden­werte. Die Herren von der Mitte mögen die sozialdemokra­tischen Anträge zur Fürstenvorlage annehmen und in der 30llfrage den Plänen der Rechten die

Die Unterstaatssekretäre. Paris  , 23. Juni.  ( WTB.) Laut Havas werden die Unterstaats­sekretariate voraussichtlich mit folgenden Bersönlichkeiten besetzt werden: Ministerpräsidentschaft: Abg. Daniel ou( Radikale Linke); Finanzen, und zwar Budget: Abg. Pietri( Radikale Linke), ( radikal); Luftschiffahrt: Abg. Laurent- Gonac( radikal); Deffentlichen Unterricht und schöne Rünfte: Abg. Bierre Rameif( Sozialrepublikaner); Handels­marine: Abg. Valude( radikal); Bost- und Telegraphenwesen: Abg. A stier( Radikale Linke); Befreite Gebiete: Abg. Dutreil

Duboin Schazzamt: Abg.

( Linksrepublikaner).

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Die nun endlich zustandegekommene Regierung ist zwar feine Kampfregierung der Linken, wie sie Herriot   versucht hatte, aber sie weist fast ausschließlich Namen von Par­lamentariern auf, die einer dem Kartell der Linken ange: schloffenen Gruppe angehören... Allerdings ist die Gruppe der fogenannten Radikalen Linken", also die Gruppe Loucheur, die den unzuverlässigen rechten Flügel des Linkskartells bilden, auffallend stark berücksichtigt worden.

Bom Standpunkt der allgemeinen, nicht zuletzt der aus wärtigen Politit tann man es nur begrüßen, daß die Regierung mit Poincaré   nicht zustandegekommen ist. Denn

ren.

Für Frankreich   ist das aber nicht die Hauptfrage, son­dern alles dreht sich dort darum, ob es der neuen Regierung mit Cauaug als Finanzminister gelingen wird, den Fran tensturz auszuhalten und die Währung zu stabilisie­Als Caillaug vor etwa einem Jahre wieder Finanz­minister wurde, galt er in Frankreich   als der Fachmann schlechthin. Aber wenige Monate genügten, um diesen Nimbus zu zerstören und es waren gerade seine eigenen An­hänger sowie die Gozialisten, die er durch seine kapitalisten­freundliche Politik am schwersten enttäuschte. Nun liegt gerade in der Schonung der Besitzenden die eigent liche Ursache des französischen   Währungszerfalls. Hat sich Caillaug seit dem vergangenen Herbst geändert? Die große programmatische Rede, die er am legten Sonntag in feinent Wahlkreis gehalten hat, gestattet noch nicht, diese Frage zu beantworten.

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so

Diese übrigens in der Form meisterhafte Rede war frei von Schönfärberei und begann sogar mit einer regelrechten Kapuzinerpredigt gegen den Egoismus der gesamten leute, die die Mehrheit seiner Zuhörerschaft bildeten. Er Bevölkerung, insbesondere der kleinen Landwirte und Kauf­warnte sie vor der Illusion großer Papiergewinne, hinter denen in Wirklichkeit nichts stecke. Er erwähnte furz alle tindischen Hoffnungen, mit denen man das französische   Volk während und nach dem Kriege, namentlich hinsichtlich der Reparationen genährt hat. Er verurteilte mit scharfen Wor­ten die Politik der ewigen Anleihen, mit der man sich piele Jahre hindurch zu helfen glaubte! Wir haben", fo sagte er drastisch, unseren Sieg zum Versazamt getragen." Aber, als er daran ging, ein eigenes Bro­gramm zu entwickeln, da beschränkte er sich auf allge­meine Gesichtspunkte, die, wie uns scheint, dan Kern der Sache nicht erfassen. Er forderte mehr Arbeit und Produktion durch bessere Arbeitsmethoden, größere Ein­schränkung bei der Einfuhr und sofortige Stabilisie­rung. Bon einer gründlichen Steuererfaffung des Besiges sagte er nichts. Unter diesen Umständen muß man mit einer gewissen Stepsis das Finanzprogramm ab­warten, das er bei der Vorstellung des Kabinetts im Par­lament entwickeln wird. Mit formvollendeten Reden und mit der Erkenntnis der Schwierigkeit des Problems ist es allein nicht getan. Bisher hat Caillaur die logischen Kon­sequenzen aus seiner Kapuzinerpredigt nicht gezogen und erst dann, wenn er dazu den Mut aufbringt, wird er das Ziel der möglichst schnellen Stabilisierung des Franken ver­wirklichen können.