Nr. 29243.Jahrgang
1. Beilage des Vorwärts
Donnerstag, 24. Juni 1926
al
Auf Berliner Friedhöfen stehen mehrere Grabsteine mit Horoskop. Jedes grauenvolle Ereignis, das Hekatomben von Menschenopfern verschlingt, darum auch jeder große Krieg, lockt die Welt der Ueberlebenden in mystische Gebiete hinein. Die Empfänglichkeit meitester Kreise für alles, was geeignet erscheint, in dem Meere zertrümmerter Hoffnungen Trost und Halt zu gewähren, wird gesteigert. Alte mystische Bewegungen, die im Laufe der Jahrzehnte unter dem Einfluß ernsten Forschens, praktischer Kulturerrungenschaften und zielbewußter Bildungsverbreitung verfandeten, tauchen plötzlich wieder auf und finden vermehrt Anhänger. So haben auch die durch den Weltkrieg wieder zahlreich gewordenen Astrologen in Deutschland nichts versäumt, die Massen mit ihren Ideen, mit der vermeintlichen Wissenschaft, das Schicksal jedes Menschen aus dem Stande der Sterne zur Stunde seiner Geburt zu bestimmen, befannt zu machen. Mit einer Hochflut von astrologischen Schriften wurde der Büchermarkt überschwemmt, in München , Leipzig , Berlin und Wien wurden in scheinbar wissenschaftlicher Form Astrologenfongreffe abgehalten. Deshalb ist es verkehrt, derartige Bewe gungen, die starke Gefahren für den einzelnen in sich tragen, überlegen totzuschweigen. Der wachsenden Gefahr muß die Aufklärung entgegenarbeiten.
Stillstand und Aufschwung.
Die uralte, schon der arabischen Philosophie und Naturwissen schaft bekannte astrologische Lehre, die mit der eraften astronomischen Wissenschaft nichts gemein hat, stand zeitweise im hohen
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Der Wobbly.
Bon B. Traven.
STERNENKULT
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Ansehen, war vor Jahrhunderten sogar auf Universitäten eingeführt, beeinflußte häufig die Entschließungen großer Staatsmänner, ist aber in der Forschung, wenn man überhaupt von Forschung reden kann, nicht vom Fleck der bloßen Glaubenslehre fortge fommen. Umgefehrt läßt sich sagen, daß ihr der Fortschritt der astronomischen Forschungen, besonders schon durch Kepler und Galilei im 17. Jahrhundert, gewaltigen Rüdgang brachte. Trok dem flackert der alte Sternglaube in den folgenden Jahrhunderten immer wieder auf, vornehmlich in Deutschland , England, Frank reich , Holland und Nordamerika . Bezeichnenderweise waren hauptsächlich sogenannte gebildete Kreisee, die sich von der Astrologie in den Bann ziehen ließen und ihren Wert oft mit wahrem Feuer eifer nerteidigten, während die breite Masse sich viel fritischer und ablehnender verhielt. Zuerst in Deutschland schien man sich mit wachsender Aufklärung vom Sternenkult abwenden und der mate rialistisch- mechanischen Weltauffassung im erhöhten Maße zuwenden zu wollen. Doch schon in den neunziger Jahren des vorigen Jahrhunderts erwacht das Interesse, von vermeintlichen Erfolgen im Ausland angefacht, auch bei uns wieder. Man stellte in zahlreichen Borträgen und Schriften die Aftrologie als eine Art moderner Strahlenphysik hin, gründete mehrere Fachzeitschriften und 1910 in Leipzig die Deutsche Astrologische Gesellschaft", richtete Arbeitsgruppen, Lehrkurse, Prüfungsausschüsse, Standesvertretungen, Archive und Pressestellen ein. Astrologische Schriften verflungener Zeiten wurden ausgegraben, neue Almanache, dickbändige Tabellen und Sammelwerke erschienen. Erst zwei Jahre ist es her, daß sich in Berlin die„ Akademische Gesellschaft für astrologische Forschung" bildete. Diese Benennung zeigt also, daß man sich stärker als früher fühlt, den Spott der Steptifer nicht mehr fürchtet und nun endlich versuchen will, Beweise heranzuschaffen, wo bisher unbewiesene Behauptungen standen. Das Totschweigen der Bewegung durch die offizielle Wissenschaft hat auch nicht den vermehrten Anschluß akademisch gebildeter Astrologiejünger gehindert. Bereits üben Aerzte ihre Praris im Sinne der neuzeitlichen aftrologischen Lehren aus. Geistliche bejahen in ihren Predigten den Wert der Astrologie.
Er hatte schon recht, aber es fam doch nie einer, der etwas vom Baden verstand. Man mußte ihnen jeden einzelnen Griff zeigen, sogar wie sie ein Blech oder den MehlLöffel anzufassen hatten. Und ehe man es ihnen zeigte, hatte man es zehnmal selbst gemacht. Manche begriffen es ja rasch. Manche aber standen ewig im Wege herum und hielten nur auf. Wir bekamen einen Konditor, der mit dem einfachsten Blätterteig nicht fertig wurde, und doch konnte er Zeugnisse vorzeigen, daß er in ersten Konditoreien gearbeitet hatte.
Es waren nur die Fremden, die ausländischen Arbeiter, an denen Señor Doug verdienen und die er ausbeuten konnte. Die merikanischen Arbeiter ließen sich nicht so ausbeuten. Sie machten das zwei, drei, höchstens vier Wochen mit, dann sagten sie:„ Das ist zuviel Arbeit" und hörten auf. Dann hatten sie aber auch genügend Geld, daß fie einen fleinen Handel mit Zigaretten, Kaugummi, Ledergürteln, Revolvertaschen, Backwaren, Zuckerwaren, fandierten Früchten, frischem Obst oder ähnlichen Dingen anfangen fonnten. Der Handel brachte ihnen vielleicht nur einen Beso durchschnittlich im Tag, aber sie richteten sich damit ein und waren freie Männer, die nicht anderen Leuten ihre Knochen verkauften. Manche dieser kleinen Händler famen immer höher rauf, bis sie sich in einer winfligen Nebengasse ein dunkles kleines Lokal mieten fonnten, das sie zu einem Laden einrichteten.
Umfang der Astrologie.
Genau wie im dunklen Mittelalter, gibt es feine moderne Lebenserscheinung mehr, an die fich die Scheindeutung der Astrologen nicht heranmacht. Wenn die Sterne wirklich von bestimmendem
Wir dagegen blieben immer versklart. Wir gaben uns mit dem Peso Reingewinn, den wir als freie Männer hätten machen können, nicht zufrieden. Wir verdienten ja auch viel mehr. Einen Beso und fünfzig Centavos den Tag und Essen und Wohnung. Und wir stellten höhere Ansprüche an das Leben. Jene Leute, die nur gerade so lange arbeiteten, bis sie genügend verdient hatten, um sich selbständig zu machen, gaben sich mit einer Zwirnhose für drei Pesos fünfzig Centavos zufrieden. Eine solche Hose war uns natürlich nicht genug. Unsere mußte sieben oder acht Pesos fosten. In einer anderen glaubten wir uns nicht sehen lassen zu können, ohne unsere Würde als Weißer zu verlieren. Jene freien Leute fauften rohe Stiefel für sieben oder acht Besos. In solchen Stiefeln fonnten wir nicht über die Straße gehen. Wie hätte denn das ausgesehen? Schon der Mädchen wegen konnten
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Der Astrolog auf der Straße
Einfluß auf unseren Werdegang sein könnten, wären wir ihnen ja von der Wiege bis zum Grabe rettungslos verfallen. Man höre aus dem System, das seine Verfechter sogar als einen Kulturfaktor" auszuposaunen wagen, nur folgendes: Da das Horoskop, die Aufzeichnung des Himmelsbildes im Augenblick der Geburt, bald nach der Geburt fertiggestellt werden kann, ist man imstande, die Erziehung von Kindesbeinen an entsprechend einzurichten. Auf diesem Wege wird man das Kind gemäß der in ihm liegenden Kräfte nicht mit Erziehungsmethoden traftieren, die man nach irgend einem generellen System oder nach Belieben sich ausgemalt hat. Man wird auch den richtigen Beruf für das Kind wählen und durch vergleichende Horoskopie für den geeigneten Umgang forgen. Selbst die spätere Wahl des Ehegatten wird auf diese Weise meist zur Zufriedenheit ausfallen. Für die Kunst, heißt es, ist die Aſtrologie bedeutsam, indem sie Talente frühzeitig entdecken hilft; für die Rechtspflege, indem sie zur Erkennung von Verbrechertypen beiträgt, ein richtiges Bild von der Zurechnungsfähigkeit gibt, bei Berunglückten und Vermißten den Anhaltspunkt gewährt für die Todesund Unfallsart; für die Politik, indem sie die Wahl der geeigneten Führer erleichtert; Kriege und Völkerverschiebungen erklärt und auf die günstigen Zeiten für die einzelnen Regierungsmaßnahmen hinweist. Den einzelnen Menschen, sagt man, lehrt die Astrologie, sich objektiv zu betrachten und das Schicksal als ein sinnvolles Programm aufzufaffen. Sie gibt ihm nicht nur Aufschluß über die fleinsten Züge seines Charakters, sondern auch über seine förperliche Veranlagung. Damit will sie sich nicht etwa in Gegensatz zur Vererbungslehre stellen, denn das Horoskop enthält auch die Eigenschaften der Vorfahren u. a. m. Diese Zusammenfassung des höchst geschickt programmatisch zurechtgeftuzten Systems offenbart ohne weiteres seine hohe Gefahr. Noch deutlicher wird das durch den Leitfaz:„ Astrologie ist eine Erfahrungswissenschaft, und wer feine Erfahrung besigt, soll nicht mitreden." Die Erfahrung besteht aber, wie der Berliner Rechtsanwalt Dr. K. Dalibor in seinem mit großer Sachkenntnis und Sachlichkeit geschriebenen, fürzlich erschienenen Buche„ Astrologie"( Verlag Hermann Radice, BerlinTempelhof, 250 G.) ausgeführt, lediglich in Statistiken mit einer reichen Zahl von Zufallstreffern, während man an noch viel mehr Horoskopen den Gegenbeweis völligen Versagens aufzeigen fann.
wir das nicht tun. Unsere Stiefel fosteteten nie unter sechzehn oder achtzehn Pesos. Wir waren ja auch Weiße. Und um das bleiben zu können in den Augen der übrigen Weißen, der Amerikaner, der Engländer, der Spanier, mußten wir Sklaven bleiben. Adel verpflichtet. Nirgend mehr als in tropischen Ländern, die eine eingeborene Bevölkerung haben fo groß, daß die Weißen nur einen fleinen Prozentsaz ausmachen.
Freilich, wenngleich wir uns auch die größte Mühe gaben, Kafte zu behalten, wir lebten dennoch in einer merkwürdigen Schwebestellung. Die Amerikaner, Engländer und Spanier zählten uns nicht zu ihresgleichen. Für die waren wir doch nur das dreckige Proletariat, und das blieben wir auch. Bu den Mischblütigen gehörten wir auch nicht. Für die waren wir die fremden Bettler, der Schlamm, der den wohlhaben= den Weißen in der ganzen Welt nachfolgt und ihnen an den Fersen haftet, wohin fie auch immer gehen. Diese Großen machen natürlich den Schlamm, aber wenn sie ihn wegräumen sollen, dann gehen sie heim.
Zu den reinblütigen Eingeborenen gehörten wir auch nicht. Auch diese wollten nichts mit uns zu tun haben. Alle diese und sieben Achtel der Halbblütigen waren Broleten wie wir, aber es trennte uns doch eine Welt voneinander, die nicht überbrüdt werden fonnte. Sprache, Volksvergangenheit, Sitten, Gebräuche, Anschauungen, Ideen waren so trennend, daß sich fein gemeinsames Band zeigen fonnte.
wollen wir. Laßt es gehen wie es will. Laßt uns leben. Und das
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Wie hatten wieder mal Lohn ausbezahlt bekommen. Dsuna und ich gingen einkaufen. Er faufte einen neuen Hut, Hemd und neue Stiefel; ich legte mir eine neue Hose und ein Paar schöne braune Schuhe zu. Wir gingen gleich nach Hause und zogen das an.
das wir jetzt noch übrig haben?" Dann sagte Dfuna: ,, Was tun wir denn mit dem Geld,
Betrüger und Charlatane.
In der Natur der Sache liegt der große Anreiz durch die Astrologie, Leichtgläubige zu beschwindeln und auszubeuten. Be trüger und Charlatane auf diesem Gebiete hat es zu allen Zeiten gegeben. Sie sind heute noch auf den Märkten, in den Straßen der Großstadt und vor allem in den Inseratenplantagen besonders der Frauenzeitungen zu finden. Was sie angeblich aus den Sternen heraustüfteln, iff nicht höher zu bewerten als etwa die Prophezeiung eines alten Weibes aus Karten, Kaffeesatz und Eidoffer. Strafs rechtlich sind diese oft durch Not zu solchem Erwerb gedrängten Leute nicht ganz leicht zu fassen. Meist ist ihnen der behauptete gute Glaube an die für Geld verzapfte Weisheit nicht abzuftreiten. Ernster wird es, wenn sie die gleiche Zukunftsmusik in Bausch und Bogen an jeden, der bezahlt, verkaufen. Da lachen selbst die Sterne. Im Herbst 1919 verbreitete ein damals in Berlin lebender polnischer Astrologe folgendes Flugblatt:„ Euch fehlt nur noch der Bolschewismus oder Prinz Eitel Friedrich auf den Thron. Vor dem Kriege haben eure Hunde im Tiergarten liegengebliebene belegte Butterbrote verschinäht. Die Hauptlehrer fonnten sich über hundert Hühner halten, die mit Brotresten gefüttert wurden, die Arbeiterfinder in den Papierforb wandern ließen. Den Plak an der Sonne habt ihr gehabt. Aber in eurer gottlosen Verblendung wolltet ihr ihn allein behaupten. Deshalb strafe euch Gott . Das Gebet verstockter, scheinheiliger Pharisäer und Verbrecher erhört Gott nie und nimmer. Biebelkundige Verbrecher im Arbeiteranzua beuten in schurkenhafter Weise gleich den heidnischen Priestern ihre
,, Es auf die Bank zu tragen, halte ich auch nicht für gut," erklärte ich.
,, Wir würden uns damit nur lächerlich machen, wenn wir mit unsern paar Besos da angerückt kommen und sagen, daß man uns damit ein Konto eröffnen soll," sagte Osuna , und er hatte recht.
,, Zweifellos würden wir uns damit unsterblich blamieren," unterstrich ich die kluge Bemerkung Osunas. Außerdem ist die Bant jetzt schon geschlossen. Während der Geschäftsstunden haben wir auch keine Zeit hinzugehen."
,, Was sollen wir nur tun mit dem Geld? Auf Tequila habe ich gar keinen Appetit." Das sagte Djuna.
Ich kann ihn nicht riechen." Das sagte ich. ,, Wissen Sie, was wir tun fönnten?" fragte Osuna . Ja?"
,, Bir könnten runtergehen zu den Señoritas." ,, Das Beste, was wir tun können," antwortete ich. ,, Dann wissen wir wenigstens, wo unser Geld geblieben ist, und wir fönnen es auch gar nicht besser anlegen.'"
,, Richtig," sagte Osuna . Da sprechen Sie die Wahrheit. Wir sehen ja jezt ganz anständig aus und können uns da sehen lassen. Immer die Backstube vor Augen oder die Kammer, da wird man noch ganz verrückt."
,, Ja," sagte ich, und die Photographien tun es auch nicht für immer. Ich glaube überhaupt, wir müssen uns mal nach einigen neuen Photographien umsehen. Ich kann diese Frauenzimmer mun bald nicht mehr anguden."
"
Ich auch nicht," gab Djuna zu. Es ist beinahe so, als ob man mit ihnen verheiratet wäre. Sie mischen sich bereits in alles rein, und sie scheinen sich in der Tat um alles zu befümmern, was wir tun. Ich bin es nun leid. Man fennt sie schon zu gut, und ich will mal andere Gesichter sehen." Wand und riß die ganzen schönen, nadten Frauen herunter. Osuna stand auf von dem Rand des Bettgestells, ging zur Dann legten wir jeder einen Peso beiseite, versteckten die beiden Besos in einem alten Schuh und machten aus, daß wir morgen nachmittag neue Frauen und neue ,, Borgänge", faufen würden, um unsere einsamen Kammerwände damit zu zieren und unsere Phantasie nicht verhungern zu lassen. Um auch die richtige Auswahl treffen zu fönnen und zu ,, Nein, das hat gar keinen 3wed," bestätigte Osuna . wissen, was am eindrucksvollsten auf unsere Phantasie wirten ,, Das Geld hier in der Tasche behalten, wäre eine Dumm fönne, machten wir uns jezt elegant und suchten nach den heit," fuhr ich fort. Wirklichkeiten des Lebens, wo es nicht nüchtern, sondern schön ,, Das wäre gewiß eine sehr große Dummheit," gab Osuna ist, ohne der Betäubung durch den Tequila zu bedürfen. Es wird einem ja doch gleich gestohlen." ( Fortsetzung folgt.)
,, Das möchte ich wissen," sagte ich. Ich habe mir auch schon Gedanken darüber gemacht. Ueberflüssige Sachen zu legen hat gar feinen 3wed."
zu.