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Nr. 294 43. Jahrg. Ausgabe A nr. 152

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Zentralorgan der Sozialdemokratifchen Partei Deutschlands

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Freitag, den 25. Juni 1926

Caillaux' Finanzprogramm.

Die sozialistische Kammerfraktion interpelliert.

Die Fragen der Sozialisten.

Paris , 24. Juni. ( Eigener Drahtbericht.) Die sozialistische Paris , 24. Juni. ( Eigener Drahtbericht.) Die sozialistische Rammerfraktion hat beschlossen, die neue Regierung über ihre allgemeine Politik zu interpellieren und ihr eine Reihe ron Fragen zu stellen über die Verwendung der Morgan Reserve, die Einzelheiten des Stabilisieruns pro­gramms, die eventuellen Inflationsabsichten, die von den Sozialisten mit aller Energie befämpft werden, über die Möglichkeiten für Auslandskredite, das Schulden abtommen mit Washington , das die Sozialisten ablehnen wollen, wenn die Garantieklausel nicht durchgesetzt wird und endlich über das die Garantieklausel nicht durchgesetzt wird und endlich über das Einschränkungsprogramm.

Paris , 24. Juni( Eigener Drahtbericht). In politischen Kreisen ist die Aufnahme des neuen Kabinetts im Laufe des Donnerstags etwas freundlicher geworden. Man ist zwar in feinem Lager von der Zusammensehung des neuen Minifteriums restlos begeistert. Immerhin aber scheint man mindestens die Re­gierungserklärung ab warten zu wollen, um das Ministerium zu beurteilen. Man erwartet allgemein und vor allen Dingen, daß das Programm genaue Angaben über die vom Finanzminifterium geplante Sanierungsaktion enthalten wird. Caillaur hat sich dar­über bisher größte 3 urüdhaltung auferlegt. Das einzige, was man pofitiv von feinem Programm weiß, ist, daß er durch rüd fichtslose Einschränkung der Staatsausgaben das bisher vergeblich angestrebte Gleichgewicht im Budget her­zuftellen beabsichtigt. Am Donnerstag hat er sich trotzdem schon zu ciner Anpassung der Beamtengehälter an die geftiege­nen Koffen der Lebenshaltung bereit erklären müffen, zugleich aber bekannt gegeben, daß er diese Maßnahmen durch Aufhebung aller nicht unbedingt notwendigen Beamtenftellen auszugleichen gedenkt. Auf dem Gebiete der Währung gilt Caillaug als unbedingter Anhänger der schleunigen Stabilisierung des Franken, die allerdings mit Rüdficht auf die inneren Schulden zu einem niedrigeren Kurse als dem heutigen erfol- on soll. Sein End­3iel scheint zu sein, die Währung von den täglichen Schwankungen des Devisenmarktes unabhängig zu machen, selbst auf die Gefahr einer weiteren Entwerfung des Franken hin. Was endlich Caillaug Haltung dem Washingtoner Schuldenabtom­men gegenüber anlangt, so weiß niemand etwas Gemiffes. All- Theaterschluß, Einführung der Brotkarte und ähnlichen Scherzen gemein nimmt man en, daß er nicht geneigt ist, diefes Abkommen in der gegenwärtigen Form zu ratifizieren.

Um die Fürstenvorlage. Fraktionssitungen im Reichstage.

Die sozialdemokratische Reichstagsfraktion nahm gestern abend den Bericht ihrer Bertreter im Rechtsausschuß entgegen und beschloß, auch in der Freitagsfihung des Rechtsausschusses ihre An­träge zu den noch unerledigten Paragraphen der Regierungsvorlage aufrechtzuerhaiten. Die Fraffion wird in einer neuen Sihung am Freitag zu der Fürftenabfindungsfrage noch einmal Stellung nehmen.

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Die demokratische Reichstagsfrattion nahm gestern abend Kenntnis von den Borgängen im Rechtsausschuß. Man be­

Die nationalistische Liberté" glaubt zu wissen, daß Caillaur' Sparprogramm folgende Maßnahmen ins Auge faßt: Theater schluß um 11,30 Uhr, vollständige Schließung der Nacht totale, Wiedereinführung der Brot, 3uder und Benzin tarte, Berbot der Lichtreklame. Weiter beabsichtige Caillaug eine Neuregelung des Lohn- und Gehaltssystems für die Staatsbeamten und Arbeiter verbunden mit einer starken Redut­tion an Amtsstellen.

Die Darstellung der Liberté" flingt wie ein schlechter wih und es bleibt abzuwarten, ob es sich nicht bloß um die tendenziöse Darstellung eines oppofitionellen Blattes handelt. Mit früherem wird der Währungszerfall auch nicht um eine Stunde aufgehalten werden können. Wo bleiben dagegen die Goldsteuern?

Reichsbahn und Reichsregierung. Entscheidung über den Generaldirektor am 6. Juli. Ueber die Frage der Bestätigung der Wahl des neuen Generaldirettors der Reichsbahn fand gestern unter Vorsiz des Reichskanzlers eine eingehende Aussprache zwischen den Mitgliedern der Reichsregierung und des Verwaltungsrats der Reichsbahn statt. Eine endgültige Entscheidung der Reichsregierung ist noch vor der nächsten Verwaltungsratsfikung der Reichsbahn, die am 6. Juli stattfindet, zu erwarten.

schäftigte sich dann noch mit der Regierungsvorlage, die in Auf- Beschlüsse der Bergarbeiterinternationale.

mertungsfragen den Volksentscheid ausschließen will und gab der Meinung Ausdruck, daß die Regierung am besten tun würde, wenn fie diesen Gesezentwurf noch vor der am Freitag bevorstehenden Reichstagsdebatte zurückziehen würde.

Die Zentrumsfraktion billigte das Berhalten ihrer Ver­treter im Rechtsausschuß. Die Notwendigkeit zu einer erneuten Stellungnahme in der Fürstenabfindungsfrage wurde nicht für ge geben erachtet.

Die Fraktion der Wirtschaftlichen Bereinigung beauftragte ihren Vertreter im Rechtsausschuß, alle Bemühungen der Regierungsparteien auf Schaffung der notwendigen Mehrheit für das Fürstenabfindungsgesetz auf dem Wege der Verständigung zu unterstützen. Aus der heutigen Abstimmung des Vertreters der Wirtschaftlichen Vereinigung im Rechtscusschuß gegen den von der Mehrheit angenommenen sozialdemokratischen Antrag zur Kronfidei­tommißrente darf, wie versichert wird, nicht der Schluß gezogen werden, daß die Wirtschaftliche Bereinigung fi h von den Regierungs. parteien bei den Versuchen zur Herbeiführung einer Verständigung

trennen wolle.

Die deutsch nationale Reichstagsfraktion hielt am Donnerstag abend feine Sigung ab; fie wi.d sich erst am Freitag

tormittag versammeln.

Aufwertung und Volksentscheid. Die Reichsregierung zieht ihren Geſetzentwurf gegen den Auswertungsvolksentscheid zurück. Amtlich wird mitgeteilt: Der Reichstag hat in seiner gestrigen Sitzung beschlossen, den von der vorigen Regierung ein­gebrachten Entwurf eines zweiten Gefeßes über den Bolksentscheid als ersten Buntt auf die Tagesordnung der Sigung vom 25. d. M. zu setzen. Die fachliche Einstellung der gegen­wärtigen Regierung zum Problem der Aufwertung ist die gleiche, wie die der vorigen Regierung. Sie hält es für wirtschaftlich verhängnisvoll, das Aufwertungsproblem erneut aufzu rollen. Bei der gegenwärtigen parlamentarischen Lage glaubt die Regierung jedoch, daß eine Verhandlung des vor liegenden Gesetzes diese Gefahr zurzeit erhöhen würde. Um diese Folgen zu vermeiden, hat die Reichsregierung die Zurücknahme dieses Gesetzes beschloffen.

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Finanzielle Hilfe. Reine Kohle nach England. London , 24. Juni. ( Eigener Drahtbericht.) Die Erefutive der Bergarbeiterinternationale nahm in der Schlußfizung am Donners tag den deutschen und englischen Länderbericht entgegen. Coot, der für den britischen Bergarbeiterverband referierte, schilderte die in den letzten Wochen vollzogen haben. Eine Verständigung mit Entwicklungen, die sich im Hinblick auf den Arbeitsmarkt im Bergbau der Arbeitszeit unmöglich. Die Situation sei im gegenwärtigen den Unternehmern sei wegen ihrer Forderung auf Verlängerung Zeitpunkt infofern geflärt, als Regierung und Unternehmer an einem Strange zögen. Die von der Regierung geplanten Maßnahmen hätten nur zur Folge gehabt, die Bergarbeiter wider standswilliger zu machen. Die Versuche der Unternehmer, Streitbrecher mit hohen Löhnen anzuwerben, seien, abgesehen von zwei unbedeutenden Fällen, völlig mißlungen. Mehr zu fürchten sei der wachsende 3mport ausländischer Rohle nach England.

Husemann erstattete den deutschen Bericht und betonte, es fönne feine Rede davon sein, daß die deutschen Bergarbeiter von dem Streit profitierten. Der Präsident des britischen Bergarbeiter. verbandes Smith führte aus, daß bei der fünftigen Entwicklung der Kohlenlage die Einfuhr amerikanischer Kohle wachsende

Bedeutung erhalten werde.

Es wurde schließlich, und zwar einstimmig, eine Entschlie­Bung angenommen, in der das internationale Bergarbeiterkomitee den Erfolg für die geleisteten Bemühungen, um den englischen Berg­arbeitern finanziell und moralisch Unterstügung zu leisten, anerkennt. Die Resolution fährt wörtlich fort: Das Internationale Berg­arbeiterkomitee betrachtet die Einführung von Kohle aus anderen Ländern als eine der wichtigsten Fragen zur Niederringung der Bergarbeiter. Es betrachtet den Versuch der britischen Regierung, die Arbeitszeit zu verlängern, als eine ernste Bedrohung der Inter­effen aller Bergarbeiter sowie der Arbeiter aller Berufe. Das Gelingen dieses Versuches würde ernste Folgen für den inter­nationalen Kampf zur Verfürzung der Arbeitszeit haben. Das Romitee beschließt, unverzüglich in allen Ländern alle möglichen Maßnahmen zu ergreifen, um die Produktion ven Kohle zu dem angeführten 3wede zu verweigern. Es beschließt ferner, den britischen Bergarbeitern in ihrem Rampfe gegen die Niederdrückung ihrer Lebensbedingungen meitgehende finanzielle Hilfe zu leisten."

Vorwärts- Verlag G.m.b. H., Berlin SW. 68, Lindenstr.3 Boftichedfonts: Berlin 37 536 Banffonto: Bank der Arbeiter, Angestellten und Beamten, Wallstr, 65; Diskonto- Gesellschaft, Depofitentaffe Lindenstr. 3.

Der Fall Cassinelli.

Ein Sittenbild aus dem neuen Rom .

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Lugano , Ende Juni. ,, Cassinelli pfui Teufel!" sagt jeder rechtschaffene Mensch, der in den letzten Tagen die italienischen Zeitungen gelesen hat. Der Fall Cassinelli ist der typische Fall einer Selbsterniedrigung, die sich viel tiefer in den Dreck hineinwühlt, als es für den erstrebten Zweck nötig wäre. Es bietet kein psychologisches Interesse, denn Gesindel dieses Schlages läuft nur allzuviel in der Welt herum. Wir wollen trogdem den Sachverhalt kurz schildern, weil wahrscheinlich eine politische Ausschlachtung der Affäre versucht werden wird.

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Bruno Cassinelli gehörte der maximalistischen Partei an, die er auch im Barlament vertrat. Als Rechts­anwalt beschäftigte er sich hauptsächlich mit strafrechtlichen Prozessen er ist Verteidiger Zanibonis und der Gibson und stand im Rufe großer beruflicher Tüchtigkeit, so daß der eben Dreißigjährige fich bereits einen gewissen Ruf erworben hatte. In Chieti sollte er als Zeuge über die telephonische Ordre aussagen, die dem Hospital San Giacomo erteilt wor­den war, ein Bett für die Aufnahme eines Schwerverletzten bereit zu halten. Anfangs hatten nämlich diejenigen, denen an einer Aufklärung des Verbrechensan Matteotti gelegen war, den Glauben gehabt und das Gerücht verbreitet, daß diese telephonische Ordre vom Unterstaatssekretär der Ministerpräsidentschaft Acer bo ausgegangen wäre. Cassi­nelli sollte nun vor den Assisen über dieses Telephongespräch aussagen, von dem er wußte, daß es nicht von Acerbo aus gegangen war, sondern von Freunden Matteottis, die da­durch hofften, irgendeine Spur zu finden. Anstatt das in schlichten Worten zu sagen, wie das seine Pflicht war, schickte Caffinelli eine lange Schilderung des Gesprächs, der darauf folgenden Erwartung, der Ungewißheit voraus, um sich dann endlich, auf die Frage Farinaccis hin, zu der Erklärung zu entschließen, daß er den Urheber des Ferngesprächs fenne, das es nicht Acerbo, sondern ein Angehöriger der Opposition war. Die Aufmachung" der Aussage berührte sehr peinlich, um so mehr, als man bei einem so bedeutenden Advokaten nicht gut von Ungeschicklichkeit sprechen fonnte. Man sagte allgemein: warum hat sich Cassinelli die Erklärung, mit der er hätte anfangen sollen, von Farinacci gleichsam entreißen laffen, wo das von der Verteidigung als Beweis dafür aus­geschlachtet wurde, daß die Opposition durch allerhand Kunst­griffe die Regierung zum Mitschuldigen zu stempeln versucht hatte. Troy all dem hatte die Angelegenheit fein Nachspiel, obwohl sie in Parteikreisen zu heftigen Kritiken Anlaß gab, die nicht an die Deffentlichkeit famen.

bei der Caffinelli Mitglied ist, die Ausschließung des

Am 10. Juni gab nun die marimalistische Sektion Roms, Abgeordneten aus der Partei bekannt. Eine Begrün­dung fehlte, wir schicken aber jetzt schon voraus, was man erst am 16. Juni erfahren hat, daß nämlich die Ausschließung deshalb erfolgte, weil ein Einvernehmen Caffinellis mit Farinacci vor der Aussage in Chieti nachgewiesen werden konnte. Nach dem Ausschluß teilte Cassinelli dem Kammer­ben mit: präsidenten seine Mandatsniederlegung in folgendem Schrei­

von Chieti hat die sozialistisch- magimalistische Bartei, zu deren par. ,, Nach meiner Zeugenaussage vom vorigen März im Prozeß lamentarischen Bertretern ich gehörte, mir die Parteizugehörigkeit unmöglich gemacht und mich schließlich ausgeschlossen; in ihren ge­heimen Beschlußfaffungen hat die Partei auch das Vorgehen von mir als Anklage gegen mich angeführt, durch das ich unlängst eine mögliche verbrecherische Tat eines 3rren zu verhindern gesucht hatte. Aus diesen Gründen hat die Partei in dem Aus.

schlußschreiben, das ja auch in den Zeitungen erschienen ist, fein Wort der Begründung fagen fönnen; sie hat nur seit dem März bis zu einem traurigen Jahrtag( 10. Juni) gewartet, um auf diese Weise durch eine hinterlistige Anspielung das zu bedeuten, was sie zu behaupten nicht den Mut hätte.

Form des Beschlusses unterbreite ich Ew. Erzellenz meine Troß der Auflehnung meines Gewissens gegen Inhalt und Demission als Abgeordneter."

Das bedeutete also in schlichten Worten, das Cassinelli aus der maximalistischen Partei ausgeschlossen worden wäre: 1. weil er in Chieti die Wahrheit ausgesagt, 2. weil er ein neues Attentat verhindert hatte. Es war so gewissermaßen eine Quintessenz der Angeberei, mit der sich dieser würdige Schüler Enrico Ferris von seiner Partei ver­abschiedete. Den Squadriften lief das Wasser im Munde zu­fammen; man versprach sich wieder Tage, in denen man frei verwüsten und brennen konnte. Und dann der Prozeß gegen die marimalistische Partei! Das war ein gefundenes Fressen.

In Wirklichkeit verhielt sich die Sache mit dem verhinder­ten Attentat wie folgt. 3u Caffinelli hatte sich ein an religiösem Wahnsinn leidender Student begeben, um ihm mitzuteilen, daß er sich berufen fühle, Mussolini gleich nach dessen Rückkehr aus Libyen zu ermorden. Krante stand unserer Bemegung völlig fern und hatte Cassinelli nur aufgesucht als den Verteidiger der

Der