Einzelbild herunterladen
 

Abendausgabe

Nr. 301 43. Jahrgang Ausgabe B Nr. 148

Bezugsbedingungen und Anzeigenpreife Find in der Morgenausgabe angegeben Redaktion: SW. 68, Lindenstraße 3 Fernsprecher: Dönhoff 292-292 Tel- Adresse: Sozialdemokrat Berlin  

10 Pfennig

Dienstag

Vorwärts=

Berliner Volksblatt

29. Juni 1926

Berlag und Anzeigenabteilung: Gefchäftszeit 9-5 Uhr

Berleger: Borwärts- Berlag GmbH. Berlin   S. 68, Lindenstraße 3 Fernsprecher: Dönhoff   292-297

Zentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands  

Ein Todesopfer des Wahlterrors.

Das Wahlrecht ausgeübt- fristlos entlassen- Selbstmord!

Jm Wahlkreis Frankfurt a. d. DO. find zahlreiche Cand.| In 3ehden an der Ober- so wird dem ,, B." geschrieben arbeiterfamilien wegen der Ausübung ihrer Staatsbürger- schrieben sich beim Boltsbegehren 160 Personen ein; am 20. Juni pflicht beim Bolfsentscheid gemaßregelt worden. Dieser Wahl. stimmten dagegen mit Ja" nur 11 mit Rein" 17, ungültig 11. terror der Chriftlich- Nationalen" hat im Kreise Weststernberg das In Behden wohnt jezt Freiherr v. Senden. In dem Dorfe Raduhn, wo der Schwiegervater des v. Senden Rittergutsbesiger erste Todesopfer gefordert. ift, wurde überhaupt nicht gewählt. In Hanseberg  bei Königsberg  , auch ein Gutsdorf, stimmten mit" Ja" 4, beim Bolksbegehren unterschrieben 29. Im Gutsdorf Rehdorf   stimmte mit Ja" nur einer.

In 3ohlow hat die Candarbeiterfrau Kurowski infolge ihrer Maßregelung Selbstmord begangen.

Die Deputafleute Kurowski, die troh der Drohungen des Be­figers Grasnig ihr Wahlrecht ausübten, wurden ohne Einhal­fung der gefehlichen kündigungsfrist auf die Straße gefeßt. Der Stall wurde ihnen gesperrt. Das nahm sich die 65jährige Frau Kurowski so zu Herzen, daß sie ihrem Jam­mer durch Erhängen ein Ende machte.

Das Wanderungsproblem.

Der internationale Kongreß über Ein- und Auswanderung. Bon Robert Schmidt.

So geschehen im Jahre 1926 in der Oftmart. Wenn je ein Fall fannst, ich wollte dich beeinflussen.(!) 3ch tann dir heute dadurch, daß an ihm auch diejenigen Staaten durch Bertreter

zum Himmel schrie, so dieser!

Grafen  , Rittergutsbesizer, Gemeindevorsteher als

Wahlrechtsräuber.

Bie schwer die 15 Millionen Stimmen wiegen, die beim Boltsentscheid abgegeben wurden, erkennt man, wenn man fich das Ausmaß des großagrarischen Terrors auf dem Lande vor Augen führt.

Die folgende Zusammenstellung spricht für sich: Graf v. d. Schulenburg auf Lieberose  , Herr eines Teils des Spreewaldes, oder Reichsgraf Schaffgotsch, Herr des Riefengebirges, haben vor der Abstimmung durch direkte Erlasse ihre sämtlichen Arbeiter und Angestellten einzuschüchtern versucht. Graf Eulenburg, der auf Schlanz bei Breslau   figt und dort über 461 Wähler verfügt, hat den einzigen Arbeiter, der gegen den gräflichen Stachel zu föden wagte, fofort durch seinen Berrpalter, einen Oberstleutnant, fristlos wegen seiner Unver schämtheit" entlaffen laffen.

Auf Dominium Rummerwig bei Görlitz   wurde den Leuten bei der letzten Löhnung vor dem Abstimmungstag gefagt: Ber mählen geht, ist Montag entlaffen!"

In Schwanowitz bei Brieg   ließ unmittelbar nach der Ab­stimmung Herr v. Wonrich öffentlich anschlagen:

,, Ergebnis der Abstimmung in Schwanowiz: Wahlberechtigt: 285 Personen.

In Beegigander Oder, wo tein Rittergutsbesitzer wohnt, betreibt der Gemeindevorsteher die Sache der Monarchisten. In den Tagen des Voltsbegehrens vom 4. bis 17. März fonnte man von ihm folgendes hören: Was du unterschrieben hast, das ist Raub. Ich habe dich erst unterschreiben lassen, damit du nicht sagen schon schriftlich geben, daß sie über ein Jahr das Haus deines Baters nehmen." Das sagte er in Gegen­wart von anderen, die noch nicht unterschrieben hatten, vielleicht aber es wollten. Derselbe Herr Gemeindevorsteher, der sich in Wahlversammlungen als Vertrauensmann der Deutschnationalen vorstellt, ließ bekanntmachen, daß vom 6. bis 13. Juni, nachmittags 2 bis 6 Uhr, die Wählerliste zum Boltsentscheid bei ihm ausliegt. Am 10. Juni gehe ich hin. Die Liste liegt jedoch nicht aus. Ich versuche es am 11. Juni. Sie liegt wieder nicht aus. Am 13. Juni, am letzten Tage, gelingt es mir endlich, einmal in die Liste hineinzusehen. Eine Liste von 1925! Die Verstorbenen und Verzogenen stehen noch darin. Die seit dem letzten Wahltage 1925 bis zum 20. Jahre das Wahlalter Erreichenden sind nicht nachgetragen. Dabei follten die Gemeinde- und Gutsvorsteher im Kreise bis zum 5. Juni dem Landrat melden, daß die Wählerlisten berichtigt und ergänzt sind. Das ist die von den Deutschnationalen hoch gepriesene preu­Bische Ordnung und Wahrhaftigkeit! Es ist vorgekommen, daß, wenn beim Steuerzahlen sich Leute über den Steuerdruck beklagten, man den Herrn Gemeindevorsteher von Beezig hinter dem Schalter der Post a gentur hören fonnte: wählt doch deutschnational" Der Herr Gemeindevorsteher von Peeßig ist nämlich auch Bostagent und flaggt bei jeder Gelegenheit schwarz­weißrot."

An der Wahl haben sich beteiligt 5 Personen. Sämtliche Bersonen haben für die Fürsten   tönnte der Gemaßregelte zivilrechtlich vorgehen enteignung gestimmt.

An der Wahl haben sich beteiligt:

Roßdeutscher, Willi,

Günther nebst Frau Ida, Machnit,

Scholz, Erich.

-

Diese trassen Einzelfälle lassen sich beliebig vermehren. Bas geschieht gegen diesen Terror? Gegen den Grafen Schulenburg, der einen Arbeiter fristlos entlassen hat, wenn er das Geld dazu hat. Gegen den Gemeindevor steher von Bee Big fann die preußische Regierung ein­schreiten, und sie wird es hoffentlich. Gegen die anderen Terroristen geben weder Strafgefegbuch noch Wahl= gesez eine Handhabe. Ihnen muß bei der nächsten all­fozialdemokratischen Stimmzettel gegeben werden.

Allen Interessenten wird diese Mitteilung zur Kenntnis gemeinen wirklich geheimen Wahl die Antwort mit dem

gebracht."

Um die Fürstenvorlage.

Die Sozialdemokratie behält sich ihre Stellung vor. Im Reichstage traten heute vormittag die Führer der Regierungsparteien mit den Sozialdemokraten, zu einer Be­sprechung der Fürstenabfindungsvorlage zusammen. Die Sizung, der im ersten Teile auch der Reichskanzler Dr. Marr beiwohnte, dauerte von 10 bis 12 Uhr. Wie das Nachrichten­bureau des Vereins deutscher Zeitungsverleger hört, wurden alle Differenzpunkte besprochen. Die Sozialdemokraten be­hielten sich jedoch ihre Stellungnahme vor.

Die sozialdemokratische Reichstagsfrat tion versammelte sich um 12 Uhr, um den Bericht ihrer Unterhändler entgegenzunehmen. Die Fraktionssigung wird nach Schluß der Plenarsizung fortgesetzt werden.

Auch die Fraktionen der Regierungspar= teien traten um die Mittagstunde zusammen, um sich von den Fraktionsführern über den Stand der Dinge unterrichten zu laffen.

Ratifikation des deutsch  - russischen Vertrags

Die Ratifikationsurfunden zum deutsch  - russischen Vertrag ( Berliner   Bertrag) sind heute mittag in Berlin   ausgetauscht worden.

Stahlhelmmord.

Ein Breslauer Parteigenoffe niedergeschoffen. Breslau  , 29. Juni.  ( Eigener Drahtbericht.) Eine Bluttat durch die Berrohung der Stahlheimleute erregt die Deffentlichkeit auf das schwerste. Ein tätiger Parteigenoffe ist gestern abend auf dem Heim­mege von der Parteiarbeit in Begleitung von zwei anderen Genossen in einen furzen ortwechsel mit zwei vorübergehenden Stahl helmleuten gefonumen. Da der eine Stah helmmann sich durch ein barmlofes Bert des Genoffen beleidigt und durch einen Schritt auf ihn zu angeblich bedroht fühlte, schoß er den Parteige= noffen furzerhand mit einem Revolverfchuß, ber bas herztraf, nieder. Daß von einer Bedrohung tatschächlich nicht die Rede gewesen sein tann, ergibt sich aus den Zeugenausfagen, pie burdymeg angaben, daß der Schuß aufzirta 15 Meter Ent.

fernung erfolgte. Der Erschossene war ein ruhiger a. milienpater und sowohl in Partei- wie in Reichsbannerfreisen besonders beliebt. Der Stahlhelmschüße besaß bezeichnenderweise einen Waffenschein. Er sowohl wie seine Begleiter wurden

verhaftet.

Zunehmende Arbeitslosigkeit.

Am schwersten betroffen die Frauen. Das Bild der Arbeitslosigkeit in der ersten Junihälfte zeigt gegenüber den Ziffern des Monats Mai teine nennenswerte Aenderung. Die Zahl der männlichen Hauptunterstützungs­empfänger ift von 1420 000 auf 1419 000 gefallen. Die Zahl der weiblichen Hauptunterstüßungsempfänger ist von 324 000 auf 330 000 geftiegen. Es ist eine Gesamtzunahme der Arbeitslofen um 0,3 Pro 3. zu verzeichnen, d. h. ein Steigen

von 1 744 000 auf 1749 000.

Bemerkenswert ist, daß die Zahl der weiblichen Arbeitslosen ständig fleigt, während die der männlichen Arbeitslofen nur sehr wenig zurüdgegangen ift.

Spartakus Nr. II.

Jwan Kat gründet einen neuen Spartakusbund  . Die Telegraphen- Union verbreitet folgende Meldung: ,, Der Reichstagsabgeordnete Iwan Rat bittet uns um Berbreitung folgender Meldung: Die Allgemeine Arbeiter union( Einheitsorganisation), der Industrieverband für das Berkehrsgewerbe und die Opposition der Kom­munistischen Partei Deutschlands  ( Linte KPD  .) haben sich zu einem Spartatusbund lintstommunistischer Organisa tionen zusammengeschlossen. Der Spartatusbund fnüpft an das alte Spartatusprogramm Karl Liebknechts und Roja Lugemburgs an, will die Loslösung des inter­nationalen Proletariats von der Moskauer   Staatspolitit, bekämpft den Barlamentarismus und die Amsterdamer ( freien) Gemertschaften.

Spartatusbund Nummer 2, proklamiert durch die Hugenbergsche Telegraphen- Union! Die kommunistische Zentralpartei ist für hohen zollern und Pferdezüchter, gegen Bergarbeiter und Erwerbslose, und bie Opposition perbreitet ihre Proffamation durch die Telegraphen Unin

Von der Internationale der Gewerkschaften und soziali­stischen Parteien einberufen, tagte in der Seit vom 22. bis 26. Juni in London   ein internationaler Rongreß, der sich ausschließlich mit der Frage der Ein- und Auswanderung be= schäftigte. Die Anregung zu diesem Kongreß ergab sich aus der schweren Wirtschaftskrise, die die europäischen   Induſtrie­Die große und Handelsstaaten gegenwärtig heimsucht. Arbeitslosigkeit hat die Neigung zur Abwanderung ſtart begünstigt, aber verschiedene Hemmnisse gefunden, da Staaten, die zunächst in der Lage gewesen wären, einen großen Teil europäischer Wanderer aufzunehmen, sich abgeschlossen haben und fein Verlangen zeigen, den großen Strom der Auswanderer, der sich aus Europa  besonders nach Amerika   und Australien   ergießen würde, rest­los aufzunehmen. Der Kongreß erlangte nicht zuletzt seine große Bedeutung teilnahmen, die der Einwanderung Hindernisse entgegenstellen, wie Neuseeland  , Australien   und Kanada  . Leider fehlte eine Vertretung der Vereinigten Staaten   von Nord­ amerika  , der südamerikanischen Staaten und Japan  . Die immerhin teilweise Vertretung der Staaten, die als Koloni­fationsland in Frage tamen, war für die Verhandlungen auf dem Kongreß von großem Wert. Für Indien   wurde durch seinen Vertreter sehr geschickt der Standpunkt der freien Wanderung vertreten. Die Einstellung der Vertreter der. europäischen Staaten in der Frage der Freizügigkeit, die Gegenstand einer sehr eingehenden Debatte war, brachte einen Staaten, die die Einwanderung als eine Laft empfinden. Die Gegensatz zum Ausdrud gegenüber den Vertretern der unbegrenzte Freizügigkeit, die allerdings auch in ihrer Un­eingeschränktheit schon von einigen europäischen   Staaten nicht anerkannt werden konnte, fand noch viel weniger bei den Bertretern Australiens   und Kanadas   Zustimmung.

Diese Stellungnahme bot an sich keine Ueberraschung, denn die Absperrung der Grenzen erfolgt hier unter Zustimmung auch der Arbeiterparteien. Die Gründe, die dafür geltend gemacht wurden, find im wesentlichen die, daß das Hereinströmen von Ausländern in diese Staaten einen Druck auf den Lohn und eine Ueberfüllung des von Neuseeland   hob mit großem Nachdruck hervor, daß die Arbeitsmarttes herbeiführen würde. Der Vertreter erheblich höhere soziale Stellung der neufeeländischen Arbeiter zurückzuführen sei auf eine starke Begrenzung in der Einwande= nahezu unmöglich, denn es handelt sich vielfach um vollständig rung. Das Heranziehen der. Arbeiter zur Gewerkschaft ist der Arbeiterbewegung fernstehende Elemente. Die Arbeiter schaft in Neuseeland   habe nicht die Neigung diese Position fich gefährden zu laffen durch einen Ansturm von in ihren An­sprüchen niedriger stehenden Arbeiterschichten. Das gleiche Argument traf für Kanada   zu, während von den übrigen Vertretern der große ideelle Gesichtspunkt der vollen Frei­zügigkeit start in den Vordergrund gerüdt wurde

Eine zweite, die europäische Delegation weniger unmittel­bar berührende Frage war die der Ausschließung einer bestimmten Raffe von der Einwanderung. Wir kennen die Streitfrage, die die Vereinigten Staaten   mit Kanada   steht Japan   über die Einwanderung haben.

in der Beurteilung nicht anders da, und für Austra­ lien   tommt der große Andrang der Indier und Japaner   als Einwanderer in Betracht. Man befürchtet hier eine Ueberflutung des weißen Elements und sieht die drohende Gefahr, daß auch hier sehr tief stehende, in ihrer Lebensgewohnheit recht niedrige Ansprüche stellende Arbeiterschichten eine Verschiebung der ganzen sozialen Stellung der Arbeiterschaft in diesen Ländern herbeiführen müssen. Erörtert wurde dabei das Rassenproblem vom Standpunkt der Bevölkerungsfrage, die Mischung der Rassen, die sich daraus ergebenden Gegensäge fultureller und natio­naler Art, die nicht fördernd für das Allgemeinwohl ausfallen fönnen, sondern eine Depression hervorrufen müssen.

Nachdem alle diese Fragen sehr eingehend in einem Unter­ausschuß erörtert worden waren, hat man dort versucht, doch eine einheitliche Plattform zu finden, um nicht mit einer großen Disharmonie den Kongreß auseinandergehen zu lassen. Man wird die Argumente derjenigen, die unter Umständen eine gewiffe Beschränkung oder sehr starke Einschränkung der Einwanderung empfehlen, nicht beiseite schieben können, sondern die besonderen Verhältnisse ihres Landes würdigen müssen. Hinzu kam ferner die Erwägung, daß gegenwärtig in Europa   ganz außergewöhnliche wirtschaftliche Verhältnisse vorliegen, die eine über das normale Maß hinausgehende Tendenz zur Auswanderung hervorrufen. Man war sich nicht im 3weifel darüber und das wurde auch in einer Resolution start unterstrichen, daß schließlich die Abwanderung der Arbeiter aus einem Lande mit großer Arbeitslosigkeit nicht die Lösung der Wirtschaftskrise oder der Weltfrise herbeiführen kann. Vielmehr muß man darauf bedacht sein, die wirtschaftliche Entwicklung im Lande selbst in solche Bahnen zu lenken, daß hier eine Aufnahmefähigkeit der Arbeitskräfte möglich wird.

Der Kongreß ließ feinen 3meifel darüber, daß er in feiner Majorität grundsäglich die volle Freizügigkeit ver­lange, daß vor allen Dingen eine Beschränkung aus politischen Gründen entschieden abgelehnt werden müsse, nur wirtschaftliche Bedrängnis der Arbeiterklasse tänne por­