Mittwoch
30. Juni 1926
Unterhaltung und Wissen
Sechs Em!
Beilage
des Vorwärts
Das Leben für den Zaren."
Eine der furchtbarsten Katastrophen der neueren Zeit, von deren Verlauf man bisher nur wenig mehr als einige unbestimmte Zahlen gewußt hat, wird durch die planmäßige Veröffentlichung bisher unbekannter Archivardokumente durch die Sowjetregierung in helles Licht gerückt. Es handelt sich um ein entsegliches Ereignis während der Krönungsfeierlichkeiten Nikolaus II. , das von den Augenzeugen als dunkles Omen für die Regierung des letzten Zaren gedeutet und ängstlich geheimgehalten wurde, um die breiten Massen nicht in ihrem blinden Glauben an die Größe und Allmacht des Selbstherrschers aller Reußen zu erschüttern. Ein Augenzeuge berichtet in der Zeitschrift„ Das Rote Feld" den Massentod auf dem Chodynkafeld bei Mostau, wo 4000 Menschen der Unfähigkeit und Gemissenlosigkeit der Zarenpolizei zum Opfer fielen. Während der Krönungsfeierlichkeiten zu Moskau im Mai 1896 hatte man auf dem Chodynkafeld vor der Stadt große Volksfeste und Beluftigungen aller Art organisiert. Als besondere Attraktion, die Anhänglichkeit und Liebe zu dem neuen Herrscher wecken sollte, war die Verteilung faiserlicher Geschenke an das Volk angekündigt worden. Diese Geschenke waren zwar ziemlich bescheiden jie bestanden in einem Sädchen mit Süßigkeiten und einem mit dem Kaiseradler ge= schmückten Trinkbecher, dennoch war der Andrang der Menschenmassen gewaltig genug. Nicht weniger als anderthalb Millionen Menschen strömten in der Nacht zum 18. Mai aus allen Stadtteilen Moskaus nach dem Chedynkafeld, wo große Belte mit Erfrischungen, Schaustellungen und allerlei Tand aufgeschlagen waren. Ein im provisiertes Theater war aufgebaut worden, wo die Oper„ Das Leben für den 3aren" aufgeführt werden sollte. In einem Pavillon sollte der Herrscher selbst mit einem glänzenden Gefolge von ausländischen Gästen, Großfürsten, Prinzen, Ministern und Diplomaten die Grüße und Huldigungen des Volfes entgegennehmen.
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Die Stimmung der Massen war vorzüglich; sie stieg auf den Höhepunkt, als das Gerücht umlief, die Sädchen mit Süßigkeiten enthielten außerdem noch Lotterielose mit der Aussicht auf märchenhafte Gewinne. Die Menschen zogen unter Singen und Scherzen durch die Nacht und freuten sich besonders, daß weit und breit meder Schußleute noch Kojaken zu sehen waren. An den Zelten angekommen, blieb die Menge wie angewurzelt stehen. Da niemand vorhanden war, der die Ordnung aufrecht erhalten hätte und die Massen dirigieren fonnte, hätten diese die Zeltlinie, die gar nicht abgesperrt war, ruhig überschreiten und das freie Chodyntafeld betreten fönnen, wo Platz genug vorhanden gewesen wäre. Aber in den Zeitungen hatte gestanden, daß erst ein bestimmtes Signal das Betreten des Feldes erlauben werde. So blieb also das Publikum ruhig stehen. In furchtbarer Enge, von allen Seiten zusammengepreßt, daß niemand Arm und Bein rühren konnte, standen die anderthalb Millionen stundenlang auf demselben Fleck, ohne sich zu bewegen. Nur die Gewohnheit an unbedingtem Gehorsam hielt sie davon ab, einen Schritt weiter zu tun und so den ungeheuren Knäuel zu entwirren. Gegen 6 Uhr morgens zählte man bereits Hunderte von Menschen, die erstickt oder buchstäblich zerdrückt worden waren. Es wurde noch schlimmer, als die Sonne ihre sengenden Strahlen niederfandte; an allen Eden und Enden wurden Unglüdliche von Hitschlägen getroffen, und nur der Umstand, daß sie wehr los in ihre Umgebung eingeteilt waren, hinderte sie, umzusinten. Ueber der Masse lag eine drückende Schicht menschlicher Ausdünstungen, die sich im Berein mit der immer stärker werdenden Hize lähmend auf die Sinne legte. Lebendige, Tote und Ohnmächtige stanben eingepfercht, ohne die Möglichkeit, dieser Qual zu entrinnen. Berschiedene versuchten in ihrer Berzweiflung, über die Köpfe der Untehenden zu entweichen, aber sie wurden ohne Erbarmen zurüdgeriffen. Plöglich verbreitete sich das Gerücht, daß man mit der Berteilung der Gaben begonnen habe. Als irgend jemand aus einem Zelt den Hut schwang, glaubten die Bordersten, das Signal sei endlich gegeben, und mit einem Ruck setzte sich die Menge in Bemegung. Die vorderen Reihen stürmten die Belte, wurden von den gewaltsam Nachdrängenden zu Boden geriffen, und nun nahm die Katastrophe ihren Lauf. Mit elementarer Wucht stürmten die hin teren Reihen nach, stießen ihre Vordermänner nieder und zertraten fie ohne Erbarmen. Erst als das Unglück seinen Höhepunkt erreicht hatte, erschien die Polizei am Blaze und bemühte fich, so gut es
ging, Ordnung zu schaffen. Aber es war schon reichlich spät. Während die Gaben verteilt wurden, mußte man in größter Eile die unzähligen Leichen bergen. Auf dem Schauplah sah es entsetzlich aus. Ueberall standen rote Pfützen, in denen zertretene Menschen leiber lagen; viele Tote hatten zerbiffene Stiefel in den Zähnen; anderen waren die Köpfe abgetreten oder die Gesichter zu einer unförmigen Maffe zerstampft. Insgesamt haben 4000 Menschen einen grauenvollen Tod gefunden.
Der Zar wurde wie später so oft zu seinem eigenen Verhängnis von seiner gewiffenlosen Umgebung schamlos belogen. Man sagte ihm, nur ein fleiner Unglücksfall habe sich ereignet, obwohl unzählige
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Die Nadel.
Bon A. B. Smilovsky.)
Und irgendwie" ging es immer; wir, die wir gewohnt sind, uns sattzuessen, mir verstehen es allerdings nicht wie, aber die Rubaseks hielten ihre Ehre blank, und ihre Kinder waren wohlgepflegter als die Kinder aus den reichsten Familien der Stadt.
3u jener Zeit, von der wir erzählen, waren alle ihre Kinder bereits versorgt. Die Welteste, die Karla, war in Prag Dienstmädchen bei einer Frau Rat Tcebická. Sie befand sich in guten Händen, und man hatte sie gerne. War doch der Herr Rat unlängst, als sie in feinen Geburtsort auf Ferien tamen, persönlich bei den Kubasets eingefehrt und konnte ihnen ihre Tochter nicht genug herausloben. Als er den Mangel aus allen Eden hervorstarren sah, schenkte er dem Meister einen Fünfer, und dabei gab er vor, daß ihn die Karla schicke. Und so fand er den richtigen Weg, denn ein Almosen hätten die Kubasets faum angenommen, und selbst nicht aus seinen Händen. Die Jüngste, die Fanni, war als Kindermädchen in Bilsen in einem sehr anständigen Hause untergebracht, und die Kinder hatten sie angeblich lieber als die eigene Mutter; so hatte es der Fuhrmann Hranitschka, der nach Pilfen zu fahren pflegte und alles mit eigenen Augen gesehen hatte, der Rubastin erzählt. Die übrigen zwei Söhne waren beide Schneider. Der ältere in Wien , der jüngere irgendwo bis in Temesvár . Aber es verging feiin Feiertag im Jahre, daß sie den Eltern nicht ein paar Gulden gesandt hätten. Die Rubastin benette dieses Geld immer mit ihren Tränen, und Rubaset rühmte sich, wohin er fam, was für brave Kinder er hätte. Daß sie durch sein Verdienst brav feien, erwähnte er nie mit einem Wörtlein, aber rechtschaffenen Leuten konnte er den Mund nicht zunähen, und diese bewirteten ihn oft mit diesem schmackhaften Braten, ſo z. B. der alte Regenschori Putinka.
„ Hörense mit Schaufeln auf, er steigt bestimmt noch auf 6 Em!" Um Gotteswillen der Fluß auf 6 Meter?" „ Nee der Schutzzoll auf 6 Mark 1"
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Leichenwagen und fassungslos weinende Menschen an seiner Karosse vorüber tamen, in der er sich auf das Chodynkafeld begab. Die Entrüstung des Boltes war ungeheuer, als der volle Umfang der Ratastrophe bekannt wurde. Man fand am 3arenpavillon zahllose Mützen voll Unrat, an denen Zettel mit der Aufschrift angeheftet waren:„ Das Bolt gibt dem Zaren seine Gaben zurück." Als der Raiser von einigen ehrlichen Männern jeines Gefolges die Wahrheit erfuhr, stiftete er für jede Familie, die von diesem Unglück betroffen worden war, 1000 Rubel; dennoch fonnte man sich nicht entschließen, mit Rücksicht auf die allgemeine Trauer der Moskauer Bevölkerung die Festlichkeiten abzusagen. Als der wahre Schuldige an diesem Ereignis wurde der Generalgouverneur von Mostau, Großfürst Ereignis wurde der Generalgouverneur von Mostau, Großfürst Sergej Alexandrowitsch , bezeichnet, dem es nicht eingefallen war, die einfachsten Sicherheitsmaßnahmen zu ergreifen; und man begreift den Haß, mit dem ihn das russische Bolt von da an verfolgte, bis er eines Tages der Bombe eines Terroristen zum Opfer fiel.
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50jähriges Jubiläum des Reichsgesundheitsamtes. Das Reichsgesundheitsamt, das im Jahre 1876 gegründet wurde, blickt in diesen Tagen auf sein fünfzigjähriges Bestehen zurück. Aus diesem Anlaß würdigt der Herausgeber der Deutschen Medizinischen Wochenschrift ", Geheimrat Julius Schwalbe , die Bedeutung dieses Instituts, die weit über die Grenzen der deutschen Medizin auf das ganze deutsche Volt, ja auf alle Kulturstaaten übergreift. Die erste Glanzzeit des Amtes begann mit dem Wirken Robert Kochs, der während seiner Tätigkeit am Gesundheitsamt eine neue Epoche der Medizin schuf. Es wird stets ein geschichtliches Verdienst der deutschen Gesundheitsbehörde bleiben, die genialen Forschungen des damaligen Kreisarztes von Wollstein erkannt und ihm in dem neueingerichteten
ein Haar und schlug stets zur rechten Zeit, und wenn er im ganzen Credo, nur einen einzigen Achteltatt hatte; und erst sein Trommelwirbel bei den Intraden! Selbst Butinka brachte so etwas Aehnliches nicht zuwege, obgleich er es schon oft versucht hatte.
Nun ja, Schneiderhände! Leicht wie eine Feder und elastisch wie eine Saite! Gar mancher der Musikanten hätte gerne die Trommel geschlagen, aber von Putinka war nicht die Erlaubnis zu bekommen.
„ Entweder Dohle oder Schnee!" pflegte der alte Butinka zu fagen, Asche aber ist wertlos!"
Damit meinte er, daß er nichts Halbes, Durchschnittliches, daß er einen ganzen Mann bei seiner Trommel haben wollte, und dafür galt ihm nur Rubafel, der sich seine Kunst auch nicht wenig angelegen fein ließ. An den größeren Feiertagen versäumte er das Hochamt nicht ein einziges Mal; diese Zeit widmete er der Trommel und seinem Hergott.
Die Kubastin war soweit ein braves, arbeitsames und geduldiges Weib, aber die Zungenfertigkeit war ihr vom lieben Gott wie jedem Frauenzimmer ausreichend beschert worden. Außer den Trommelschlägen auf dem Chore hatte ihr Mann noch seine andere Schwächen, zu denen sie nicht schweigen konnte. So wie jeder Schneider, pflegte er gerne am Sonntag zu nähen und dafür den blauen Montag" zu halten. An diesem Tage vertiefte er sich in die„ Chronit", die ihm der Lehrer Zivna gratis geliehen hatte. Wenn Kubasek über seiner Chronik las, konnte der Stuhl unter ihm zu brennen anfangen, er rührte sich nicht von der Chront weg. Und manchmal war er nicht einmal zum Mittagessen zu bekommen, ja woher sollte denn die Kubaskin die Engelsgeduld nehmen? Sie ermahnte ihren Mann milde ein paarmal, sich doch nach irgend einem Berdienst umzuschauen. Kubasek stieg die Galle . Wie konnte er sich vom Hus, vom Ziska und vom Bodebrad losreißen und sich um den Erwerb fümmern! Ein Wort gab das andere, hie und da ging ein Schuß los, und ein Scharmüßel war mit Pferdesschnelle da. In die Kubaskin war der Inquisitionsfunken gefahren, sie drohte ihm, die Chroniken zu verbrennen. Alles vertrug der Meister, Rubaset aber hatte er in seinem goldenen Buche verzeichnet, aber so eine„ jesuitische" Roheit fonnte er nicht vertragen, obwohl erstens deshalb, weil er die Trommel so gut schlug, wie schon nie- er ein frommer Mensch war. Ein Haufen Vorwürfe schwirrte ihm mand anders in der Stadt. Kubajet zählte die Baufen genau auf I um die Ohren, und es floffen auch Tränen, Kubajet holte die
Butinta war als ein strenger Murrtopf verschrien, und erst wenn sich jemand für einen Gulden Bob verdiente, lobte er ihn für einen Groschen.
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Laboratorium des Gesundheitsamtes die für ihn notwendige Arbeitsstätte, geschaffen zu haben. Seine und die Arbeiten seiner Schüler haben dazu beigetragen, der deutschen Medizin Weltgeltung zu erobern. Cholera-, Diphtherie-, Typhus- und Roßbazillus, die Abhandlungen Die Forschungen über den Tuberfelbazillus, über den über Desinfektion und Wundbehandlung gingen aus dem Reichsgesundheitsamt hervor. gesundheitsamt hervor. Aber auch später hat das Amt hervorragende Leistungen geschaffen auf den verschiedensten Gebieten der ärztlichen Wissenschaft, unter denen vor allen die Entdeckung der Syphilisspirochäte durch Schaudinn zu nennen ist. Ueber diese Gebiete hinaus", sagt Schwalbe, hat die Tätigkeit des Reichsgesundheitsamts in ausgedehntem Maße das gesamte Gesundheitswesen Deutschlands gefördert und in vielen feiner Leistungen vorbildlich für das Ausland gewirkt. Kaum ein Feld der öffentlichen Gesundheitspflege gibt es, das durch die Arbeiten des Reichsgesundheitsamts nicht bebaut worden ist. Insbesondere ist die sanitäre Gesetzgebung ich nenne nur das Impf- und das Nahrungsmittelgefeß gefördert worden. Hier vollständig zu sein, hieße einen Abriß des deutvornherein gemäß den dem Amt zugewiesenen Aufgaben weitgehend schen öffentlichen Sanitätswesens seit Begründung des neuen Reiches entwerfen. Mit den großen tatsächlichen Erfolgen des Reichsgefundheitsamts ist die Summe seiner Arbeiten noch nicht erschöpft. Namentlich ist eine Reihe gesetzgeberischer Aufgaben noch nicht verwirklicht, für die die Vorarbeiten schon lange geleistet find." Amt hat ja stets nur den Charakter einer beratenden Behörde gehabt, und es ist nicht gelungen, es zu einem Reichsgesundheitsministerium ähnlich wie z. B. in England wird das Reichsgesundheitsamt, dessen Tätigkeit in einer ausführauszugestalten. So lichen Festschrift gewürdigt wird, auch weiterhin in dem ihm gesteckten Rahmen seine fegensreiche Arbeit fortsetzen.
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Don
Das
| Bürste. Das war ein sicheres Zeichen, daß er das Haus verlassen würde, denn bevor er megging, pflegte er sich von der Müze bis zu den Schuhen herunter sorgfältig abzubürften.
Diese Puzzerei aber gefiel der Kubaskin schon ganz und gar nicht. Der Meister sollte etwa irgendwo eine Arbeit abholen. Und er traf Borbereitungen für den Ausgang, wie der König ohne Land vor der Schlacht. Jetzt riß aber der Meisterin die Geduld. Sie ermahnte ihn, nicht soviel teure Zeit zu vergeuden.
Heiliger Apostel über alle Nationen!" erwiderte Kubaset,„ ich werde doch nicht wie irgendein Schlingel über die Straße gehen!" So eine Antwort brachte die Hausfrau aber vollends aus dem Häuschen. Sie zog das Schleusenbrett weg, und der Strom ergoß fich über Rubafet. flagte der
" Ist das ein Kreuz mit euch Weibsbildern!" Meister, indem er sich die Ohren zuhielt.
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Und ich hab mit dir das Himmelreich!" streute ihm die Rubastin in die Augen und ließ eine Litanei los, daß es dem Meister nur so in den Ohren summte. Es blieb ihm nichts übrig, als sich danach umzusehen, wo der Zimmermann das Loch gelassen hatte.
Aber auch sonst war unser Meister bei seinem Handwerke eigensinnig, wodurch ihm mancher Wermutstropfen in feiner fleinen Lebensrolle viel Bitterkeit verursachte. Die Meisterin hätte uns hiervon ganze Chroniken erzählen können, wenn sie aber am meisten aufgebracht war, ließ sie gegen ihn ein Geschütz auffahren, womit sie seine Seele auf einen Haufen zusammenschoß; sie tat es aber nur in den seltensten Fällen, und es war immer ihr lehter Ausweg. Diese Schußweffe fonzentrierte sich in einem einzigen Satze: Wegen einer Nadel verbrennst du eine ganze Kerze!" Satz barg für Rubafef eine sehr traurige Geschichte. Dieser dem Anscheine nach unschuldige und nicht allzulange
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Nehmt es mir nicht übel, aber ich muß fie euch erzählen. welche ihr jetzt von mir vernehmen werdet. Nun und schließlich Ihr habt vielleicht schon größere Dummheiten gelesen als die, ein weiser Mensch liest seine Chronik wie der Kubasek; und er liest nicht bloß, um zu lesen und das Irdische zu vergessen, sondern um etwas davon fürs Leben zu behalten. ( Fortsetzung folgt.)