Nr. 320 ♦»Z.Iahrgaüg
l. Heilage öes vorwärts
Sonnabend, 10. �uli 1020
3m Nuthetal . Dom Anhalter Bahnhof bringt uns der Fernzug in anderthalb- stündiger Fahrt nach Luckenwalde. Sonntagsrückfahrkarte IV. Klaffe 2,2l> M., III. Klaffe 3,4l) M. Die bereits 932 erwähnte wendische Burg, deren alter Bergfried am heutigen Marktplatz erhalten geblieben ist, war eine jener Festen, die das Bordringen der Deutschen in den Teltow erschwerten: sie gehört zu den Ruthe- bürgen. Die vom Fläming zur Havel eilende Ruthe, an der Lucken- walde liegt, begrenzt den Westrand des Teltow : ihre breite Riede- rung, die in jener Zeit viel sumpfiger und schwerer überschreitdar war, ist die natürliche Grenze gegen die westlich vom Teltow ge- legenen Lande. Erst 1160 wurde Luckenwalde durch Albrecht den Bären erobert.— Vom Bahnhof wandern wir durch die Bahnhof - und Wilhelmstraße und über den Haag, eine schöne Promenade, zum Marktplatz, dann durch die Zinnaer Straße und den Mühlenweg hinunter zum E l s- 1 a l, einem prächtigen Laubwaldgebiet, das von mehreren Armen dep Ruthe durchflössen wird und oft an Bilder aus dem Spreewald erinnert. In etwa einer halben Stunde kommen wir nach Kolzenburg . Wir oerlassen den Dorf in nordwestlicher Richtung, überschreiten die Ruthe bei der Siedlung Lindenberg und biegen an der nächsten Weggabelung links ab. Unser Weg führt uns unmittelbar am Rand der von der Ruthe durchflossenen Riede. rung weiter. Rechts dehnt sich die große Forst Zinna aus. Schließ- lich erreichen wir die alte Zinnaer Straße, kurz vor der Ruthe- brücke L y st e r Dyk. Hier soll der Sage nach der Ritter Hans von Hake den Ablaßkrämer T e tz e l überfallen und beraubt haben, nachdem er sich vorher von ihm einen Ablaß sür die in den kom- inenden 24 Stunden zu begehenden Sünden gekauft hotte.— Die Straße bringt uns werter drirch Wald zur Chaussee, auf der wir in einer halben Stunde das Gut Kaltenhausen bei Zinna erreichen. Kloster Zinna . Eins der ältesten märtischen Baudentniälcr ist das Kloster Zinna . Es wurde von dem mächtigen Erzbischof Wichmann von Magdeburg, der Albrccht den Bären bei der Unterjochung der Wenden geholfen, im Jahre 1I7l> gegründet. Das Dorf Zinna, nordwestlich von Jüterbog gelegen, mußte ein Stück Land hergeben,
auf dem von Zisterzienser Mönchen das Kloster Zinna angelegt wurde. Die Zisterzienser gehörten zu jenen Orden, die neben der Ausbreitung der christlichen Lehre sich auch die Verpflanzung west- licher Kultur und Fortschritte im Ackerbau angelegen sein ließen. Deshalb legten sie ihre Klöster in Gegenden an, die noch nicht eng besiedelt" waren(z. B. Lehnin und Chorin ), im Gegensatz zu anderen Orden(Dominikaner , Franziskaner ), die ihre Klosterbauten innerhalb der Stadtmauern errichteten und hier Al- mosen erheischten(Bettelorden ).— Schon nach neun Iahren(1179) wurde das Kloster jedoch von den Pommern , die den Wenden ver- bündet waren, zerstört. Bald wurde es wieder neu ausgebaut und gelangte zu großer Macht. Unter seine Herrschaft kamen Lucken- walde und viele Dörfer, sogar Rüdersdorf . In Kagel bei Rüdersdorf bestand ein Feldkloster, das mit Mönchen aus Zinna besetzt war. Sehr wahrscheinlich sind die Zinnaer Zisterzienser , wenn auch nicht die Entdecker und ersten Benutzer, doch gewiß die ersten gewesen, die die Ausbeutung des Rlldersdorser Kalk- steinflötzes in größerem Umfang betrieben haben. In dem Land- vuch Kaiser Karls IV. vom Jahre 137S bis 1377 wird gesagt, daß die Mönche den Ertrag des Kalkberges nicht hätten angeben wollen. Hiernach müssen die Kalksteinbrüche schon vor dem Jahre 1375 in Betrieb gewesen sein. Seit dem Schluß des 14. Jahrhunderts wurden die Lehrer und Diener der Kirche sehr weltlich und schwel- gerisch, indem sie sich den Großen der Welt und ihren Lüsten zu- gesellten. Die Religion galt ihnen nur noch als ein Mittel zum Geldverdienen. Sie wurden, wie der Gerichtsschrciber von Jüter bog sich ausdrückt, faule Bäuche, die, vereint mit den Welt- menschen aus dem hohen Stande, nur daraus sannen, den Fleiß der untergeordneten und unterdrückten Stände zur Befriedigung ihrer Sinnenlust und den üppigsten Prassereien und schamlosesten Schwel- gereien auf das vollständigste auszubeuten. 1547 war die Herrlich- keit vorüber, Kloster Zinna wurde Domäne des Erzstistes Magde- bürg, 1589 kam es an Brandenburg. — Die Abtei, das spätere Fürstenhaus, ist heute das Rentamt, das Siechenhaus die Pfarrei. Besonders schön ist der prächtige Ziergiebel der Abtei. Die Klosterkirche stammt aus dem 13. Jahrhundert: sie gehört zu den wenigen Baulichkeiten der Mark, die den romantischen Baustil zeigen. Der Dachreiter ist erst später aufgesetzt worden. Aus mäch- tigen Granitsindlingen sind die Mauern errichtet: sie haben den
Stürmen der Jahrhunderte gut standgehalten. Das Innere zeigt bemerkenswerte alte Holzschnitzereien am Chorgestühl sowie alte Glasmalereien in den Chorfenstern und den ältesten Grab- stein(Abt Nikolaus, 1491). Um das Kloster herum ist ein Markt- flecken entstanden. In der Mitte des 18. Jahrhunderts wurden hier Oberlausitzer Webcrfamilien angesiedelt. Auch heute noch verrät der Ort die Merkmale einer Kolonistensiedlung. Nach Jüterbog . Vom Kloster Zinna wandern wir auf der Chausiee in Stunden zum alten Zinnauer Tor von Jüterbog . Ein Rund- gang durch die alte Stadt zeigt uns schmucke, saubere Straßen und anheimelnde Plätze, auf denen sich mittelalterliche Kirchen- und Klosterbauten erheben. Ein prächtiger Rundblick bietet sich von der Plattform der Türm« der Pfarrkirche, die durch einen Bogen ver- bunden sind. Diese Türme sind bestimmend für das Stadtbild Jüterbogs. Von anderen Aussichtspunkten, wie z. B. dem Magde - burger Dom, kann mau Jüterbog an seinen eigenartigen Türmen erkennen. Durch die Große Straße kommen wir zum Reumarkter Tor, alsdann über die Ruthe nach dem Vorort Neumarkt. Dieses Dorf, ein Runddorf, war eine Kultstätte der Wenden. Die alte romanische Granitguvderkirche mit gotischem Chor steht an der Stelle des alten Wendentempels. Di� Eroberer errichteten oft die christ- lichen Kirchen an Orten, die den Bewohnern heilig waren. Dadurch wurde der Wechsel im Anbeten der Gottheit wohl weniger kraß empfunden. Durch das D a m m t o r verlassen wir die eigentliche Stadt. Das Tor ist das schönst« der erhaltenen drei Stadttore. An ihm befindet sich, ebenso wie an den anderen beiden Toj-en, eine Keule und die Inschrift:„Wer seinen Kindern gibt das Brot und leidet nachmals selber Rot, den schlag� man mit der Keule to t".— Vor der Dammvorstadt liegt rechter Hand der abgetragene Schloßberg, auf dem noch geringe Spuren von Fundamenten der Burg sichtbar sind, auf der bis in das 17. Jahrhundert hinein die magdeburgischen Vögte wohnten. In kurzer Wanderung erreichen wir den Bahnhof, von dem aus wir die Heimfahrt antreten. Fahrkarte bis Luckenwalde lösen. Weg- länge(ohne Besichtigungen) etwa 22 Kilometer.
28s
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von B. Traoen. Copyright by Buchmkister-Berlag. Berlin und Leipzig . Wenn man annimmt, daß man nicht beobachtet wird, hält man dem armen Tier den Revolver ans Ohr. Darm aber muß man laufen. Mitleid an Tieren üben ist kostspielig. Ich habe einmal einem Esel, der neben dem Bahngleis lag im Busch, und dem eine Hufe abgefahren war, eine Schüssel mit Wasser gebracht, als die Sonne im Mittag stand. Die dankbaren Augen des Tieres find mir unvergeßlich. Aber ob ich es ein zweites Mal tun werde, wenn Hütten nicht weit ent- fernt sind, weiß ich nicht. Am Abend, als die Sonn« unter- ging, starb das Tier. Es hatte auch noch innere Berwun- düngen. Ich stand in der Tienda und trank eine Limonade. Da kam ein Halbblut rein und sagte zu mir:„Der Esel da drüben gehört mir. Sie haben ihm heute mittag vergiftetes Wasser gegeben. Der Esel ist jetzt tot. Sie werden mir den Esel bezahlen. Sie haben ihn vergiftet. Sie haben ja hier dm ganzen Nachmittag zu den Leuten herumerzählt, es fei c ne Schmach, daß man dem Tier nicht einen Erlösungsschuß gebe." Dos Wasser war natürlich nicht vergiftet, denn ich hatte es aus dem Trinkwassertank der Familie des Tiendabesitzers genommen. Und der Besitzer der Tienda bestätigte das auch dem Halbblut. Dieser Bursche wußte natürlich recht gut, daß ich dem armen Tier kein Gift gegeben hatte. Schließlich einigten wir uns. daß ich ihm fünf Pesos für feinen Esel be- zahlte und eine Flasche Bier und ein Päckchen Tabak. Wenn nicht der Tiendamann und einige Indianer, die in der Kan» tine waren, mir beigestanden hätten, wäre mein angewandtes Mitleid eine teure Sache geworden. Entlang der Gleise hocken die�Geier in Schwärmen und warten auf die Beute. Sie begnügen sich auch mit Katzen, Hunden, Schweinen. Weite Strecken dient das Bett der Eisenbahn ganzen Maultier- und Eselskorawanen als Straße, weil die Straße, die nebenher führt, oft nicht mehr zu finden ist. denn der Dschungel oder der Busch hat sie verschlungen. Die Bahn hat nur ein Gleis. Etwa je fünfzig Kilometer voneinander entfernt sind große Wassertanks errichtet, wo die Lokomotiven wieder frisch aufgefüllt werden können. An vielen Stationen wird kaum gehalten, besonders wenn keine Reisenden aussteigen oder einsteigen. Dann fliegt nur der Postsack heraus und der andere wird hineingepfeffert. Auch
die Eisblöcke, die in Säcke eingepackt sind und festumpackt mit Hobelspänen und Sägespänen, um das Eis vor dem Zer- schmelzen zu schützen, werden einfach hinausgefeuert. Der Empfänger wird sich schon darum kümmern. Die Fahrkarten kann man auf den Stationen kaufen oder im Zuge. Kauft man sie im Zuge, muß man fünfund- zwanzig Prozent mehr zahlen. Diesen Aufschlag braucht man nicht zu zahlen, wenn die Station keinen Fahrkartenverkauf hat. Biele Stationen brauchen nach fünf Uhr abends keine Karten zu verkaufen, damit sie nach Eintreten der Dunkelheit kein Geld im Gebäude haben, was den Agenten das Leben kosten kann. Auch in diesem Falle wird, im Zuge nur der Normalpreis erhoben. Die Karte wird einem nach einer Weile im Zuge wieder abgenommen, und der Schaffner steckt einem ein kleines Kärtchen in das Hutband, auf das er die Kilometerzahl geschrieben hat. So hat er sein« Gäste alle unter schöner Kontrolle. Die Soldaten sitzen meist mit ihren Lesefibeln da, in denen sie buchstabieren. Sie sind ausschließlich Indianer und können nur in ganz seltenen Fällen lesen und schreiben. Aber sie haben einen brennenden Ehrgeiz, es zu lernen. Einer hilft dem anderm, und wenn der eine nur gerade ge- lernt hat, wie man„eso" schreibt, so ist er ganz aufgeregt, es seinen Kameraden auch zu lehren. Um acht oder halb neun wird zum Frühstück gehalten auf einer Station, die schon eine belebte Stadt genannt werden darf. Wir stiegen aus und gingen in das Bahnhofslokal. Natürlich wieder ein Chinese. Wenn man doch endlich mal ein Restaurant finden möchte, das keinem Chinesen gehört. „Da wundern sich die Leute noch," sagte Mr. Pratt, während uns chinesische Kellner den Kaffee und die gebackenen Eier mit Schinken hinstellten,„daß die Anti-China-Bewegung hier in dem Lande, wo man sonst keinen Rassenhaß kennt, immer größeren Umfang annimmt. Aber jedes Restaurant, das sie nur ergattern können, erwerben sie, und gierig warten sie auf jeden Neuen, der Pleite machen muß, weil er sich gegen sie nicht halten kann. Sie nisten sich ein wie Unge- ziefer. Sollen sich nicht wundern, wenn das mal eine blutige Nacht gibt." „An der Pazifikküste habe ich eine erlebt," erzählte ich ihm.„Kostete achtundzwanzig Chinks das Leben. Und nie- mand wußte, wer es getan hat. Aber sie sind nicht gegangen. Sie übernebmen das Risiko." „Das ist es ja eben," erwiderte Mr. Pratt,„was ich mit Ungeziefer jagen wollte, Sie sind Mie die Läuse."
Wir standen auf, zahlten und gingen ein wenig auf dem Bahnsteig spazieren. Dutzende von Händlern liefen herum und boten alles mögliche an, von dem man nicht glauben möchte, daß es auf Bahnsteigen angeboten werden könnte. Papageien, junge Tiger, Tigerfelle, lebende Rieseneidechsen» Blumen, Singvögel, Apfelsinen, Tomaten, Bananen, Man- gos, Ananas, Zuckerrohr, kandierte Früchte, zerbröckelnde Scho- kolade, Tortillas, gebratene Hühnchen, geröstete Fische, ge- kochte Riesenkrebse, die in ihrer runden, spinnenähnlichen Ge- stalt grauenerregend aussehen, aber sehr gut schmecken, Flaschen mit Kaffee, mit Zitronenwasser, mit Pulque. Zer- lumpte und barfüßige Indianermädchen liefen am Zuge ent- lang und boten sich als Dienstmädchen und Köchinnen an. Es ist für die zwanzig oder dreißig Minuten, während der Zug hier steht, ein Leben auf der Station wie auf dem tollsten Jahrmarkt. Der Gegenzug kommt meist am Abend hier vorbei, aber da warten die Gäste schon auf die nahe Groß- stadt und sind müde und abgespannt von der Fahrt. Während der übrigen Zeit des Tages ist eine solche Station, die äugen- blicklich sinnverwirrend erscheint, totenstill. Sie glüht müde in der Sonne. Nur die Güterzüge bringen ein wenyj Bewegung unter die Beamten: aber alles ist träge und schläfrig. Das Leben ist konzentriert auf die zwanzig Minuten am Morgen. Wer in diesen zwanzig Minuten sein Geschäft nicht gemacht hat, muß diesen Tag aus seinem Leben streichen. Mittags kamen wir in eine größere Station, wo der Zug etwa vierzig Minuten für Mittagessen hielt. In der Bahn- hofswirtschast— richtig, wieder Chinesen— standen an mehreren großen Tischen schon dreißig Gedecke bereit. Die halbe Anzahl der Teller war schon mit Suppe gefüllt. Mit einem raschen Blick hatte der Inhaber heraus, auf wieviel Gäste er rechnen könne. Manche aßen kein Diner, sondern sie ließen sich nach der Karte bedienen. Sie kamen schlechter dabei weg. Die Portionen waren weder größer noch besser, aber teurer, als wenn sie im Diner gingen. Dann kam der lange, der ermüdend lauge Nachmittag der Fahrt. Der Zug sauste immer durch die gleiche Land- schaft. Dschungel, Prärie, Busch. Der Gegenzug, der hier an der Mittagsstation kreuzte, hatte die Morgenzeitungen der entgegengesetzten Stadt mitgebracht. Sic wurden im Zuge verkauft. Man konnte sonst noch alles Mögliche im Zuge haben. Bier, Wein, Limonade, Schokolade, Früchte, Süßig- leiten, Zigaretten, Zigarren. Alle Getränke, waren geeist. Und wer kein Geld hatte, bekam gutes reines Eiswasser um, sonst, das er sich selbst holten(Fortsetzung solgt.)'