Abendausgabe
Nr. 333 43. Jahrgang Ausgabe B Nr. 164
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10 Pfennig
Sonnabend
17. Juli 1926
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Zentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands
277000 Arbeitslose in Berlin !
Weitere Verschärfung der Krise.
fich auch der Rüdgang der Beschäftigungsverhältnisse im Holz- und Schnigftoff- und im Bekleidungsgewerbe auf dem Arbeitsmarkt aus. Der Stellenmarkt für Angestellte liegt noch immer sehr da nieder, insbesondere für ältere Personen. Der hohe Anteil der Angestellten, der gegenwärtig annähernd 13% vom Hundert an der allgemeinen Arbeitslosigkeit beträgt, hat bereits letthin die Gesetzgebung zu besonderen Maßnahmen veranlaßt. Die erwartete& nt lastung des Arbeitsmarktes durch eine Belebung im Bau gewerbe ist noch nicht eingetreten, vielmehr überwiegt noch immer der Zugang Arbeitsuchender.
Die Krise auf dem Berliner Arbeitsmartt hat sich in der Brichtswoche weiter verschärft. Die Zahl der Arbeit suchenden und Unterstützungsempfänger ist wiederum um rund 2500 gestiegen, so daß bei den Arbeitsnachweisen gegenwärtig rund 276 900 Personen eingetragen sind. Das bedeutet gegenüber dem Vorjahre das beinahe Siebenfache. Bei der Gegenüberstellung der Erwerbslosenunterstützungsempfänger tritt aus der Steigerung um das annähernd Siebenfache gegenüber dem Vorjahre der anhaltende Charakter der Krise deutlich hervor. Allein in der Metall industrie, die einen wertvollen Gradmesser für Berlin darstellt, Es waren 276 917 Personen bei den Arbeitsnachweisen eingehat sich in der letzten Woche die Arbeitslosigkeit um rund 1000 Ber- tragen, gegen 273 260 der Vorwoche. Darunter befanden sich 177 409 sonen erhöht. Bemerkenswert ist jedoch, daß in letzter Zeit wieder( 175 169) männliche und 99 508( 98 091) weibliche Personen. Unterein Abruf von Kräften für die landwirtschaftliche Mastützung bezogen 136 678( 135 835) männliche und 70 427( 70 123) schinenindustrie erfolgt ist. Inwieweit das auf die landwirt. weibliche, insgesamt 207 105( 205 958) Personen. Außerdem wurde fchaftlichen Kreditmaßnahmen oder auf Auslandsgeschäfte zurüczu noch an 31 931( 31 595) Personen Erwerbslosenhilfe gezahlt und führen ist, läßt sich nicht far übersehen. Gleichfalls ungünstig mirtt 3860( 3961) Bersonen bei Notstandsarbeiten beschäftigt.
Das Ende eines Justizskandals. Aufhebung des Zeugniszwangsverfahrens gegen Lania. De: einmütige und scharfe Protest der Deffentlichkeit gegen das mit Haft und Geldstrafe durchzuführende Zeugniszwangsverfahren gegen den Schriftsteller Lania hat Erfolg gehabt. Die angedrohte Haft wie die breits verhängte Geldstrafe werden aufgehoben. Wie wir erfahren, hat auf die Beschwerde des Genoffen Rechts. anwalts B. Levi beim preußischen Juftizminifterium die zuständige Oberstaatsanwaltschaft in Halle den Untersuchungsrichter beauftragt, die Haftverfügung aufzuheben, und das Amtsgericht Char lottenburg , das von Halle aus um die Durchführung der Haft ersucht war, davon verständigt. Zugleich ist wegen der bereits verhängten Geldstrafe von 100 M. Der Beauftragte für Gnadensachen am Landgericht III, Charlottenburg , ersucht worden, darüber zu berichten, ob die bereits rechtsfräftig gewordene Geldstrafe auf dem Gnadenwege aufgehoben werden fann; bis zur Entscheidung dar über ist das Amtsgericht Charlottenburg beauftragt, die Eintreibung Der Gelbftrafe zu unterlassen.
Mti dieser Anordnung des preußischen Justizministeriums hat ein Justizskandal ein unrühmliches Ende gefunden, der die Deffent. lichkeit in hohem Maße erregte. Wäre die Anordnung des Hallenser Untersuchungsrichters, den Schriftsteller Lania wegen der Beigerung, feine Gewährsmänner für seine Darstellung der völfischen Waffenjciebungen in einem Untersuchungsverfahren zu nennen, das hiermit nichts unmittelbar zu tun hatte, bestehen geblieben, dann hätte die preußische Justiz die der preußischen Verwaltung obliegenden Auf gaben gefährdet, für die öffentliche Sicherheit zu sorgen. Die Kennung der Gewährsmänner hätte sie allzu leicht der völkischen Feme ausgeliefert. Zugleich aber ist mit der Entschließung des Justiz ministers der Grundsatz als gültig angesehen worden, daß im all. gemeinen 3ntereffe der Staatsbürger der Journalist, mie der Arzt oder Anwalt, ein Zeugnisverweigerungsrecht haben soll. Dieser Grundsatz ist zwar nicht geltendes Recht in der Strafprozeß ordnung. Aber seine Anwendung schafft für die kommende Strafprozeßreform einen richtigen Präzedensfall.
Deutschlands ständiger Ratssit sicher. Abwesende Ratsmitglieder zählen nicht mit. London , 17. Juli. ( WTB.) Der diplomatische Korrespondent des Daily Telegraph " schreibt: Britische, italienische und fran zöfifche Juristen haben jeßt die vorbereitende und gesonderte Prüfung der rechtlichen Frage beendet, ob die Wahl Deutschlands für einen ständigen Sitz im Völkerbundsrat durch die Abwesenheit des spanischen und des brasilianischen Vertreters von der Ratsfizung ungültig gemacht werden würde. Die Juristen der drei Nationen tamen zu der Schlußfolgerung, daß die Bedingung der Einstimmigkeit, die in§ 1 Artifel 5 ber Bölferbundsfagung niedergelegt ist, erfüllt sein werde, vorausgesetzt, daß alle mit glieder des Rates, die bei der betreffenden Sizung zu gegen seien, dem deutschen Antrag zustimmen". Auf diese Weise ist eine Schwierigkeit, die andernfalls einen neuen Aufschub bedeutet hätte, erfolgreich erledigt.
Der Korrespondent erwähnt nochmals, daß Spaniens Bünsche nach einem ständigen Siz ebenso wie der Wunsch nach Ginschluß der Tangerzone in Spanisch- Marokko für unerfüllbar
erachtet werden.
Um das französich- amerikanische Abkommen Mellon gegen jede Aenderung.
New York , 17. Juli. ( WIB.) Nach einer Meldung der Associated Preß " aus Washington hat Schatzsekretär Mel Ion wegen der in der Deffentlichkeit gezogenen Bergleiche der Schuldenregelungen Frankreichs mit England und Amerifa in einer formellen Mitteilung erklärt, daß Amerika die Berbindlichkeiten Frankreichs aus allen während des Krieges erhobenen Vorschüffen gestrichen habe, und daß Frankreich in dem Mellon- Bérenger Abkommen nur die Begleichung der auf den Waffenstillstand folgenden Vorschüsse und Berbindlichkeiten auf sich genommen babe. Branfreich habe von feinem anderen Gläubiger eine so
entgegentommende Behandlung erfahren. Angesichts der Andeutungen, daß Caillaug eine Henderung des Abkommens mit Amerika zu erreichen suchen würde, wird die Mitteilung Mellons in amtlichen Kreifen als endgültige Ablehnung einer solchen Abänderung angesehen.
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Die Finansfommission lehnt den Ermächtigungsent. wurf ab. Caillaug läßt die Kammer entscheiden. Paris , 17. Juli. ( Eigener Drahtbericht.) Die Finanzkommission der Rammer hat am Freitag abend mit 14 gegen 13 Stimmen den Artitel 1 der Ermächtigungsvorlage Caillaug abgelehnt und durch eine neue Fajfung erjeßt, in der ausdrücklich bestimmt wird, daß Caillaur auf Grund der erteilten Bollmachten den Goldbestand der Bank von Frankreich nicht angleifen darf. Caillaug hat im voraus erflärt, daß ihm die Annahme oder Ablehnung seiner Vorlage durch die Finanzfommission night beein fluffen werden, er werde mit ihr unter allen Umständen vor das Plenum der Kammer treten. Die Tatsache, daß er sich leichten Herzens über den Widerstand der Finanzkommission hinwegfeßt, scheint zu beweisen, daß er in der Kammer selbst eine ernste Dppo. fition nicht fürchtet. In der Morgenpreffe werden jedoch am Sonnabend allerhand Bedenken, vor allem gegen das Bollmachts. gesez, erhoben. Im„ Quotidien“ werden die Pläne Caillaug in außerordentlich scharfer Form bekämpft. Das Blatt appelliert an alle Republikaner in der Kammer und fordert sie auf, die von Caillaug verlangten Bollmachten abzulehnen. Sicher ist, daß Caillaur in der Kammer auf Widerstand stoßen wird, fraglich jedoch, ob diefer Widerstand start genug sein mird, die Existenz des Kabinetts zu gefährden. Die Erkenntnis scheint immer mehr um sich zu greifen, daß man Caillaur, falls seine Forderungen fritillos An nahme finden, weitgehend den Verwaltungsapparat und selbst das Wirtschaftsleben in die Hände spielt. Die Kritiken nachh dieser Richtung finden sich sogar bis in die reaktionären Blätter, mo man bisher mit einer Finanzdiftatur Caillaug' geliebäugelt hat. Die Aussicht, daß Caillaug die Möglichkeit haben könnte, auf Grund der Bollmachten in die bestehenden 3011tarife einzugreifen, einzelne Industriezweige vor anderen zu be günstigen, stößt selbst bei der Rechten auf menig Sympathie. So geht der Kampf zum zweitenmal innerhalb 14 Tagen um die Existenz des Kabinetts Briand .
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Inflationsschreck in Belgien .
Die Regierungsvollmachten.
( Bon unserem belgischen Mitarbeiter) Brüffel, 16. Juli. Belgien macht augenblicklich alle Schmerzen und Aengste der Inflationsperiode durch. In den letzten Tagen ist die monatelange schwere Beunruhigung des Publikums einer wilden Panit gewichen, wie man sie in den schlimmsten Augenbliden anderer Inflationsländer erlebte. Die Hoffnung, den Franken zu retten, schien verloren, die Leute stürzten sich in die Läden, um so schnell wie möglich das entmertete Geld in Verbrauchsartitel umzusehen, zahlreiche Ladeninhaber beschränkten die Verkäufe oder fchloffen überhaupt. Innerhalb einer einzign Woche sank der Franken von etwa 190 für das englische Pfund auf über 200, und das Tempo des Sturzes nahm täglich zu. Nicht wenige fahen in ihrer Einbildung bereits die Einkehr der Millionenund Milliardenzahlen der deutschen Inflationszeit. Man fühlte sich ohnmächtig, der Bewegung Einhalt zu ge= bieten, widerstandslos elementaren Kräften ausgeliefert. Das Troftloseste an der Sache war, daß dies sich unter einer Regierung ereignete, die eigens deswegen eingesetzt wurde, um den Franken zu stabilisieren. Bis zum Mai hatte es geheißen, der Franken finte, meil die fapitalfräftigen Kreise ,, lein Vertrauen" zu der demokratisch- sozialistischen Regierung Boullet- Bandervelde haben. Deshalb fliehe das Kapital das Land, bedrängten die Besizer der kurzfristigen Schatzscheine die Regierung, wollten die ausländischen Finanzleute Belgien feine Anleihen gewähren. Um das Bertrauen wiederzugewinnen, müßten mächtige Banfiers wichtige Stellen in der Regierung einnehmen, Francqui müffe Finanzdiktator werden, zugleich müßten aber auch die Sozialisten in der Regierung bleiben, um die Massen zu beruhigen. Dies alles wurde gewährt. Die neue, überwiegend fonfervative Regierung ließ sich von einem willfährigen Barlament im Handumdrehen eine ganze Reihe drastischer Sanierungsgesetze, Steuergesetze, Bildung eines Tilgungsfonds usw. votieren, das Gesetz zur Ueberführung der Staatseisenbahnen in eigene Regie wurde durch beraten, alles wurde zugestanden, und das Ergebnis ist der fortgesette Sturz des Franken.
Den letzten Stoß gab der tatastrophale Sturz vom letzten Montag, wo der Pfundfurs mit einem Male um über 30 Punkte emporschnellte. Da raffte fich die Regierung zu: energischen Maßnahmen zusammen. Vielleicht der bisher wichtigste dieser Beschlüsse ist eine Einzelbestimmung des neuen Eisenbahngefeßentwurfs. Dessen Hauptzwed ist bekanntlich die Emiffion von Wertpapieren, deren Ertrag zur Tilgung der schwebenden Schuld verwandt werden soll, die das furchtbarste Damoklesschwert über: dem Haupte der Regierung ist. Die dem Publikum und namentlich den Besitzern turzfristiger Schaßscheine anzubie tenden Borzugsaftien follten zu 6 bis 7 Pro3. feftverzinslich sein und außerdem die Hälfte des Reingewinns beziehen. Die große Frage war, ob diese Aktien Abnehmer finden würden. Beim fortgefeßten Valutafturz schien das mit jedem Tage zweifelhafter, und darum hatten die heißen Diskussionen über die finanzielle Organisation der neuen Eisenbahngesellschaft ufm. einen etwas unwirklichen Charakter. Am Montag beschloß nun die Regierung, die feste Berzinsung der Borzugsaftienmit Garantie gegen Baluta. verlust zu gewähren, so daß die Inhaber der Schatzscheine tatsächlich ein Interesse daran haben, diese gegen die neuen Eisenbahnaktien einzutauschen. Das bedeutet für den Staat ein großes Opfer, aber man darf nun doch hoffen, daß dadurch ein wesentlicher Schritt zur Tilgung der schwebenden Schuld getan werden wird.
Der andere große Entschluß der Regierung ist die Einbringung des Ermächtigungsgefeges für die Dauer von sechs Monaten. Im Gesetz heißt es ,,, der König erhalte diese Vollmachten, aber das ist nur die übliche Phraseologie der belgischen Gesetzgebung. In Wirklichkeit gilt fie der Regierung, und die Befürchtungen der sozialiftischen Parlamentsfraktion hatten das gute Ergebnis, daß diesbezüglich alle Garantien nachträglich gegeben worden find.
Die Vollmachten sind überaus weitgehend. Sie erstrecken sich auf den ganzen Notenumlauf, auf die Bersorgung der Bevölkerung, auf die Begebung von Anleihen, Veräußerung von Staatsgut, jogar auf straf rechtliche Verfolgungen. In der sozialistischen Par lamentsfraktion war die Stimmung anfänglich der Gewäh rung dieser Vollmachten durchaus feindlich, und erst als ganz bestimmte 3usicherungen gegeben wurden, daß sie unter feinen Umständen im antidemokratischen Sinne ange= wandt werden würden, fügte sie sich ebenso wie der Generalrat der Arbeiterpartei.
Die Rechtsgrundlage des Rakofi- Prozesses. Im Budapester Kommunistenprozeß erhielt Reichstagsabgeord neter Genoffe Rosenfeld, der als Rechtsanwalt den Berhand fungen beiwohnt, am dritten Tag die Erlaubnis, mit den Führern der beiden Gruppen von Angeklagten, bem Rommunisten Rakofi und dem Mitglied der Sozialistischen Arbeiterpartei Stefan Bagi, unter vier Augen zu sprechen. Nach dieser Ueterredung erklärte Dr. Rosenfeld gegenüber Pressevertretern: Juristisch betrachtet sei die Lage die, daß in Ungarn jeder bereits eine strafbare Handlung begeht, der sich überhaupt als Kommunist ausgibt. Das ganze Ausland werde mit Spannung das Urteil erwarten, das das ungarische Gericht in dieser Richtung fälle. In fast allen europäischen Ländern, vom italienischen Barlament bis zum englischen Unterhaus, hätten die Kommunisten eine parlamentarische Bertretung. Auch Ungarn täme nicht darum herum, der kommunistischen Partei die Möglichkeit zu geben, fich legal zu betätigen. Die zweite intereſſante Frage, die das Gericht zu entscheiden haben, betreffe die angeflagten Mit glieder der Sozialistischen Arbeiterpartei. Diese seien zwar aus der Die große Frage ist jetzt, mie diese Bollmachten in der Sozialdemokratischen Bartei ausgetreten, aber feine Rommunisten. Braris ausgeübt und welches pofitive Ergebnis Es fei also zu entscheiden, ob es eine strafbare handlung fie zeitigen werden. Regierung und Parlament arbeiten mit ist, in Ungarn eine radikalere sozialistische Auffassung zu vergewaltigen moralischen Druckmiteln, um den Pessimismus in treten als die der alten sozialdemokratischen Partei. der Bevölkerung zu überwinden. Man fann nur wünschen, daß diese Bemühungen Erfolg haben. In sozialistischen Sartes Urteil im Lodzer Kommuniffenprozeß. Vor der Lodzer Kreisen ist man felfenfest überzeugt davon, daß nichts Straflammer wurde der Prozeß gegen 42 Mitglieder des Kommu- Wesentliches zu erreichen ist, wenn man nicht entnistischen Jugendbundes„ Jgla" zu Ende geführt. Das Gericht verfchloffen ist, gerade gegen die mächtigsten fapi urteilte 22 Angeklagte, darunter vier zu vier Jahren schweren Kerter, talistischen Interessen mit äußerster Energie ein und die übrigen zu Gefängnisstrafen von 1% bis 2 Jahren. zuschreiten. Gegenüber einer Regierung, in der Männer wie