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Nr. 33643. Jahrg. Ausgabe A nr. 173

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Zentralorgan der Sozialdemokratifchen Partei Deutschlands  

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Dienstag, den 20. Juli 1926

Herriots Regierung gebildet.

Vorwiegender Linkscharakter.- Widerstand in Kammer und Senat zu erwarten. Paris  , 19. Juli, 12 Uhr nachts.( WTB.) Das kabinett| Politiker als Unterstaatssekretäre beigegeben werden. Herriot   hätte Herriot   ist endgültig gebildet worden. Die diesen Poften lieber einer Persönlichkeit mit etwas umfassenderem Ministerliste lautet: Prestige übertragen, aber Barthou   hat das Anerbieten in einer, wenn man gewissen Abendblättern glauben darf, ausgesprochenen unhöflichen Form abgelehnt. Die am Sonntag gemeldete nach richt, daß Herriot Poincaré das Finanzminifterium ebenfalls angeboten habe, läßt dieser am Montag dementieren.

Präsidium und Aeußeres: Herriot  ( Radifaler), Justizminister: Colrat( Unabhängige Linke), Finanzen: de monzie( Radikaler, Senator), Inneres: Ch autemps( Radikaler), Krieg: Painlevé  ( Sozialistisch- Republikaner), Marine: René Renoult  ( Radikaler, Senator), Handel: Coucheur( Radikaler), Deffentliche Arbeiten: Hesse( Radikaler), Unterricht: Daladier  ( Radikaler), Landwirtschaft: Queuille( Unabhängige Linke), Kolonien: Dariac( Unabhängige Linke), Arbeil: Pasquet( Radikaler, Senator), Pensionen: Georges Bonnet  ( Radikale.,. Zu Unterstaatssekretären werden ernannt: Ministerpräsidium und Auswärtiges  : Albert Milhaud  ( Radikaler), Luftschiffahrt: Robaglia( Linksrepublifaner), Finanzministerium: Für das Schahzamt Jacquier  ( Radikaler), für das Budget Paul Morel( Radikaler), Technischer Unterricht: Bazille( Radikaler), Handelsmarine: Mallarmé  ( Sozial Republikaner), Krieg: Dumesnil, Wiederaufbaugebiete:

Maitre.

Diese Ministerliste enthält eine meriwürdige Mischung von sehr entschieden linksgerichteten Ele­menten( Herriot  , Chautemps  , Painlevé  , Daladier  , Dumesnil) Don gemäßigteren Elementen des Lintstartells ( Loucheur, de Monzie, Qeuille, Hesse) und von ehemali gen Mitarbeitern Poincarés( Colrat, Robaglia und Dariac). Auf diese Art ist es nicht unmöglich, daß Herriot trotz allen erheblichen Widerständen, die unser Barijer Berichterstatter im nachstehenden Telegramm schildert, ge­nügend Stimmen aus der Mitte erhält, um mit Hilfe der Sozialisten und des größeren Teils der Radikalen doch noch eine feste Mehrheit für seine Regierung zu gewinnen.

Schärffte Widerstände gegen Herriot. Sofortiger Sturz im Senat unvermeidlich? Paris  , 19. Juli,( Eigener Drahtbericht.) Herriot   hat am Montag den ganzen Tag seine Verhandlungen fortgefeht. Das Finanzministerium erhält de Monzie, den andere radikale

Briefe, die uns nicht erreichten.

Und unsere Antwort darauf.

Die fommunistische Presse weiß zu berichten, daß der englische  Abgeordnete George Lansbury   im Labour Weebly" einen Brief veröffentlicht, der folgenden Wortlaut haben foll:

,, An den Herausgeber des Borwärts" der deutschen  ,, Sozialistischen  " Partei.

Sehr geehrter Herr! Wenn Sie für eine renegatenhafte und verräterische, sozialistische" Politik eintreten müssen, so müssen.. sich schließlich mit ihrer defaitistischen Streitpro­paganda auf Ihr eigenes Land beschränken. Dort versteht man's. Aber wir sehen, daß sie den britischen Bergarbeitern den Rat" geben, den Kampf aufzugeben. Berdammt, Ihre

Unverschämtheit!

Dazu haben wir zu bemerken:

Ihr

Lansbury  .

1. Ein solcher Brief ist bei uns bisher nicht eingetroffen. 2. Sollte er noch eintreffen, dann wird er postwendend an die englische   Labour Party   gesandt werden, denn er ist offenkundig an eine falsche Adresse gerichtet.

3. Wir haben nämlich niemals den britischen Bergarbeitern den Rat" gegeben, den Kampf aufzugeben, sondern wir haben fie lediglich davor gewarnt, den Weg nach mosta u anzutreten, den ihr derzeitiger Führer Cook aus Anlaß der Aussperrung ein­zuschlagen gewillt scheint.

4. Wir haben mit unserem Urteil über die Führere: gen schaften von Cook bis zu dem Tage zurückgehalten, an dem das Mitglied des Generalrats Bromley die Wahrheit über die Haltung von Cook in dem Organ der englischen Lokomotivführer und, izer enthüllte.

5. Wir fühlen uns mit dem englischen Generalrat und den ver antwortlichen Führern der englischen   Labour Party   solidarisch, insbesondere wenn sie von Cook und von den Kommunisten auf dem Kontinent beschimpft werden.

6. Zu den verantwortlichen Führern der englischen Arbeiterpartei zählt der alte Lansburn längst nicht mehr: der beste Beweis dafür ist, daß die Labour Party   vor fünf Jahren die

Wie dem auch sei, eines ist sicher, nämlich, daß ein neues Kartell­fabinett mit Herriot an der Spike in der Kammer und im Senat auf schärfsten Widerstand stoßen wird. In der Kammer geht der Widerstand gegen eine folche Kombination bis weit in die Kreise der eigenen Partei Herriots hinein, wo Franklin Bouil­ lon   ihn lärmend bekämpft und sogar Malvy offen von ihm

abrückt.

3m Senat ist die Stimmung so feindselig, daß ein Kabinett Herriot voraussichtlich bereits den ersten Kontakt mit der hohen Bersammlung nicht überleben wird, wenn nicht bereits die Kammer vorher, wie man allgemein äußert, dem Minifterium einen schnellen Tod bereitet. Abgesehen von der durchaus feindseligen Atmo­fphäre, die die Person Herriots auslöft und über welche dem Kammerpräsidenten Gruppenrefolutionen, wie jogar eine solche der radikalen Cinten" nicht im Zweifel laffen fann, ruft in parlamen­tarischen Kreisen die Programmlosigkeit, in der die Regie­rung vor das Land freten wird, größte Bestürzung hervor. Wenn nämlich die Intervention Herriots vom Sonnabend, die Briands Sturz herbeiführte, einen Sinn hat, so muß das neue Kabinett das Finanzproblem in ständiger Zusammenarbeit mit der Hammer lösen, ohne zur Inflation zu greifen, ohne ausländische kredite in Anspruch zu nehmen, ohne das Washingtoner Schulden­abkommen zu ratifizieren und außerhalb des Expertenberichts, aber ohne restlose Akzeptierung des sozialistischen   Finanzprogramms.

An der Börje herrscht seit der Befrauung Herriots mit der Kabinettsbildung eine ausgesprochene Panitftimmung. Die ausländischen Devisen haben bisher unerhörte Kurssteigerungen zu verzeichnen gehabt. Das englische Pfund flieg in einem Rud von 199 auf 225, der Dollar auf 46,50, die deutsche Reichsmark auf 1100 Die Kursgewinne der ausländischen Effekten waren dementsprechend. Die Affie der Royal Dutsch 3. B. stieg am Montag um 10 000 Franfen. Zum ersten Mal scheint sich auch die Bevölkerung über die Börsenkreise hinaus Rechenschaft von den Gefahren der Infla­fion zu geben. Ueberall wurde am Montag den ganzen Tag die politische Lage leidenschaftlich und mit unruhiger Sorge erörtert.

Gewährung einer finanziellen Rettungsaktion für den ,, Daily Herald" davon abhängig machte, daß Lansbury   vom Posten des Chef­redakteurs sofort verschwinde. Was auch geschah.

"

7. Wenn jetzt derselbe Lansbury in der halbkommunistischen Wochenschrift Labour Weekly", die sich die Einheitsfront" mit Moskau   zum Ziele gefeßt hat, schwachsinnige Briefe an den Vor wärts" veröffentlicht, jo läßt uns das genau so falt wie die Schimpf­

fanonaden eines Coot.

Reichsregierung und Kontrollnote.

Ein geheimes Staatsgeheimnis. Amtlich wird mitgeteilt: Das Reichskabinett nahm in seiner Sigung den Bericht des Reichswehrministers über die Schreiben entgegen, welche die Interalliierte Militär­Kontroll- Kommission fürzlich an den Reichskommiffar und Vertreter der Deutschen   Regierung gegenüber der Interalliierten Militär- Kontroll- Rommission gerichtet hat.

Das Reichskabinett pflichtete den Ausführungen des Reichswehr  minifteriums bei und war mit der von ihm vorgeschlagehen weiteren Behandlung der Angelegenheit einverstanden.

Diese amtliche Verlautbarung übersteigt das Maß der erlaubten Diskretion. Noch immer erfährt die deutsche Deffentlichkeit nichts Genaues über die letzten Kontrollnoten, die auch das Ausland stark beschäftigt haben und statt sach­lich anzugeben, welche Strategie die Diplomaten des Reichs­wehrministeriums für die richtige halten, glauben sie die über ihre Geheimnistuerei beunruhigte öffentliche Meinung mit dem Hinweis auf die Solidarität des Kabinetts mit ihrem Minister abspeisen zu dürfen. Die Herren besigen jedoch feineswegs die Autorität, um für ein solches autoritäres Ver­halten allgemeine Anerkennung zu finden. Wenn aber die Kämpfe mit der Interalliierten Militär- Kontroll- Kommission durchaus im geheimen ausgetragen werden sollen, dann muß man wenigstens die Gewißheit haben, daß die zivilen Geheim­räte des Auswärtigen Amtes verhindern, daß aus den Plän­teleien ihrer uniformierten Kollegen im Reichswehrministe rium mit der internationalen Militärbureaukratie ernste diplo­matische Weiterungen entstehen.

Vorwärts- Verlag G.m.b.H., Berlin   SW. 68, Lindenstr.3 Bostschecktonto: Berlin   37 536 Bankkonto: Bank der Arbeiter, Angestellten und Beamten, Wallste, 65: Diskonto- Gesellschaft, Depoßitenkaffe Lindenstr. 3.

Steuererträge- Wirtschaftskrise.

Eine Dreimonatsbilanz der Reichsfinanzen. Schon seit Beginn des Jahres hat es sich deutlich gezeigt,

wie stark die Steuereinnahmen des Reichs vom Gang der den. Reinhoidschen Plan nahelegen, trotz der ständig finkenden Wirtschaft abhängig sind. Aber gerade dieser Umstand konnte Erträge weitere Steuerermäßigungen vorzunehmen, um den Gang der Wirtschaft zu beleben. Denn, wenn auf solche Weise auch die Erträge der Reichssteuern automatisch wieder steigen, eine Belebung der Wirtschaft gelang, dann mußten so daß der Ausfall der Steuerfenfungen wieder ausgeglichen Belebung der Wirtschaft nicht erreicht worden wurde. Inzwischen aber hat sich herausgestellt, daß die ist, und nun mußte der Ausfall der Steuerein­fluß der Wirtschaftskrise unvermindert fortbesteht, kommen nahmen doppelt groß sein. Denn während der Ein­jetzt noch die Ausfälle infolge der Steuermilderungen hinzu. Dadurch wird es in erhöhtem Maße fraglich, ob die Reichs­finanzen dieser doppelten Belastung standhalten werden und ob es gelingen wird, das Rechnungsjahr ohne Defizit abzuschließen.

Unter diesen Gesichtspunkten kommt dem neuen Ausweis des Reichs an Steuern, Zöllen und Verbrauchs­abgaben im Monat Juni erhöhte Bedeutung zu. Gegenüber dem Bormonat weist allerdings der Monat Juni nur geringe Veränderungen auf. Das Gesamtauftommen ist mit 435 Millionen Mart genau so hoch wie im Mai. Die Lohn­steuer brachte 88,8 Millionen gegen 82,6 Millionen im Mai, die Umfagsteuer 58,2 Millionen gegen 61,8 Millionen im Mai, und die Bölle und Berbrauchssteuern 169,4 Millionen gegen 161,3 Millionen im Mai. Nachdem aber die Ergebnisse dieses Monats vorliegen, ist es vor allem möglich, die Entwicklung der Reichsfinanzen im ersten Vierteljahr des Rechnungsjahres 1926 zu verfolgen und das tatsächliche Aufkommen den Bor­anschlägen im Haushaltsplan gegenüber gegenüberzustellen. Diese Gegenüberstellung ergibt sich aus der nachfolgenden Uebersicht.

Lohnsteuer. Umsatzsteuer Beförderungssteuer

Istaufkommen Voranschlag Fehlbetrag April/ Juni für 3 Monate In Millionen Reichsmart 300

Rölle und Verbrauchssteuern

251

49

B

.

220

244

24

76

81

5

482

490

8

1029

1115

86

426

501

75

1455

1616

161

Massenbelastung

Besitzbelastung

Gesamtaufkommen

.

Hieraus folgt zunächst, daß die Fehlbeträge bei den Besizsteuern verhältnismäßig größer sind als bei den Maffensteuern. Schlüsse auf die Entwicklung im ganzen Rechnungsjahr lassen sich aber daraus noch nicht ziehen. Denn diese Entwicklung wird bei diesen beiden Steuergruppen wahr­scheinlich verschieden verlaufen. Bei der Besiz belastung ist es möglich, daß das im ersten Bierteljahre entstandene Defizit durch die Ergebnisse der folgenden Bierteljahre zum großen Teil wieder ausgeglichen wird. Vor allem sind aus der veranlagten Einkommensteuer noch größere Beträge zu erwarten, da die Frühjahrsveranlagung noch nicht abgeschlossen ist und die Herbstveranlagung der Landwirtschaft noch bevorsteht. Dagegen wird die Vermögenssteuer hinter dem Vor anschlag von 400 Millionen Mark wahrscheinlich weit zurück­bleiben. Schon im Rechnungsjahr 1925 hat die Vermögens­steuer nur 270 Millionen Mark erbracht. Inzwischen hat aber das Steuermilderungsgesetz die Bermögenssteuerzahlun gen für 1926 dadurch auf Dreiviertel der Steuer für das Jahr Fortfall kam. Infolgedeffen hat die Vermögenssteuer im 1925 ermäßigt, daß die Vierteljahrszahlung am 15. Mai in ersten Vierteljahr des laufenden Rechnungsjahres nicht Die Vorschrift des Steuerüberleitungsgesetzes, daß der Fehl­100 millionen, sondern nur 36 Millionen erbracht. betrag gegenüber dem Voranschlag durch Vermögenssteuer ausgeglichen werden soll, fann erst nach Ablauf dieses Rech­nungsjahres wirksam werden.

Während jedoch bei der Besi belastung wenigstens die Möglichkeit besteht, den jetzigen Fehlbetrag in den folgen­den Bierteljahren wieder auszugleichen, wird das gegen­wärtige Defizit bei den Massensteuern im Laufe des Rechnungsjahres wahrscheinlich noch größer werden. Hier ist besonders zu beachten, daß sich das Steuermilderungsgesetz in diesem Jahr noch nicht voll ausgewirkt hat. Aus der ein steuer und der Salzsteuer, die ganz beseitigt worden sind, sind hier noch 15 Millionen Mark enthalten. Auch die Senkung der Umsatzsteuer hat sich nicht schon in den Beträgen des Monats April, sondern erst vom Mai ab voll auswirken fönnen. Insbesondere sind in dem Aufkommen des Monats April noch die Bierteljahrszahlungen auf die Umsatzsteuer nach dem alten Sage enthalten.

Vor allem aber ist eine weitere Ertragsminderung bei der Lohnsteuer zu erwarten. Hier ist zwar die Steuer­belastung unverändert geblieben, aber der Einfluß der Wirt­schaftskrise macht sich bei der Lohnsteuer in doppelter Weise geltend: einmal unmittelbar dadurch, daß die Erwerbslofen