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Abendausgabe

Nr. 341 43. Jahrgang Ausgabe B Nr. 168

Bezugsbedingungen und Anzeigenpreife Find in der Morgenausgabe angegeben Redaktion: SW. 68, Lindenstraße 3 Fernsprecher: Dönhoff 292-297 Tel- Adresse: Sozialdemokrat Berlin

Vorwärts

Berliner Dolksblatt

10 Pfennig

Donnerstag

22. Juli 1926

Berlag und Anzeigenabteilung: Geschäftszeit 9-5 Uhr Berleger: Borwärts- Berlag GmbH. Berlin Sm. 68, Lindenstraße 3 Fernsprecher: Dönhoff 292-297

Zentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands

Poincarés Wiederkehr.

Kabinett der ,, nationalen Einheit".

Paris , 22. Juli. ( Eigener Drahtbericht.) Als erste Folge, des Sturzes Herriots, den die gesamte reaktionäre Presse heute morgen mit lär mender Freude begrüßt, ist die Beauftragung Poincarés mit der Kabinettsbildung durch den Präsidenten der Repu­blit Doumergue anzusehen, die noch im Laufe der Nacht erfolgt ist. Poincare wird bereits am Donnerstagvormittag feine Besprechungen beginnen. Allem Anschein nach wird er sehr rajch ein Kabinelt zufammenbringen. In der Kammer selbst hat am Mittwoch der

den Sozialisten. Bofanpwsti verteidigte die Borlage, die dann auch mit 275 gegen 195 Stimmen angenommen wurde. Gegen 3 Uhr morgens hat auch der Senat, wenn auch unter ausdrüdlicher Be­tonung der Nachteile der beschlossenen Operation, die Vorlage ver­abschiedet.

Starke Schwankungen des Frankkurses. Eigenartig ist die Wirkung der Regierungsbildung Poincarés Wunsch nach Bildung eines& abinetts der nationalen auf den Kurs des Franken. Man rechnet damit, daß die französische Einheit start um fich gegriffen. Gegen 250 Abgeordnete haben Hochfinanz eine Rechtsregierung unterſtüßen wird, auch erwartet ein in diesem Sinne gehaltenes Schreiben an Doumergue gerichtet man Stüßungsversuche für den Frank. So hat zunächst die Ent und ihn aufgefordert, alles daranzusetzen, um ein über den Par- wertung des Franken aufgehört, trotzdem ist die Speku­teien stehendes kabinett der nationalen Einheit zustande zu lation noch außerordentlich nervös. An der Londoner Vor­bringen. Poincaré foll denn auch die Absicht haben, mehrere frü- börse nannte man heute vormittag einen Kurs von 213% Franken here Ministerpräsidenten, so Barthou , Briand und für das Pfund gegen gestern 2242. Der belgische Frank notierte Leyghues in sein Kabinett aufzunehmen. Dazu Tardieu und mit 206 ebenfalls etwas günstiger als gestern, wo man noch den Gegner Herriots in der radikal- sozialen Partei Franklin- Bouil- 214 Franken für das englische Pfund bezahlte. In Berlin lon. Dieses Ministerium der nationalen Einheit wird, da Poincare schwankten bei Börsenbeginn die Kurse außerordentlich start. Ge­persönlich das Finanzminifterium übernehmen wird, in Wirklichkeit nannt wurden als Preis für das Pfund nacheinander 207, 220, 210 einen ausgesprochenen reaktionären Charakter haben. Ob Franken. Diese heftigen Kurssprünge zeigen, daß die Spekulation es das Finanzproblem lösen wird, ist eine andere Frage. sich noch feineswegs beruhigt hat und daß man hier nicht von Erst der Regen treibt die Demonstranten auseinander vornherein in Poincaré den starken Mann sieht, in dessen Stabili. fierungskunst man Vertrauen hegen fönnte. Das ist auch fein Wunder, da man in Deutschland nur zu genau weiß, wie die Finanzfunft Poincarés in früheren Jahren vollkommen versagt hat. Auf seine Regierungszeit geht die verschwenderische Finanzwirtschaft Frankreichs zurück. Besen und Gründe der deut­fchen Inflation hat der wiedererstandene französische Ministerpräsi­bent noch später verstanden als der ehemalige Reichsbankpräsident Havenstein. Unter diesen Umständen wird niemand recht daran glauben wollen, daß Poincaré der Mann ist, der den französischen en

Paris , 22. Juli. ( Eigener Drahtbericht.) Die vor der Kammer bemonstrierende Menge versuchte mit Gewalt in die Rammer ein zubringen. Die Polizei und die herbeigerufene Republikanische Garde waren trotz starten Aufgebots fast völlig machtlos, da die Zahl der Manifestanten sehr rasch auf 10,000 anstieg. Mehrere fom­munistische Abgeordnete, die die Rammer verlassen wollten, ent­gingen nur mit Mühe schweren Mißhandlungen. Erst gegen 1 Uhr nachts, als ein falter Regen niederging, zerstreute sich die Menge. Die Polizei hat im Berlauf der Zusammenstöße 50 BerFranken retten tönnte. haftungen vorgenommen, die jedoch zumeist nicht aufrecht­erhalten wurden.

Die Morgananleihe aufgebraucht

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sonst wäre die Staatsbank geschlossen worden. Paris , 22. Juli. ( Eigener Drahtbericht.) Im Laufe der Nacht­fizung hat die Rammer nach dem Rücktritt des Kabinetts Herriot auf Antrag des zurückgetretenen Finanzministers de Monzie noch eine Vorlage angenommen, durch welche die Bank von Frankreich ermächtigt wird, den Restbestand des Morgan Fonds, etwa 40 Millionen Devisen, zur Deckung der dringlichsten Bedürf nisse des Schaamtes zu verwenden. De Monzie hatte er flärt, fails das Parlament diese Vorlage nicht annehme, so müsse die Bank von Frankreich am Donnerstagmorgen ihre Schalter schließen. Im Namen der Sozialisten hat Vincent Auriol die Vorlage heftig bekämpft. Es habe sich im Parlament eine neue Mehrheit gebildet, diese möge die Berantwortung übernehmen, aber nicht die Regierung, die nicht mehr vorhanden sei. Die verlangte Berwendung des Fonds bedeute automatisch eine Erhöhung des Notenumlaufs um dieselbe Summe. Man stehe einem Er­pressungsversuch der Bank gegenüber. Jede Regierung, die es unter nehme, gegen die Banten vorzugehen, hätte das ganze Land hinter sich. Auriol fand jedoch mit seinen Ausführungen nur Beifall bei

Die Kosten des Volksentscheids.

Weit über zwei Millionen!

Der Vorstand der Sozialdemokratischen Partei

Deutschlands gibt soeben eine Uebersicht über die geleistete Arbeit bei der Kampagne zur entschädigungslosen Enteignung der Fürsten heraus. Danach sind an Gesamtkosten der Sozialdemofra tischen Partei einschließlich ihrer Bezirke und Ortsgruppen 2 042 055,91 Mark

entstanden. Diese sezen sich aus folgenden Posten zusammen: Die Zentrale hat für geliefertes Material aufgewendet 448 988,35 m. An Bersammlungskosten entstanden

Für Flugblätter wurden ausgegeben

"

.

735 593,75

.

425 244,23,

105 466,21,

. 326 763,37,

Für Plakate wurden ausgegeben Sonstiges Material und sonstige Untoften... Es wurden verbreitet: 72,5 millionen Flugblätter, 12 Millionen Handzettel, 3,5 millionen Platate, 6 Millionen Broschüren, 14 Millionen sonstiges Material, insgesamt alfo 108 Millionen Stüd Drudsachen.

32 920 öffentliche Bersammlungen wurden von der Sozialdemokratischen Partei veranstaltet( bapon zum Boltsentscheid 19 942).

Die Riesenarbeit fonnte nur geleistet werden durch die ehren amtliche Tätigkeit vieler tausender Funktionäre, die ohne Entgelt im Interesse der Sache tätig waren.

Was die Kommunistische Partei für den Kampf aufgewendet hat, ift nicht bekannt, wohl aber hat der Kuczynski Ausschuß in seinem Mitteilungsblatt am 10. Juli eine Uebersicht gegeben. Da nach hat er 3 Millionen Flugblätter, 25 000 Blafate, 118 000 Bro­Schüren ausgegeben.

Bersammlungen hat der Kuczynski- Ausschuß nach seinem eigenen Bericht im Reiche einschließlich Berlin 110 veranstaltet. An Gesamtkosten nennt der Kuczynski- Ausschuß den Betrag von

1.000 202

de des

Guillaumat kehrt ins Rheinland zurück.

Mainz , 22. Juli. ( BS.) Nachdem mit dem Sturz des Kabi­netts Briand auch die Kriegsministerzeit des Generals Guillaumat beendet ist, übernimmt General Guillaumat wieder das Ober tommando der französischen Rheinarme e, das einst. weilen durch den Kommandierenden General des Mainzer Armee­torps, General Barthelemy, verwaltet worden war.

Nationalistischer Radau gegen deutsche Pazififten.

Paris , 22. Juli. ( WTB.) Gestern tam es, wie Havas berichtet, anläßlich einer Beranstaltung der Liga für Menschenrechte anläßlich einer Beranstaltung der Liga für Menschenrechte gelegentlich eines Besuches deutscher Pazifisten in Reims zu einem Zwischenfall. Mitglieder rechts stehender Jugend. perbände brangen unter Abfingen der Marseillaise in den Saal ein, in dem die Versammlung tagte, und griffen die Teilnehmer an. Es entstand eine Schlägerei: Die Manifestanten wurden dann zwar aus dem Hause hinausgewiesen, demonstrierten jedoch vor dem Hause weiter. Als die deutschen Vertreter durch eine Neben tür in Sicherheit gebracht werden sollten, wurden sie von den Mani­festanten bemerkt und von neuem belästigt, bis schließlich, die Polizei eingriff und die Störenfriede vertrieb. Eine Berson wurde verhaftet, später jedoch wieder freigelassen.

Wilhelms neues Angebot.

Preußens Antwort an die Hohenzollern . Die Antwort der preußischen Regierung an den Vertreter Die Antwort der preußischen Regierung an den Vertreter der Hohenzollern , von Berg, ist heute vom Ministerpräsiden ben Otto Braun unterschrieben worden und abgegangen. Der ortlaut des Briefes wird am Donnerstag nachmittag veröffent.

licht.

Bayern !

Gareis Mörder aus der Haft entlassen. München , 22. Juli. ( WTB.) Wie wir erfahren, ist Leutnant a. D. Schweikart, der vor einigen Wochen unter dem Verdacht der Beteiligung an dem Gareis Mord in Haft genommen worden war, am letzten Montag wieder aus der Haft entlassen worden.

Der Mörder von Gareis ist von bayerischen Behörden abermals freigelassen worden trotz der schwer. sten Berdachtsgründe, die jeder anderen richterlichen Behörde mehrfach Anlaß gegeben hätten, das Hauptverfahren gegen ihn zu eröffnen.

Vor wenigen Tagen hat das Organ der bayerischen Re­gierungspartei sich gegen jede Vertuschungsmethode er­flärt am selben Zeitpunkt aber den Schweikart, den Mörder von Gareis, bereits entlaffen!

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Die Entlassung ist am Montag erfolgt heute, am Donnerstag, erfährt die Deffentlichkeit davon. Schweikart wird längst wieder verschwunden sein. Wo ist er jetzt? Welchen Namen führt er jetzt? Welchen falschen Baß hat er biesmal in der Tasche?

Der politische Sanitätskordon.

Aber die Lire sinkt...

Lugano , Mitte Juli. Turati hat einmal gesagt, daß der Faschismus Italien durch einen politischen Sanitätsfordon von dem übrigen Europa abgesperrt habe. Das Bild gilt noch heute. Wir erfahren vom übrigen Europa nur, was ein recht­gläubiger Faschist wissen darf, ohne seine Dogmen erschüttert zu sehen, und Europa erfährt von uns nur, daß wir ordent­lich find, arbeitssam, pünktlich und zufrieden. Heil dem Touristen, der diesen Eindrud aus Italien zurückbringt; heil dem Journalisten, der ihn in Artikeln verewigt! Wer diesen Eindruck richtig zu verwerten versteht, kann eine Zeitlang da­von leben... Also, der Sanitätsfordon funktioniert. Nur Devisenmarkt. Diese bringen Italien von Zeit zu Zeit unlieb eine Macht vermag es, darüber zu springen: die Börse, der zum Bewußtsein, daß das dichtmaschige Netz der Verbote doch jenen internationalen Kontakt nicht verhindern kann, der sich im Kurse der Lire äußert.

Wir haben in Italien offiziell eine Milliarde Budget­überschuß, wir haben eine blühende Industrie, für die Ar­beiter und Kapitalisten jedes Opfer zu bringen bereit" find, war haben die sparsamste Verwaltung", die ,, trefflichste nationale Disziplin", aber das böse Ausland schäzt Und das ist ein unsere Baluta immer geringer. Gegenstand schwerer Sorge. Und es ist auch etwas Blamage dabei, da der Faschismus bekanntlich versprochen hatte, das Pfund Sterling auf 50 Lire zu bringen, wo es heute 144 Lire loftet.

Es ist langweilig, immer dasselbe sagen zu müssen, da aber die Legende des Budgetüberschusses immer wieder aufersteht, muß auch ihre Richtigstellung immer wieder herausgeholt werden. Das Budget des am 30. Juni abge= schlossenen Gebarungsjahres soll einen Ueberschuß von etwa einer Milliarde ergeben, und wir wissen auch schon, was aus der Haut des Bären werden soll: fie wird zu neuen Rüstungen verarbeitet werden. Das ganze Aus­land erschaudert ob der Drohung. Wir wollen aber noch einmal auf die drei Quellen dieses ,, Ueberschusses" hinweisen, die natürlich seiner Verwertung in dem angedeuteten Sinne nicht entgegenstehen. Die erste Quelle ist rein fiktiv und besteht in veränderter Buchführung. Man hat aus dem Budget die Summen ausgeschält, die der Tilgung auswärtiger Schulden dienen sollen, und hat diese Summen in eine besondere Amortisierungskasse überschrieben. In diese Kasse sind somit 1190 Millionen Lire übergewandert an zu leistenden Zahlungen und 290 Millionen an einzukassierenden Wiedergutmachungsgeldern. Das Budget ist also um 900 Millionen entlastet. Die zweite Quelle ist der Mehrertrag der Zölle durch den fallenden Wert der Lire ; diese Differenz zwischen Gold wert und Papiermert betrug in den elf Monaten des vorigen Budgetjahres 1876 Millionen Lire , Diese Summe wächst, je mehr die Lire fällt. Die dritte Quelle ist der Getreidezoll, doch läßt sich ihre Höhe zurzeit noch nicht bestimmen, denn es ist noch nicht bekannt, welcher Teil des Landesbedarfs an Getreide im vorigen Jahre nach der Einführung des Getreidezolls im­portiert wurde. Jedenfalls sind die drei Quellen so ergiebig, daß ihre Summe weit mehr beträgt als der nominelle Ueber­schuß. Mit den den vorigen Regierungen zur Verfügung stehenden Mitteln wurde also der Ueberschuß nicht erzielt.

Und wie es mit dem Ueberschuß steht, so steht es mit der sparsamen Wirtschaft: beide sind Bluff. Es werden Millionen ausgegeben für Autostraßen, zum Ankauf von Theatern und von Palästen, für Reisen und prunkvolle Schaustellungen. Man mache sich klar, daß die Kriegslasten wesentlich zurückgegangen sind, und zwar betrugen sie 1922/23 liarden und 1925/26 nur 1.5 Milliarden. Die freigewordenen 6,5 Milliarden; 1923/24 4,5; 1924/25 weniger als 4 Mil­Summen wurden immer aufgesogen, ohne daß man die Steuerzahler entlastet hätte. In seiner Finanzwirtschaft hat also der Faschismus nicht die Lorbeern geerntet, die ihm sein Knüppel auf anderen Feldern eingebracht hat.

Dazu kommt der alte Aerger ,,, daß die Wirtschaft dem Knüppel nicht pariert. Zur Absazkrise paßte die Verlängerung des gesehlichen Arbeits­tages um eine Stunde wie die Fauft aufs Auge. So ar­beitet die Schapseidefabrik von Jesi , die 500 Arbeiter be­schäftigt, seit einiger Zeit nur 4 Tage die Woche; trotzdem wollen die Unternehmer die neunte Arbeitsstunde einführen, und zwar ohne sie zu bezahlen. In der gleichen Stadt haben die Arbeiterinnen der Spinnerei Perticaroli u. Schiavoni die Arbeit verlassen, weil die Unternehmer die Bestimmungen 3wölf des Tarifvertrages über die Lehrzeit nicht einhalten. 3 wolf Arbeiterinnen find wegen Verbrechen des Streits ver haftet worden. Sie hätten ein Arbeitsgericht anrufen sollen, das vor der Hand noch gar nicht eriſtiert!

Von der herrlichen Ordnung", die der Tourist be­wundert, sehen wir eine wenig herrliche Rehrseite. Eine Polizeischikane ohne Ende! Gegen unseren Partei­sekretär Genossen 3anarini ist Anklage wegen Aufreizung zum Klaffenhaß erhoben worden, weil er das manifest der Züricher Internationale in Italien hat drucken und verbreiten lassen. In Mailand ist ein Kom­

munist wegen Abhaltung einer nicht autorisierten Ber­sammlung zu sechs Monaten Gefängnis verurteilt worden, weil er auf Bitten seiner Arbeitsgefährten diesen in einer Arbeitspause das Detret über die neunte Ar­