Beilage zum„Vorwärts" Berlinn VoWblatt. Ur. 181. Dienstag, den 6. Angnst 1895. IS Jahrg. Lokales. . Vor 85 Fahre« durste an der Berliner Universität gewaltiges Geschimpfe erhoben werden. Gegenstand des SGes�inipfes war— man erschrecke nicht!— ein mächtiger errscher von Gottes Gnaden, und der Mann, der rlaubniß erhalten hatte, zu schimpfen, statt zu wedeln, war em preußischer Professor. der Physiologe Emil du Bois- »ck e y m o n d, ursprünglich schweizerischer Republikaner, und im Jahre 1869 zum Rektor der Universität Berlin avancirt. Man w'rd nunmehr begreifen, wem das Geschimpfe dieses Vertreters der Wissenschaft galt; auf Napoleon III. , den verruchten Friedensstörer wurde der deutsche Professor losgelassen. Schon bald nach erfolgter Kriegserklärung hatte Herr du Bois- Neymond einen Beweis seiner Gesinnungstüchtigkeit da- durch gegeben, daß er vor Beginn eines Kollegs das beste, was namentlich ein Vertreter der Wissenschaft nach bürgerlicher Anschauung hat. seinen ehrlichen Namen, mit eigenem Munde durch die Worte prostituirte: Meine Herren! Entschuldigen Sie meinen fran- zösischen Namen! Ein solcher Mann war völlig im stände, bei der am 8 August 1870 erfolgten Feier des 100. Geburtstags Friedrich Wilhelms III., des �Begründers" der Universität, Napoleon den Eidbrüchigen so treffend zu kennzeichnen, wie man es von einem Professor in Berlin aus Anlaß der Ehrung eines Fürsten, der 1813 in feierlicher Stunde der Gefahr seinem treue» preußischen Volke eine Verfassung versprochen und dies an Eidesstatt ge- gebene Versprechen später schmählich gebrochen hatte, denn doch eigentlich gar nicht erwarten sollte. Hören wir, wie nach dem Bericht der offiziösen„Nord- deutichen Allgemeinen Zeitung" der Schurke auf dem französischen Thron, der ivenige Wochen vorher noch„Ew. Liebden" und ..liebwerther Vetter" war, von dem Physiologen du Bois-Reymond sicher und treffend charakterisirt wurde: .... Wer ist der Mann, der uns der G-waltthätigkeit. der Eroberungssucht, ungezügelten Ehrgeizes, gefährlicher Anschläge wider unsere Nachbarn bezichtigt? Der, um uns unschädlich zu machen, uns im Namen des Weltfriedens und der Zivilisation mit Strieg überzieht? Jener Eatilina ift c3, den rechtzeitig zu entlarven kein Cicero sich fand, jener Fürst der F i n st e r n i ß. der nächtlicherweile seinem Volle Freiheit und Oberherrlichkeit stahl; der Lügner, der Fälscher des Allgemeinen Stimmrechts, der Eidbrüchige, der zehn- tausendfache kalte M e n s ch e n s ch l ä ch t e r, der wüste verschuldete Abenteurer auf dem Throne der französischen Konige. Carbonaro, da er noch in niederen Kreisen V e r- sch wörungen spann, Jesuit, seit er Jesuiten bedurfte, um Frank- reich zu knebeln, der H e u chl e r. der an n i ch t s g l a n b t als an seinen eigenen blutigen Stern... mit einem Worte, der er- klarte Erbe der Napolenonischen Idee, daß die Welt, insonder- hat die französische Nation, ein Fideikommiß der Familie Bonaparte sei. Die lange Reihe seiner Verbrechen, welche mit dem wahnwitzigen Straßburger Attentat beginnt, krönt dieser Mann jetzt durch muthwillige Entzündung des furchtbarsten Krieges, weil er thöricht hofft, mit dem Würfelspiel der Schlachten sein und seines Hauses unvermeidliches Geschick hinzuhalten. Dieser Mann ist es, der den, Ritter ohne Furcht und Tadel, König Wilhelm, die Schuld seiner Missethat zuwälzt... Wenn sonst ein Ludwig XIV. im fünften Jahre König und schon in den Windeln mit abgöttischer Verehrung umgeben, wenn em in Purpur geborener Sterblicher, der das wirkliche Leben nie anders als durch die Weihrauchnebel der Hofluft sah. wenn ein so Erzogener, durch Ehrgeiz, durch schlechte Rathschläge ver- lockt, die Leiden des Krieges leichtsinnig heraufbeschwor, von denen er weder der Art„och der Größe nach eine deutliche Vor- st e l l u n g sich machen konnte, so hatte er die Entschuldigung. daß er nicht wußte, was er that... Nachdem es in dieser Tonart noch etliche vierzig Zeilen weiter gegangen, wird Louis Bonaparte mit Richard III. ver- glichen.....„Dann zeigt ein schwerer Traum ihm die Boule- vards an jenem kalten grauen Dezembernachmittag, da er seine betrunkene Truppe auf wehrlose Pariser losließ. Er sieht die Haufen seiner Erschlagenen zu Hunderten in ihre m Blute sich wälzen. Er sieht ein Meer von Blut; aber nun scheint es ihm das wirkliche Meer; es brandet an flacher versumpfter Küste, darüber aus gisligen, Fiebernebel Palinen- wipfel in bleierner Schwüle ragen: C a y e n n e! Und aus dem Nebel ballen sich wieder tausend bleiche Gesichter; alle, alle feine Opfer drängen sich zu, auch mit Habsburgischen Zügen ein schwermüthig stolzes Antlitz fehlt nicht:— Verzweifl' und stirb! rufen sie ihm gellend ins Ohr. verzweifl' und stirb! bis er in kaltem Schweiß gebadet aufschreit: Ein andcres Pferd! Verbindet meine Wunden! Erbarmen, Jesus!— Still, ich träumte nur. O feig Gewissen, wie du mich bedrängst!... Meineid, Meineid, in allerhöchstem Grad, Jedwede Sünd', in jedem Grad geübt, Stürmt an die Schranken, rufend: Schuldig Z schuldig! Ich muß verzweifeln." Die politische Rede klang in ein Hoch auf König Wilhelm I. aus.�auf denselben Fürsten , der einige Jahre später, aus grund des Schandgesetzes, im eigenen Lande hunderte armer Arbeiter von Weib und Kind reißen und ins Elend hinausschicken ließ. Immerhin, die treffende Charakterisirung des Verbrechers auf dem Throne Frankreichs würde auch uns Achtung einflößen, wenn sie nicht in der Rede eines deutschen Gelehrten erfolgt wäre. Wir wissen nicht, ob Herr du Bois-Reymond schon vor dem Kriege gewagt haben würde, dem erhabenen Herrfcher eines be- freundeten Nachbarstaates auch nur ein einziges der viele», Schimpf- ivorte entgegenzuschleudern, die er am 3. August 1870 in so viel- seitiger Fülle zum besten geben durfte. Wir glauben es nicht. Haben doch deutsche Gelehrte, die an Selbständigkeit dem damaligen Rektor noch ein gutes Stück über waren, ehedem vor Napoleon auf dem Bauche gerutscht, daß es so eine Art hatte. Heinrich von S y b e l, der vor wenigen Tagen mit sürstlichem Pomp in Berlin zu Grabe getragen wurde, bettelte am 19. Mai 1867 bei dem Oberkaimnerherrn des französischen Kaisers demüthig um eine Audienz und wedelte ihn aus ganz haltloser Ursache auch noch bei ferneren Gelegenheiten an, und der liberale Professor Mommsen fand nichts darin, außer sonstigen Ehrungen 3000 Franks als Mit- arbeiter der Oeuvres de Borgliesi aus den Händen Napoleons an sich zu nehmen. Fünfundzwanzig Jahre sind seit den großen Tagen ver- flössen, und vieles hal sich feitdem in de» Anschauungen der Menschen geändert. Das Profesjorenthum ist dasselbe geblieben, was es 1870 war; und am verflossenen Sonnabend noch, als wiederum traditionell der Geburtstag Friedrich Wilhelm III. an der Universität begangen wurde, hielt der Rektor, Professor Pfleiderer, eine servile Lobrede auf den modernen Militarismus und seine königlich preußischen Förderer, wie sie für Geld nicht besser zu haben wäre. Das arbeitende Volk aber, das sieht, wie sich Regierung und Bourgeoisie in Deutschland krampfhaft mühen, die Er- inuerung an die 1870er Tage wenigstens in mattem Schimmer wieder zu wecken— das arbeitende Volk hat begriffen, wie recht H e r w e g h hatte, als er 1871tiiach beendetem Schlachten sang: Das Blut von Wörth, das Blut von S p i ch e r n, Von Mars la Tour und Gravelotte, Einheit und Freiheit sollt es sichern— Einheit und Freiheit? Großer Gott! Ein Ambos unter Einem H ammev* Geeinigt wird Alldeutschland stehn; Dem Rausche folgt ein Katzenjammer, Daß Euch die Augen Übergehn! Tie richtige Würdigung hat der Sedanrummel ge- funden, indem eine hiesige Ulkgesellschaft, die sich„Pankgrafen- schaft von 1331" nennt, es in die Hand genommen hat, am 2. September ein„Deutsches Volks- Jubelfest" für den Norden Berlins zu veranstalten. In einem Flugblatt„So geschehen Berlin beim Wedding an der Panke " fordert die Gesellschaft die „Deutschen Brüder" und„Deutschen Schwestern" zur Betheiligung an ihren Scherzen auf, indem sie folgendes Festprogramm zun, besten giebt: "Zur Einleitung des Volks-Jubelfestes werden am 2. Sep- tember 1893, nachmittags 2 Uhr, berittene altdeutsche Fanfarenbläser die Straßen des Weddings durchziehen, gleichzeitig werden auf den freien Plätzen des Stadttheils Böllerschüsse erdröhnen. Um 3 Uhr nachmittags wird das Fest auf dem Festplatze im Feldschlößchen, Müllerstr. 142 be- ginnen mit Pauken und Trompeten. Um 4 Uhr großer Festzug der Pankgrafschaft mit Knm perkaten und Kumperkätchen. Festesrede und Festgesang. Altdeutsche Spiele und Wettkämpfe der Jünglinge und Jung- frauen. Schaustellungen aller Art, Feuerwerk, Abbrennen von Fanalen und Freudenfeuern, Schlachtmusik mit Böllerschüssen und Gewehrsalven. Tanz und allgemeine Fröhlichkeit bis zu Ende. Eine H u l d i g u n g s> A d r e s s e an Sr. Majestät den Kaiser liegt am Festtage zur Unterzeichnung der Fest- theilnehmer aus." So muß es kommen, daß selbst von bürgerlich-patriotischer Seite dem Sedanrummel sein Gepräge als Karnevalsulk gegeben wird! Ein„Veteranen-Appell" ist an> Sonntage, als dem Gedenktage der Schlacht von Weißenburg , auf dem Tempelhofer Felde abgehalten worden. Zwischen drei und vier Uhr nachmittags marschirten in ziemlich lose formirten Reihen wohl etwa 6000 Männer die Belleallianceflraße hinunter. Sie waren soweit als möglich im„Zylinder" erschienen und den meisten unter ihnen sah man an, daß sie sich dies, den Arbeitern ziemlich fremde Möbel zur Roth leisten konnten. Außer dem Seidenhute hatten die Kombattanten von 1370/71 natürlich ihre Orden und Ehrenzeichen angelhan. Das Publikum, welches Sonn- tags die Bellealliancestraße immer ziemlich lebhaft bevölkert, war schier verwundert, daß in Berlin am helllichten Tage nnter de» Augen der Polizei in geschlossener Reihe marschirt werden durfte; die Verwunderung legte sich einigermaßen, als man hier und da auch einige Musiker in Nnisorni im Zuge sah. Es war mithin das sonst nur dem Militär zustehende Vorrecht wenigstens im Prinzip ge- wahrt worden. Auf dem Tempelhofer Felde wurde von einem Pastor eine Predigt geHalle», dann sprach ein General und schließlich wurde ein Gesangbuchvers gesungen. Daraus marschirten die Veteranen in den Ausstellungspark in der Hasenhaide, allwo Bier getrunken wurde. Das ganze„Fest" machte einen unendlich tristen Eindruck, und dem Stöcker'schen„Volk" mag wohl recht berichtet sein, wenn ihn, ein ehemaliger höherer Offizier nicht allein stillschweigend die selbstverständliche Theilnahmslosigkeit der Masse der Berliner Bevölkerung, sondern auch die bureaukratische Zurückhaltung der Behörde» klagt. Und diese hätten sich's doch leisten können! „Ich glaube nicht", so heißt es in der Zuschrift,„daß in der Friedrichstraße auch nur 10 Häuser Fahnen ausgezogen hatten". Unsere Mordspatrioten sollten an diesem Malheur lernen, daß für Festiviläten solchen Schlages selbst in der Bourgeoisie schon das Empfiliden aushört. Die Zeiten— will sagen die Klassen- gegensätze— sind denn doch z» ernst geworden. Einer Neuerung in der Besehung der Spruchkammern deS hiesigen Gewerbegerichts scheint man jetzt die Wege ebnen zu wollen' Nachdem verschiedentlich Klagen einzelner Vorsitzen- den darüber laut geworden sind, daß es manchmal recht schwer halte, mit vier Beisitzern sich zn verständigen, und daß man mit zweien viel eher fertig werde, hat man, wenig- stens in der Kammer VI, den Anfang damit gemacht, nur zwei Beisitzer zu den Sprnchsitzungen zuzu- ziehen. Es ist das in den letzten Wochen zwar nicht jedesmal, aber doch m e r k l i ch o f t geschehen, so daß man die Bedenken, welche sich einem bezüglich der Besetzung des Gerichts mit nur je einem Arbeitnehmer und Arbeitgeber auf- drängen, nicht mehr zurückhalten darf. Erstlich ist an dem Vor- gehen des Vorsitzenden der erwähnten Kammer für die Nahrungs- und Genußmittel-Jndustrie auszusetzen, daß es nicht g e s e tz- l i ch ist. Der ß 22 des Gewerbegerichts-Gesctzes bestimmt zwar. das Gewcrbegericht verhandele und entscheide in der Besetzung von drei Mitgliedern mit Einschluß des Vorsitzenden, fügt aber gleich bei, soweit nichts anderes in diesem Gesetze bestimmt sei. und fährt dann im Wortlaut fort:„Durch das Ortsstatut kann bestimmt werden, daß allgemein oder für gewisse Streitigkeiten eine größere Zahl von Beisitzern zuzuziehen ist." Und hierauf sich stützend, sagt denn auch das„Ortsstatut für die Stadt Berlin , betreffend das Gewerbegericht zu Berlin ":„Für jede Spruch- sitznng des Gewerbegerichts, eventuell der einzelnen Kammer sind vier Beisitzer, zwei Arbeiter und zwei Arbeitgeber einzuladen." Heißt es dann weiter, daß für die Beschluß- fassung a»ich die Anwesenheit des Vorsitzenden und zweier Beisitzer genüge, so ändert das daran absolut nichts, daß z,vei Arbeitgeber und zwei Arbeiter einzu- laden sind. Unsere Hauptbedenken betreffen aber die Recht- sprechung selbst. Da ist's zunächst die an den Gewerbegerichten soviel gerühmte und thatsächlich auch ein gut Theil ihrer Be- deutung ausmachende Bestimmung derselben, S ach ver- st ä n d i g e» g e r i ch t e zu sein, welche nicht übersehen werden darf. Ohne besondere Auseinandersetzung leuchtet von vornherein ein, daß in einer Besetzung von vier Bei- sitzern das Gcwerbegericht den Anforderungen, welche an ein Sachverständigengericht zu stellen sind, viel eher genügen kann, als wie in einer Besetzung von zwei Sachverständigen und dem unparteiischen juristisch gebildeten Richter, der seine juristische Bildung nalurgemäß möglichst zur Geltung bringen will und auch leider häufig genug da zur Geltung bringt, wo es besser nicht gewesen wäre. Es sei nur darauf hingewiesen, daß die Thäligkeit der einzelnen Kammer sich nicht auf die An- gehörigen einzelner Industrie g r u p p en, sondern auf die ganzer umfangreichen Industrien erstreckt, welche in sich eine grobe Anzahl von Gewerben schließen, die oft genug die verschiedenartigsten Produktions- und Bertragsverhältnisse auf- weisen. An bestimmten Tagen nun Sachen aus diesem, an anderen aus jenem Gewerbe zu erledigen, und zwar unter jedes- maliger Hinzuziehung der in betracht kommenden sachverständige» Beisitzer, das dürfte sich wohl ebenfalls mit der Natur des Gewerbegerichts nicht vertragen; dadurch würde übrigens bei der Verminderung der an der Sitzung theilnehmenden Beisitzer von vier auf zwei nichts im Punkte der Sachversiändigkeit gebessert werden, schon nicht»vege» der zu große» und weitverzweigten Differenzirung in den Verhältnissen und Zuständen des der einzelnen Kammer zugehörenden Arbeitsfeldes, wozu noch vieles andere kommt, das hier zu er- örtern zu weit führen würde. Was die Besetzung des urtheilen- den Gewerbegerichts mit nur zwei Männern aus dem praktischen Lebe» aber vor allem äußerst bedenklich erscheinen läßt, das ist das Uebergewicht des Juristen jim Vorsitzenden, das sich zum Schaden einer gewerb- lichen Rechtsprechung, wie sie sein müßte, noch weit mehr wie bisher bemerkbar machen würde. Im Interesse des schon genug geschädigten Ansehens des Gewerbegerichts ist zu erwarte», daß die befürchtete Neuerung nicht über die jetzigen Probesitzniigen— so möchten wir sie nennen— hinauskomme. Ein JnnmigS-Jubelfest. Zu Ehren der Berliner Buch« binder- Innung, deren dreihundertjähriges Jubiläum gefeiert> wurde, hielt verwichene Woche der Bund deutscher Buchbinder- Innungen seinen Verbandstag in Berlin ab. Zum„Tagen" brauchten die Herren Prinzipale volle sechs Tage— vom Sonn- abend, den 27. Juli, bis Donnerstag, den 1. August—, davon waren aber, getreu dem echten Jnnnngsbrauch, ganze acht Stunden den Berathungen gewidmet; die übrige Zeit blieb frei für Vergnügungen aller Art. Die Verhandlungen selbst inter - essiren nicht,— es wurden alte Jnnungs-Ladenhiiter neu auf- gebügelt, darunter selbstverständlich auch die Zwangsinnung nebst Befähigungsnachweis. Wichtiger ist die zugleich veranstaltete Ausstellung im Wintergarten, die heute Abend ihren Schluß erreicht. Wer in dieselbe eintritt, wird überrascht sein von dem augenfälligen Ueberwiegen der Maschinen. Eine Ausstellung des Handwerks, zu gut zwei Drittel aus Maschinen, und, wie man auch sieht, meist komplizirten Maschinen bestehend— wie reimt sich das zusammen? Das machte uns stutzig, dennoch sahen wir uns zuerst die ausgestellten Gewerbe- Erzeugnisse an. Den, Fachman fällt auf, daß die moderne Buch- binderei, welche der Herstellung von Masseneinbänden dient, so spärlich vertreten, besser gesagt: gar nicht vertreten ist. Leipzig , tuttgart und die anderen Buchbinder- Zentren haben sich eben ferngehalten, und der„Batz", den die Berliner Großbnchbinderei liefert, darf sich nicht sehen lassen. Jndeß muß anerkannt werden, daß auf dem Gebiete der Handarbeit tüchtige Leistungen ausgestellt wurden, Handvergoldung, Ziselirschnitt, getriebene, gcpunzte und aufgelegte Lederarbeit wird zum theil vorzüglich veranschaulicht. Das könnte die Arbeit des Kleinmcisters sein; stutzig wird man nur wieder beim Lesen der Namen der Aussteller, die Collin, Vogt u.Sohn, Burda, Pohl, repräsentiren aber sämmtlich größere Betriebe! Man erkennt auch hier, auf dem eigensten Gebiete des Handwerks, die Ueberlegenheit des Großbetriebs; der vermag das beste Material, die besten Werkzeuge— last not leasb— die besten Arbeiter zu gewinnen— und er bleibt oben. Manche erhoffen die Gesundung der Buchbinderei als Handwerk von der Verfeinerung der Produkte. Als ob die Masse des Volkes oder auch nur ein nennensiverther Bruchtheil sich solchen Luxus gönnen dürfte! Am Buch, und gar am Einbände, wird selbst in besitzenden Kreisen zuerst gespart. Vielbemerkt wurde die Aus- stellung der Reichsdruckerei.„Es weht ein guter Wind fnr's tandwerk da oben, also dürfen die nicht fehlen l" sagte uns ein esichtiger der Ausstellung. Die hochentwickelte Berliner Kontobuchfabrikation wurde nur schwach repräsentirt. Kein Wunder! Ihre Fabrikationsform ist die fabrikniäßige, und die Herren Fabrikanten halten sich von dem„Kropzeug" der Innung fern. Selbst alte Jnnungs- Mitglieder stellten nicht aus. Gute Albums brachte eine Firma zur Schau,— wer soll die aber kaufen? Der Export nach Amerika ist dank der Mac Kinley-Bill zum Teufel, und das deutsche Volk— du lieber Gott, wo nimmt es das Geld hierzu her? In der Kartonage-Jndustrie fällt besonders das Dresdener Riefenunternehmen auf: Die ausgestellten Schachteln und Kästen stehen sauber gepreßt und geprägt da, wie sie kein Kleimneister, selbst um den zehnfachen Preis herzustellen vermag. Weiß man jetzt schon genau: diese Ausstellung ist von Handwerkern veranstaltet, aber die Industrie ist es, die dominirt, so wird der Eindruck verstärkt beim Ansehen der Maschinen. Ein paar dutzendmal mußten wir denken: ja, hat man denn diese Sachen ausgestellt, um zu zeigen: das Handwerk ist kon- kurrenz unfähig? Beschaue man nur die vielen Gattungen Heftmaschinen, die allesammt arbeitssparend wirken, aber nalür- lich Geld kosten. Für Kartonagehestung wurden vorgeführt Draht- und Blechheftung, und eine ganz neue automatische Maschine zum beliebigen Eckenschlicßen mit Papier, Gaze oder Lein- wand. Ein Buchbindermeisterlein sah letzterer sofort die prak- tische Verwendbarkeit an, als er aber den Preis hörte, zuckte er zusammen und drückte sich bei seite. Zum Ueberziehen von Kartons, Decken, zum Zusammenkleben von Pappen u. s. w. wurden Maschinen gezeigt, die sclbstthätig anschmieren und zu» schneiden. Beides braucht man also nicht mehr mit der Hand zu leisten. Zum Rückenrunden für Kontobücher muß der kleine Meister viel Mühe und Zeit aufwenden, hier machte es die Maschine geschwind und viel schöner. Mit dem Falzen und Walzen, Beschneiden, Runden der Bücher und Ecken, dem Deckel- schneiden und Abschrägen der Kanten, dem Vergolden und einem Schock anderer Hantirungen steht es ähnlich. Wir hörten in der Ausstellung immer wieder die Worte: Die Innung wollte wohl sich selbst den Todtenschein ausstellen? Das war auch das richtige Urtheil. Handwerk, Handwerk, mit dem ist's Matthäi am letzten Z DaS Stadtvoigtei- HilfSgefängnIff in Moabit , im Berliner Jargon„Perleberg " genannt, erhält zum nicht geringen Theile den unfreiwilligen Besuch solcher armen Teufel, die eine ihnen zudiktirte Geldstrafe nicht zahlen können, und diese Summe zur höheren Ehre der gerecht und milde waltenden Frau Justitia abbrummen müssen. Aon einem Gewerbetreibenden, der wegen Verletzung der Sonntagsruhe eine mehrtägige Haftstrafe zu verbüßen hatte, liegt uns ein Schreiben vor, das aufs deutlichste zu erkennen giebt, in welcher — nun, sagen wir orginellen Weise in„Perleberg " diesem Sünder, der vielleicht durch die Roth zur lieber- tretnng der Vorschriften über die Sonntagsruhe veranlaßt wurde, die„Achtung vor dem Gesetz" beigebracht ist.„Nachdem wir in der Woche wie üblich geschuftet hatten," heißl es in der Mit- theilung,„kam der Sonntag, der Tag des Herrn, heran; ich war gespannt, in welcher feierlichen Weise so ein Sonntag sich hier zwischen Gesängnißmauern abspielen würde. Wer beschreibt mein grenzenloses Erstaunen, als mir bedeutet wurde, daß dieser Tag regelmäßig für das„große Reinemachen" ausersehen sei. Der Sonntag, von dem ich rede, der 28. Juli, wurde auch richtig in der entsprechenden Weise durch Reinigung des Fuß- bodens, der Wände, der Fenster, Thüren und Oefen, und durch große Wäsche der Tische, Bänke und Schemel :c.„gefeiert". Nachher gab es dann noch eine Nachfeier in der Kirche. Daß ich durch diese Art Sonntagsheiligung im Gesängnisse nun ein für alle Mal von den Gelüsten, den Sonntag in strafbarer Weise durch Arbeit zu entheiligen, kurirt bin, kann ich wirklich nicht behaupten." Der Mann, der uns diese Mittheilungen macht, war in der Station sieben, Zelle zehn internirt; seine Angaben werden uns auch noch von anderer Seite bestätigt; geklagt wird, daß die Luft in der Zelle, wo 8 Personen i» der großen Hitze arbeiteten, sehr schlecht gewesen se,; ma» meint, daß der
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