Nr. 35243. Jahrg. Ausgabe A nr. 181
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Donnerstag, den 29. Juli 1926
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Zeugnisse gegen Gürtner.
Das bayerische Justizministerium bestreitet.
-- Die Sprache der Akten.
Das bayerische Justizministerium setzt der schweren An-| hatte, unter der Vorspiegelung, sie sollten Waffenlager zeigen, in ein flage, die durch den Reichstagsabgeordneten Genossen Paul Automobil gelodt worden waren. Levi gegen Herrn Dr. Gürtner immer noch bayerischer Justizminister erhoben worden ist, eine dürftige und nichtssagende Erklärung entgegen. Diese Erflärung lautet:
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" Der Reichstagsabgeordnete Dr. Levi, der Berichterstatter des Femeausschusses im Reichstag, stellt im Vorwärts" die Behauptung auf, der bayerische Justizminister Gürtner sei in seiner damaligen Eigenschaft als Oberregierungsrat im Justizministerium am 14. März 1921 dem Staatsanwalt in den Arm ge= fallen und habe dadurch bewirkt, daß die Mörder des Hartung nicht der verdienten Strafe zugeführt werden konnten. Diese Behauptung wird als unrichtig mit aller Entschiedenheit zurückburg und München , d. h. auf der Strecke Ulm - München eine dem gewiesen.
Sie findet auch nicht, wie Dr. Levi behauptet, in den Akten, die das Justizministerium zur Kenntnis ihres Inhalts dem Femeausschuß zur Verfügung gestellt hat, eine Grundlage. Mit der Unrichtigkeit der Behauptung entfallen selbstverständlich auch alle Folgerungen, die Dr. Levi hieraus zieht.
Die Untersuchung des Falles Hartung durch den Feme aus schuß wird die Behauptung Dr. Levis in vollem Umfange wider legen. Es muß befremden, daß Dr. Levi dieser Untersuchung vor greift, obwohl der Femeausschuß gerade auf Antrag seiner politischen Freunde zur restlosen Aufklärung der Fememorde eingesetzt worden ist."
Diese Erklärung zeugt weder von dem Willen des baye rischen Justizministeriums, eine Klärung herbeizuführen, noch von dem Willen Gürtners, sich gegen die schwere Anflage zur Wehr zu sehen. Sie ist geboren aus dem Willen zur Bertuschung.
Ist es schon auffällig, daß der Justizminister eines Landes eine so schwerwiegende gegen ihn gerichtete Anklage mit der Bemerkung beiseite zu schieben versucht, sie sei unrichtig, so ist es eine große Unvorsichtigkeit des bayerischen Justiz ministers, zu behaupten, daß die Anflage in den Aften feine Grundlage finde.
Zur Gedächtnisfchärfung des bayerischen Justiz ministers Dr. Gürtner stellen wir im Folgenden Tatfachen zusammen, die bis in die kleinsten Einzelheiten attenkundig sind. Diese Tatsachen sind dem Reichstagsausschuß bereits vorgetragen worden, nur damals in anderem Zusammenhang. Wir rekapitulieren die Tatsachen, unter stärkerer Hervorhebung der einzelnen Daten, damit die Zusammenhänge flar werden.
Am 4. März 1921 wurde in der Zusam bei Zusmarshausen die Leiche eines Mannes gefunden mit etwa einem Dutzend Schüffen durch Kopf und Körper, die Leiche zudem an Kopf und Füßen mit Pflastersteinen beschwert, also in der Absicht in die Zusam gelegt, fie zu versenken. Die Leiche blieb zunächst unbekannt. Einwohner von Zusmarshausen erklärten, sie hätten nachts ein Auto durch Zusmarshausen fahren hören und furze Zeit nach der Durchfahrt etwa ein Dutzend Schüsse vernommen, und zwar aus der Richtung, in der später die Leiche gefunden wurde. Die Aufmerksamkeit der
Am 10. März wurden die Teilnehmer der Automobilfahrt festgestellt. Es waren: ein Student Neunzert, ein Rittmeister a. D. Beurer, ein Student Bally, ein Student Schwefinger. Es wurden bei ihnen aussuchungen vorgenommen. Man fand bei ihnen Pistolen von 7 und 9 Millimeter Kaliber, das Kaliber, von dem Geschosse in der Leiche des Hartung gefunden worden waren. Die Bernommenen gaben zu, in jener Nacht von Augsburg über 3usmarshausen nach Ulm gefahren zu sein und am 4. März von Ulm wieder nach München mit der Eisenbahn zurückgereist zu sein. Sie bestritten die Mordtat. Am 5. März, morgens, jedoch war auf dem Eisenbahngleis zwischen Augs Hartung gehörige Ledermappe mit der blutigen und von Schüssen durchbohrten Müze des Har tung gefunden worden. Dazu fam: die Zusam ist ein seichtes Flüßchen, in der Leichen nicht versenkt werden können. Sie hat nur einige ganz wenige tiefe Stellen, in denen eine Leich verfenft werden fann: gerade an der Stelle, in der die Leiche lag, ist eine solche Tiefe. Sie mußte also von Ortstundigen versenkt worden sein. Es ergab sich: der Rittmeister Beurer, einer der Mitfahrer, ist aus Zusmarshausen gebürtig, dort wohnhaft, ein eifriger Jäger und wie er selbst sagt, mit den Gewässern genau Infolgedessen wollte am 11. März abends die Abteilung VI die bisher den Fall bearbeitet hatte, zugreifen und die Teilder Münchener Polizeidirektion, die politische Abteilung, nehmer an der Fahrt verhaften.
bekannt.
In diesem Augenblid griff Pöhner, der Polizeipräsident, ein. Er übertrug am 11. März abends die Bearbeitung dieser Sache von der Abteilung VI auf die Abteilung I, d. h. auf Beamte, denen der Sachverhalt bis dahin völlig fremd war. Nunmehr wurde bei der Abteilung I die Sache von neuem bearbeitet. Abgesehen von den oben erwähnten Indizien, kam nun aber am 12. März noch folgendes Indiz hinzu: Neunzert, Beurer und Bally hatten als weiteren Mitfahrer den Studenten Brandel angegeben. Brandel wurde vorgeführt und fagte aus: es sei nicht wahr, daß er mitgefahren sei. Am 8. oder 9. März- also ehe die Mitfahrer jenes Autos überhaupt vernommen worden waren habe Neunzert zu dem Brandel gesagt, wenn er gefragt werde, solle er sagen, er sei Mitfahrer gewesen,
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er solle sich bekennen, an Stelle des Berchtold, der nicht benannt werden dürfe, weil er bereits in die Mordfachen Sandmeyer und Dobner verwickelt sei.
Am
Berchtold war auch infolgedessen sofort nach seiner Rückkehr nach München am 4. März verschwunden und nicht auffindbar, also verschwunden in einem Zeitpunkt, ehe Nichteingeweihte überhaupt wußten, daß Hartung ermordet worden sei. 13. März abends waren daher die polizeilichen Ermittlungen soweit gediehen, daß auch die Abteilung I nunmehr sich anschickte, die Fahrtteilnehmer zu verhaften.
Polizei wandte sich daher in erster Linie auf drei Automobile, Minimaler Rückgang der Erwerbslosigkeit
die von einer Kontrolle in Augsburg in jener Nacht festgestellt worden Ein Auto blieb unermittelt, das andere war unverdächtig, dar dritte trug die Nummer IIA 7882.
waren.
Am 9. März wurde dies Auto als
der Landesleitung der Einwohnerwehr gehörig festgestellt und am selben Tage die Leiche als die des Kellners Hartung erkannt. Der Berdacht lenkte fich daher auf dies Einwohner mehrauto, und in der Zeit zwischen dem 9. und 11. März wurde folgendes festgestellt:
... um wenig mehr als 1 Prozent. In der ersten Julihälfte ist die Zahl der männlichen Hauptunterstübungsempfänger weiter von 1408 527 am 1. Juli 1926 auf 1383 596 am 15. Juli 1926 zurüdge gangen, die der weiblichen Hauptunterstüßungsempfänger von 332 645 auf 335 265 gestiegen; die Gesamtzahl der Hauptunterstüßungsempfänger ist somit von 1741 172 auf 1 718 861, also um 1.3 Bro3, gesunken, die Zahl der Familienangehörigen( Buschlags empfänger) von 1728 153 auf 1708 299.
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Hartung hatte mit der Einwohnerwehr in Berbindung gestanden Bochum , 28. Juli. ( Eigener Drahtbericht.) In einer Sitzung des and hatte von ihr, b. h. von dem Leiter ihrer Waffenabteilung, einem Baritätischen Ausschusses der Abteilung Bergbau des LandesarbeitsOberleutnant Braun, wiederholt Geld zu verlangen versucht. Beamtes Westfalen wurde in einer Besprechung der Arbeitsmarktlage reits am 15. Februar war auf den Hartung, der in Begleitung des mitgeteilt, daß die Arbeitslosigkeit im Ruhrbergbau Braun bei Nacht durch den Englischen Garten gegangen war, ein etwa das 1% fache des Reichsdurchschnitts beträgt. Im Attentat mit Totschlägern verübt worden, während rheinisch- westfälischen Steinkohlenbergbau hat sich die ArbeitslosenBraun bei diesem Ueberfall völlig unversehrt geblieben war. ziffer unter dem Einfluß des englischen Streits in den letzten Monaten zwar wieder gesenkt, ist aber immer noch weit höher als im Jahresanfang und beträgt rund 45 000 Erwerbslose. Der Belegschaftsabbau ist nach wie vor groß. Am stärksten im südlichen Gebiet des Ruhrbergbaues, wo die Belegschaft mit etwa 83 Broz. vermindert wurde, während im Durchschnitt im gesamten Ruhrbergbau ein Belegschaftsabbau von 34 Broz. erfolgte. In diesem Jahr sind nur 1350 Stellen für ausländische Bergarbeiter genehmigt worden, d. h. etwa 0,4 Proz. der Gesamtbelegschaft.
Am 1. März hatte Hartung von Braun unter der Drohung, er werde Berrat begehen, Gelb zu erlangen gesucht. Am 3 März nachmittags saß Hartung in einem Münchener Caféhaus und hatte dort mit ihm zusammenfißenden Zeugen erzählt, er werde heute nacht eine Automobilfahrt antreten, um ein affenlager zu räumen. Es muß hinzugefügt werden, daß die Marie Sandmeyer wie der Reichswehrsoldat Dobner, die man ermordet, beziehungsweise zu ermorden versucht
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Der damals mit der Sache befaßte Augsburger Staatsanwalt Krid, der während der Untersuchungen nach München gekommen war und der in der Münchener Polizeidirektion amtierte, schrieb die Haftbefehle aus- bei den Volksgerichten erließ der Staatsanwalt die Haftbefehle.
Am 14. März, mittags, reiste der Staatsanwalt Krick in dem Gefühl, den Mord nunmehr geklärt zu haben und das Seinige zur Festnahme der Täter getan zu haben, nach Augsburg zurück. Zwei Täter faßen bereits, die übrigen wurden noch gesucht. Ihre Berhaftung stand im Laufe des 14. oder 15. März bevor. Um 1 Uhr nachmittags fam der Staatsanwalt Krick nach fünftägiger Abwesenheit in seiner Wohnung in Augsburg an. Er wollte eben seine Suppe effen, als vor seiner Tür ein Automobil vorfuhr. Dem entſtieg ein Dr. Gademann, seines Zeichens Rechtsfonzipient, darüber hinaus aber Hilfsarbeiter in der Rechtsabteilung der Landesleitung der Einwohnerwehr.
Der junge Referendar forderte den Staatsanwalt, wie auch alsdann seinen Vorgesehten, den Oberstaatsanwalt Kraus auf, sofort mit ihm in das Justizminifterium nach München zu fahren, wo fie um 3 Uhr erwartet würden.
Beide, Staatsanwalt und Oberstaatsanwalt, sezten sich auf dies Ersuchen des Referendars in das Automobil, der Staatsanwalt bewaffnet mit den Alten Hartungs. Sie fuhren vor dem Justizminifterium Bunft 3 Uhr vor und glaubten, von dem JustizDr. Roth. Im Justizministerium waren sie zunächst enttäuscht, minister empfangen zu werden. Justizminister war damals daß sie nicht zu Roth geführt wurden, sondern nur zu einem Oberregierungsrat.
Dieser Oberregierungsraf war Dr. Gürfner, der heutige Justizminister.
Das Ergebnis der einstündigen Besprechung im Justizministerium war folgendes:
Derselbe Staatsanwalt, der 24 Stunden zuvor die Haftbefehle unterzeichnet hatte, ging nach der Unterredung mit Gürtner am 14. März 1921, nachmittags 4 Uhr, auf die Polizeidirektion München und ordnete an: 1. Aufhebung der Haftbefehle, 2. Rückgabe der beschlagnahmten Pistolen an die Täfer, obgleich diese Pistolen bisher nur ganz oberflächlich von einem„ Sachverständigen" einem Einwohnerwehrangesehen worden waren, der gesagt hatte, vermutlich sei aus diefen Waffen in näherer Zeit nicht geschossen worden. Was auf der Polizeidirektion geschah, wird am besten dargestellt durch die Aussage des Regierungsrats von Merz, des Leiters der Abteilung I der Polizeidirektion. schildert die Borgänge folgendermaßen:
mann
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Er
Als der Staatsanwalt zu ihm gekommen sei, um ihm zu er klären, daß er die Haftbefehle aufhebe und die Waffen zurückgebe, habe er dem Staatsanwalt vorgehalten, das sei doch ganz unmöglich, nach Lage der Sache seien doch die Täter überführt und ständen unmittelbar vor einem Geständnis. Es sei doch ganz unmöglich, nunmehr die Haftbefehle aufzuheben.
Das alles habe auf den Staatsanwalt teinen Eindruck gemacht,
er habe die Haftbefehle aufgehoben und die Rückgabe der Waffen
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angeordnet. Er, Merz, habe dieses Borgehen für so unmöglich gehalten, daß er am folgenden Tage Beobachtungen und Einwendungen gegen dieses Verfahren schrift am 15. März alle seine lich niedergelegt und den Atten beigefügt habe. Darcuf sei er am 16. März in das Zimmer des Polizeidirektors Ramer anwesend gewesen. Oberstaatsanwalt Kraus habe ihm Ramer beschieden worden; in diesem Zimmer seien Kraus und anwaltschaft, er habe deren Anweisungen Folge zu leisten und mehr barsch erklärt, er verkenne seine Rolle als Hilfsorgan der Staatsnicht. Ramer habe ihm ernst zugeredet, er möchte doch„ feine dienſtlichen Dummheiten begehen" und seinen schriftlichen Vermerk wieder von den Aften zurücknehmen. Dadurch habe er sich be= immen lassen, diesen Vermert zurückzunehmen. Und nun soll Herr Gürtner erklären, ob das ein Eingriff in ein Berfahren ist oder nicht! Berfahren ist oder nicht!
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München , 28. Juli. ( Eigener Drahtbericht.) Der Reichsjustizminister Dr. Bell trifft am Mittwochabend in München ein, um am Donnerstagvormittag dem Ministerpräsidenten Dr. Held und der bayerischen Staatsregierung einen Besuch abzustatten. Es verlautet, daß der Reichsjustizminister bei dieser Unterredung mit den bayerischen Staatsministern auch die Angelegenheit des Feme= ausschusses des Reichstages zur Sprache bringen wird. Dr. Bell wird München voraussichtlich schon am Donnerstagnachmittag wieder verlassen.