ITr. 356 ♦ 43. Jahrgang
7. Seilage ües Vorwärts
Sonkabenö, 31. Mi 7426
Wie märkifthe Kleinstäöte aussehen.
Schon oft ist hier Lei der Schilderung der im Norden der Mark liegenden Städte auf den landschaftlich reizvollen Charakter jener wald- und seenreichen Gegend von der Oder bis zu Neu-Ruppin hingewiesen worden. Ein Glanzpunkt dieses Touristenlandes, wie er schöner nicht gedacht werden kann, ist der östlich« Ausläufer der tickermärkischen Endmoräne, der sich von der bekannten Klosterruine Chorin , nach dem an der„alten Oder" gelegenen Oderberg hinzieht. Für den Wanderer von malerischem Reiz, da sich auf diesem 5)öh«n- rücken ein« Waldlandschaft von reichster Mwechslung in Laub- und Nadelholz mit prächtigem Unterholz offenbart. Aber auch für den die Bequemlichkeit liebenden Besucher ist durch die Postautover- bindung Eberswvldc— Oderberg gesorgt. Gebirgstour im postauto. Die Straße Eberswalde— Liepe— Oderberg führt zum großen Teil in halber chöhe des Absturzes des genannten Waldhöhenzuges zum Wicsental der Finow hin, das den letzten Rest des am 14. Juli 1314 in bekannter theatralischer Weise„chohenzollernkanol" gelauften, seit 1918 als Großschiffahrtsweg Berlin— Stettin bezeichneten Wasser- weges zwischen Berlin und der Oder umfaßt. In diesem Tal liegt die Trep�enschleuse, die«in Gefäll« von 36 Meter überbrückt, wozu der alte ittinowkanal 14 Schleusen nötig hat. Wer in Eberswalde im Auto die Augen zumacht und sie noch etwa zehn Minuten wieder öffnet, wird sich in eine Schivarzwald-
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landschaft verseht fühlen, auf einen jener Weg«, wie sie z. B. von Baden-Baden nach dem Sand und anderen Hichenpunkten führen. Kurv« folgt aus Kurve und wird von dem großen Wogen elegant genommen: die Güte der Straße, wohl eine Folg« des in dem Moränengebiete überreich vorhandenen Feldsteinmaterials, ähnelt jener der Granilstraßen Badens: nur das Murmeln der dort allent- halben scheinbar aus dem Nichts entspringenden und in raschem Lauf zu Tal eilenden Bäche und Wasserrinnen fehlt. Zur Rechten streift der Blick durch die Gipfel der hohen, auch den unteren Teil des Ab- sturzes bedeckenden Bäume den Talboden: er blickt über dessen ganz« Breite bis zu dem Höhenzuge Eberswalde— Freienwald« hinweg und bleibt an dem großen Kunstwerk der Schleuse hasten, wo erhöhter Verkehr sich zeigt. Bei Liepe , einem langgestreckten Dorf, verbreitert sich das Talwasier: der Lieper, dann der Oderberger See führen schließlich in die„alte Oder" und geben damit den Anschluß an die Oderschifsahrt. Auf diesen Seen bemerken wir Tausende von Baum- stämmen: bald sehen wir auch die Schneidemühlen und dos luftig aufgestapelt« geschnitten« Holz verbreitet seinen charakteristischen Geruch. Zur Linken weist ein Wegweiser zum Pimpinellen-Berg, den ein Aussichtsturm krönt: die Kolonie Teufelsberg wird paffiert— bald fahren wir in Odcrberg ein. Auf dem Markt hält das Post- auto— vor dem bescheidenen Rathaus sprudelt in einfacher Fasiung ein Quell hervor. Schade, daß es nicht zum Brunnen gereicht hat— wie schön hält es sich in Mondscheinnächten Zwiesprache mit solchem ewig sprachlüsternen Gesellenl Ttadetc Wege zur Stadt. Die Straße, die wir gekommen sind, heißt die Berliner , senkrecht zu ihr mündet am Markt die Angermünder ein, die zum Wasier führt. Die Bahn Angermünde— Areienwalde hat in Oderberg einen Bahnhof — aber wo ist er? Ein« halbe Stunde Weges ab, über dos Wasser hinweg, durch das neu« Viertel mit der„Wilhelmstraße", nahe an Brolitz. dessen Holzsägerei die größte des ganzen Tal�ist. Natürlich sind die Oderberger damals, als die Bahn gebaut wurde, schuld an dieser Krähwinkelei; die wir in ähnlicher Weise auch schon an anderen märkischen Plätzen konstatieren konnten:— sie glaubten, daß die Bahn die Ruhe des Städtchens zu sehr störe, und ließen sich von einem Bralitzer, der den Boden der Bahn umsonst hergab, schlagen. Dos Postauto ist für den häufigen Gebrauch zu teuer, der Dampfer- und Motorbootverkehr doch mehr auf Touristenzwecke eingestellt. Ms 6er Gejchichte 6er Sta6t. Einst war Oderberg ein Stapelplatz, auf dem alle die Oder aus- wärtsgehenden oder per Achse eintreffenden Waren drei Tage lang zum Berkauf ausgelegt werden mußten. Berlins Handel war damals (14. und 15. Jahrhundert) mit Oderberg eng verknüpft, aber auch
Magdeburg und die Hansestädte hatten Anteil daran. 1375 oerzeichnet das Landbuch Kaiser Karls IV. für Oderberg 1400 Schock Groschen als jährliche Gebühr(das sind noch heutigem Geld« 180000 Mark). Der Orl wurde um 1200 gegründet: auf der höhe stand 1215 die erste Burg. Ende des 14. Jahrhunderts wurde jedoch der Schutz der Stadt und der Handelswege einer neuen Burg auf der rechten Seite des Flusies anvertraut, dem„Bärenkasten"(nach«inst hier gehaltenen Bären so genannt), der aber 1736 als unzeitgemäß abgetragen wurde und heute nur noch durch einig« Reste, von Holundergebüsch und Efeu überwuchert, gekennzeichnet ist. Kriege mit Pommern und Mecklenburg , Stadtbrände und Uebeischwemmungen haben in älteren Zeiten den Aufstieg der Stadt beeinträchtigt: die Bedrückungen durch den 30jöhrigen Krieg und der große Brand um 1672, der ganz Oder- berg einäscherte, ließen den einstigen Wohlstand, zumal bei den sich verändernden Handelswegen, rasch sinken. Als Stapelplatz für Holz hat Oderbcrg dann neu« Bedeutung erlangt. Mt 5uße 6es Serges. Je näher man auf der Berliner Straße dem Marktplatz kommt, desto enger wird der Raum für die Straßenzeil«. deren rechte Häuser mit ihren Höfen und Gärten bis an die naturgewachsene Uferstraße reichen. Aber von links rückt der Berg immer mehr der Straße auf den Leib— und der Aufstieg zu diesem 45 Meter senkrecht abfallenden Albrechtsbcrge wird zum Teil durch Treppen bewerkstelligt. Alt sind die 5)äuser, die sich hier, vielfach als Fachwerkbauten, mit windschiefen Wänden, geneigten Giebeln, aber auch mit schönen alten Türen und malerischen Treppen- und 5)osinteri«urs unfern Augen darbieten. Ein Haus neben dem Rathaus, das ältere Abibildungen zeigen, ist abge- tragen: ein Garten ist an feine Stelle getreten und die warm« Lage und gut« Pfleg« haben dem Blumenflor eine gedeihliche Entwicklung gegeben: mitten im Sommer waren die Dahlien, diese echten Herbst. blumen, nicht nur hoch aufgeschossen, sondern auch schon mit großen Blumen besetzt. Hob man den Blick in die Höhe, so sah man in ein altertümliches Etwas, das dem Rathaus« nach hinten zu eingefügt war, und darüber einen Teil der Kirche, die nach Stülers Entwurf in der Zeit Friedrich Wilhelms I V. auf der Anhöhe errichtet worden ist. Auf der Bergeshöhe liegt auch der Kirchhof, da das Grundwasser die Bestattung der Toten im Tal nicht rätlich erscheinen ließ. In der Nähe auch die Bastei , die wiederum ein« andere Aussicht bietet. M 6er»alten G6er". Das Wasier gibt jedem Ort nicht nur eine malerische Silhouette, sondern auch ein Eigenleben, halb sportlicher, halb hygienischer Art. Di« Mädels und Buben' laufen im Badeanzug und barfuß umher, trotz der spitzen Stein«, die das Straßenpflasler aufweist, und die mehr erwachsene Welt sucht Kühlung aus dem Wasier im Ruder- und Seegelboot. Aber auch der Ernst der Arbeit zeigt sich zu Wasser— die schwarze Rauchfahne, die sich nähert, gehört einem Schlepper, der ein großes Floß heranbringt. Auf der Brück« stehend nehmen wir Parade ab: Sechs Mann sind auf dem Riesenfloß verteilt: 300 Meter
Alte Häuser In der Berliner Straße
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An Feiertagen hatte die Hafenpolizei ein besonders scharfes Auge auf dos Publikum, das sich in der Nähe der großen Passagierdampfer herumtrieb, und der Setzer mußte tüchtig auf seiner Hut sein, wollte er nicht als verdächtiger Geselle abgefaßt werden, lange ehe es ihm gelungen war, sich an einen Matrosen heranzumachen. Es war eine Freude, so aus der Entfernung zu beobachten, wie der zerknüllte, oer- waschene Hut oft schon ganz in der Nähe des Landungssteges auftauchte, um eine Sekunde später eiligst davonzuschweben, auf der Flucht vor einem Dreispitz, der gleich einem Haifisch über das Gedränge ruderte. Pasquali konnte sich nicht helfen, je länger er über diese unverhoffte Verzögerung ihrer Ab- reise nachdachte, wurde auch seine Stimmung mit jeder Mi- nute fröhlicher! Das war vielleicht nicht recht?— Aber es war ja ohne sein Zutun geschehen— und es war doch nicht Freundcspflicht. darüber zu trauern, daß er einen Tag lang fpazicrengehen durfte statt Balken und Kisten zu schleppen!... Sizilien lief niemandem davon, und ein Mädchen, das schon zweieinhalb Jahre gewartet hatte, würde schon einen Tag länger warten, wenn... wenn es überhaupt gewartet hatte. Für ihn selbst, das fühlte Pasquali mit jeder Minute deut- licher, war dieser Tag ein Geschenk, ein letzter Festtag, an dem der Freund noch ganz ihm gehörte. Die Teilung, darauf mußte er sich gefaßt machen, würde ja doch zu seinen Ungunsten ausfallen!...- Der Setzer im Gegenteil faßte den aufgezwungenen Rast- tag als boshafte Tücke des Schicksals auf, und seine Stimme klang verärgert, als er mit der Auskunft zurückkam, der Pack- meistcr sei bereits in die Stadt gegangen und werde kaum vor Abend auf das Schiff zurückkehren. Hätte er den Mann, von dessen Laune alles abhing, wenigstens m die Augen schauen können, die Ungewißheit wäre lange nicht mehr so quälend gewesen: so blieb alles in Schwebe bis zum nächsten Morgen. Der Teufel sollte ihren„Soldato ignoto" holen!... Diesen frommen Wunsch sand Pasquali kränkend und taktlos. Zunächst wahrscheinlich nur, weil die Ungeduld des Freundes seine Eifersucht reizte. Er war sich durchaus nicht im klaren, was es mit diesem unbekannten Helden für eine Bewandtnis hatte, und lauerte nur auf die Gelegenheit, von dem Setzer, der ja über alles Bescheid wußte, eine Erklärung einzufordern. Je weiter sie aber in die Stadt hinaufkletterten und in dem festlichen Gedränge von Automobilen, Wagen, mor�hierevden Soldaten und gaffendem Poll wettertamen,
fühlte auch Pasquali sich immer stärker von der feierlichen Stimmung durchdrungen und zweifelte nicht mehr, daß es sich um ein Siegesfest handeln müsse. Die geschmückten Fenster und Ballone, die schwindelnde Menge der tief nieder- wallenden Trikoloren, die vielen Uniformen und Orden, die vorbeiblitzten, alles erweckte ein Echo jenes Hochgefühls, das der blumengeschmückte Auszug ins Feld hinter der schmettern- den Regimentsmusik und der festliche Empfang der Heim» kehrer vor dem Rathaus seiner Vaterstadt in fem Blut ge- schleudert hatten. Zunächst war er eigentlich nur neugierig — neugierig, die hohen Herren zu sehen, die vorbeirollten, neugierig zu erfahren, wo sie sich alle versammelten... aber im Kampfe mit der erregten Menge, im Schauen, Fragen, Sich-Drängen war unbemerkt das stolze Zusammengehörig- keitsgefühl in ihm wach geworden, das den einzelnen über sich emporhebt und als Bestandteil der gefeierten Kraft, kurz: als „Italiener" vor das eigene, unbedeutende Ich hinstellt. Der Setzer war viel zu intensiv mit seinen Plänen be- schäftigt, als daß ihm die Aenderung im Wesen seines Be- gleiters hätte auffallen können. Sein besserer Berstand sagte ihm wohl, daß es ein sinnloses Unternehmen sei, aus der hundertköpfigen Menge den deutschen Packmeister heraus- zufinden, den er noch gar nicht von Angesicht kannte. Aber er hatte das Schiff mit solcher Ungeduld erwartet, den Kriegs- plan so unzählige Male durchdacht, daß ihm die Verzögerung mit prickelnder Ungeduld erfüllte. In sich versunken ließ er sich von Pasquali durch das Gedränge lotsen, nicht ahnend, daß seine Zerstreutheit argwöhnisch belauert wurde. Zum erstenmal geschah es, daß Pasquali im Setzer den Oesterreicher erblickte, den Fremden, der als gewesener Feind Italiens nicht ohne Mißgunst dieser Siegesfeier beiwohnen konnte. Er war zu einfach, um sich vorzustellen, daß dieses berauschende Erlebnis aus Kanonendonner, Trompeten- geschmetter. brausender Begeisterung und dem Klatschen un- gezählter Trikoloren auf einen anderen tatsächlich ohne jede Wirkung bleiben könnte. Er war überzeugt, sein Freund sei absichtlich bemüht, ein gleichgültiges Gesicht zu machen, um durch sein geringschätzendes Benehmen seine Nichtteilnahme zu betonen. Und das kränkte ihn, schob sich wie eine feucht- kalte Scheidewand nicht nur zwischen ihn und den Setzer, auch zwischen ihn und seine begeisterten Landsleute, die sich restlos der festlichen Stimmung hingeben konnten. Er selbst war ja nicht mehr fähig, den Vorgängen auf dem Fahrdamm aufmerksam zu folgen, weil ein unwiderstehlicher Zwang seine Blicke in das hochmütige Gesicht des Oesterrcichers festband' Es tan nun gar«cht mehr darauf an, wie der Setzer,
in Wirklichkeit sich benahm. Sein Gesicht war zur Aufnahms- fläche geworden und der Verdacht Pasqualis projizierte Hohn, Verachtung oder Neid darauf, um in dem Zorn, den er derart in sich nährte, Ersatz zu finden für das stolze Hoch- gefühl, das sich nicht künstlich neu beleben ließ.... Einen Weg nur gab es, der zurückführte in den Schoß der Menge, die sich unter Fahnen und Blumen gegenseitige Hochachtung bezeigte und jedem, der ihr beitrat, ein gesteigertes Selbst- gefühl verlieh.... Er mußte den Fremdkörper, der ihn gewaltsam abgesondert hatte, von sich wegstoßen, mußte mit den flammenden Worten des gekränkten Patrioten sich auf die Seite seiner Landsleute stellen und sich so einen Ehren- platz in der Gesamtheit erwerben, als ihr Verteidiger.... Er lauerte auf die Gelegenheit, endlich loszulegen, registrierte mit gehässigen Blicken jede Zerstreutheit, jedes teilnahmlose Beiseiteschauen des Setzers und stöberte, wie ein Meuchel- mörder in seiner Waffensammlung, wählerisch in dem Wort- schätz, den vorgelesene Zeitungsartikel, patriotische An- sprachen und Wirtshausdebatten in ihm aufgestapelt hatten. Der Zufall fügte, daß gerade, als sie von der noch- strömenden Menge geschoben aus der Kirche heraustraten, in welcher der unbekannte Soldat unter einem Berg von Blumen und dreifarbigen Schleifen aufgebahrt lag, auf dem Platze draußen das Militär sich zum Rückmarsch in die Kaserne formierte. Kommandoworte knatterten kurz, das glitzernde Spalier zersplitterte, wie an unsichtbaren Fäden gezerrt massierten sich klirrend die Kolonnen, und die Kapelle an der Spitze stimmte schmetternd die Marcia Reale*) an. Die ersten Takte schlugen Striemen in die Seele Pas- qualis... er wuchs, dehnte sich, marschierte mit allen Muskel- fasern... sein Ich zerbarst in selbständige Teile, die sich in Reihe und Glied aufstellten hinter ihm, als hinter ihrem Führer. Der zwölfjährige Lehrjunge, der Räder schlagend vor dieser Melodie einhergesprungen war, der Geselle, der den armen ermordeten König Umberto wenige Wochen nur vor seinem tragischen Ende bei den Klängen desselben Marsches hatte durch das Heimatstödtchen rollen sehen... jede Erinnerung, die irgendwie mit dem Schmettern und Klingen der Marcia Reale zusammenhing, stellte ihren«ige- nen Ecsare Pasquali in die Kette ein, und das Gefühl, an der Spitze dieser Kompagnie zu marschieren, erfüllte die Brist mit Stolz, schnellte die Sohlen fester gegen das Pflaster, stellte den Anführer vor die Ausgabe, seinev Posten mit Würde auszufüllen.--- � 5 � ») Kömgsmarsch. � W--.(Fortjetzung