Abendausgabe
Nr. 371 43. Jahrgang Ausgabe B Nr. 183
Bezugsbedingungen und Anzeigenpreife fino in der Morgenausgabe angegeben Redaktion: SB. 68, Lindenstraße 3 Ferufprecher: Dönhoff 292-29% Tel- Adreffe: Sozialdemokrat Berlin
10 Pfennig
9. August 1926
Berlag und Anzeigenabteilung: Gefchäftszeit 8½ bis 5 1hr Berleger: Borwärts- Berlag GmbH. Berlin SW. 68, Lindenstraße 3 Jernsprecher: Dönhof 292-297
Zentralorgan der Sozialdemokratifchen Partei Deutschlands
München , 9. Auguft.( Eigener Drahtbericht.) Die republij fanischen Parteien Münchens veranstalteten am Sonntag auf dem Areal des Ausstellungspartes eine Verfassungsfeier, zu der auch die Regierung eingeladen worden war, die jedoch nicht erschien. An der Feier beteiligten sich Reichsbanner, Demokratische Partei , Sozialdemokratische Partei , Gewerkschaftskartell, ADGB. , Ortsgruppe München , Arbeitersport- Kartell, Arbeiter- Sängerbund und Republikanische Jugend. Die Beteiligung war so start, daß die ursprünglich für die Veranstaltung bereitgehaltene Flugzeughalle nicht ausreichte und Parallelveranstaltungen auf dem großen freien Platz vor der Halle abgehalten werden mußten. Selbst die reaktionäre Presse Münchens muß zugeben, daß die Feter eine imposante Kundgebung für die Republik war und daß der repu blikanische Gedanke in München auf dem Vormarsch begriffen ist. Sie ist von der Teilnehmerzahl überrascht. Mindestens 20000 Personen marschierten auf.
Mufit und Gesangvorträge gaben der Feier einen weihevollen Auftakt. Dann trat als Hauptrebner des Tages Reichstagsabgeord neter els auf die Rednertribüne. Das Leitmotiv seiner Rede war der Gedante, daß sich Liebe zum Baterland und Pazifismus nicht ausschließen und daß beide in der Weimarer Verfassung wir. fungsvoll verankert sind. Den Sozialdemokraten, so sagte Genosse Wels, ist die Liebe zum Vaterland niemals etn 2ippenbetenntnis gewesen, ebensowenig aber auch der Ruf Nie wieder Krieg!", der sich mit der Verfassungsseter vers bindet. Das Bekenntnis zur Weimarer Verfassung ist ein Bekenntnis zum Frieden. Der Redner wandte sich dann in seinen weiteren Ausführungen gegen die bayerische Regierung, die es nicht für nötig halte, sich an den Gedenkfeiern zum Verfassungstage| zu beteiligen und so wieder einmal den Reichsgedanken und den Bräsidenten des Reiches v. Hindenburg , der persönlich an der Berfassungsfeier der Reichsregierung teilnehmen werde, im Stich lasse. Gin Hoch auf die deutsche Republik und ihre Far ben schwarzrotgold, das von den 8000 Personen, die in der Ausstellungshalle versammelt waren, begeistert aufgenommen wurde, beendete tie Ansprache.
Haftentlassung in Magdeburg . Die Beschwerdekammer hebt die Haftbefehle gegen Haas, Reuter und Fischer auf.
Magdeburg , 9. Auguft.( Eigener Drahtbericht.) Um 12 Uhr mittags wurde bekannt, daß die Haftbefehle gegen Direktor Rudolf Haas, Chauffeur Reuter und den Schriftsetzer Fischer auf Beschluß der Beschwerdekammer aufgehoben find. Die drei zu Unrecht Beschuldigten find sofort aus dem Unterjuchungsgefängnis entlassen worden.
Erzberger, Rathenau , Ebert. Enthüllung eines Ehrenmals in Witten . Wiffen a à Ruhr , 9. Auguft.( Eigener Drahtbericht.) Am Sonntag fand hier unter äußerst zahlreicher Beteiligung des Reichsbanners und der republikanischen Bevölkerung die Enthüllung des Ehrenmals für Erzberger , Rathenau und Ebert statt. Das Denfmal ist einzig in seiner Art. Es wurde in dem herrlichen Stadtpark von Witten , dem Hohenstein, unentgeltlich errichtet. Ein 2,8 Meter hoher Granitfindling erhebt sich auf einem 1,50 Meter hohen Duaderturmjodel, in dem die Namen der drei Märtyrer eingemeißelt find.
Ein Symbol für die Schicksalsverbundenheit zwischen der deutschen Republik und Deutschösterreichs war es, als darauf der österreichische Generalbstabschef der Isonzoarmee, General Theo dor Körner, Mitglied des österreichischen Bundesrats, den Blaz einnahm, den Genosse Wels soeben verlassen hatte, um ein unzweideutiges Bekenntnis für den Anschluß abzulegen. Der Anschlußgedante, so erklärte er, ist heute in Desterreich teine umftrittene Frage mehr, und es wird der Tag tommen, wo Desterreich zum Reich heimkehren wird, auf dem Wege friedlicher Entwicklung, getragen vom Geiste von Weimar und Locarno . Der Tag, der die Völker wieder zusammenführt und Deutschlands Stellung neu befestigt, wird auch Deutschösterreich wieder eins machen mit dem Reich. Grundlage für die Verwirklichung des Ideals sei allerdings die demokratische Verfassung. Und in dieser Hinsicht müsse er als Deutschösterreicher sagen, daß man in seinem Lande um vieles weiter sei, als in Deutschland . So wie der Anschluß feine Streitfrage in Desterreich mehr bilde, so spiele dort auch die Frage Monarchie oder Republik seit langer Zeit feine Rolle mehr. Die paar Monarchisten in seinem Lande behandele man nicht anders denn als harmlose Narren. Ebenso wie die Rede wurde auch das Hoch des Redners mit rauschen. der Begeisterung aufgenommen, das dem alten Ideal von 1848, der großdeutschen einigen Republik galt.
Aufmarsch des Reichsbanners.
Theodor Körner hielt auf den freien Platz vor der Halle, wo das über 10 000 Mann starke Reichsbanner aufmarschiert war, eine zweite Ansprache, in der er noch einmal unterstrich, was er in der Halle gesagt hatte. Den Abschluß der Feier, die in mustergültiger Ordnung verlief, bildete ein Vorbeimarsch der Reichsbannermannschaften auf der Theresienwiese vor General Körner, Otto Wels und dem Bizepräsidenten des Landtages, Genoffen Erhard Auer . Die Feier war ein Zeichen dafür, daß der Reichsgedanke auch in Bayern nicht nur nicht tot iſt, fondern daß er von Jahr zu Jahr wächst, mögen sich auch die Hintermänner des Wittelbachers bemühen, Bayern zu einem Sonderstaat innerhalb des Reichsganzen zu machen.
Ebert- Gedenkstein bei Braunschweig . Ebert- Gebent stein haben am Sonntag die Republikaner Braunschweig , 9. August. ( Eigener Drahtbericht.) Braunschweigs im nahen Dorfe Querum eingeweiht. Das schlichte Sandsteindenkmal trägt am Kopfe den republikanischen Adler. Darunter find in Goldschrift Gedenkworte für den ersten Präsidenten der deutschen Republit eingemeißelt. Den Plaz hat die Braunfchweiger Baugenossenschaft an einer Straßenfreuzung in Querum zur Verfügung gestellt. Schöpfer des Denkmals ist der Reichsbannerfamerad Bildhauer Sachtleben in Querum . Außer dem Reichs banner der Stadt Braunschweig und des Freistaates beteiligten sich Hunderte Republikaner aus Hannover und anderen benachbarten Städten. Auch die Braunschweiger Gemerkschaften und Arbeitervereine mit ihren Fahnen waren stark vertreten, so daß ein imposanter Zug von Braunschweig nach Querum marschierte. Im Mittelpunkt der Denkmalsmeihe stand die Gedenkrede des Kameraden Dr. Bärensprung vom Bundesvorstand des Reichsbanners. Die ftimmungsvolle Weihestunde fand mit dem Liede„ Ein Sohn des Bolkes" ihren Abschluß.
Zurück ins Mittelalter!
Das faschistische Streben.
Lugano , Anfang August. Niemand wird behaupten, daß sich mit dem Begriff des modernen Geistes und Gedantens ein Programm oder ein System verbindet; es handelt sich um ein allgemeines Streben, das in der französischen Revolution ihren ersten weltgeschichtlichen Ausdruck fand. Das Individuum zerriß vielhundert jährige feudale und religiöse Bindungen und maßte sich an, nunmehr wirklich zum Maß der Dinge zu werden, als das es ein griechischer Denker vor mehr als zweitausend Jahren aufgestellt hatte. Inhalt des modernen Geistes ist der Begriff der Freiheit, der Persönlichkeit und als Verbindung beider der Humanitätsgedanke und das Humanitätsgefühl. Der Faschismus will den modernen Geist überwinden, will die„ Episode" der französischen Revolution aus der Geschichte, wenigstens aus der Italiens , auslöschen. Es ist auch gelegentlich das Wort gefallen, daß er an die Renaissance anknüpfen will, aber diese Behauptung erklärt sich aus der Unkenntnis des Wesens der Renaisfance, in der viele Reime der französischen Revolution vorgebildet waren. In Wirklichkeit will der Faschismus ins mittelalter zurück: daher die Einschnürung des Individuums in religiöse Dogmen, in Kasten und zünfte, daher die Herabfezung der individuellen Rechtsgarantien, da der einzelne nur als ein Werkzeug des Staates gilt, daher das Streben nach roheren Formen des Strafvollzuges. Der Faschismus hat allmählich eingesehen, daß man die Demokratie nicht durch Abschaffung des Barlaments und der kommunalen Autonomie, nicht durch Aufhebung der Preßfreiheit und des Bersammlungs- und Roa litionsrechts los wird. Man muß den Geist überwinden, aus dem sie quillt, dem sie nur ein Werkzeug ist: den Geist der Freiheit, der Persönlichkeit und der Humanität.
-
-
ein
Um bei dieser letzten anzufangen, sei gemeldet, daß die faschistische Umgestaltung des Strafrechts, wie uns von ganz zuverlässiger Seite verbürgt wird, die Einführung der Todesstrafe vorsieht. Für diese ,, Neuerung" ist natürlich nicht die humanitäre Erwägung maßgebend, daß bei der der entGrauenhaftigkeit des italienischen Strafvollzugs fegliche Zustand der Gefängnisse, die schlechte Ernährung, der Mangel an Schutz gegen llebergriffe find bekannt schneller Tod das geringere llebel sein fönnte. Auch nicht die Rücksicht auf die Fortpflanzung der Verbrecher fommt in Betracht, da ja die Todesstrafe an Stelle der lebenslänglichen Einterferung tritt. Der Faschismus hat von Anfang an die Todesstrafe verherrlicht, und zwar als Betonung des antihumanitären Geistes feiner Bewegung. Er glaubt, daß Verrohung schon Krafterhöhung bedeute. Gleichzeitig hat er wohl Abschredungszwede im Auge.
Man wird nicht fehl schließen, wenn man annimmt, daß die Todesstrafe auch auf politische Verbrechen ausgedeht wird, denn es ist schon durchgefickert, daß ein weit ausholender Paragraph über Landesverrat" die StellungDen Platz hat die Braun- nahme gegen den Faschismus strafrechtlich rubrizieren wird. Besonders charakteristisch für den Geist des gegenwärtigen Regimes ist die Empfehlung der Todesstrafe aus Sparsamfeitsgründen! Eine Regierung, die für Brunt, Feste, Demon strationen, Anbringung von faschistischen Symbolen an den unmöglichsten Plägen Millionen und Abermillionen hinaus wirft, wird wohl nicht genötigt sein, die Todesstrafe einzuführen, um ein paar Dutzend Delinquenten nicht zu füttern. Wir sehen in der Reform" ein Zugeständnis an die vom Faschismus bewußt fultivierten rohen Instinkte, die Absicht der Abschreckung und eine politische Waffe gegen die Widersacher, die, im Verein mit der geplanten Ausdehnung des Ausschlusses der Deffentlichkeit bei der Berhandlung, die italienischen Rechtszustände immer mehr denen des Mittelalters annähert.
Der Rätekongreß vertagt.
Ein durchfichtiger Vorwand. Mostau, 9. Auguft.( Telegraphen- Agentur der Sowjet union .) Das Präsidium des Zentralexekutiv- Komitees der Sowjet union beschloß, den vierten ordentlichen Rätefongreß auf das Frühjahr 1927 zu vertagen, da es angesichts der Tatsache, daß in verschiedenen Staaten der Sowjetunion erst im Jahre 1925 wahlen stattgefunden haben, unmöglich sei, jest wieder neue Wahlen auszuschreiben.
*
An der Enthüllung, der am Borabend eine große republikanische Rundgebung auf dem Wittener Marktplatz voraufging, beteiligten fich mehr als 10000 Menschen. Der Bundesvorstand des Reichsbanners hatte zur Enthüllung und Weihe des Ehrenmals den ehemaligen Polizeipräsidenten Runge entsandt. Als Bertreter der Bitwe Erzbergers war der Reichstagsabgeordnete Diez erschienen, ber damals dem scheußlichen Mord an seinem Freunde beiwohnte Die Rätekongreffe sollen verfassungsmäßig alljähr und selbst schwer verwundet wurde. Die preußische Regierung hatte ich im Sommer stattfinden. Nach europäischen Begriffen den neuen Regierungspräsidenten von Münster , Dr. Am elungen, bedeutet der Beschluß, den nächsten Rätetongreß um dreizur Niederlegung eines Kranzes mit einer schwarzrotgolbenen vierteljahr zu verschieben, nichts weniger als eine BerfassungsSchleife entsandt. Als Bertreter der Demokraten wohnte der Reichsänderung. Trotzdem die russische Staatsauffaffung es mit tagsabgeordnete 3iegler der Veranstaltung bei; für die Sozialgeschriebenen Rechte nicht sonderlich genau nimmt, der bemokratie sprach der preußische Landtagsabgeordnete lupih. Bertagungsbeschluß fennzeichnet die Schwere der Partei- und Am Schluß der Veranstaltung wurde an den erkrankten Bundes. Staatsfrise in der Sowjetunion . Dem Beschluß liegen durch präsidenten Hörfing ein Telegramm geschickt. aus nicht nur öfonomische Ursachen zugrunde. Hätte man das Ergebnis der Ernte abwarten wollen, so würde es genügen, den Kongreß auf den Winter zu verschieben. Er ist aber bis ins Frühjahr vertagt worden. Diese Tatsache und der Hinweis in der amtlichen Mitteilung, man wolle nicht schon wieder Wahlen abhalten, zeigt, daß die Machthaber unter allen Umständen für jeßt und bis in den inter hinein Wahlen vermeiden müssen. Die Oppofition darf nicht zu Worte kommen und die Distusfion muß unter allen Umständen abgedrosfelt werden: Das ist der Sinn des Beschluffes, den Rätetongreß zu vertagen.
Reichsbannergedenkfeier in Bitterfeld .
Halle, 9. Auguft.( Eigener Drahtbericht.) Am Sonnabend marschierten in Bitterfeld aus allen Teilen des Gaues Halle Reichsbannertameraden zur Feier der Verfassung auf. Den Beranstaltungen diefes Abends folgte am Sonntag ein starter Umzug burch die Stadt. Als Redner war der preußische Handelsminister Dr. Schreiber gewonnen. Er gab der Auffaffung Ausdrud, daß Der Reichstag den Tag, an dem fich das deutsche Boll die Verfassung von Weimar gab, längst zum Nationalfeiertag hätte erklären müffen. Mis Bertreter der Sozialdemokratie sprach Prof. Dr. Baentig.
-
-
Natürlich bedauert man es in faschistischen Kreisen, daß die Strafreform noch nicht in dem Prozeß gegen 3ani boni Anwendung finden kann. Dieser Prozeß soll in der ersten Hälfte des Ottober zur Verhandlung kommen. 3aniboni gibt zu, die Absicht gehabt zu haben, Mussolini zu töten; da aber die Absicht nicht strafbar ist und die Mittel zur Ausführung ungeeignet waren, müßte bei normaler Rechtspflege Freispruch erfolgen. Die Höchststrafe wegen Versuch des Mordes an einem Mitglied des Parlaments auf Grund seines Amtes würde 24 Jahre Zuchthaus betragen. Das Gesetz über den ersten Minister sieht für den Fall lebenslängliches Buchthaus vor, findet aber noch nicht Anwendung. Außer dem armseligen Cassinelli wird Zaniboni Arturo Labriola zum Verteidiger haben. Interessant ist, daß in dem Urteil der Voruntersuchung der Spizel Quaglia ganz offen als„ confidente" der Polizei bezeichnet wird, also mit dem Fachausdrud für die, die in einem fest en Vertragsverhältnis zur Polizei stehen. Und der Mann ist Rechtsanwalt und Journalist! Man fann metten, daß keine der Revisionsfommiffionen sich an seinem Namen in der Advokaten- und Journalistenliste stoßen wird.
In Mailand ist ein ungarischer Staatsbürger, Peter Cobor, verhaftet worden, angeblich wegen Verbreitung von Nachrichten im Auslande, die Italien in politischer und finanzieller Hinsicht schädigen können. Außerdem soll er einen heimlichen Radioapparat gehabt haben. Nach dem heutigen Gesez fann ein Ausländer wegen Verbreitung von abträglichen Nachrichten im Auslande ausgewiesen, aber nicht verhaftet werden; auch der italienische Staatsangehörige tann, solange mir nicht die Strafrechtsreform