Sr. 374 43.Jahrgang
1. Beilage des Vorwärts
Mittwoch, 11. August 1926
Volkes Feiertag
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Gelbst ein Staatsgesetz von idealster Zweckmäßigkeit und wirt. Ach demokratischer Humanität tann durch die Intrigen faltnerviger Saboteure entwertet, zu einem Fezzen Papier herabgewürdigt werden. Die demokratische Verfassung von Weimar haben die geschäftigen Wühlmäuse der Reaktion wer möchte es leugnen mehr als einmal geschändet, ihren Sinn umzufälschen gesucht und den reinen Extraft der republikanisch pazifistischen Idee zu trüben und zu verzerren verstanden. Aber ein Etwas ist mit dieser Verfassung, das sie für das Volk weit heraushebt über die nüchterne Kalkulation von Erfolg und Mißerfolg. Sie ist das Wert der Millio men. In den Blutfeldern vor Verdun und an der Somme, im Trommelfeuer des Ostens, Westens und Südens wurde der Ader mit ihren Rechten und Pflichten gedüngt, die Saat ging in den Stürmen der Revolution auf, als der ehrvergessene monarchistische Halbabfolutismus zusammenbrach. Und in verantwortungsvoller Arbeit haben Boltsbeauftragte und Nationalversammlung das von Hugo Preuß entworfene Wert geformt und vollendet.
Doran.
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9. November 1918. Der letzte Kaiser desertiert über die holländische Grenze. Volk und Heer sind von ihren Führern" im Stich gelassen. Fieberhafte Volksbewegung. Ueberall rote Fahnen, rote Demonstrationen. Unendlicher Jubel der Hunderttausende, als Scheidemann die Geburt der Republik verkündet. Die Fahne der Bruder Freiheit weht von der 3wingburg der Hohenzollern. zwist. Dann Nationalversammlung , Verfassungsarbeit, republika nische Koalition. Der Aufbau des neuen Staates beginnt.„ Die Staatsgemalt geht vom Bolte aus." Das demokratische System ist parlamentarisch. Auch die Maschinerie der parlamenta rischen Tätigkeit will gelernt sein. Wir Deutschen sind teine Rou tiniers, aber mir beginnen, uns einzuarbeiten. Mittelbar demo fratisch wählt das Volk sein Parlament. Unmittelbar demokratisch jedoch ist der Boltsentscheid. Auf diesem Wege zeigt die Fürsten tampagne zum Beispiel verheißungsvolle Perspektiven. Auch hier gilt es, beim Weiterkonstruieren einzusehen.„ Die Reichsfarben find schwarzrotgold." Nichts lächerlicher als das findliche Geschrei der antisemitischen Putschisten von der Judenfahne Schwarzrotgold". Kulturhistorische Gänge lohnen sich. Die Tra bition der großdeutschen Freiheitsfarben ist uralt, ihre Geschichte groß und die Erinnerung geheiligt durch das Blut unzähliger ihrer Märtyrer. Ottos II. Heerstandarte war das schwarzrotgoldene Banner, dem Barbarossa- Friedrich flog es auf seinen Kampfzügen Otto von Wittelsbach melch belustigender Sar fasmus der Geschichte war der Fahnenträger. Ab 1336 find unsere heutigen republikanischen Farben das Zeichen der Reichs sturmfahne". Ein Württemberger wurde mit der Führung betraut. Unter Schwarzrotgold schlug man die Schlacht von Ancisa mit Berlaub im September 1312. Die Rolle der schwarzrotgoldenen Fahne zu Beginn und in der Mitte des 19. Jahrhunderts ist befannt. Schwarzrotgold war das Symbol des geeinten Großdeutsch land gegen Metternichs reaktionäre Kleinstaaterei, gegen den vaterLandslosen Egoismus der royalistischen Despoten. Unter Schwarzrotgold fochten Bater Jahns Turner fchaften, unter diesen Fahnen ritten die Lugomer in den Befreiungstrieg, Schwarzrotgold leuchteten die Banner der Burschenschaftler im Dienste der Freiheit des ganzen Volfes. Glorreiche Vorfahren eines jämmerlichen studentischen Geschlechtes der Gegenwart. Wartburg - und Hambacher Fest- Etappen auf dem Wege zum Barrikadenkampf von 1848 gegen die absolutistischen Unterdrücker. Wie standen da Männer der Hand und des Kopfes, Akademiker und Handwerfer, Arbeiter und Gelehrte, geeint im Pulverdampf unter Schwarzrotgold. Am 9. März beschloß die Versammlung in der Paulskirche:„ Die Bundesversammlung erklärt| die Farben des ehemaligen deutschen Reichspanniers Schwarzrotgold zum Wappen des deutschen Bundes." Größter Triumph der heldenmütigen Kämpfer und Sühne für die bleichen Opfer der Soldatenfugeln, als Friedrich Wilhelm IV. , der heimtüdisch- feige Tyrann, mit breiter schwarzrotgoldener Binde um den Arm in der Uniform des 1. Garderegiments durch Berlin ritt. Bis der beispiellose Berrat des Klüngels der Volksfeinde alle Blütenträume fnickte und der Polizeisäbel sein Direktorium erneut befestigte.
Einst.
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Was verstand die Hoflakaienseele des ancien Régime " unter einem Boltsfest? Kitschigen Pomp, stillose Maskeraden, verlogenen Konfettidusel für die Massen, und unfehlbar als durchschlagendste Wirkung die tausend Paradebeine in tadellosem Bere monienwichs. Wenn Wilhelm II. , der unseligste aller Schwäger, seinen Geburtstag beging, mußte es die ganze Welt missen, und die Infassen von einem halben Schod Kasernen marschierten, nachdem der Feldwebel Seiner Majestät die Kerls" genügend gedrillt hatte, als unfreiwillige Gratulanten auf. Weden, Zapfenstreich und Inalliges Salutschießen, so feierte sich der Souverän eines ernsthaften Sechzig- Millionen- Boltes. Die Schloßkirche inszenierte für den Allerhöchsten einen Gottesdienst nebst schwungvollem Glodenläuten der Höchste wird dabei sehr geschmunzelt haben. Den Schlußeffett bildete jedoch die" Cour" im Schloß, zu der die servilen Diener des getrönten Narren in den absonderlichsten Berüden nahten.
1ngorian
Jeht.
Am 11. August 1919 trat die Weimarer Ber fassung in& raft. Am 11. August 1921 feierte Berlin zum ersten Male den Tag von Weimar in würdigem, eindrucksvollem Rahmen. Der Festakt fand mittags in der Oper am heutigen Plaz der Republik statt. Wirth hielt die Festansprache. Der deutsche nationale Gedante hat seinen besten Ausdruck in der Weimarer Ver fassung gefunden," rief der Reichskanzler unter stürmischer Zustimmung der Bersammlung, und es war wie ein Schwur, als er der nie verblichenen Ideale von 1848 gedachte und den Dank an die Schöpfer von Weimar in die Frage fleidete:„ Wohin wäre Deutschland getommen, wenn nicht die Nationalversammlung alle Kraft eingesetzt hätte zur Schaffung der Verfassung!" Dann schritten der Reichspräsident und Wirth die Front der Ehrenkompagnie ab. Aber wie steckte damals noch alles in den Anfängen.„ Um von den Privathäusern gar nicht zu reden auch eine ganze Anzahl von amtlichen Gebäuden hatten nicht geflaggt," schrieb der Vorwärts. Mit stolzer Genugtuung fönnen wir heute ohne Uebertreibung sagen: Der Wind weht anders. Schwarzrotgold ist populär geworden. Verfassungsfeier 1922! Kundgebung des Reichspräfidenten Frizz Ebert: Für Einigkeit, Recht und Freiheit, gegen jeglichen Terror. Der Aufruf schließt mit dem Bekenntnis:„ Es lebe die deutsche Republik! Es lebe das deutsche Volt!" Feier im Reichstag, schwarzrotgoldene Fahnen wehen in meit vermehrter Zahl. Am Abend des 11. August Festabend im Schauspielhaus und jener denkwürdige Fackelzug mit anschließender Kundgebung auf dem Gendarmenmarkt, der in den begeisternden Ansprachen Eberts und Wirths gipfelte. Die Partei feiert den Volkstag im Zirkus Busch, die Genossen Schmidt, Dr. Köster und Radbruch sprechen zu der viel tausendköpfigen Masse. Gewaltige Demonstration im Luftgarten. Ganz Berlin ist auf den Beinen. Ein wahrhafter Festtag des
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1923. Hochspannung im Reich. Notzeit! Die Inflationskrise geht würgend durchs Land. Unruhen, Streifs. Die Berliner Kommunisten propagieren den Generalstreit. Keine Feiertagsstimmung,
dennoch ist die Stadt reich beflaggt. Feier im Reichstag und auf mehreren Plätzen. Auch die Polizei begeht den Verfassungstag.
1924. Riefenfundgebung im Luftgarten. Unter anderen sprechen Crispien und Litte. Auf dem Gendarmenmarkt versammelt sich das Reichsbanner Schwarz- Rot- Gold. Ansprache des Reichspräsidenten , etwa ein halbes Jahr vor seinem Tode.
1925. Das überwältigende Reichsbannertreffen der 100 000 auf den Treptower Wiesen. Die Abordnung des österreichischen Schutzbundes dokumentiert den aktiven Kampf für den großdeutschen Gedanken und die unerschütterliche Einheit des deutschen Baterlandes. Die Republit marschiert!
In einer Beziehung dürfte Berlin vor den anderen Weltftädten zurückbleiben, ja selbst von Hauptstädten irgendeines Landes übertroffen werden, das in seiner Gesamtheit noch nicht so viel Einwohner wie diese eine Stadt hat: die halbnordische Reichshauptstadt, mit ihrem blasseren Himmel auch sonst an ernste und nüchterne Menschen gewöhnt, legt an feinem Tag des Jahres ein eigentliches Festgewand an, und öffentliche Prunkentfaltung ist ihr seit den reimgenden Novembertagen etwas Unbekanntes geworden.
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Das schabet gewiß nichts, ja es dürfte sogar als ein guter Schritt nach vorwärts zu betrachten sein. Nur ungern erinnern wir uns der Romantik von Paradepferden und Hofwagen, und auch die Säuberung des Straßentreibens vom Ueberschwang der Uniformen er fennen wir als eine durchaus glückliche Errungenschaft. Es gab einmal Hoffeste, die vom Volk bezahlt wurden. Heute ist ein freies Bolk da, das sich reckt und streckt und sehr wohl eigene Feste zu be= gehen wüßte, nur die Feste fehlen, nur„ oben"- auch dies scheint es immer noch zu geben hat man bisher die Einsicht versäumt, daß große Nationen nach einer Uebung unter den Völkerfamilien An= spruch auf einen Nationalfeiertag haben und daß in einer sozialen Republik dem souveränen Volt das Fest eines Ehrentags gebührt. Vielleicht ist dies Säumen und bewußte Anfämpfen gar nicht so schlimm gewesen, denn das gleiche Volt, das die Republik und ihre Verfassung geschaffen, weiß sie auch mit innerem Leben zu erfüllen. Und Widerstände trieben bisher an. Der Tag des Volkes ist da, er hat bereits seine feste Formen, nichts wird man an ihnen ändern können, wenn man sich endlich einmal dazu entschließt, mit gefeßlicher Festlegung nachzuhinfen. Es ist seit den Tagen des Wiederaufbaus ein bemerkenswerter Zug im Wesen dieser großen und überaus schlichten Stadt der Arbeit: sie hat sich im besten Sinne verbürgerlicht", jenes geistige Gewand angelegt, das zuerst von den Bürgern", den Cittoyens der großen französischen Revolution getragen wurde. Sie scheint wenig davon zu wissen, daß ihre Mauern zwei Regierungen bergen, die des Reiches und die des Landes, sic erfennt mit Genugtuung, daß dies genau so Menschen wie alle anderen sind, ohne mehr Rechte, als dem einfachsten Arbeiter zus stehen, gleich diesem allein geadelt durch Ehrlichkeit der Pflichterfüllung und Gediegenheit der Arbeit. Der Berliner von heute sieht und achtet auf sich selbst, aber Kutschen und Galauniformen nachzusehen und vor ihnen Reverenz zu machen, hat er wahrhaftig nicht mehr die geringste Veranlassung. Unter diesem Zeichen, unter der großen Trennung von heute und Ehedem, steht der Verfassungstag, den sich das Volk zum Begehen eines Jahrestages
erforen.
Man hätte die Feiern, die republikanische Behörden veranstalten, gar nicht so eng und ausgesucht zu bestimmen nötig gehabt- über Prunk und Parade fäme man ja auch, wenigstens liegen feine anderen Anzeichen vor, bei einer gesetzgeberischen Erfassung kaum hinaus. Sie sind gut und löblich, diese Feiern, weil sie die Erfüllung einer Pflicht bedeuten. Aber richtig feiern und festlich begehen kann semen Tag nur das Volk selbst.
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Die Republif, wie sie im Herzen der Massen lebt, hat wahrhaftig keine Kundschaft nötig das erläßt uns die fast schamlose Offenheit ihrer verbissenen Feinde, aber an diesem Tage kann man erkennen, wer sich zum Bolke rechnet und nicht und wer mit ganzem Herzen dazu zählt. Seht die Häuser der Reichen oder die vornehmen Hotels an, die sogleich eine fremde Landesflagge aufziehen, wenn irgendeine ausländische Brieftasche, gefüllt mit reichem Geldinhalt, am Portier vorüberstreicht, und die eine höllische Angst vor der Reichsflagge haben, und dann geht dorthin, wo mit den Arbeitern auch die Armut und die Sorge wohnen dann wißt ihr, was die Republik ist, und dann lernt ihr sie so, wie sie sein soll, lieben.
Das Bolt hat seine großen Tage, und niemand soll versuchen, sie ihm zu nehmen. Bestünde„ oben" etwas Fühlung mit ihm, dann würde man auch längst für Arbeitsruhe am Berfassungstage gesorgt haben. Arbeitsruhe, die das Volk sich redlich im Kampf um den neuen Staat verdient hat, ein Ruhetag voll Sinn und Sorgen um die letzte, um die beste Ausgestaltung seines Staatswesens.