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Nr. 38043. Jahrg. Ausgabe A nr. 195

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Zentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands

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Sonnabend, den 14. August 1926

Der englische Bergarbeiterkampf.

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- Helft den Bergarbeitern!

Die Regierung kürzt die Armenhilfe. London , 13. Auguſt.( Eigener Drahtbericht.) Die Ur ist das darauf zurückzuführen, daß ihn die bürgerlichen Zeitungen abstimmung der englischen Bergarbeiter über die Friedens- und insbesondere die konservativen Blätter, mehr oder minder formel der Bischöfe hat an dem bisherigen Stand der Lage vor schamhaft verschwiegen haben. läufig nichts geändert. Auch die Annahme der Friedens- Es ist noch gar nicht ausgemacht, daß es der Regierung ge­formel hätte taum eine sofortige Aenderung der Lage herbei- lingen wird, damit den Ausgang der großen Auseinandersetzung geführt, nachdem die Unternehmer die Vorschläge der Bischöfe im Bergbau abzufürzen. Was in jeder anderen Industrie zu einem abgelehnt haben, und die Regierung sich bisher ebenfalls sofortigen Zusammenbruch des Widerstandes der Arbeiter führen nicht geneigt zeigte, sie vorläufig als Basis für neue abschließende muß, ist schon mehr als einmal an den Bergarbeitern spurlos vor Berhandlungen anzuerkennen. übergegangen: Der britische Bergbau fennt bereits einen Streif, der mehr als ein Jahr gedauert hat, ehe er seinen Abschluß fand. Auch in diesem gegenwärtigen Kampf haben sich, wie im Weltkrieg, alle Sachverständigen über die mögliche Dauer getäuscht. Aber selbst wenn die Bergarbeiter unter der Not, die sich nunmehr langsam, aber ernstlich einzufressen beginnt, zusammenbrechen sollten, wird die Regierung feineswegs frohloden dürfen, denn ganz abgesehen davon, daß sie sich damit jeder Möglichkeit beraubt, bei den nächsten Neuwahlen einen einzigen Industriewahlkreis mit vorwiegender Arbeiterbevölkerung zu er­obern, schafft sie einen solchen Riesenbezirk industrieller Unraft, daß Baldwin und den Seinen vor der Perspektive der nächsten Jahre angst und bange werden dürfte.

Das Kabinett Baldwin hat in den jüngsten Wochen im Gegenteil völlig darauf verzichtet, als Vermittler in die Bresche zu springen. Statt die Gegensätze mildern zu helfen, traf es Maß nahmen, die nur das Ziel einer Ni e derzwingung der Berg arbeiter durch die Not erkennen ließen. Als sich ihr Ver­such, die Bergarbeiter durch die

Aufhebung der Siebenffundenfagsgrenze

für die Arbeit im Bergbau nicht positiv auswirkte, griff sie zu der Waffe einer Kürzung der Unterstügungen, die an die ausgesperrten Bergarbeiter auf dem Umweg über die Armen hilfe für die Frauen und Kinder gezahlt werden. In einem Kommentar zu diesen Regierungsmaßnahmen schreibt der offizielle Pressedienst der Labour Party ":

Aus diesem Bericht unseres Londoner Korrespondenten geht das eine für die deutsche Arbeiterschaft mit aller Deutlich­

Dieses Vorgehen des Gesundheitsministers ist eine Politik der feit hervor, daß es dringend notwendig ist, auf die in den nächsten Tagen im Umlauf kommenden Sammellisten recht eifrig zu langfamen Aushungerung der Bergarbeiter zeichnen.

und noch schmählicher als die Aktion der Regierung hinsichtlich der Arbeitszeit im Bergbau. Während die Pergarbeiter in der Lage wären, durch Solidarität und Festigkeit diesen Schlag der Regierung zu parieren, wird der gegenwärtige Streich in einer beschämend feigen Art und Weise unser Aufwand aller Macht mittel eines starken Staates

gegen hungrige Frauen und Kinder geführt, die nicht in der Lage sind, sich zur Wehr zu sehen." Es kann heute noch nicht übersehen werden, wie weit es der Es fann heute noch nicht übersehen werden, wie weit es der Regierung gelingen wird, die Bergarbeiter zur Kapitulation zu zmingen. Eines ist jedoch ficher: Die Regierung, die in den letzten Wochen noch weiter den Händen Baldwins entglitten ist, hat mit ihren neuesten Maßnahmen einen Schritt getan, der sie im Ansehen des Volkes moralisch weiter geschwächt hat. Der Engländer, auch der bürgerliche, hat einen ausgesprochenen Sinn für fair play", für anständiges Spiel, und er überträgt diesen Begriff aus dem sportlichen im allgemeinen auch auf das politische Leben. Der jüngste Schritt hat unter jedem Gesichts.

minfel

aufgehört, ein anständiges Spiel zu sein,

Cook für Verhandlungen.

Condon, 13. Auguft.( Reuter.) Der Sekretär des Bergarbeiter verbandes Coof äußerte in einer Unterredung mit einem Presse­vertreter: Der allgemeine Ruf der Bergarbeiter und ihrer Frauen ist: Wir haben genug gelitten, und wir werden nicht dulden, daß wir noch mehr leiden müssen." Coot sagte weiter, er glaube, die Bevölkerung Englands erkenne die Nutz losigkeit einer weiteren Fortsegung des Kampfes und eines Beharrens bei dem Bestreben, die Bergarbeiter zur Aus­dehnung der Arbeitszeit bei Herabsetzung der Löhne zwingen zu der Bergarbeiter nach vom Geiste der Aufrichtigkeit ge­wollen. Er glaube auch, daß die Bevölkerung das Verlangen tragenen Unterhandlungen unterstüßen werde.

Eine Sitzung des englischen Gewerkschaftsrates.

London , 13. Auguft.( TU.) Der englische Gewerkschaftsrat ift heute zu einer Sitzung zusammengetreten, um über die Lage im Rohlenbergbau zu beraten. Hauptgegenstand der Besprechungen war die finanzielle Lage der Gewerkschaft, die von Tag zu Tag schlechter wird. Es soll nach Mitteln und Wegen gesucht werden, um den Ar­

und wenn er bisher nicht mehr Empörung hervorgerufen hat, dann beitern und ihren Familien weitere Hilfe leisten zu können.

· Die Kabinettsberatungen abgeschlossen.

Dorpmüller noch nicht bestätigt. Angelegenheiten.

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Laufende

Amtlich wird mitgeteilt: Das Reichskabinett hat gestern nach mittag seine am Donnerstag in später Abendstunde abgebrochenen Beratungen zu Ende geführt. Insbesondere wurde erneut die Frage der Bestätigung des vom Verwaltungsrat der Reichsbahn zum Generaldirektor gewählten stellvertretenden General­direktors Dr. Dorpmüller eingehend erörtert. Nach Lage der Dinge fonnte die Angelegenheit noch nicht zu einem ab schließenden Ergebnis geführt werden, da eine fach liche Einigung nicht vorliegt.

Sodann nahm das Reichskabinett einen ausführlichen infor­matorischen Vortrag des Reichs ministers des Aus wärtigen über die auswärtige Lage im Zusammenhang mit der bevorstehenden Bölkerbundstagung entgegen.

Die übrigen Beratungen des Reichskabinetts betrafen laufende Angelegenheiten. Die Frage des Reichsehrenmals wurde vorläufig zurüdgestellt.

Das geheime Pariser Sparkomitee.

Dementierter Agrariersch vindel. Paris , 13. Auguft.( Eigener Drahtbericht.) Am Freitag nach mittag ist das Sparkomitee des Ministerrats unter dem Vorsitz des Justizministers Barthou wieder zusammengetreten, ohne über papierne Beschlüsse hinauszukommen. Seine Arbeiten scheinen auf einen gewissen Widerstand bei den großen Nahrungs mittelproduzenten zu stoßen; denn nur so erklärt es sich, daß nach der Freitagssigung die Minister den Journalisten erflärten, es fei viel beffer, wenn die Deffentlichkeit nichts von der Tätigkeit und den beabsichtigten Maßnahmen der Kommission erfahre oder höchstens, wenn diese Maßnahmen vor ihrer Ausführung ftünden. Bu anderen Falle würde ihre Wirksamkeit von vornherein

tompromittiert." Im übrigen, fügte Minister Tardieu hinzu,

man dürfe von der Kommission keine Wunder erwarten.

In der Presse ist in den letzten Tagen im Zusammenhang mit der angeblich starke Ausfuhr von französischen Landwirtschaftsprodukten Erörterung über Sparmaßnahmen eine lebhafte Kampagne gegen die durch das Saargebiet nach den hochvalutarischen Nachbar: ländern Deutschland , England und Holland im Gange. Die franzö­fische Regierung soll festgestellt haben, daß ungeheure Mengen fran­zösischer, besonders landwirtschaftlicher Erzeugnisse durch das Loch der Saar " nach Deutschland abgeschoben werden. Am Freitag abend wird offiziös die Nachricht als start übertrieben hingestellt. dem Saargebiet und Deutschland bestehe die übliche 3011 Das Saargebiet sei dem französischen Zollregieme einverleibt. Zwischen tontrolle wie an anderen französischen Grenzen. Es sei deshalb außerordentlich unwahrscheinlich, daß Mengen landwirtschaftlicher Produkte, wie das in gewissen Blättern behauptet worden sei, auf diesem Wege nach dem Ausland abgeschoben worden seien.

Die Steuerverwaltung ist zufrieden. Paris , 13. Auguft.( Eigener Drahtbericht.) Das Finanz­minifterium gibt am Freitag eine Statistit bekannt, aus der hervor geht, daß die Steuereinnahmen in den ersten sieben Monaten dieses Jahres 19,3 Milliarden betragen haben. Die Steuereinnahmen des Vorjahres im gleichen Zeitraum werden damit um 3,6 Milliarden übertroffen. Das Kommuniqué betont, daß besonders die Steuer­einnahmen im Monat Juli alle günstigen Erwartungen über­troffen hätten; es sei nicht weniger als eine halbe Milliarde Einkommensteuern im voraus im Juli. eingezahlt worden.

Die Gewerkschafter bei Poincaré .

Paris , 13. August. ( WTB.) Ministerpräsident Poincaré hat heute vormittag einer Ausschuß des Allgemeinen Arbeiterverbandes ( C. G. T.) unter Führung des Generalsekretärs Jouhaug emp fangen. Die Unterrebung bezog sich, wie ,, Paris Soir" mitteilt, auf alle zurzeit schwebenden Arbeiterfragen und auf die Durch führung des Gesetzes über den Achtstundentag.

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Russische Wandlung.

Das Ende des revolutionären Utopismus. Bon S. Schwarz.

Die immer wiederkehrenden Krisen des russischen Kom­munismus sind keine 3ufalls, auch keineswegs einfach eine 3erfalls erscheinung. In diesen Krisen kommt, wenn auch in einer verzerrten Form, der innere Umwand Iungsprozeß zum Ausdruck, den die russische Kommu­ nistische Partei unaufhaltsam durchmacht, seitdem sie zur Macht gekommen ist.

Die fommunistische Bewegung ist ihrem Wesen nach extremistisch. Sie sucht der revolutionären Ungeduld", die bald einen größeren, bald einen kleineren Teil der Arbeiter­schaft ergreift, einen politischen Ausdruck zu geben, ohne Rück­ficht darauf, ob zurzeit die notwendigen Boraussetzungen für den Erfolg des revolutionären Kampfes vorhanden sind. Der Kommunismus ist daher abstrakt revolutionär. Grund­fäßlich will er feine Kompromisse kennen. Grundfäßlich ver­pönt er jede ,, Realpolitif" als Berrat" an den Interessen der Arbeiterklasse.

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Als eine extrem- revolutionäre Partei kamen die Bolsche­wisten in Rußland zur Macht. Noch gestern die ,, verant­wortungslose Opposition" sind sie plötzlich zur Regierungs­partei geworden, deren erste Aufgabe die Beendigung des Krieges sein sollte. Man mußte mit politischen Reali­täten rechnen, und die bitterste Realität, war das höchst ungünstige Kräfteverhältnis im Felde: dem immer noch starken deutschen Heer stand eine völlig in Auflösung begriffene Armee gegenüber; Rußland konnte und wollte nicht weiter fämpfen.

Die Kommunistische Partei Rußlands stand vor ihrer ersten Krise. Der Sieg des deutschen Imperialismus war offenbar. Die Annahme von äußerst schweren Friedensbedin­gungen war unvermeidlich. Der traditionelle abstrakte Re­volutionarismus wollte aber davon nichts wissen. Die linken" Rommunisten mit Buch arin an der Spitze, denen haben den Gedanken des Friedens mit dem deutschen Im­von Radek, Urizky u. a. energisch sekundiert wurde, perialismus schroff abgelehnt und zum revolutionären Krieg" gerufen, der zu einer revolutionären Erhebung zuerst in den mitteleuropäischen, dann aber auch in den anderen der führenden Kommunisten in Petrograd und Moskau hatte friegführenden Staaten führen sollte. Die große Mehrheit sich für diese Parole ausgesprochen. Bergebens fuchte Lenin die von ihm selbst geweckten Geister zu bannen und die Partei zum Abschluß des Friedens zu bewegen. Trofi suchte den linten" Standpunkt in einer abgeschwächten Form zu ver treten und hatte die Parole ausgegeben: den Krieg nicht weiter zu führen, den Frieden aber nicht zu unterschreiben. Er glaubte damit wie es fich bald herausgestellt hat, zu Un­recht, die deutsche Heeresleitung zu zwingen, mit Rücksicht auf die eventuelle revolutionäre Bewegung in Deutschland , auf den weiteren Krieg gegen Rußland zu verzichten. kommunistischen Zentralfomitees stattgefunden. Am 23. Februar 1918. hat die entscheidende Sigung des erklärt, daß die Politik der revolutionären Phrase zu Ende sei. Wird diese Politit fort­bem 3entralfomitee aus"( Lenins Werke, Bd. 15, gesetzt, so tritt er aus der Regierung und aus Anmerkung auf S. 632). Dieses Ultimatum hat gewirkt und hat Trogli und seine Gruppe zur Stimmenthaltung be wogen. Für die Annahme der deutschen Friedensbedingungen wurden sieben, dagegen vier( Bucharin u. a.) abgegeben, vier 3K.- Mitglieder( Trogki, Krestinski , Dsershinski und Joffe) haben sich der Stimme enthalten. Die deutschen Be­wurde unterschrieben und am 15. März vom Rätekongres dingungen wurden angenommen. Der Friedensvertrag ratifiziert.

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jetzt schnell zu einer immer mehr zusammenschmelzenden Die Linken" die gestrige Parteimehrheit- wurden Opposition. Sie trieben noch eine zeitlang in ihrer Presse und in den Versammlungen eine wüste Agitation gegen die ,, Kapitulation Lenins", gegen den schmachvollen Frieden" usw.; sie suchten den Krieg von neuem zu provozieren, sie predigten den ,, revolutionären Krieg", den heiligen Krieg". In den Köpfen mancher von ihren Führern spukte sogar der Gedanke von einer Verschwörung und vom Umsturz. Ihre Reihen lichteten sich aber von Woche zu Woche und zum Herbst war diese Krise völlig überwunden.

Dies war die Zeit des sich immer verschärfenden Bür­gerfrieges, der nun bis Ende 1920 das ganze Land im Fieber hielt. Die Verhältnisse des Bürgerkrieges bildeten das gegebene Milieu für die innere Festigung der Kommunistischen Partei. Eine neue Opposition schien sich zwar bereits seit Ende 1918 auszubilden; das waren die ersten Anfänge der fog. ,, Arbeiteroppofition", die sich von nun an und bis heute bald in einer, bald in einer anderen Form auswirkt. Zu einer Krise führte aber diese Entwicklung erst nach der Be­endigung des Bürgerkrieges.