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Abendausgabe

Nr. 387 43.Jahrgang Ausgabe B Nr. 191

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Vorwärts

Berliner   Dolksblatt

10 Pfennig

Mittwoch

18. August 1926

Berlag und Anzeigenabteilung: Geschäftszeit bis 5 Uhr Berleger: Borwärts- Berlag GmbH. Berlin   SW. 68, Lindenstraße 3 Fernsprecher: Dönhoff   292-297

Zentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands  

Südslawisch- griechisches Bündnis.

Wiederherstellung der Einigkeit.

Belgrad  , 18. Auguft.( Eigener Drahtbericht.) Amtlich wird| handen ist, dies auch für Südslawien gelte. Es scheint, daß mitgeteilt, daß am Dienstag in später bendftunde in Athen   ein das griechische Entgegenkommen in diesem Punkt für Süd­Bündnisvertrag zwischen Südflawien und Griechenland   unterzeichnet flawien jetzt, wo Bulgarien   das mazedonische Problem vor worden ist. Die Verhandlungen über diesen Bertrag haben fast ein dem Völkerbund zu bringen droht, von so großer Bedeu­halbes Jahr in Anspruch genommen. Gleichzeitig ist ein Handels- tung war, daß es alles andere mit in Kauf nahm und schleu­nigst den Vertrag abschloß.

vertrag unterzeichnet worden.

Dieser Patt knüpft an den vor etwa Jahresfrist von Süd­flawien gekündigten Bündnisvertrag von 1913 zwischen beiden Ländern an. Südslawien   sah sich zur Kündigung veranlaßt, weil Griechenland   die Wünsche Südslawiens nach Bergröße rung der Freizone im Salonifer Hafen und deren Stellung unter füdslawischer Hoheit, Abtretung der Verwal­tung der Bahnlinie Gewgeli- Saloniti an Süd­flawien und Gewährung eines Aufsichtsrechts über die slawischen Minderheiten in Griechisch- Maze­donien, abgelehnt hatte. Griechenland   gewährt nur eine Vergrößerung der südslawischen Freizone, was es auch im ver­gangenen Jahr tun wollte, während Südslawien auf die Stellung dieses Direktoriums unter seine Hoheit verzich tet. Die Bahnstrede Gemgeli- Saloniti bleibt unter griechischer Verwaltung, während den südslawischen Wünschen insoweit entgegengekommen wird, als Südflawien das Recht gewährt wird, aus und nach der Salonifier Frei­zone plombierte Waggons senden zu können, die der griechi schen Kontrolle nicht unterliegen sollen. Da aber vom Waren verkehr auf dieser Strecke 95 Proz. auf Südslawien   entfällt, verfügt Südslawien   nun tatsächlich über diese Linie. Auch in der Frage der slawischen Minderheiten Griechisch- Maze­doniens ist Griechenland   den südslawischen Wünschen entgegen Drittel der Bevölkerung ausmachen, Südflawien gekommen. Es hat für diese Minderheiten, die etwa ein ein gewiffes Aufsichtsrecht eingeräumt. Indessen ist dieses Aufsichtsrecht für Südflawien von geringer Bedeutung; sehr wichtig ist dagegen der analoge Schluß, den Südslawien ziehen lassen will, so wie in Griechisch- Mazedonien angeblich nicht eine bulgarische, sondern eine serbische Bevölkerung vor­

Der Fall Gürtner. Einleitung der Voruntersuchung gegen den ,, Vorwärts."

Die Staatsanwaltschaft beim Landgericht Berlin I hat wegen unserer Angriffe gegen den bayrischen Justizminister Dr. Gürtner auf Antrag des bayrischen Justizministers die Boruntersuchung gegen den verantwortlichen Redakteur des ,, Borwärts" eingeleitet.

Londoner   Zuspruch an Spanien  .

Damit es in Genf   keinen Unfug mache. London  , 18. Auguft.( Eigener Drahtbericht.) Der amtliche eng­lische Funkdienst meldet: Die britische   Haltung bei der kommenden Sigung der Studienkommission, in der Lord Cecil   Großbritannien  vertritt, ist immer noch die, daß der Eintritt Deutschlands   in den Völkerbund unter Einräumung eines ständigen Ratssizes allen an­deren Erwägungen vorgehen muß. Es herrscht die Ansicht vor, daß unter den augenblicklichen Verhältnissen das einzige Mittel für eine schnelle Lösung des Problems dieses Vorgehen ist. Durch Deutschlands   Eintritt in den Völkerbund werde der Einfluß und die Autorität des Völkerbundes in Europa   und in der Welt außer ordentlich vergrößert, und man hofft, daß aus diesem Grunde Spanien   bemüht sein werde, an der Lösung der Weltprobleme and auch des Wiederaufbaues Europas   mitzuarbeiten.

Beamtenunruhe in Frankreich  .

Drohender Abbau.

Paris  , 18. Auguft.( Eigener Drahtbericht.) Dem Kabinettsrat am heutigen Tage sieht man mit Spannung entgegen, da er die ersten großzügigen Sparmaßnahmen festlegen wird. Das Spars programm des Ministers Marin soll durchgreifende Veränderun­gen in den direkten Steuern und vor allem eine starke Bermin. derung der Beamtenschaft im Auge haben. Dadurch soll rund 1 Milliarde Franken erspart werden. Berschiedene Beamten verbände haben bereits durch Delegierte bei der Regierung und speziell beim Handelsminister Bokanowsti vorgesprochen, um die starke Be­unruhigung innerhalb der Beamtenschaft über die Abbau­pläne zum Ausdruck zu bringen. Die Reform der diretten Steuern ist schon oft angefündigt, aber nicht durchgeführt worden. Das französische direkte Steuersystem ist ohne Zweifel veraltet. Aber es gehört bedeutend mehr Zeit und ein bedeutend mehr durch­gearbeitetes Programm dazu, eine derartige grundlegende Reform durchzuführen, als Poincaré   in der kurzen Zeit seiner Regierung zu schaffen in der Lage wäre.

Keine Zusammenkunft Poincarés mit Mellon. Paris  , 18. Auguſt.  ( WTB.)" Petit Parisien" erklärt, ein Poincaré   unmittelbar unterstellter Mitarbeiter habe ihn ermächtigt, die Nachricht formell zu dementieren, daß im Augenblid eine Begegnung zwischen Poincaré   und dem amerikanischen   Schatzfekretär Mellon in Erwägung gezogen werde.

Die Einigung zwischen den beiden Ländern stärkt zweifel­los beide auch nach außen hin. Sie kann außerdem den Keim eines Balfanpattes bilden, den seinerzeit Athen   vor­geschlagen hat, der in Belgrad   aber eine schlechte Aufnahme fand, solange die jetzt im Vertrag gelösten Fragen zwischen den beiden Ländern nicht geregelt waren. Da auch Rumänien  dem südslawischen Vorbehalt beigetreten war, muß man jetzt annehmen, daß nunmehr dem Abschluß eines solchen Pattes teine Hindernisse mehr im Wege stehen.

Befriedigung in England.

Der Norddeutsche Bund  .

60 Jahre allgemeines Wahlrecht.

Heute vor sechzig Jahren, am 18. August 1866, wurde der Norddeutsche Bund   gegründet und damit die Grundlage für die Schaffung des Deutschen Reiches   gelegt, das fünf Jahre später entstand. Die herkömmliche Geschichtsschreibung sieht in jener Zeit nichts anderes als eine Aera von Blut und Eisen und weiß aus ihr feine andere Schlußfolgerung zu ziehen als die, wie Bismard die Schöpfer alles Großen seien. So schreibt daß Krieg und Monarchie und überragende Persönlichkeiten auch die Tägliche Rundschau" heute in einem furzen Rück­blick auf die damaligen Ereignisse:

,, Das feste Gefüge, welches Bismard dem Norddeutschen Bund   und später dem Deutschen Reich gab, ließ lezteres auch die schweren Erschütterungen des Weltkriegs und die ihm durch diesen geschlagenen Wunden überstehen."

Die Gestalt Bismards ist uns heute zeitlich so weit ent­rückt, daß ihr auch ihre politischen Gegner von einst mit voll­tommener Objektivität gegenüberstehen können. Für Poli­tiker aller Parteien ist heute von Bismarck   manches zu lernen, wobei freilich nicht übersehen werden darf, welcher unge= heurer Wandel der Dinge seit seiner Zeit sich vollzogen hat. Können wir uns es überhaupt noch vorstellen, daß die Grün­dung des Norddeutschen Bundes   die Folge eines blutigen Krieges war, der zwischen deutschen   Volksstämmen ge­führt wurde? Daß die deutsche Monarchie überhaupt erst in ihrem letzten Ausklang ein innerlich befriedetes Deutschland  gesehen hat?

London  , 18. Auguft.( EP.) Der Abschluß des füdslawisch. griechischen Handelsabkommens sowie des Freundschafts- und Schiedsgerichtsvertrages wird in England begrüßt, da er einen Schritt vorwärts auf der von England unterstützten Politit bedeutet, die eine Beruhigung des Balkans zum 3wede hat. Aus diesem Grund wird der Schritt der griechischen Regierung, mit Bulgarien  Berhandlungen über ein Handelsabkommen und vielleicht auch über Jahren durch die Gründung des Norddeutschen Bundes ge­Dieses Deutschland, dessen Grundlagen heute vor sechzig einen Freundschaftsvertrag aufzunehmen, eine vielleicht noch größere Jahren durch die Gründung des Norddeutschen Bundes ge­Bedeutung beigelegt. Die Times" richten nochmals an Südslawien legt wurden, hat, wie die Tägliche Rundschau" richtig be­eine Mahnung zur Mäßigung gegenüber Bulgarien  . Ein merkt, die schweren Erschütterungen des Weltkriegs über­Schritt des Völkerbundes liege sehr wohl im Bereich der standen. Wodurch wurde das Gefüge, das Bismark dem Nord­fönne, wenn auch nur eine Macht ihn um Intervention ersuche. Die innere Einheit erhalten blieb? Der Norddeutsche Bund   und Möglichkeit, da der Artikel den Bölkerbund schon dazu verpflichten deutschen Bund und später dem Deutschen Reich gab, so fest, daß jener ungeheure Anprall überwunden wurde und die iegt gespannte Lage verlange die fortgefeßten Anstrengun das Deutsche Reich, wie Bismard sie geschaffen hatte, be gen der Großmächte, jede weiteren unliebſamen Borfomm- ruhten auf einem Bund der Fürsten  . Die Fürsten nisse an der bulgarischen Grenze zu verhindern. Bulgariens   schwierige sind verschwunden, aber das Reich ist geblieben. Lage gegenüber den mazedonischen Komitatschis müsse berücksichtigt

werden.

Die große Friedensschau. Eröffnung des Kongresses.

Paris  , 18. Auguft.( EP.) In Bierville wurde am Dienstag der internationale demokratische Friedensfongreß offiziell eröffnet. Am Abend fand ein Bankett statt, bei dem etwa 3000 Kriegsteilnehmer versammelt waren. Nachher wurde ein Umzug, veranstaltet, in dem die Fahnen aller Großmächte mitgeführt wurden. Der Bug begab sich nach dem Freilichttheater vor der Stadt, wo Deputierter Marc Sangnier   in Anwesenheit von 10 000 Personen die offizielle Eröffnungsrede hielt. Painlevé, der nicht anwesend fein konnte, hat einen Brief an den Kongreß gesandt, der verlesen wurde. Im Namen Deutschlands   sprach Professor Dr. Play von der

Universität Bonn, der erklärte, daß er dem Kongreß das Ver­sprechen der eifrigen und pflichtbewußten Mitarbeit seiner Landsleute in der Friedenssache überbringen könne. Das Friebenswert werde erst vollkommen sein, wenn die nationalen Standpunkte im Völkerbund   verschwinden und wenn die Tätigkeit aller Wölfer auf ein gemeinsames Ziel gerichtet sein werde. Nachdem noch ein englischer und ein belgischer Delegierter gesprochen hatten, wurde die erste offizielle Versammlung als gefchloffen erklärt. heute, Mittwoch, wird der frühere italienische Ministerpräsident

Nitti erwartet.

Die Eisenpaktverhandlungen. Eine Erklärung der französischen   Interessenten. Paris  , 18. Auguft.( TU.) Zu den verschiedenen Gerüchten über den Stand der Eisenpaktverhandlungen wird vom Comité des Forges erklärt, daß es sich bei Verhandlungen von einem der artigen Ausmaß nicht um genaue zahlenmäßige Feststellungen, sondern nur um eine Verständigung handele, deren Ziel die 3usammenarbeit und nicht der Wille sei, auf jede Weise die Ronkurrenz zu besiegen. Die Einigung sei natürlich nicht leicht, weil sich noch nicht alle Industriellen an die notwendige Disziplin gewöhnt hätten. Das Problem beſtehe im Grunde genommen darin, die Weltproduktion und die Bedürfnisse der nationalen und internationalen Märkte abzuschäßen, und eine Methode für die Berteilung der Produktion zu finden. Es handele sich nicht darum, die Produktion zu beschränken, sondern die wilde Konfurrenz zu verhindern. Die offiziöfen Berhandlungen dauerten fort und man hoffe, im Laufe des nächsten Monats eine solide Einigung zu erreichen.

Feste Börse.

Die heutige Börse war wiederum sehr fest. Das Interesse der Börse wandte sich wieder allen bevorzugten Papieren der letzten Zeit zu. Insbesondere Harpener Bergbau und Rheinische Braun­fohle, ferner Oberfoks, Scheidemandel und von Elektropapieren Siemens und AEG. Der bevorstehende Brauarbeiterstreit wirkt ungünstig auf die Kurse der Brauereiaftien zurück. Der Geldmarkt bleibt leicht. Am Devisenmarkt ist der französische   Frank mit 173 gebessert.

Am 9. April 1866 hatte Preußen den Vorschlag gemacht, eine deutsche   Nationalversammlung einzube­rufen, die aus allgemeinen, direkten Wahlen hervorgehen sollte. Am 10. Juni hatte es in einer Zirkular­depesche diesen Vorschlag erneuert und einen Verfassungs­entwurf vorgelegt, dessen Artikel IV besagte:

Die Nationalvertretung geht aus direkten Wahlen hervor, welche nach den Bestimmungen des Reichswahlgesetzes vom 12. April 1849 vorzunehmen find."

Am 18. August nahmen dann, in Auswirkung der kriege­rischen Ereignisse Sachsen- Weimar  , Oldenburg  , Braunschweig  , Sachsen- Altenburg, Anhalt, Sachsen- Koburg und-Gotha  , die beiden Schwarzburg  , Waldeck  , Reuß i. L., die beiden Lippe und die drei Hansastädte Hamburg  , Bremen   und Lübeck   den preußischen Vorschlag an. Das war der Geburtstag des Norddeutschen Bundes  .

Bismard war, als er nach seinem eigenen Ausspruch das allgemeine Wahlrecht in die Pfanne warf", gewiß alles andere als ein Demokrat. Aber er hatte die Erfahrung hinter sich, daß auch ein Parlament, das nach dem Dreiklassenwahl­recht gewählt war- dem elendesten Wahlsystem, wie er fagte, das je erdacht worden ist, der Regierung äußerst unbequem werden konnte. Er glaubte nach dem Vorbild Napoleons III.   die Massen gegen das auffässige Bürgertum mobil machen zu fönnen. Aber darüber hinaus war er fich wohl auch dessen bewußt, daß das allgemeine Wahlrecht zwischen dem werdenden deutschen   Staatswesen und dem letzten seiner Bürger eine seelische Verbindung schuf. Daß die Agitation Lassalles nicht ohne Eindrud auf ihn ge­blieben war, ist durch viele Quellen bezeugt. Als kühl rechnen­der Realpolitiker nahm er die Mittel zur Erreichung seines Zieles, wo er sie fand. Und so scheute sich der ultrareaktionäre Junker von einst, der heißblütigste Gegner der Revolution feineswegs, auf das revolutionäre Reichswahlgefeh vom 12. April 1849 zurückzugreifen, das der schwarzrotgoldenen Frankfurter Nationalversammlung   seine Entstehung verdankte. Deutschen Reiches  , wurde nach allgemeinem, direktem Wahl­Der Reichstag des Norddeutschen Bundes, später der des recht gewählt. Diese deutsche Nationalvertretung, deren Wurzeln bis zur Paulskirche zurückreichen, ist es, die den Sturm des Weltkriegs überstanden hat und durch deren Fortbestehen auch das Fortbestehen des Reiches gewährleistet wurde. Die Throne fielen, der Reichstag   blieb. Die Grundlagen, auf denen er steht, sind erweitert worden. Das allgemeine direkte Walfrecht wurde von der Sozialdemokratie, als sie durch die Revolution zur Herrschaft gekommen war, auch auf die Frauen ausgedehnt und durch das Verhältnis­system eine gerechte Vertretung aller politischen Strömungen im Bolk gesichert. Zugleich erfuhren auch die Befugnisse des Reichstags eine gewaltige Ausdehnung: die Souveränität der Fürsten   ging im wesentlichen auf ihn über.

Wenn der alte Sah wahr ist, daß die großen Stürme der Weltgeschichte das Morsche wegfegen, während das Lebens­fähige fich organisch weiterentwickelt, dann sollen alle politisch Denkenden ihn auf die Ereignisse seit der Gründung des Norddeutschen Bundes anwenden und daraus ihre Lehre ziehen. Diese Mahnung gilt vor allem für jene Kreise, die sich selber mit Vorliebe ,, national" nennen, während ihre Tätigkeit doch im wesentlichen nur darin besteht, gegen das