Nr.39043.Jahrg Ausgabe A r. 200
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Freitag, den 20. August 1926
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21 Todesopfer der Eisenbahnkatastrophe.- Genosse Mehlich tödlich verunglückt.
Einundzwanzig Tote sind bei der Katastrophe des Berlin - Kölner Schnellzugs geblieben. Einundzwanzig Tote. Sie sind nicht verunglückt, sie sind ermordet worden. Eine frevelnde Hand hat eine Schienenlasche gelockert- einundzwanzig Menschen büßten ihr Leben ein.
Ein grauenhaftes Verbrechen, ein sinnloses Verbrechen. Es fällt schwer, an Raub zu glauben. Warum dann? War es freveinder Leichtsinn, war es Herostratismus? Gier nach Raub, die Menschenleben gefährdete und opferte, oder ein wahnwitziger Trieb, zu zerstören und zu töten? Wir wissen es noch nicht. Aber daß wir es wissen werden, ist beängstigend wie das Verbrechen selbst. Nebeneinander stehen der Auffchrei der Empörung über so furchtbaren Frevel und das Grauen vor dem Blick in menschliche Abgründe.
Die Vergeltung mag den Verbrecher ereilen. Aber Vergeftung verscheucht nicht das Grauen vor diesem Verbrechen, Vergeltung ersetzt nicht das Leben der Toten.
Eine frevelnde Hand hat in die Unversehrtheit unseres michtigsten Verkehrsmittels eingegriffen, dem sich täglich Hunderttausende anvertrauen. Das ist schrecklicher, als jeder 1nfall durch Irrtum, durch menschliches Unvermögen, durch Naturgewalt; denn es mahnt daran, daß es gegen solchen Frevel feinen Schuß gibt. Die Hand, die verbrecherisch in einen finnvollen Mechanismus eingreift, dem Menschenleben anvertraut find, greift das Leben von Mitmenschen an. Eine Schiene gelpdert ein einfaches mechanisches Geschehen, aber unmeßbar das Leid, das daraus hervorgeht. Dafür gibt feine Sühne Erfaz, da ist kein Wiedergutmachen möglich.
Um einundzwanzig Tote trauern die Hinterbliebenen. Unter den Toten ist unser Genosse Ernst Mehlich - vernichtet wie die anderen durch ein sinnioses Verbrechen. Tiefe Trauer ist heute in den Familien der Opfer aber das Berbrechen hat dieser Trauer den versöhnenden Zug genommen, den übermächtiges Geschehen ohne menschliche Schuld verleiht.
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Unter den Opfern der Ratastrophe befindet sich auch unfer Parteigenosse Ernst Mehlich aus Dortmund , dessen Name in der Arbeiterbewegung des Westens einen guten Klang hat. Als Karl Severing seinen Auftrag als Reichsund Staatskommissar für das rheinisch- westfälische Industrierevier niederlegen mußte, um das preußische Minifterium des Innern zu übernehmen, wurde mehlich sein Nachfolger in dem schwierigen Amte. Er hat es in der treuesten Weise verwaltet, der Schwierigkeiten nicht achtend, die sich ihm entgegenstellten und die besonders wuchsen, als der größte Teil feines Gebietes von französischen Truppen befeht mar. Heftigste Angriffe von den Kommunisten, heimliche Verdächtigung von reaktionär- nationalistischer Seite haben den arbeitsamen und arbeitsfreudigen Mann nicht abgeschreckt, auch in Stürmen mehr als seine Pflicht zu tun für das Land und für die Arbeiter im besonderen.
Oft hat er als Staatsfommiffar in Lohnstreitigkeiten zwischen der Schmerindustrie und den Arbeiterverbänden schlichtend und regelnd eingreifen müssen. Nicht immer sind feine Schiedssprüche von beiden Seiten voll anerkannt worden. Aber im allgemeinen erfreute sich Mehlich wegen seiner geraden Art und der strengen Rechtlichkeit seiner Handlungen des beften Ansehens auch bei denen, die seiner politischen Gesinnung feindlich gegenüber standen.
Seit der Einrichtung des Systems der Schlichter im Arbeitsrecht war Genosse Mehlich mit dieser Funktion in seinem bisherigen Wirkungsfreise betraut. In den nächsten Tagen hätte er als Schlichter zwischen den Interessen der Ruhrbergarbeiter und der Zechenvertreter vermitteln oder entscheiden müssen. Nun hat er in dienstlichen Angelegenheiten am Mittwoch im Reichsarbeitsministe= rium viele Stunden fonferiert. Nach einer langen Nachtfahrt war er am Mittwoch früh in Berlin eingetroffen, um in der nächsten Nacht bereits wieder die Heimfahrt anzutreten. Die letzten Stunden vor der Abfahrt verbrachte er in Gesellschaft seiner alten Freunde, der Genoffen Severing und des Reichstagspräsidenten Genossen Löbe. Wenige Stunden nach dem Abschied traf ihn der Tod. In schwer verstümmeltem Zustande wurde seine Leiche aus dem Unglückswagen dem Unglückswagen geborgen.
Ernst Mehlich war schon in sehr jungen Jahren in die Arbeiterbewegung gefommen. Er stammte aus Oberschlesien , mo er im Jahre 1882 geboren wurde. Ueber den Buchdruckerberuf tam er 1907 in die Redaktion des Stettiner ,, Boltsboten". Bon dort ging er 1910 nach Dortmund an die ..Arbeiterzeitung", deren Redaktion er angehörte, bis ihm die Revolution neue Aufgaben bot. Lange und erfolgreich
hat er auch in der Arbeiterbildungsbewegung gearbeitet. Ein Kleiner Leitfaden für Arbeiterbibliotheken" aus seiner Feder ist viel und gern benutzt worden.
Auch als Kommunalpolitiker war Mehlich tätig. Seit 1919 gehörte er dem Dortmunder Stadtverordnetenfollegium an, dessen Borsteher er später wurde. Bei der Neuwahl des ersten Bürgermeisters wurde er von unseren Genossen als ihr Vertrauensmann aufgestellt, doch unterlag er bei der Abstimmung.
Persönlich war Mehlich ein anspruchsloser Mensch. Mit einer sehr starken Familie gesegnet, hatte er auch gegen materielle Sorgen durch viele Jahre zu kämpfen. Nachdem ihm vor etwa einem Jahre seine Lebensgefährtin durch den Tod entrissen wurde, trauern jetzt sieben Vollmaisen um den Vater. Das älteste der Kinder ist 22, das jüngste drei Jahre alt.
Ein tragisches Geschick hat diesen außerordentlich begabten, für die soziale Geltung der Arbeiterklasse sich aufopfernden Mann jählings aus der Fülle seiner Arbeit und Aufgaben geriffen. Alle, die fein nimmermüdes Wirken fennen gelernt, besonders die Parteifreunde aus dem Industriebezirk, trauern mit den Hinterbliebenen über den schweren Verlust, den sein plötzlicher Tod für die Bewegung bedeutet.
Die Namen der 21 Todesopfer.
Wie leider zu erwarten war, hat sich die Zahl der bei dem verbrecherischen Anschlag auf den D- Jug Berlin- Köln ums Leben gekommenen Reisenden noch erhöht. Es handelt sich um folgende Personen:
Zugführer Jordan aus Berlin , Lehrter Bhf. David Kovert Pirie aus Cambridge .
Student Kurt Lenser aus Berlin , Wiener Straße 64. Otto Ebert aus Stettin , Krefower Straße 11.
Kutscher Reinhold Grunewald aus Berlin , Greifswalder Straße 211.
Oberingenieur Richard Gnann aus Dortmund , Burgunder Straße 13.
Frau Julie Stolle geb. Forstreuter aus Berlin- Schöneberg, Karl- Schröder- Straße 3.
Friedrich Schmidt- Ernsthausen aus Düsseldorf , Windestr. Julie Gnann, Dortmund , Burgunder Straße 13. Weichenwärter 3yrfow, Ronsdorf .
Reichs- und Staatsfommiffar Ernst Mehlich , Dortmund , Luisenstr. 10.
Lokomotivführer Albert Hohm, Kreuz. Margarete Wiese, Ehefrau.
Lokomotivführer Albert Hohm, Kreuz.
Rangierarbeiter Albert Hippe, Waldenburg- Altwasser.
Frau Winkelmann, Heimat noch nicht festgestellt;
Friß Hoffmeiffer, Berlin SD. 36.
Ferner eine unbekante weibliche Person, wahrscheinlich die Braut Hoffmeisters.
Hannover , 19. Auguft. Wie die Pressestelle der Reichsbahndirektion mitteilt, sind zwei weitere Berlehte, Frl. Klara Neuer aus Köln a. Rh. und der Student Wodryk Ream aus London im Landesfrankenhause Braunschweig ihren Verlegungen erlegen.
Keine Einigung im Bergbau.
An der Ruhr und in England.
Essen, 19. August.( Eigener Drahtbericht.) Am Donnerstag| Bräsident der Bergarbeiter- Gewerkschaft Smith erklärte, daß er nachmittag fanden in Effen im Gebäude des Bergbauvereins Lohn- in der Lage sei, nur eine einzige Erklärung abzugeben, nämlich die, verhandlungen für den Ruhrbergbau statt. Die am Tarifvertrag für daß die Bergarbeiter an ihrer Forderung nach einer für ganz den rheinisch- westfälischen Steinkohlenbergbau beteiligten Gemert- England gültigen Regelung, an ihrer Weigerung zur fchaften forderten eine Erhöhung der bestehenden Löhne um 80 Pf. Verlängerung der Arbeitsstunden festhielten, und daß sie die Frage je Schicht. Außerdem wurden noch einige Forderungen betr. der Löhne nur nach einer Prüfung über die Reorgani sation der Bergwerte besprechen wollten; ferner daß sie Aenderung der Lohnordnung gestellt. für die Weiterzahlung der Kohlenfubsidien durch die Regierung einträten.
Begründend wiesen die Vertreter der Gewerkschaften auf die an fich niedrigen Löhne der Bergarbeiter hin. Durch die Steigerung der mieten und die durch die Erhöhung der Getreidezölle verursachten höheren Brotpreise würde die Lage der Bergarbeiter noch schlechter. Die Wirtschaftslage, die für die Unmöglichkeit höherer Löhne von den Unternehmern bisher immer angeführt worden sei, habe fich wesentlich gebeffert. Besonders sei die Leistung der Bergarbeiter erheblich geftiegen und dadurch eine Vereinfachung der Lohntosten herbeigeführt worden.
Die Vertreter der Unternehmer konnten die Befferung der Lage nicht bestreiten. Die Steigerung des Abfahes entfalle aber nur auf das bestrittene Gebiet. In diesem müffe immer noch mit Verlust gearbeitet werden. Die Werke arbeiteten deshalb immer noch ohne Gewinn! Eine Erhöhung der Löhne sei für sie unmöglich. In einigen Industrien stehe der Lohn zwar höher als im Bergbau. In diesen Industrien müffe ein Lohnabbau vorgenommen werden! Die Unternehmer forderten Spannungslöhne und eine ErDie Unternehmer forderten Spannungslöhne und eine Erweiterung der Randzechenfiaufel( also einen Cohnabbau!) Die Berhandlungen verliefen ergebnislos. Die Schlichtungsverhandlungen werden voraussichtlich im Laufe der nächsten Woche stattfinden.
Keine Einigung im englischen Bergbau.
Die Stellung der Parteien unverändert. London , 19. Auguft.( Eigener Drahtbericht.) Die ahe Donnerstagnachmittag aufgenommenen Verhandlungen zwischen den Bergarbeitern und den Unternehmern wurden nach kurzer Zeit bereits als ergebnislos abgebrochen. Die Unternehmer hoffen, durch bezirksweise Berhandlungen das Ende des Streits herbeiführen zu können, während der Borstand des Bergarbeiterverbandes es nach wie vor ablehnt, über den Achtffundentag zu diskutieren.
Erklärungen der Organisationen.
Condon, 19. Auguft.( WTB.) Der offizielle von den Berg merfsbesitzern und den Vertretern der Bergarbeiter veröffent lichte Bericht über die heutige gemeinsame Sigung zeigt, daß der
Der Präsident der Vereinigung der Bergwerksbefizer Williams feßfe auseinander, daß die Bergwerksbesitzer auf jeden Fall gegen die Weiterzahlung der Subsidien seien und daß es nuglos wäre, weitere Berhandlungen zu führen, solange über die Hauptpunkte so große Unstimmigkeiten vorhanden seien. Die Bergwerksbesitzer hielten die Berlängerung der Arbeitszeit für das Weiterbestehen der Industrie für unumgänglich notwendig und es sei ihre feste Absicht, den Achtstundentag einzuführen.
Er fügte noch hinzu, daß die Vereinigung der Bergwerfsunternehmer die Frage der Löhne nicht behandeln tönne, da die einzelnen Bezirke, aus denen die Bereinigung bestehe, sich in einer nicht mißzuverstehenden Sprache geweigert hätten, irgend jemandem die Erlaubnis zu erteilen, die Bedingungen, auf Grund deren die Arbeit wieder aufgenommen werden könnte, zu bestimmen; dies könnte nur durch direkte Verhandlungen mit den Bertretern der einzelnen Bergarbeiter geschehen.
Eine Mitteilung der Bergarbeiterorganisation erklärt, da angesichts der Haltung der Bergwerksbefizer fein anderer Ausweg bleibe, als von den Bergarbeitern zu verlangen,
daß fie in ihrem Widerstand gegen die Bedingungen der Bergwerksunternehmer verharrten;
denn wenn diese Bedingungen angenommen werden würden, würde dies eine sklavische Armut für die Bergarbeiter bedeuten. Die Bergarbeiterorganisation hat sich neuerdings an die Deffentlichkeit um weitere Unterstützung der Berggrbeiter und ihrer Familien gewandt.
die Erekutive der Bergarbeiter- Gewerkschaft morgen zu einer Der Sekretär der Bergarbeitergewerkschaft Coot teilte mit, daß Sigung zusammentreten werde, um die gegenwärtige Lage zu prüfen. Er erklärte, daß weitere Verhandlungen mit den Bergwerksbefizern unmöglich seien, da diese sich weigerten, über eine Regelung der Streitfragen für ganz England zu verhandeln. Die Bergarbeiter hätten nicht die Teilnahme der Regierung an den Verhandlungen gefordert.