Abendausgabe
Nr. 39143. Jahrgang
Ausgabe B Nr. 193
10 Pfennig
20. August 1926
= Vorwärts=
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Dolksblatt
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Butter und Brot.
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Verhandlungen im handelspolitischen Ausschuß.
Der handelspolitische Ausschuß des Reichstags beriet heute den deutschnationalen Antrag, in dem gefordert wird, daß der Wert der Einfuhrscheine den geltenden Zollfägen( hinter denen er jetzt um durchschnittlich 2 M. zurück. bleibt) gleichgesezt werde. Er fam ater zu feinem Entschluß, meil der Bertreter des Reichsernährungsministeriums erflärt hatte, für die Regierung feine Erklärung über diese Frage abgeben zu fönnen. Am 31. Auguft will man noch einmal zusammentreten. Man nimmt an, daß die Regierung bis dahin in einer Rabinetts sizung Beschluß über die strittige Angelegenheit gefaßt haben wird.
In der Debatte führte Stubbendorf ( Dnat.) zur Begründung aus: Die gegenwärtig geltende Differenzierung beziehe sich auf höch= stens 100 000 Doppelzentner, das mache für das Reich 200 000 m., also eine Bagatelle. Eine preiserhöhende Wirkung werde nicht eintreten. Es sei aber notwendig, für das Ueberangebot von Roggen,
besonders im Osten, ein Ventil zu schaffen und Rußland und Polen auf dem nordischen Markt zuvorzukommen.
Hilferding ( Soz.) weist darauf hin, daß die geltende Regelung einen wesentlichen Bestandteil des 3ollfompro. misses darstelle und nicht ohne weiteres beseitigt werden könne. Der Zwed sei, den Uebergang zu den neuen Zollfägen etwas milder zu gestalten, und jetzt, nach zwanzig Tagen, solle das wieder ge= ändert werden. Diese ungerechtfertigte Forderung ist abzu lehnen.
Die Deutschen in Polen . Teilnahme am Genfer Minderheitenkongref. Auf dem Genfer Minderheitenkongreß wird die deutsde Minderheit in Polen durch die Sejmabgeordneten Naumann, Graehe- Bromberg, Kronig Lodz( So03.) und Senator Hasbach vertreten sein.
In einem Aufsatz über die bevorstehende Böllerbundstagung iz Genf schreibt der Kurjer Poranny"( Morgenkurier) u. a.: " Wir müssen darauf vorbereitet sein, daß bei dieser Konferenz die
Bertreter der nationalen Minderheiten unseres Staates nicht zu den ruhigsten und mit ihrem Lose zufriedensten gehören werden, daß also schon bei den ersten Akkorden der Ouvertüre laute, und für unsere Ohren nicht gerade sehr angenehme Töne über Polen zu hören sein werden. Dies alles dant der kurz. fichtigen nationalistischen Politit der bisherigen Regierungen, die den Anflägern viel Material zu ihrem Gezeter vor dem Völkerbund gaben, dem berufenen Berteidiger der Nationalitäten, die ihr eigenes staatliches Dasein ver loren haben."
Memel , 20. Auguft.( Mtb.) Im memelländischen Landtag mies Landtagspräsident Kraus darauf hin, daß man von den neuen Männern in Kowno eine neue Einstellung des souve ränen Staates dem autonomen Memelgebiet gegenüber erwartet hatte. Schon die erste Frage, die keinen Aufschub duldet, die Regelung des Anteils des Memellandes an den Staatseinnahmen, zeige, daß auch die neuen Männer an den alten Methoden fest. hielten. Die harte Notwendigkeit werde jedoch zu weiteren Wegen in der Finanzfrage zwingen. Präsident Kraus schilderte sodann den Niedergang des Memeler Wirtschaftslebens.
Die Freundschaftsvertrags- Serie.
Warschau , 20. August.( Eigener Drahtbericht.) Offiziell wirb mitgeteilt, daß zwischen Polen und Südslawien ein Freund schaftsvertrag abgeschlossen worden ist. Er foll im September in Genf unterschrieben werden.
Belgrad , 20. Auguft.( Agentur Avala.) Um die zwischen der polnischen Republik und dem Königreich Jugoslawien bestehenden freundschaftlichen Beziehungen zu befestigen, haben sich die beiden Regierungen über den Wortlaut eines Freundschaftspaktes und eines Schiedsvertrages geeinigt, die im September in Genf unterzeichnet werden sollen. Durch diese Abkommen, die vollkommen auf den Grundsätzen des Bölkerbundspattes aufgebaut sind, wünschen die beiden Regierungen einen neuen Beweis ihres friedlichen Geistes zu geben. Im Zusammenhang mit dem Abschluß des Freundschaftsvertrages ist ein Besuch des Außenministers Nintschitsch in Warschau vorgesehen.
Noch keine Besprechung mit Poincaré . Paris , 20. August.( Eigener Drahtbericht.) Das Finanzministerium dementiert vorläufig die Nachricht, daß Poincaré eine Besprechung mit dem amerikanischen Schoßsekretär Mellon haben wird, der sich augenblicklich in Frankreich aufhält. Es wird erflärt, daß, wenn Nordamerika eine solche Aussprache wünsche, Boincaré natürlich darauf eingehe, daß aber vorläufig feinerlei
Auch der Demokrat Mayer sprach sich entschieden gegen den deutschnationalen Antrag aus, ebenso der Volksparteiler Schneider, der sagte: Wenn etwas ähnliches von der anderen Scite beantragt würde, so würden die Deutschnationalen von parlamen. tarischer Lotterwirtschaft reden und auf die alte gute Zeit hinweisen. wo sie alles allein gemacht hätten.
Die Deutschnationalen sind über diese unbotmäßige Aeußerung sehr entsetzt. Sie haben jedoch dann die Genugtuung, daß die zwei anderen Volksparteiler Hoffmann und Hamptes für ihren Antrag sprechen.
Schließlich beantragt Lammers( 3.) Bertagung bis zum 31. August, die gegen den Widerspruch von Blunt( 3.) beschlossen
wird.
Einer Anregung der Sozialdemokraten entsprechend, will man fich am 31. August auch mit dem Butterzoll befassen, der heute in voller Tarifhöhe von 30 Mart in Kraft ist. Zur Begründung daß die Beibehaltung dieses hohen 3olls gegenüber dem alten des sozialdemokratischen Vorschlags führte die Genoffin Wurm aus, daß die Beibehaltung dieses hohen Zolls gegenüber dem alten von 22 Mart unzulässig sei. Der finnische Handelsvertrag, der noch nicht in Kraft getreten sei, sehe einen Zollfag von 27,50 Mart vor. Mindestens auf diesen Betrag, wenn nicht auf den alten Saz, sei der 3oll herabzubringen. Die Butter sei in der legten Zeit pro Zentner um 5 Mart im Preise gestiegen und steigé noch weiter.
Einzelne bürgerliche Abgeordnete bestritten, daß die Steigerung des Butterpreises mit der Zollerhöhung in Zusammenhang stehen. Es wurde aber dennoch beschlossen, die Frage zu erörtern.
Anlaß vorliege, eine solche Aussprache für die nächste Zeit zu
erwarten.
Ebenso wird die Nachricht, daß die Bank von Frankreich ihren Distontfaß von 7% auf 8% Proz. erhöhen werde, dementiert. Man betont, daß ja die Wochenbilanz der Bank von Frankreich für die Periode vom 12. bis 19. August von neuem einen Rüd gang des Papiergeldumlaufs um 600 Millionen Franfen und eine Erhöhung der Rückzahlung des Staates an die Bank von Frankreich um 350 Millionen Franken aufweist.
Abermals Leitungswechsel in Syrien .
legen den gestrigen Besuch des Oberkommissars von Syrien , SeParis, 20. August.( Eigener Drahtbericht.) Die Morgenblätter nator de Jouvenel, bei Poincaré so aus, daß dieser Posten in aller Kürze neu besetzt werden wird. Der Abg. Flandin hat große Aussichten, zum Oberkommissar von Syrien ernannt zu
werden.
Franzöfifches Entgegenkommen angedeutet. Paris , 20. August.( Eigener Drahtbericht.) In einer anscheinend halbamtlichen Auslassung beschäftigt sich der Petit Parisien" mit dem Interview, in dem Primo de Rivera die Einverlei bung von Tanger in das spanische Marokko gefordert hat. Bisher, so meint das Blatt, seien dieser Erklärung diplomatische Schritte Spaniens weder in Paris noch in London gefolgt; man müsse deshalb abwarten, ehe man sich konkret über diese Forderung Spaniens äußere. Die franko- spanische Zusammenarbeit in Marokko habe im übrigen zu große Erfolge gehabt, als daß Frank reich , wenn ein solches Ansuchen offiziell gestellt würde, es nicht mit dem größten Entgegenkommen behandeln würde. Das St. Helena Abd el Krims.
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Paris , 20. Auguft.( TU.) Wie der Petit Parisien" aus Rabat meldet, wird Abd el Krim Fez am 28. August verlassen, um seine Berbannung auf der Insel Réunion anzutreten. Die Reise wird vermutlich von Casablanca aus stattfinden, wohin Abd el Krim in einem verschlossenen Waggon geschafft werden soll. ( Die Insel Réunion ist die südlichste der Maskareneninseln im Stillen Ozean , westlich der Küste Südafrikas . Sie hieß eine Zeitlang Bonaparte Insel, und man bereitet ja dem besiegten Rifrebellen ein ähnliches Los wie Napoleon freilich ist Réunion nicht ein nacktes, unbewohntes Felseneiland. Red. d. V.)
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Die Not der englischen Bergarbeiter. Die Freude der Börse.
An der heutigen Börse machte der Bergbaubericht für den Juli und die Fortdauer des englischen Streits guten Einbrud. Montanwerte und Banten standen im Vordergrund. Elektromerte waren vernachlässigt, nur sonstige Spezialitäten feft. Der Geldmarkt bleibt leicht, am Devisenmarkt halten die Schwanfungen an. Da die Interventionen zum Stillstand gekommen sind, setzte auch heute der französische Frank stark verschlechtert mit 173 ein. Im weiteren Verlaufe wurde die Tendenz matter, da man viel fach zu Realisationen schritt.
Zur Tagung der Studienkommission in Genf wird ofs Vertreter Deutschlands der deutsche Botschafter in Paris v. 5o es am 28. August nach Genf reisen und wahrscheinlich tags vorher Ministerialdirektor Gauß, der Leiter der Rechtsabteilung im Reichsaußen ministerium.
Lindenstraße 3
Ruth Fischers Ende.
Maffenhinauswurf bei den Kommunisten.
In der Kommunistischen Partei herrscht heillose Berwirrung. Die starre überkommene fommunistische Ideologie ist in so großen Gegensatz zur politischen und wirtschaftlichen Entwicklung in der Welt und in Rußland geraten, daß das ideologische Gebäude der Kommunisten schwankt.
In Rußland vollzieht sich ein Machtübergang zur Bauernschaft. Die herrschende Sowjetbureaukratie zieht die Konsequenzen aus der gesellschaftlichen Entwicklung in Ruß land , der Glaube an die Vorhutmission des Industrieproletariats ist dahin. In Deutschland aber kämpft die Zentrale der Kommunistischen Partei gegen die Opposition in den eige nen Reihen unter der Parole: für die proletarische Diktatur" - um die Sache der russischen Diktatur gegen das Proletariat zu verteidigen.
in
In Rußland werden die alten Bolschewisten aus der russischen kommunistischen Partei hinausgeworfen- Deutschland folgen ihnen die kommunistischen Führer nach, die bisher als festeste Stützen bolschewistischer Anschauungen und bolschewistischer Politik galten.
Gestern sind ein halbes Dugend oppositio= neller fommunistischer Führer hinausge= worfen worden. Sie sind Agenten der Bourgeoisie" geworden und gehen auf die andere Seite der Barrikade". hört man die ,, Rote Fahne " darüber, so könnte man sagen, Die Kommunistische Partei sei eine Anstalt zur Fabrikation von Agenten der Bourgeoisie". Man liest da:
fort.
" Zuerst gingen die kleinbürgerlichen Phraseure der KAPD . Dann fehrten Paul Levi und seine Freunde zur Sozialdemokratie zurück. Andere, vereinzelt und in Gruppen, folgten. Einmal nach" links", einmal nach rechts. Jeder einzige, der sich von der Partei des revolutionären Proletariats trennte, endete im Lager des Klassenfeindes. Heute verläßt ein weiteres halbes Dugend bankrotter Führer die Kommunistische Partet. Ruth Fischer und Maslow sind aus der KPD. ausgeschlossen.
Diese ehemaligen Führer unserer Partei sind, wie einstmals Baul Levi, den Schwierigkeiten der Revolution zum Opfer gefallen. Sie begannen mit der Aufstellung der wildesten„ linken" Barolen, und sie kapitulierten vor dem Feind, als sich das
Tempo der Revolution verlangsamte. Sie sind der Ausdruck des fleinbürgerlichen Kazenjammers nach acht Jahren revolutionärer Kämpfe. Sie find das Spiegelbild der kurzatmigen tapitalistischen Stabilisierung, die auf Kosten der Werktätigen vollzogen wurde. Weil der Gang der Revolution schwerer und mühevoller ist, als lung ergriffen. manche Literaten träumten, werden diese Schichten von Verzweis
Ausgeschlossen sind: Maslow und Ruth Fischer , der Reichstagsabgeordnete Karl Tiedt, Vorsitzender des Internationalen Bundes der Kriegsopfer, die Landtagsabgeordneten Lossau und Loquingen. Die Abgeordneten werden zur Niederlegung ihrer Mandate aufgefordert. Die nächsten, die auf der Liste zum Hinauswurf stehen, sind die Zentralemitglieder Urbahns und Schlecht und der Kandidat Schimanski. Sie haben in der Zentralesizung gegen die Ausschlüsse gestimmt.
Maslow, Fischer, Lossau und Loquingen sind ausgeschlossen worden wegen Bündnisses mit dem Partei- und Arbeiterverräter" Korsch. In der Begründung des Ausschusses heißt es:
Mit diesem Parteiverräter Korsch haben Maslow und Fischer einen Bund gegen die Partei und die kom. munistische Internationale geschlossen. Sie haben mit Korsch nicht nur ein ideologisches Bündnis geschlossen( indem sie Korsch erlaubten, seine fonterrevolutionären, rechten, fautskyanischen Gedanken ais leitende Linie zu entwickeln), sondern fie schlossen auch ein organisatorisches Bündnis mit einer Gruppe, die nach den Worten Korschs nicht vor der Spaltung der Partei zurückschrecken wird." Im Lichte dieses verräterischen 3ieles sind auch die früheren Schritte von Maslow und Ruth Fischer zu beund der Komintern , feiges, unwürdiges Verhalten vor trachten: wiederholte Disziplinbrüche, Betrug der Partei Gericht( Maslow).
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Zur Vorbereitung und Durchführung ihrer Spaltungsabsichten organisierten Ruth Fischer und Maslow gemeinsam mit anderen eine Fraktion, deren Tätigkeit sie auf viele Be
girtsorganisationen der Partei zu erstrecken versuchten.
Sowohl durch das Bündnis mit Korsch, als auch durch die Methoden ihrer Fraktionsarbeit haben Ruth Fischer . und Maslow bewiesen, daß das unmittelbare Ziel ihrer Politik die Spaltung der KPD. ist."
Der Reichstagsabgeordnete Tiedt wurde wegen Herausgabe einer schmutzigen Zeitschrift Die Ehelosen" ausge= schlossen; er ist ein Fall für sich.
Die„ Rote Fahne " begleitet den Hinauswurf mit den befannten, nun schon lächerlich werdenden Agitationsphrasen, die sonst gegen Sozialdemokraten üblich find:
,, Ruth Fischer und Maslow find nicht um ihrer falschen Auffassungen willen ausgeschloffen worden. Es gibt noch einige fommunistische Arbeiter, die den oppositionellen Standpunkt teilen. Mit jedem einzelnen von ihnen werden wir als Bolfchemisten mit Bolschewisten, als Parteigenoffen mit Parteigenoffen flar und offen über die Probleme des Klaffenkampfes diskutieren. Bewußte Hegredner gegen die Sowjetrepublik, bewußte Spailer der Partei, unwürdige Kapitulanten vor dem Staatsgerichtshof, Günst