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Nr. 419 43. Jahrgang

Ausgabe B Nr. 207 196

Bezugsbedingungen und Anzeigenpreise fing in der Morgenausgabe angegeben Redaktion: S. 68, Lindenstraße 3 Fernsprecher: Dönhoff 292-297 Tel- Adresse: Sozialdemokrat Berlin

10 Pfennig

6. September 1926

Vorwärts=

Berliner Dolksblatt

Berlag und Anzeigenabteilung: Geschäftszeit bis 5 Uhr Berleger: Borwärts- Verlag GmbH. Berlin SW. 68, Lindenstraße 3 Fernsprecher: Dönhoff 292-297

Zentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands

Militäraufstand in Spanien .

Belagerungszustand- Grenzsperre- Siegesmeldungen der Regierung.

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Das Verhältnis Spaniens zum Bölkerbund wie die Forderung nach Eingliederung des internationalisierten" Langer in die spanische Marottozone find plöglich in den Hintergrund getreten. Schon vor mehreren Tagen war be fannt, daß angeblich wegen Borschriften des ,, Direktoriums" über Kriegsauszeichnungen und Beförderungen die Offi­ziere der Artillerie sich gegen das jezige Regime auflehnen. Ob die Artillerieoffiziere auch politische, und zwar demokratisch. parlamentarische Biele haben, ist nicht deutlich geworden, zu mal seit den ersten Anzeichen von Unruhen die strengste Nach richtenzenfur, wiederholt und auch jetzt bis zur vollständigen Grenzsperre gesteigert, herrscht, Auch war das Interesse der zu­nächst interessierten Pariser Presse zu stark durch die französischen Finanzforgen und durch Genf so in Anspruch genommen, daß wenig über Spanien ertundet und gemeldet wurde. Immer hin find Artillerieoffiziere, bei denen nicht die adlige Ab­ftammung, die Reitkunst und die infanteristische Eleganz aus­reicht, sondern die allerhand Technisches und Mathematisch . Geometrisches einigermaßen verstehen müssen, hinreichend verdächtig, nicht nur um Klempnerladen, und egoistische Avancementsinteressen das ungeheure Risiko eines Aufstandes

zu wagen.

Der tiefen Unzufriedenheit des Volkes mit der Dittatur hat die Nichtpartei" Primos dadurch Rechnung zu tragen versucht, daß sie eine Bolksabstimmungskomödie inszeniert, womit sie nur aller Welt kundtut, daß das Bolt nach Demo­fratie verlangt. Nichtsdestoweniger hat Primo soeben wieder den Parlamentarismus öffentlich verflucht und damit wahr. scheinlich Del ins Feuer gegossen.

Man kann bei der hermetischen Sperre für alle anderen als Regierungsnachrichten nicht flar sehen, wie der Aufstand steht. Immerhin sagt selbst die Regierung, daß die Lage ernst ist.

Folgende Depeschen liegen bis zur Stunde vor:

Paris , 6. September. ( Eigener Drahtbericht.) Aus Madrid wird gemeldet, daß die Regierung am Sonntag ein Defret ver­öffentlicht hat, das den Belagerungszustand über ganz Spanien famt den Balearischen und Kanarischen Inseln verhängt. Wer den Befehlen nicht sofort Folge leiftet, wird als ungehorsam im Felde" behandelt. Ein weiteres Defret enthebt sämtliche affiven Artillerieoffiziere mit Ausnahme derjenigen in Marotto ihres Umtes, entzieht ihnen das Gehalt, verbietet ihnen, Uniform zu tragen und befiehlt den Soldaten, diese Offiziere nicht mehr zu grüßen und sie zu verhaften, wenn sie die Soldaten Stelle der Enthobenen sollen überall die Reserveoffiziere Militärakademie empört. Auch in Segovia ift es zu Meutereien gekommen. Daraufhin hat ein Defret des Diktators die Schüler

zum Ungehorsam gegen die Regierung auffordern sollten. An die

der Artillerie freten. In Balladolid haben sich die Offiziere der

der Artillerieſchulen sämtlich in Urlaub geschickt.

König Alfons XIII , der telegraphisch von San Sebastian zurüdberufen wurde, ist im Laufe der Nacht in Madrid eingetroffen und hatte sofort eine Besprechung mit Primo de Rivera . Man beschloß, einen außerordentlichen Kabinettsraf einzuberufen, um zu versuchen, die Zwiftigkeiten zwischen Primo de Rivera und dem Offiziertorps der Artillerie beizulegen. Der König foll dem Diffator von neuem das Bertrauen ausgesprochen und ihn ermächtigt haben, die Meutereien in der Armee mit allen Mitteln zu unter­

drücken.

Primo de Rivera hat am Sonntag anläßlich des driffen Jahres­tages feiner Diffatur einen längeren Aufruf erlaffen, worin er behauptet, das parlamentarische Regime habe Spanien , wie auch verschiedene Nachbarländer an den Rand des Abgrunds gebracht, niemand könne gegenwärtig in Spanien ernstlich daran denken, es wieder einzuführen. Hingegen(?) jei es angebracht, eine National­versammlung einzuberufen, in welcher alle klaffen und Infer­effen vertreten sein follen. Für den Fall des Sturzes der gegenwärtigen Regierung müßte der König in der Nationalver­fammlung die Persönlichkeiten finden, denen er die Nachfolge über­tragen fönnte. Im übrigen habe das Direktorium die zerrüttete spanische Währung wiederhergestellt, den Marottofrieg fiegreich beendet und die sozialen Berhältnisse nach jeder Richtung hin verbessert. Er schließt mit der Aufforderung an das spanische Bolt, dem Direktorium sein Vertrauen, zu

erneuern.

Seit Sonntag nachmittag ist jeder Drahtverkehr mit Spanien unterbrochen; ob Reisende herausgelaffen werden, ist zweifelhaft. Es heißt, daß Primo de Rivera wahrscheinlich sehr bald durch den spanischen Botschafter beim Batikan, General Mage3, erfekt werde, der ziemlich überraschend in Madrid eingetroffen fein foll. Der König, der fich angeblich nunmehr von Primo frennen möchte, hoffe auf diese Weise den Zwist zwischen dem Diftator und einen Teil des Heeres aus der Welt zu schaffen.

Regierungsdarstellung.

Madrid , 6. September. ( WTB.) In einer offiziösen Kundgebung wird auf die sehr ernste Lage hingewiesen, in der sich das Land durch die sich häufenden Fälle von Infubordinatio nen in der Armee als Folge der Abänderung des Königlichen Erlaffes nom 6. Juni. d. 3. über die militärischen Auszeich

nungen im Kriege befindet. So gab heute der Chef der Artilleriefeftion ohne Ermächtigung des Kriegsministers den beur laubten höheren Artillerieofffizieren den Befehl, sich wieder auf ihren Bosten einzufinden. Der Chef des Artillerieregiments in Segovia ordnete ebenfalls ohne Ermächtigung die Bereitschaft der Truppen der Garnison Segovia an, und zwar angeblich als Vorsichtsmaßnahme für etwaige etwaige Angriffe durch Madrider Truppen. Auch in der Militäratademie in Balladolid find Fälle von Indisziplin vorgekommen, sowie beim 10, und 12. Regiment und bei einer Artillerieſchülergruppe. Sämtliche höheren Offiziere werden in ihren eigenen Wohnungen in Arrest gehalten.

während des ganzen Tages hatte der Kriegsminister telephonische Besprechungen mit den Generaltapitänen( Korpskommandeuren). Diese berichteten, daß die Disziplin bei den auswärtigen Artillerieforps vollfommen aufrechterhalten werde und daß in den verschiedenen Garnisonen eine allmähliche Unter. werfung erfolgte. Die Frage tönne als vollkommen gelöst betrachtet werden hinsichtlich der Garnisonen von Andalusien und Katalonien und als auf dem Wege zu sofortiger Lösung begriffen, was die übrigen Garnisonen anbelange. In Segovia , mo die ersten Flammen des Aufruhrs gemeldet wurden, ist der normale 3Bustand wiederhergestellt, nachdem der Militärgouverneur seine Autorität zur Geltung gebracht hatte. Dieser Blaz wurde durch eine Gendarmerieabteilung unter dem Befehl eines Oberst. leutnants verstärkt. Die Regierung freut sich, der Deffentlichkeit den befriedigenden Stand dieser Angelegenheit, jo ernft diese auch ist, mitteilen zu können. Dieses Ergebnis ist ohne Blutvergießen und ohne jebe Gewaltanwendung erzielt worden, einzig und allein durch die Disziplin der militärischen Kräfte und dank bem Ansehen der Behörden. Gleichzeitig wird mitgeteilt, daß die Urheber und Rädelsführer dieses schweren Bergehens ganz besonders zur Rechenschaft gezogen werden sollen.

Wie die amtliche Veröffentlichung dann weiter ausführlich be. richtet, versicherte der König Primo de Rivera in der bereits furz gemeldeten Audienz erneut feines Bertrauens und gab ihm die Ermächtigung, alle notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, wobei er seinem Bedauern darüber Ausdrud verlieh, daß ein Truppentörper, der auf eine so glänzende Geschichte zurück. blicken könne wie die Artillerie, sich in eine so unmögliche Lage gebracht habe, wie die Darlegungen des Ministerpräsidenten sie schilderten. Der Ministerpräsident berichtete dann dem König über die wichtigsten Fragen der äußeren und inneren Politik und begab fich unmittelbar danach ins Kriegsministerium, um in Anwesenheit aller Minister, mit Ausnahme des Finanzministers, des Arbeits ministers und des Außenministers, die abwesend sind, einen Minister­rat abzuhalten. Noch in der Nacht liefen bei der Regierung zahl­reiche Kundgebungen von Körperschaften und von Einzelpersonen, Regierung ihre Anhänglichkeit bezeugen und ihre Dienste anbieten. darunter auch zahlreichen Offizieren, ein, in denen fie der

Die Haltung fämtlicher Truppenförper, mit Ausnahme der Artillerie, ebenso aber auch des gesamten Reserveoffizierkorps der Artillerie, ift die der strengsten Disziplin; fie legen den Willen an den Tag, ihre Pflicht zu tun, auch wenn das Aeußerste von ihnen verlangt werden sollte, und befunden Bedauern darüber, daß die Haltung ihrer Kameraden von der Artillerie scharfes Durchgreifen im Inter esse der Wiederherstellung von Ordnung und Disziplin erforderlich gemacht habe. In der Kaserne des Ersten Feldartillerieregiments an den Docs erschien gestern mittag ein vom Generalfapitän beauf­tragter Generalstabsoffizier mit einer Abteilung Infanterie, der die Räumung und Uebergabe der Kaserne an die durch Königliche Berordnung bezeichneten Bevollmächtigten verlangte, was sofort erfolgte, worauf die Neuorganisation der Truppe in Angriff genommen wurde.

Und die Flotte?

London , 6. September. ( WTB.) Nach einer Reuter- Meldung aus Gibraltar besagt ein Bericht au Cadiz , daß die dort liegen den Kriegsschiffe gemeinsame Sache mit den Artillerist en machen, die in ihren Kasernen konzentriert sind. Es heißt, daß in Barcelona die Lage ähnlich ist.

Die Volksabstimmungskomödie. Madrid , 6. September. ( EP.) Eine Mitteilung der Regierung erflärt, daß an der Abstimmung für das Direttorium teilnehmen fönnen. Stimmenthaltung( wer fie wagt! Red. alle Spanier beiderlei Geschlechts vom achtzehnten Lebensjahr an d. B.") gilt als Ablehnung der Diftatur. Ber für die Regierung ist, hat außerdem das Recht, zu stimmen, ob er für oder gegen die Einberufung einer Nationalversammlung ist.

Unterwerfung in Barcelona ?

Silverbergs Echo.

Lebhafter Widerspruch rechts Vorbehalte auf der

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Linken.

Das überraschende Betenntnis des In­dustriellen Silverberg auf dem Dresdener Industrietag hat, wie nicht anders zu erwarten war, ein lebhaftes Echo in der Presse ausgelöst. Wenn in Dresden , nach offenbarer Berständigung innerhalb des Präsidiums des Reichsverbandes der Industrie, zum erstenmal mit besonderer Betonung die Staatsbejahung" der Industriekreise aus­gesprochen, also das Bekenntnis zur Republik in feierlicher Form zum Ausdrud gebracht wurde, so bedeutet das sicher einen vollständigen Bruch mit der bis­herigen Ueberlieferung. Denn es ist weithin be­fannt, daß die Butschverbände aller Art bisher ein­seitig aus großindustriellen Kassen gespeist worden sind. Die Anerkennung der republikanischen Staatsform würde also, wenn anders sie mehr sein soll als ein bloßes Lippenbekennt­nis, die förmliche Absage an putschistische und rechtsradikale Bestrebungen bedeuten.

Eine ebenso gründliche Abkehr von jahrzehntelanger Ueberlieferung bietet das Eingeständnis dieses Groß industriellen dar, daß die große Mehrheit der deut­fchen Arbeiter in den freien Gewerkschaften und in der Sozialdemokratie ihre wirtschaftliche und politische Bertretung findet. Die Schlußfolgerung aus diefer Er­fenntnis, daß in Zukunft nicht mehr gegen, ja nicht mehr ohne die Arbeiterschaft und ihre politische Partei, die Sozial­demokratie, regiert werden könne, ist zweifellos eine so voll­fommene Umwälzung bisheriger Ideologie, daß die peinliche Ueberraschung auf der Rechten ebenso verständlich ist wie die reservierte Haltung, die Silverbergs Rede in gewerkschaft­lichen und sozialistischen Kreisen findet.

bergieute. Man entfinnt sich mehrfacher Aeußerungen, die Am wenigsten überrascht freilich der Zorn der Hugen­erst vor kurzem der bekannte Großindustrielle Arnold Rechberg über die wandlungen in den An­ich auungen der westlichen Industrie fa pitäne gemacht hat. Er sprach dabei ganz offen aus, daß man bei Hugenbergs zu brechen, der von der Industrie selbst diesen Industrietapitänen bemüht sei, den Einfluß fünstlich großgezogen war. Hugenberg und seine Presse sehen Anfang nach dieser Richtung. Sie fallen denn auch gebührend in dem Vorstoß Silverbergs augenscheinlich einen ersten über ihn her. In der vornehmeren" Ausgabe Hugenbergscher Weisheit, im Tag", wird ihm kaltlächelnd gesagt, er wäre ein Weiser geblieben, wenn er geschwiegen hätte. Man hofft dort, daß Silverberg doch nur im eigenen Namen" gesprochen hatte und behauptet dann, daß er über die organisatorische Schichtung in der Arbeiterschaft sich falsche Vorstellungen" mache und von Sozialismus hat er, mit Berlaub zusagen, feine Ahnung". Um das zu beweisen, behauptet der Tag", daß die Sozial­fich auf ihrem tiefsten Stand seit der Revolution" gezeigt demokraten, als sie sich für die Besitzenteignung einsetzten, hätten! Schließlich bekommt der Tag" auch Sorgen um das Zentrum, dem Herr Silverberg durch seine Er­flärungen seine Rolle nicht erleichtert" habe.

In dem für die Spießbürger bestimmten ,, Lokal­Anzeiger" läßt Hugenberg noch gröberes Geschütz auffahren. Dort wird die kühle Betrachtung Silverbergs als Utopie Don Dresden" bezeichnet und versichert, daß ,, anders als sonst in Menschenköpfen sich in Silverbergs Kopf die Welt male". Die ,, Bombe von Dresden " erweise sich bei näherem Bufehen als eine Seifenblase, die alles andere ist als ein Globus, auf dem eine hadernde und hungernde Mensch­heit zufrieden und satt werden könnte". Auch der Lokal­Anzeiger" muß pflichtschuldigst Besorgnisse um das Zentrum und die christlichen Gewerkschaften äußern. Das Bentrum hingegen läßt durch die ,, Germania " verkünden, daß es solche Sorgen nicht kenne:

länger als Dr. Silverberg auf dem Standpunkt, daß es- ,, Es steht im Gegenteil mit Dr. Silverberg und schon etwas in hohem Maße wünschenswert ist, nicht ohne die deutschen Arbeiter und daher auch nicht ohne die Sozialdemo tratie zu regieren."

Die ,, Deutsche Tageszeitung" steht Herrn Silverberg zwar auch sehr reserviert gegenüber, vermeidet aber doch die scharfen Angriffe, die Hugenberg vom Stapel läßt. Ngch ihrer Meinung hat Silverberg nur seine eigenen Ansichten Auffassung der deutschen Industrie und glaubt, daß schon das wiedergegeben. Sie vermutet einen 3 mieipalt in der Wirtschaftsprogramm des Reichsverbandes die Un­möglichkeit nachweisen werde, mit der Sozialdemokratie ge­meinsam zu regieren.

"

Das Berliner Tageblatt" erblickt zunächst in Silver­bergs Rede das Betenntnis zur Republik und unterstreicht den Saß, daß alle ernsthaften und heutigen Staates und der Reichsverfassung gestellt haben. Das demokratische Blatt registriert mit Befriedigung, daß dieser Wandel in der Ansicht der Industriellen vor allem den gesellschaftlichen Bontott beseitigen würde, der hauptsächlich in fleineren Orten bisher gegen jeden Republi­faner in der Beamtenschaft wie in der sogenannten Gesell schaft" perübt wurde. Es heißt deswegen ironisch die Indu­

Baris, 6. September. ( TB.) Havas meldet aus Barce lona: Die Mannschaften zweier Artilleriefasernen hätten sich gepflichtbewußten Menschen sich auf den Boden des weigert, dem Generaltapitän zu gehorchen und ihre Waffen abzu­geben. Die Offiziere weigerten sich ebenfalls, die Rafernen zu ver. laffen, die daraufhin von Kavallerie und Infanterie einge schlossen wurden. Ohne daß von der Waffe Gebrauch gemacht wurde, hätten die Offiziere nach einigen Berhandlungen ihre Haltung aufgegeben und sich unterworfen. Im ganzen Gebiet von Barcelona Jall Ruhe herrschen.