Sonntag 12. September 1926
lus öer
Die Zilme öer Woche. ,Sea Hur.� (Ufa-Pavillon am Uollendorfplah.) Der größte amerikanische Film! Und ein Musterbeispiel des amerikanischen Geistes überhaupt. Zunächst die Reklame, die für den Film gemacht wird. Da werden Ziffern ausgeboten, die alles in den Schatten stellen. Der Film soll mehrer« Millionen Dollar gekostet haben, Zehntausende von Menschen sind bei ihm beschäftigt worden, unzählige Kilometer Film werden gedreht, aus denen schließlich vier herausgeschnitten werden. 50 Kameras sollen gearbeitet haben usw. Fabelhaft war der Erfolg in Amerika . Da» begreift sich, denn der Film ist ja echt amerikanisch. Seine Lorlage, der gleichnamige Roman von Lew Wallace , hat Millionen Leser drüben gefunden, eine dramatische Bearbeitung ist zu ungezählten Malen über die Bretter gegangen, und so mußte auch der Film, der die szenischen Wirkungen ins Kolossale steigerte, gefallen. Ja. er ist echt amerikanisch, er entspricht den bigotten Bedürfnisten, in» dem er ganze Szenen aus dem neuen Testament, wie die Reise nach Bethlehem , das Erscheinen des Sterns, die Weisen aus dem Morgenland« und die Hirten sowie später die legten Tage Christi in Jerusalem mit den Szenen vor Pilatus sowie Wundertaten wäh» rend der Kreuztragung vorführt. Diese biblischen Bilder sind nach berühmten Gemälden von Rubens, Leonardo da Binci(Das Abend- mahl) und Munkacsy zusammengestellt und werden nach dem Trikoloreverfahren farbig vorgeführt. Während die biblischen Geschichten den Hintergrund abgeben— Christus erscheint nur mit seiner Hand, die ganze Figur darf nicht gezeigt werden!—, füllen den Vordergrund die Schicksale des jüdi- schen Prinzen Ben Hur und seiner Familie. Er wird, von der Höhe seiner Stellung herabgestürzt, zum Sklaven auf einer römischen Galeere, findet Gelegenheit, den römischen Feldherrn Arrius zu retten, wird von ihm adoptiert und steigt aus zu dem berühmtesten Wogenlenker Roms. Aber die Sehnsucht treibt ihn in die Heimat, um das Schicksal seiner Mutter und Schwester, die im Gefängnis schmachten, zu erfahren. In Antiochia siegt er in dem großen Wagenrennen und triumphiert über seinen ehemaligen Freund und späteren Todfeind, den Römer Mestala. Von jetzt ab berührt sich Ben Hurs Geschichte mit der Bewegung Christi. Ben Hur sammelt Legionen, um Christus zum jüdischen Königwm zu verhelfen, aber er muß erfahren, daß dessen Reich nicht von dieser Welt ist, und findet Ersatz in der Liebe der blonden Esther und der wieder- gefundenen Mutter und Schwester, die Christus auf seinem letzten Wege vom Aussatz befreit hat. Echt amerikanisch ist das Liebes- Verhältnis von Ben Hur und Esther: sie könnten beide aus der 5. Avenue sein. Der dritte echt amerikanische Faktor des Films sind die Mastenszenen, die wirklich im gleichen Umfange noch niemal» geboten worden sind. Wir sprechen nicht von dem wimmelnden Marktleben und dem Einzug der römischen Legionen in Jerusalem , nicht von dem Aufgebot von afrikanischen Mauren , von Rubiern und Arabern, von Juden. Römern und Griechen. Es gilt, die große Seeschlacht und das Wagenrennen in Antiochia gebührend zu würdigen. Eine ganze Flotte wurde in Livorno gebaut, römische Galeeren, in deren Bauch in drei Reihen übereinander die Sklaven angekettet das Ruder führen, und die Schiffe der Piraten. Mit ungeheurer Wucht stürzen sich die Piraten aus die römische Flotte, entern die Schiff« und setzen sie in Brand. Unerhörtes Detail grausiger und brutaler Szenen wird gezeigt, um den Eindruck der Echtheit zu erwecken. Ganz im Stil« Bornum» und Baileys, die bekanntlich den Monstrezirkus erfanden und von allem, was es auf der Welt Merkwürdiges gab, das Meiste und Größte hatten, ist das Wagenrennen in Antlochia. Wenn die Quantität entscheidend wäre, wäre dies das größte Filmerlebnis der Welt. In einer Riesen- arena, in der Zehntausende von Zuschauern sitzen, geht der Kampf der Viergespanne vor sich. Das bewußte amerikanische Tempo ent- artet zur Raserei, und die technischen Aufbietungen, die man machen mußte, um die tollen Szenen aufzunehmen, gehen in» Groteske. Automobile fahren neben den Gespannen, um sie aus der Nähe auf- zunehmen, Einbauten sind geschaffen, um die jagenden Roste von unten zu photographieren. Die schönsten weißen Hengste, die söge- nannten Lipizzaner, hat man sich aus Wien verschafft, und sie wirken in der Tat wunderbar. Wer von den Kolostalszenen nicht ganz erschlagen ist, wird viel Schönes an den stilleren Punkten der Handlung finden. Packend ist der Zug durch die Wüste, den jüdische Gefangene unter römischer Eskorte antreten müssen, geschildert, unheimlich das Tal der Aus- sätzigen, ergreifend die Szene, da Ben Hurs Mutter, die Aussätzige,
ihrem schlafenden Sohn sich naht und doch ihn nicht zu berühren wagt, fowu
__ owie manches andere. Aber sowohl das Biblische(Kunst aus zweiter Hand), wie das Amerikanische (die Liebesgeschichte) und das Schwelgen in Mastenaufgeboten lasten uns innerlich kalt. Man ist erstaunt und erregt, aber eine innere Teilnahme wird nicht lebendig. Gewiß muß man die Leistungen des Regisseurs Fred N i b l o bewundern, der das Unmöglichste möglich machte. Gewiß ist der Vertreter des Ben Hur Ramon N o v a r r o ein Mensch von sellener Schönheit und durchaus nicht von der süßlichen Art, der seinen gestählten Körper wunderbar in der Gewalt hat. Und auch
Seilage des vorwärts
Frances B u s h m a n stellt einen kraststrotzenden Römer von präch- tigster Gestalt dar. Dagegen ist Mae Mc A v o y als Esther die typische süße Amerikanerin. Pon den Darstellern der biblischen Szene ganz zu schweigen, die ganz im Konventionellen stecken bleiben. Rassig ist nur Carmel M y e r s als ägyptische Courttsane. Die Ufa wollte hinter den Amerikanern nicht zurückbleiben. Sie bot große Ausmachung mit Jupiterlampen vor der Tür, die alle Zelebritäten aufnahmen und durch das Rattern der Motore össent- liches Aergernis erregten, und einem entzückenden Blumenbeet, das in wechselnder Beleuchtung auf der Bühne ausgebaut war. O.
,Vie Unehelichen.� (Capilol.) In diesem Film liegt ein tiefer Ernst. Man wollte ein soziales Problem gestalten und ließ amtliches Material des Vereins zum Schutz der Kinder vor Ausbeutung und Mißhandlung bearbeiten. Das Manuskript verfaßte L. Heilborn-Körbitz. Sie ist routiniert im Zusammenschreiben eines Filmmanuskripts, doch ist es chr nicht gelungen, das soziale Problem zu erfassen. Ihr Text ist salbungsvoll, und ihre Errettung aus dem Sumpf ist die Wohltätigkeit der Reichen. Drei Ziehkinder haben bei ihren Pflegeeltern, einem Säufer von Mann, einer Schlampe von Frau, die Hölle auf Erden. Der Aeltefte, ein Junge, muß für den Trunkenbold arbeiten. Als der Ziehvater einmal in einem Tobsuchtsansall das Kaninchen, die einzige Freude der Kinder, au» dem Fenster wirft und so das Tier tötet, begehrt der Junge gegen ihn auf Der entmenschte Mann schlägt ihn furcht- bar. und der Flurnachbar, ein Schneidermeister, droht mit der Polizei. Beim Begräbnis des Kaninchens erkältet sich Lotte, das Zweitälteste Mädchen, wird nicht gepflegt und verkommt an Lungen- entzündung. Der Jung« sälschl den Totenschein, weil er.verhungert" darauf schreibt. Als er behördlich gefragt werden soll, entflieht er und gerät unter ein Automobil. Nachdem er aus dem Krankenhaus entlasten, nimmt eine sehr reiche Dame sich seiner an. Nun schwelgt er im Luxus, bis der uneheliche Vater seinen Sohn adoptiert, da er auf seinem Kahn eine Hilfe braucht. Auch dieser Schiffer ist ein Säufer. Peter entilieht, wird zurückgebracht, stürzt sich ins Wasser und landet schlicßluy in den Armen der reichen Dame. Dem jüngsten Ziehkind geht es auch gut, denn es ist zu einem Mühlenbesitzer ge- bracht. Also, die Armen, wie die Zieheltern, auch die zwei Freundinnen der Ziehmutter, selbst der Schiffer sind verkommene Subjekte, aber die.gehobeneren" Stände, wie der Schneider, der
Müller, die reich« Frau sind die wannherzig Guten. Beim Schiffer hätte die Schnapsslasche ganz bestimmt fehlen können. Zwischen härtester Arbeit und üppigstem Wohlleben gibt e» sowieso Konflikt-
hätte die Schnapsslasche ganz bestimmt fehlen können.
stoffe genug. Dennoch, Gerhard L a m p r e ch t schuf einen hervorragenden Film. Wie dieser Regisseur die geringste Kleinigkeit sorgfältig aus- malt, ohne durch sie den Gesamteindruck des Werkes zu stören, ist wunderbor. Lamprecht liebt nicht die Tendenz, er ist nicht furchtbar in seiner Anklage, aber er ist ein Milieuschilderer von unwidersteh- licher Eindringlichkeit. Vier Kinder beschäftigt er für den Film. Ralph Ludwig, der den Peter spielle, war schauspielerisch vorgebildet. Er wartete mit einer reifen Leistung auf. Die anderen drei Kinder, Alfred Grosser , Margot Misch und Fee Wachsmuth, entdeckte der Regisseur für diesen Film. Lamprecht ließ ihnen dankenswerterweise ihre volle Natürlichkeit, er förderte bei ihnen nicht den begreiflichen Wunsch, irgendwie zu glänzen. Sie sind Kinder, weiter sollen und brauchen sie nichts sein. Die Schauspieler Bernhard Goetzle, Hermine Stcrler, Max Maximilian , Margarete Kupfer , Eduard Rothauser und Elsa Wagner gaben ihr bestes Können, und so entstand, trotz mangelhaften"Manuskripts, ein Kunstwerk von imponierender Ge- schlostenhcit. wohl imstande, größtes Aufsehen zu machen und, was noch wichtiger ist. den einen oder den anderen zum Nachdenken anzuregen._ e. d. „Die Tat ohne Zeugen.' (Ufa-Palast am Zoo.) In dem Augenblick höchster Not. als das Opfer keinen Weg zur Rettung mehr findet,— die Verbrecher zerschlagen bereits die Tür —, da hilft diesmal der Himmel selbst. Ein Zyklon setzt zur rechten Zeit ein, knickt Bäume, fegt Häuser fort und begräbt die Verbrecher unter splitternden Balken. Nur das kleine Mädchen, das ihren Geliebten vom Mordverdacht reinigen will und sich deshalb bei einer berücktigten Einbrecherbande einschlich, kommt mit dem Leben davon. Das glückliche Ende ist da, der Polizeichef von Chi- tago ist jetzt von der Unschuld des Geliebten überzeugt. Und der brave Mann hat wirklich nichts Böses getan. Seine Frau ist von einem anderen erniordet worden, nämlich von Clarke, dem Haupt der Verbrecherbande, mit dem sie ein nicht gerade einwandfreies Verhältnis angeknüpft hatte. Das Schicksal belohnt die Tugend- haften.... Die Sache wäre bei einer braven, deutschen Regie un- erträglich, die Amerikaner lasten wenigsten» die Handlung in wildem Tempo herunterrasen. Der Film setzt ganz schlimm ein mit Mode- Vorführungen, mondänes Tanzunterhaltungen und ähnlichen Ueber- flüssigkeiten. Eifersuchtsszenen und Mordanschläge, geballte Fäuste und verweinte Augen fehlen selbstverständlich auch nicht. Aber zum Schluß wird es bester. Das Tempo steigt, die Situationen werden
immer verwickelter. Manchmal sieht es aus, als ob der Regisseur D. W. G r i f f i t h eine Parodie auf das übliche Abenteurerdrama stellen wollte. Einige Situationen, wie die Verfolgungen im Hause der Verbrecher, erinnern an Fix- und Fax-Grotesken, auch die über- trieben« Mimik der Darsteller läßt die Vorgänge ebenfalls als nicht besonders ernst erscheinen. Trotzdem handelt es sich hier nicht um einen witzigen Parodiesilm. Die ausgezeichnete Regie, die keine Hindernisse kennt, die«rstNassige Photographie vor allem in der Zyklonszene täuschen über die Verkitschtheit des Manuskript nicht hinweg. Immerhin wirken diese amerikanischen Machwerke nicht so vernichtend wie deutsche Sentimentalitätsausbrllche, denn der Regisseur denkt immer filmisch. Aber der Wert eines guten Manu- jkripts zeigt sich immer wieder. Man konmit schließlich zur ent- schieden«« Ablehnung dieser amerikanischen Fabrikate trotz ihres Tempo», trotz der geschickten Verknüpfung der Handlung, trotz der Spannung, denn der Stoff ist seit langem abgedroschen und bietet dem Europäer nichts mehr. Die Darstellung war durchschnittlich, Carola 2) em pst er kokettiert mit ihrem neckischen Lächeln und entwickelt große, akrobatische Fähigkeiten... F.®.
,6pf$en." (Alhambra.)' Der Untertitel de» Film» ist gleichzeitig lein« beste Chorakte- ristit. Er nennt sich.eine 5triminalafsäre au» Schloß und Spe- lunke". Warum man diesen verschollenen Roman von Paul Lindau wieder ausgegraben hat, ist unerfindlich, es sei denn, man hätte au» der Kontrastierung der vornehmen und der Verbrecherwelt be- sondere« Kapital schlagen zu können vermeint. Aber diese In- terieurs, diese Bälle und Feste, diese Bilder au» den Verbrecher- kellern, solche Gerichtsverhandlungen und solche Duelle sind ja alle schon dagewesen. Nur aus dem Höhepunkt weiß der Regisseur Holger-Madsen wirklich zu spannen und da» Interesse zu konzentrieren, wenn bei der einst geliebten Frau Juliane Gräfin Jseneck Fürst Ulrich von Engernheim nachts zu Besuch ist, während von nebenan das Safe der Gräfin von Dieben, unter Beihllfe ihrer Dienerschaft, erbrochen wird. In diesem Safe sind die ganzen Klein- odien und vor allem ein kostbares altes Spitzentuch, an dem sie besonders hängt. Aber sie lehnt alle Versuch« ihre» Freundes von einst, ihr zu helfen, ab, weil sie ihn in keinen Verdacht oer- wickeln will. Der Einbruch kann ruhig vor sich gehen, damit der Fürst Zeit gewinnt, ungesehen zu entweichen. Die Diebe werden trotz aller Vorsichtsmaßregeln gepackt und zu schweren Strafen ver- urteilt. Vergebens haben sie versucht, den Fürst in die Affäre zu ziehen. Durch einen Meineid schwört er sich frei. Juliane hatte in jener Nacht die Freunstschast des Fürsten wiedergewinnen wollen. da sie sich in ihrer Ehe mit ihrem viel älteren Gatten unglücklich fühlt. Aber über all den Wirkungen ist sie irrsinnig geworden, ihre einzige Freude ist es, Spitzen zu klöppeln. Die Affäre nimmt ihren Fortgang, als die Verbrecher ihre Straße abgesessen haben und nun mit Erpressungen weiter arbeiten. Ein übel beleumunde- ter Etandesgenosse, der von dem Fürsten schlecht behandelt wurde, greift ein. Es kommt zu einem Duell zwüchen dem Grafen und Fürsten , in dem der Füllst erschossen wird. To endigt die Kriminal- affäre. Elisabeth P i n a j e s f ist die vUnachlässigte und später irrsinnige Gräfin Juliane. Sie vermag vuf die Dauer durch den ewig gleichen Gesichtsausdruick nicht zu sesteln. Da» Entzücken aller sungen Mädchen ist Egon v,onJordapals Fürst. Evelyn Holt , seine Braut, hat nicht viel m chr zu tun, als hübsch zu sein. Charak- teristische Typen der Verb» echerwelt sind durch Arthur B e d e r, Dagmar Murzewa uni> Arne Werl vertreten. Adalbert v o n S ch l e t t o w ist ein seihr routinierter Kriminalkommissar, r.
,§räulein Jofottt— Meine Jcou." (U. X. kursürsicadamm.) Pierre Gerault schuf einst ein lustiges Bühnenwerk, und es ist! viel wert, daß der Film ihm nicht», von seiner Lustigkeit nahm. Da- f bei jchrieb Hans Jakob kein knalliges Filmmanuskript, im Gegenteil, er steckt tief in der Literatur: doch gab er dem Regisseur Gaston Ravel Gelegenheiten genug, ein leichtbeschwingtes Werk zu schassen. Wie nett erzählt der in fechs Akten die Geschichte eines Ehever- träges. Und der beglückende Sichluß mit den drei Paaren, die sich zusammensetzen aus Patenkind und Scheinehemann, au» gedachtem Ehemann und Orientalin und aus Hausfreund und Hausfreundin, � ist nicht nur der Erwartung(jemaßt, er befriedigt das Publikum zugleich. Das hat sich bis dahin gut unierhalten, denn die Innen- aufnahmen find von auserlessnem Geschmack, die Landschaftsous- nahmen von seltener Schönheit und die Darsteller von ansteckender. Irohlaune. Allen voran Dolly Davis . Sie ist glaubhaft als Sieb- zehnjährige, kindlich, unausgeglichen, halb Range, halb Dame: ein Schmollmäulchcn, ein paar Zlugenaufschlägs, ein paar Handbewe- gungen sind wertvollste Erläuterungen. Alles in allem: sie ist eine Filmkünftlerin. Livio P a v a n« l l i war glänzend als Andre Fer- nay. Einem solchen Mann kann es nicht schwer fallen, trog feines Alters noch Erfolge zu erringe». Auch die anderen Darsteller und der Photograph Otto Kanturek trugen das Ihre zum Erfolge des f Films bei.— g. �