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Nr. 452 4Z.?ahrgang*1* l�OIrtVCHT�� Sonnabenö, 25. September 1H2S

Was günstige Lage und gute Verbindung für die Entwicklung eines Ortes zu tun oermag, sieht man an Lübbenau . Da» ihm ge- wissermaßsn vorgelagerte Lübben mag die größere(8000 Ein­wohner gegen 4000 in Lübbenau ) und durch geschichtliche wie staat- lich-administratioe Momente bedeutsamere Stadt sein für den Verkehr mit dem Hauptteil des Spreewaldes, dem Oberspreewald , und für den Absatz der im Spreewald gezogenen Produkte ist Lübbenau der bevorzugte Ort. Allerdings ist er infolge der eigen- artigen?koturverhältniss«, die seine Blüte bedingen, auch der Gefahr ausgesetzt, von Zeit zu Zeit durch die Ungunst der Wetterverhält- niste nasser Sommer stark in Mitleidenschaft gezogen zu werden. Ein schlechter Sommer. Die Nachrittst von der Ueberschwemmung des Spreewaldes durch die vielen Regenmengen dieses Sommers ein Naturereignis, das an und für sich nicht den Genuß an der Fahrt durch den Spreewald

Der Weg des blinden Bruno. 7] Roman von Oskar Baum . 2. Die Landesblindenanstalt lag draußen vor der Stadt un- fern vom Villenviertel auf einem kleinen Hügel zwischen Feldern und Wiesen an der Landstraße und machte in ihrer gesunden und schönen Lage mit den weithin leuchtenden goldenen Buchstaben über dem hohen Tor einen recht tröst- lichen und beruhigenden Eindruck. Es war ein sonniger Herbstmorgen, als Bruno mit seinem Vater in die weite steinerne Vorhalle der Anstalt eintrat, wo jeder Schritt so hohl und gewichtig widerhallte, wie unwider- ruflich, sogleich zu allgemeiner Kenntnis gebracht. Viel lieber wäre Bruno draußen noch weiter in den frischen duftigen Morgen hineingegangen. Der sanft ansteigende Weg zu diesem Hügel führte zwischen Villengärten hin; leicht bewegte Luft wehte süßen Heuduft von überall her, und es schritt sich so gut dahin in der kühleren unbebauten Gegend auf dem ungepflasterten Boden, wo das Kind aus der Stadt mit jedem Atemzug belebende Freiheit einzusaugen glaubte. Wie lockte dieser Äeg, zu wandern, weiter und weiter! Man war viel- verheißender Fernen so sicher! Und da mußte er in dies geräuschvolle Haus eintreten, wo dieser strenge Herr Kapetan, mit Gott weiß wie vielen Pflichten» mit Vorschriften und Anordnungen den ganzen Tag auf das genaueste ausgerechnet und eingeteill hatte! Bruno sah in dieser Ueberwindung, diesem ersten Zwang des neuen Lebens das deutliche Ende seiner lieben herrlichen Freiheit. Es bedurfte aber gar nicht dieses widerstrebenden Vor- gefühls, um es ihn sonderbar empfinden zu lassen, als. er, wie ein verlorener Fremder, zwischen die vielen neuen Ge- fährten eingereiht wurde. Er war hier nicht völlig Neuling, der gespannt auf jede nächste Begebenheit alles um sich ver- folgt, und doch durchaus nicht eingewöhnt und vertraut mit Räumen. Zuständen und Menschen. Wie vieles hatte sich ver- ändert, seit er jene wenigen Wochen damals als Tagschüler hier ein- und ausgegangen war. Neue Zöglinge waren ein- getreten und andere, mit denen er schon fast vertraut ge» weftn, hotten das Haus oerlasien. Herr Kapetan war Direktor geworden,«od ein junger lustiger Herr Pickelt, von dem die

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beeinträchtigt: nur der Regen ist wenig angenehm für den Fahr- gast sowie die allgemeine Einschränkung der Ausgaben für das nicht absolut Notwendige haben den Fremdenverkehr in diesem Jahr ungünstig beeinflußt. An einem der schönen Spätsommertage ent- stiegen dem bequemen Morgenzuge in Lübbenau sechs Pastagiere aber was vielleicht noch schlimmer ist als der Ausfall an barem Gelde: die Erträgniste des reichen Bodens sind durch die(fluten, die über diesen hlnweggeangen sind, stark beeinträchtigt worden. Namentlich hat der erste Schnitt des Grases im Frühsommer nicht ausgeführt werden können: erst in den schönen Tagen des August brachte man die an sich zwar reich«, aber durch keinen zweiten Schnitt zu ergänzende Heuernte in Sicherheit. Was ein solcher Ausfall für die Wartung des Viehes ausmacht, kann man sich leicht vorstellen, und mancher kleine Besitzer oder Pächter, dem das Hoch- waster besonders übel mitgespielt hat, verfügt überhaupt über kein eigene» Heu, sondern muß alles kaufen. Wer frellich in de« Höfen der Einlegeanstalten die Gurten zu hundert Zentnern und mehr aufgeilapell sieht oder an Lübbenauer Markttagen den Reichtum an iqpschem Spreewaldgemüs«: Gurten. Mohrrübe«, Bohnen. Zwie- beln. Meerrettig vor Augen hat, wird sich von den Einwirkungen eines schlechten Sommer» keine Vorstellung machen. Aber schon der Gang vom Bahnhos zum Stadtinneren knapp 15 Minuten zeigt, daß gerade die für die Gegend charakteristischen Frücht« keine zufriedenstellende Ernte ergeben. Der fette Boden, den man da sieht, entlockt dem Großstadtagrarier etti wehmütige» Lächeln, wenn er an seine Sandtlitsche denkt. fius See Geschichte üer Staüt. Lübbenau soll mit Lübben im 12. Jahrhundert ein Ganzes ge- bildet haben eine Nachricht, die wohl so zu oerstehen ist, daß da» ganze Gebiet zwischen den beiden Orten von wendischen Einzel- siedlungen besetzt war, wie man auch jetzt sagen kann, daß Lübbenau und Lehd« durch die dazwischen liegenden.Kaupen'(Einzelgehöfte) «in Ganzes bilden. Jedenfalls kann als feststehend angesehen werden, daß Lübbeuau zunächst die Geschicke de» Rachbarorle» teilte. zu dem e» in späterer Zeit oft sich feindlich stellte. In die Gewalt der im Meißnischen ansässigen Ileburg oder Eileburg gelangt, blieb es bis 1815 zur Niederlausitz gehörig, deren politischer Mittelpunkt lange Zeit Lübben war. Die adligen Herrschaften wechselten ver- schiedenllich, bis 1621 die aus Italien stammenden Grafen zu Lynar die ausgedehnte Herrschaft erwarben. Seit dem Uebergang an Preußen ist die materielle Lage im allgemeinen recht günstig ge-

Kinder mit Begeisterung die schnurrigsten Geschichten er- zählten, war Lehrer an feiner Statt. Die meisten Schüler der ersten Klasse, der Bruno zugeteilt war, erinnerten sich seiner wohl noch, aber an keinen knüpfte ihn von damals eine herzlichere Kameradschaft. Schilltin und Laß, die mit ihm in derselben Bank gesessen, hatten inzwischen enge Freundschaft mit einem, den Bruno noch nicht kannte, einem großen, starken, allgemein sehr angesehenen Jungen, den man Jakob rief, geschlossen. Bruno fühlte sich auch den Gewohnheiten, dem Tun und Treiben dieser gleichsam in ihrer Eigenart eingesperrten, auf- einander angewiesenen Kinder fremd, weil er sich bisher immer unter Sehenden, wie einer ihresgleichen, bewegt hatte. Es erfüllte ihn mit Verwirrung und Unruhe, wenn er zwischen diesen vielen Knaben und Mädchen durch die Säle und Gänge gehen und überall besorgt aufpassen sollte. Es war so schwer, an keinen zu stoßen: manche liefen, sprangen, jagten ein- ander und trieben Unsinn. Dabei waren die meisten, oder doch viele, sehr ungeschickt und schämten sich dessen gar nicht. Hol' schrie einer weithin, wenn er Wasser oder etwas Gebrechliches trug. Viele wandten dem, mit dem sie sprachen. nie das Gesicht zu. Schilltin. der Bruno immer so nett und klug erschienen war, hate sich angewöhnt, den Kopf ganz auf die Brust gesenkt zu tragen, so daß es den Eindruck machte, als spreche er alles in die Erde. Hannes Stripp, der Idiot» schlich den ganzen lieben Tag surrend und summend die Wände entlang und bestrich iabei immerfort die Mauern mit den Händen, als sei das ein wichtige» Geschäft. Emilie Polnau wurde während des Unterrichts vom Lehrer wieder- holt ermahnt, nicht wieder Holzfasern aus der Bank zu zupfen, und sie schrak jedesmal zusammen, die Arme! Sie wußte nicht, daß sie es tat. Bruno kam gar. nicht zum rechten Stol� und zur Freude darüber, daß er gleich von der ersten Unterrichtsstunde an als der Beste in der Klasse galt, daß Herr Pickett sogar davon sprach, ihn im Laufe des Schuljahres vielleicht in die höhere Klasse aufrücken zu lassen. Die Bräillesche Punktschrift und selbst die Heboldtsche Flachschrift mit Bleistift oder mit dem langen Stahlstichel über das durch ein Deckblatt geschützte Kopierpapier hatte er schon zu Hause gelernt. Die Formen der lateinischen Buchstaben hatte ihm der Vater sehr ver- größert aus Papier geschnitten und dann zeichnete Bruno sie in den kleine« rechteckigen Fächern des schlanke« Lineals mit

worden: der Touristenverkehr ist in guten Sommern ein« nicht zu verachtende Einnahmequelle. Zum Houptlaaüungsplatz. Die bereit« erwähnte, vom Bahnhof ausgehende Straße führt zum Markt und zur rechts und links sich ausdehnenden Hauptstraße. Gehen wir links, so kommen wir bald zum löpsermarkl, wo die parallel mit der Hauptstraße laufende Blittelstraße einmündet. Nach links der Straße folgend, stehen wir gleich vor einem Tor, das aber eigentlich keins ist, sondern vielmehr mit dem angebauten Hause das Amtsgericht abgibt. Die Straße führt unter diesem Torbogen zur Vorstadt. Das in der Mittelstraße gelegene Rothau» hat wenig architektonischen Reiz: etwas farbige Gestaltung der Fassade hebt es aus der Reihe. Di« Kirche auf dem Markt, in ihrer jetzigen Gestalt au» dem 18. Jahrhundert stammend, steht an dem Ende auf der rechten Seite in schrSjjer Stellung zu der Straßenzeile, was sonderbar anmutet. Vom Rathaus rechts, also hinter der Kirche, gehend, gelangen wir zu einer Brücke, die in das Bereich der gräflichen Standesherrjchast führt. Wir wenden uns aber wieder rechts und gelangen aus der Straße.Am Damm' bald zu dem von schattigen Bäumen und freundlichen architektonischen Ge- bilden umgebenen weitläufigen Hauptlandungsplatz, hier liegt die Spreewoldslotlille: die charakteristischen flachen Boot« mit den ver- stellbaren Sitzbänken, deren hartes Holz durch die darüber gebreitete Decke weicher gemacht wird hier lungern(der Ausdruck hat in diesem Fall« nichts Beleidigendes) die Bootführer umher und warten aus die Fahrgäste es ist ganz so wie in Venedig , und zuweilen spannt sich ja auch«in italienischer Himmel über Boot und Fahrgast. Ausflüge., Man kann de« Zauber de» Wassers nicht widerstehen und hat selbst bei eiligstem Aufenthalt nur die Wahl: zurIvotjchosska' oder nach Lehde . Eftteres ist städtischer Besitz, der als Sommerfrisch« und Wirtschaft betrieben wird: es kann sogar zu Fuß erreicht werden, wenn man das Ueberklettern von mindestens einem Dutzend Fuß- gängerbrücken(.Banken' i 10 bis 12 Stufen) mit in den Kauf nehmen will. Die Möglichkeit, auch nach tehde zu Fuß zu gehen, ist nur nach langer Trockenheit gegeben, da der Weq durch Wiesen führt. Aber niemand wird die Ausgabe für die Kahnfahrt bereuen, gewährt sie doch einen guten Einblick in das Spreewaldleben. In idyllischer Ruhe gleiten wir auf dem von Baumnesen Erlen und Eichen eingefaßten Wasserspiegel dahin, ruhig, ober nicht einsam. Denn die werktätigen Männer und Frauen in ihren Booten beleben die Fläche, nur darf man nicht erwarten, an einem Alltag die Frauen in ihrer eigenartigen, reichen Tracht zu sehen für die Land- und Hausarbeit wird eine einfache Kleidung angelegt, die nur einige AnNänge in Haube und Rock an da» originelle Kostüm zeigt. Die idyllische Ruhe wird plötzlich von dem Geknatter eine» Motors unterbro-ben: ein Kahn mit angehängtem Hilfsmotor fährt an uns vorbei: die Verwendung der Motoren ist jedoch verboten, da der .Seegang' de« betreffenden Schissleins bei niedrigem Wasserstand die Uferböschungen zu beschädigen geeignet ist man wird daher dem.Modernssten' wohl bald nahelegen, wieder zu der Urväter

j spielerischem Vergnügen aus das in die Tafel festgeklemmte Papier und war ganz glücklich, wenn das, was er gleichsam ins Ungewisse, fast aus seiner Phantasie heraus hinmalte, von jedermann, wenn auch nicht von ihm selbst gelesen werden konnte. Er war auch durch den Anschauungsunterricht da- heim in manchem Schulgegenstand gut eingeführt und vor allem gewöhnt, zu lernen, zu denken, sich zu beschäftigen, wo- durch allein er sich sehr bedeutend von den meisten Neuein- tretenden unterschied. Da waren manche, die den ganzen Tag in irgendeinem Winkel des ärmlichen Elternhäuschens ge- duldig gewartet hatten, bis ihre Eltern, von denen sie viel- leicht eingesperrt worden waren, von der Arbeit heimkamen. Manche aus begüterten Familien, denen nur Essen, Trinken und Schlafen den Tag verkürzte, und die uferlose Langeweile alle Fähigkeiten allmählich erstickt hatte. * Traurig ging Bruno an dem ersten Sonntag vormittag in diesem Hause umher. Aus allen Türen, an denen er vor- beikam, drang Lachen und lautes Stimmengewirr, geschäftiges Hin und Her, fröhliche Rührigkeit allerorten. Nach dem langen Faulenzen daheim während der Sommerferiein tat der Fleiß an dem Tage, an dem er hätte ruhen dürfen, ganz besonders wohl. Wer keine Aufgabe hatte, räumte feine Fächer auf, schnitt Schreibpapier in Vorrat, schrieb Noten und Bücher ab, die nur in wenigen Exemplaren existierten. Im Rauchzimmer saßen die Erwachsenen, die schon das letzte oder vorletzte Jahr da waren. Hier war es am lang- weiligsten, fand Bruno. Da saßen sie beisammen wie alte Männer mtt ihren Pfeifen. Zigarren, Zigaretten und sprachen über das Leben der Sehenden da draußen, neugierig und voll Verlangens wie von einer nicht ganz geheuern, vielleicht etwas märchenhaften, aber jedenfalls nahen und wicbtigen Aussicht. Sie erkundigten sich gegenseitig nach den Ersahrungen und Ansichten, die man in den Ferien gewonnen hatte, nach den Preisen der Bürsten, Körbe, Pinsel, Seile, nach den Honoraren für Musikstunden in den verschiedenen Gegenden, in denen die einzelnen wohnten. Und während dieser fantasievollen Nüchternheit, bei der sich olle so reich, so lebensgewandt und ganz in der großen Welt fühlten, unterbrach sich immer wieder einer und ging zu einem der wassergefüllten Eimer in den Ecken, um seine Pfeife auszuklopfen, von der Zigarre Asche abzustreifen oder ei» Zündholz fortzuwerfen. (Fortjetzaag folgt.)