Abendausgabe
Nr. 453 43. Jahrgang
10 Pfennig
Sonnabend
= Vorwärts=
Ausgabe B Nr. 224
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Dolksblatt
25. September 1926
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Ansprache des Ministers Severing.
Die große Polizeiausstellung wurde heute vormittag um 11 Uhr durch einen Fest att in der Repräsentationshalle der Ausstellung eröffnet. Das preußische Staatsministerium war durch Ministerpräsident Braun und Innenminister Severing vertreten, der sich in Begleitung von Ministerialdirektor Abegg befand. Man fah ferner den Bolizeipräsidenten Grzesinsty, den Bizepräsidenten Dr. Friedensburg, die Leiter der uniformier ten und der Kriminalpolizei, Oberbürgermeister Böß, den Dezernenten der Feuerwehr, Stadtrat Ahrens, und viele andere Berfönlichkeiten der Parlamente, der Politik und der Wirtschaft. Nach dem das Symphonieorchester der Schußpolizei den ,, Neuen Polizeimarsch" gespielt hatte, nahm das Wort
Innenminister Severing:
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Bekehrter Katholizismus.
Neue Strömungen in der katholischen Arbeiterschaft. Bon Peter Trimborn , Köln .
Unter den vielen Gegnern der sozialistischen BeMinisterialdirektor Abegg, der Leiter der Ausstellung, verlas Bewegung sind die unter Zentrumseinfluß stehenden kathogrüßungsschreiben Don Reichspräsident Hindenburg und lischen Arbeitervereine West- und Süddeutschlands Reichsfanzler Marg, die sich wegen ihrer Abwesenheit von Berlin jahrzehntelang mit an erster Stelle marschiert. Die Sozialdemo entschuldigten. Im übrigen entbot Dr. Abegg den Polizeien aller fratie und die sozialistische Bewegung galten diesen ZentrumsKulturnationen feinen Gruß. Oberbürgermeister Böß begann mit arbeitern stets als der Inbegriff alles Bösen; viel Lungenkraft einem Dank an das Ministerium des Innern für das Zustandekommen und Druckerschwärze mußte dauernd herhalten, um die prole= der Ausstellung. Die Bürger der deutschen Städte leben und wirken tarifche Zentrumswählerschaft von der abgrundtiefen Schlech unter dem Schutze der Polizei. Die Städte sehen die Polizei als tigkeit und Religionsfeindlichkeit der sozialistischen Ideen zu einen Teil ihrer Berwaltung an. Die Zeiten feien vorbei, wo der überzeugen. Wacker Sekundantendienste leisteten in diesem deutsche Bürger von einer Polizei geschützt wurde, die ihm wenig Rampfe gegen die rote Gefahr die christlichen Gemertsympathisch war. Wir freuen uns, daß die Schupo jetzt der Freundschaften. Sie, die vor einem Vierteljahrhundert eigens der Bevölkerung ist und sein will. zu dem Zweck ins Leben gerufen worden waren, den Abmarsch sich in jahrzehntelanger Arbeit unter freudiger Assistenz der der katholischen Arbeiter ins rote Lager zu verhindern, haben Kirche bemüht, den Nachweis zu führen, daß die Zugehörigfeit eines fatholischen Arbeiters zur Sozialdemokratie mit den Grundauffassungen des Christentums und besonders der katho lischen Kirche unvereinbar sei.
Darauf erklärte Ministerpräsident Braun die Ausstellung für
eröffnet.
Dem Festakt schloß sich ein Rundgang durch die Aus ftellung an. stellung an. Einen ausführlichen Bericht über den ersten Eindruck der Ausstellung geben wir auf der dritten Seite dieses Blattes.
Glückwunsch des Reichskanzlers. Reichskanzler Dr. Marg hat an den preußischen Minister des Innern anläßlich der Eröffnung der Polizeiausstellung in Berlin folgendes Telegramm gerichtet:
Die Ausstellung ist nicht eine rein deutsche, sondern eine internationale Polizeiausstellung. Sie soll die Fäden, die der Weltkrieg auf polizeilichem Gebiet zerrissen hat, wieder anfnüpfen, sie soll der Bekämpfung des durch den Ausbau des Verfehrs international gewordenen Verbrechertums dienen. Unsere Polizei fann ihre Pflicht nur erfüllen, wenn sie das Vertrauen der Bevölkerung hat; das wird sie am besten erwerben, wenn sie, wie bisher, zeigt, daß fie tein voltsfeind liches Element ist. Wir wollen mit der Polizeiausstellung aber auch dem Auslande zeigen, daß unsere Polizei, ihre OrganiZu meinem lebhaften Bedauern ist es mir, da ich von Berlin abfation und ihre Aufgaben ehrlich sind und daß wir nicht die Abwesend bin, nicht möglich, Ihrer freundlichen Einladung zu folgen ficht haben, mit ihr etwa die Reichswehr zu ersetzen. Sie soll und an der Eröffnung der großen Polizeiausstellung teilzunehmen. und darf nur Polizei aufgaben löfen. Nun steht das Wert Ich darf Ihnen, hochverehrter Herr Minister, bestes Gelingen der Ausstellung vollendet da, jetzt hat das Publikum das Wort. für dieses große Wert wünschen, das mir als ein Sinnbild Severing schloß mit einem Dant an alle Mitwirkenden, in deren der staatlichen Aufbauarbeit erscheint, die Sie und Kreis er den leitenden Ministerialbeamten eben wie die große Zahl Ihre Mitarbeiter in unermüdlicher Tätigkeit in den verder beteiligten Arbeiter einschloß. gangenen Jahren geleistet haben."
Das Völkerbundsekretariat. Deutschland erhält eine Vertretung darin.
Dem Generalsekretär des Völkerbunds Sir Eric Drummond soll ein Untergeneralsekretär beigegeben und dieser Posten mit einem Reichs deutschen besetzt werden. Die Reichsregierung hat dementsprechend einige Persönlichkeiten in Borschlag gebracht, aus denen Drummond seinen Gehilfen wählen wird. Unter den Borgeschlagenen ist, wie wir hören, auch der Leiter der Presseabtei lung der Reichsregierung, Ministerialrat Dr. Riep. Nach dreijähriger Dienstzeit in der Reichskanzlei und zweijähriger Leitung der Presseabteilung hat Herr Kiep den Wunsch, wieder einen Auslandsposten zu befleiden. Er hat übrigens lange in England gelebt und dort auch den Doktortitel der Rechtswissenschaften erworben.
London für die Verständigung Berlin - Paris . London , 25. September. ( Eigener Drahtbericht.). Die englische Bresse, die auf sportliche Sensationen, Naturkatastrophen und verwandte Ereignisse mit der Empfindlichkeit eines Seismographen reagiert, zeigt politischen Sensationen gegenüber immer wieder eine Go war es bei all den geradezu auffällige Zurückhaltung. So großen diplomatischen Ereignissen der letzten Jahre, und so war es auch jetzt wieder anläßlich der Zusammenkunft Stresemann- Briand in Thoiry. Beinahe widerwillig hat sich die große Londoner Bresse die ellenlangen, von Mutmaßungen und Kombinationen vollgefüllten Berichte ihrer verschiedenen Berliner , Pariser und Genfer Korrespondenten und Sonderforrespondenten aufdrängen laffen, und sie hat überhaupt erst in den allerlegten Tagen begonnen, das Ereignis von sich aus zu fommentieren. Sie wartete ab, bis sich die Ueberschwenglichkeiten ihrer Berichterstatter gelegt hatten und hat das plötzlich auftretende Schlagwort von der deutsch französischen Entente ebenso schnell wieder fallen lassen, wie es aufgetaucht ist.
Die letzten Berichte zeigten deshalb auch mehr und mehr nicht nur ein Bild der Hoffnungen, sondern der noch zu über windenden Schwierigkeiten, und die ausführlichen Berichte aus Paris und Berlin lassen erkennen, daß in den beiden unmittelbar betroffenen Ländern noch schwere und ernste Schwierig. feiten überwunden werden müssen, ehe das Wort von der„, deutschfranzösischen Entente" wieder wird hervorgeholt werden können. Es ist nicht unintereffant, aus diesen Berichten festzustellen, daß die englischen ausländischen Beobachter anscheinend mit größeren Schwierigkeiten in Paris als in Berlin rechnen.
Die redaktionellen Kommentare der Blätter selbst warnen übereinstimmend vor allzu weitgehenden Hoffnungen. Sie stimmen jedoch, und zwar beinahe wörtlich in der Feststellung überein, daß England die Tatsache einer deutsch - französischen Annäherung, so sehr sie sich auch zunächst ökonomisch in verstärkter Konkurrenz gegen Großbritannien auswirken möge, be grüßen müsse, da England ein größeres Interesse als hieran an der völligen Konsolidierung Europas befäße. Schon heute fann gesagt werden, daß irgendwelche Abkühlung der guten diplomatischen Beziehungen zwischen London und Paris von einer erfolgreichen Fortsetzung der deutsch - französischen Verhandlungen nicht zu erwarten find, solange die gemeinsamen Abmachungen nicht aufs mi. litärische Gebiet hinübergreifen. Aber dazu sind ja wohl auf deutscher als französischer Seite zu große psychologische Hemmungen vorhanden, als daß die entsprechenden, im Gefolge eines Matin". Artikels erörterten Möglichkeiten einer militärischen deutsch - fran
Diese scharfe antisozialistische Stellungnahme der katholischen Arbeiterschaft und ihrer maßgebenden Organisationen hat erfreulicherweise in den Jahren der Nachkriegszeit einer objettiveren und versöhnlicheren Auffassung Play gemacht. Man beginnt langsam einzusehen, daß die sozialistische Bewegung nicht jener Kinderschreck, jener Bopanz ist, als den man sie der katholischen Arbeiterschaft jahrzehntelang aus kluger Berechnung hinzustellen versucht hat. Aus der politischen und wirtschaftlichen Ent widlung der Nachkriegsjahre die rechte Nutzanwendung ziehend, empfindet man jezt im Lager der fatho= lischen Arbeiterschaft immer stärker, daß in dem Kampfe um die Erhaltung und den Ausbau der deutschen Republik die proletarischen Massen im fatholischen Lager nicht gegen die sozialistischen Klassengenossen, sondern mit ihnen für ge
zösischen Allianz heute auch nur einen Augenblid lang ernst meinsame Ziele fechten müssen. genommen und diskutiert werden müßten.
Genf , 25. September. ( Eigener Drahtbericht.) Die Völker bundsversammlung wird heute in zwei Sigungen, in denen nicht weniger als 14 Bunfte( eine gefährliche Zahl! Red. d.„ B.") noch zu erledigen sind, ihre Session beenden. Dieses Eiltempo wird dadurch verursacht, daß eine Weiterführung der Tagung in der nächsten Woche nur bei sehr verminderter Delegation möglich
wäre.
Vor Poincarés Rede.
Die Reform der Staatsverwaltung. Paris , 25. September. ( Eigener Drahtbericht.) Die heutige Morgenpreffe gibt bereits nähere Andeutungen über den Inhalt der großen politischen Rede, die Poincaré am Montag halten wird. Der größte Teil der Rede werde sich mit der Innenpolitif beschäftigen und einen Ueberblick über die bereits durchgeführten und noch zu erwartenden Reformen und Sparmaßnahmen geben. Dann werde Poincaré seinen zahlreichen Kritikern, die namentlich aus Parlamentariern bestehen, antworten und werde beweisen, daß die bisherige Arbeit der Regierung ein vollkommen zusammenhängendes, einheitliches Ganze bildet. Es sei feine übereilte Arbeit geleistet worden. Alle bisherigen Maßnahmen fügen sich zu einem großen Gesamtplan zusammen, der reiflich überlegt sei und dessen Durchführung mehrere Jahre dauern werde. Dabei soll es sich nicht allein um Sparmaßnahmen, sondern auch um Bereinfachungen und Reformen, um Erhöhung und Entwicklung der nationalen Produktion mit dem Ziele, einen günstigen Stabilifationsturs des Franken zu erreichen, handeln.
Der„ Quotidien" protestiert heute in seinem Leitartikel dagegen, daß Poincaré unter dem Deckmantel der Sparsamkeit eine umfang reiche Verwaltungsreform porfähe. Das widerspräche dem Geifte, wenn auch nicht dem Buchstaben der Ermächtigungsgesetze. Es sei unbedingt ein scharfer Protest gegen solche Maßnahmen der Regierung zu erwarten. Die Proteste der Provinzbürgermeister feien bereits der Anfang dazu.
Die zerstörte Stimmung in Paris . Paris , 25. September. ( Eigener Drahtbericht.) Wenn der 3wischenfall, der durch die Rede Stresemanns in der deutschen Rolonie in Genf entstanden ist, schließlich ohne politische Nachteile bleibt, so hat er doch eine unangenehme Wirkung gehabt. Er hat die Stimmung in Paris vollkommen zerstört. Bergleicht man Ton und Inhalt der Pressekommentare von heute mit denen vor wenigen Tagen, so kann man deutlich einen großen Unterschied empfinden. Die Pariser Presse häuft heute Spiken, fleine Bosheilen und ironische Bemertungen, wogegen fie noch vor wenigen Tagen im Versöhnungsjubel schwelgte.
Regierung Bartel zurückgetreten. Vom polnischen Staatspräsidenten angenommen. Warschau , 25. September. ( WIB.) Der Staatspräfident hat die Gesamtdemission des Kabinetts Bartel angenommen und die bisherige Regierung mit der Weiterführung der Geschäfte betraut,
Wie start diese Umstellung der katholischen Arbeiterschaft und ihrer maßgebenden Organisationen in den letzten Jahren geworden ist, zeigt recht deutlich der Verlauf der internationalen Konferenz der fatholischen Arbeitervereine, die in der vergangenen Woche in Antwerpen stattfand und in der neben prominenten deutschen katholischen Arbeiterführern auch Bertreter der katholischen Arbeiterschaft aus Belgien , Holland , Frankreich , England, Italien , Polen und Desterreich anwesend waren. Der deutsche Abgeordnete Joos behandelte als erster Redner der Konferenz die Ergebnisse einer Umfrage über die gegenwärtige feelische Lage der fatholischen Arbeiter in Deutschland . Das Ergebnis der von Joos behandelten Umfrage zeigt besser als lange Reden, wie grundlegend der Wandel ist, der sich in den Kreisen der katholischen Arbeiterschaft vollzogen hat. Die gleiche Arbeiterschaft, der man jahrzehntelang vorgepredigt hat, daß der Klassenkampf verwerflich sei und gegen das göttliche Sittengesetz verstoße, bekennt sich in dem Ergebnis der Umfrage flar und eindeutig zu den Prinzipien und Arbeiter wird nach Joos von den Arbeitern, die sich zu des Klassenkampfes. Das Verhältnis zwischen Unternehmer dieser Frage geäußert haben, als fremd", mißtrauisch" ablehnend", gespannt"," gegensäßlich" und feindselig" bezeichnet. Uebereinstimmend wird eine wachsende Spannung und eine Verschärfung der Gegensätze festgestellt. Besonders erbittert sei die katholische Arbeiterschaft gegen die katholischen Unternehmer, die sich im Wirtschaftsleben über das katholische Sittengefeß hinwegseßten. Der chriftliche Arbeiter verurteilt zwar, so betont Joos in feinem Bericht, mit dem Kopfe den Klassenhaß, aber gefühlsmäßig stehe er unter dem Einfluß tiefer Abneigung gegen die besigenden Klaffen. Die Tatsache, daß fatholische Besigende fich politisch mehr und mehr nach rechts orientieren, habe in der katholischen Arbeiterschaft dazu beigetragen, die Linksorientierung zu fordern. Mit der katholischen Gesamtheit fühle sich), so heißt es in dem Bericht weiter, die katholische Arbeiterschaft, kirchlich gesehen, noch verbunden, indeß wirke das Beispiel anderer Schichten oder ganzer Landsmannschaften( Bayern ) ansteckend auf die katholische Arbeiterschaft, so daß Absonderungsbestrebungen leichter aufgenommen und gewertet würden. Bom Priester erwarte der katholische Arbeiter mehr denn je, daß er Seelsorger sei. Dagegen werde, immer nach Joos, die Meinung des Geiftlichen im Grenzgebiet von Religion und Wirtschaft und Religion und Politik heute nicht mehr als Evangelium gewertet.
Von ganz besonderem Interesse ist die Beantwortung der Frage, die sich mit der Haltung der katholischen Arbeiter zur sozialistischen Bewegung beschäftigt. Hier stellt Joos fest, daß fich im ganzen Deutschen Reich die Haltung der katholischen Arbeiterschaft in den letzten Jahren wesentlich geändert habe.
Zwar werde sachlich noch ein Gegensah in Weltanschauungsfragen empfunden, dagegen könne übereinstimmend festgestellt werden daß die Verfolgung sozialer und wirtschaftlicher Ziele kaum noch Gegensäge aufzeige. Ein scharfer Kampf gegen die Sozialisten fände in katholischen Arbeiterkreisen teine Begeisterung mehr. In einer Reihe von Berichten, so betont Joos, werde auf die Gefahr hingewiesen, daß auch die weltanschaulichen Grenzlinien nach und nach verwischt werden fönnten,