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Nr. 466 43. Jahrg. Ausgabe A nr. 238

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Zentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands

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Sonntag, den 3. Oktober 1926

Die Regierung Pilsudski .

Sozialist Moraczewski ohne Verantwortung der PPS. Kabinettsmitglied. Warschau , 2. Oktober. ( Eigener Drahtbericht.) Am Sonnabend mittag hat der Staatspräsident die Liste des neuen polnischen Rabinetts bestätigt. Pilsudski behält neben dem Ministerpräsi­denten sein Amt als Kriegsminister bei. Die der Regierung nahe stehende Presse kommentiert die Tatsache, daß der Kriegsminister an der Spizze der Regierung steht, als eine Warnung für die äußeren Feinde Palens und meint damit in erster Linie Rußland und Litauen . Für den bisherigen Ministerpräsi denten Bartel ist der Posten eines Bizeministerpräsidenten ge­schaffen worden, dem die formellen und repräsentativen Funktionen obliegen, mit denen sich Pilsudski wohl wenig befassen dürfte. Da­neben ist Bartel zum Leiter des Unterrichtsministeriums ernannt worden. Das Außenmnisterium ist noch nicht besetzt worden, weil, wie es heißt, der bisherige Außenminister erst am Sonntag abend aus Paris eintrifft und seine Ernennung erst dann erfolgen soll. Es werden aber auch andere Namen als Kandidaten für das Außen­ministerium genannt, u. a. die ehemaligen Fürsten Sapieha und Janucz Radziwill, sowie der am Sonnabend hier aus Berlin ein­getroffene polnische Gesandte in Berlin Olszewsti. Das Innen­ministerium ist dem Regierungskommissar von Warschau , Slawoj­Skladkowski übertragen, der sein bisheriges Amt zu großer 3u friedenheit der Bevölkerung verwaltet hat. An Stelle des bisherigen Finanzministers Klarner, deffen Steuerpolitik von den Sozialisten scharf bekämpft, wurde, ift Czechowicz ernannt worden. Er ver­waltete bereits im ersten Kabinett Bartel die Finanzen. Czechowicz ist als tüchtiger Kenner der Steuerfragen bekannt und man er­wartet von ihm, daß er die Eintreibung der Vermögen s

ist das Landwirtschaftsministerium mit Niezabitomsti und das Justiz­ministerum mit dem Führer der Wilnaer Monarchisten, Mensztowicz, neu besetzt worden. Die bisherigen Minister Kwiat­fowiti( Handel und Industrie), Stanjewicz( Agrarreform), Jurtje­wijz( Arbeit) und Romozti( Berkehr) wurden wieder ernannt.

abgaben, cine Hauptforderung der Sozialisten, energisch durch

fezzen wird.

Das Portefeuille für öffentliche Arbeiten hat der Sozialist Moraczewski übernommen. Die Partei erklärt jedoch aus­drücklich, daß sein Eintritt in die Regierung nicht im Namen der Partei erfolge; die Polnische Sozialistische Partei sei durch

Die Regierungspresse nennt die neue Regierung das stärkste polnische Kabinett feit der Wiedererlangung der Unabhängigkeit Bolens". Ihre Zusammensetzung läßt erkennen, daß Pilsudski den Rampf gegen die Rechte zu Ende zu führen beabsichtigt. Durch die Ernennung Moraczewskis zum Minister für öffentliche Arbeiten sucht er zu diesem Kampf das Vertrauen der Ar beiterschaft zu gewinnen. Auf der anderen Seite versucht er durch die neuen Minister Mensztowicz und Niezabitowski, ausge­sprochene Vertreter der Großagrarier, diese zu sich herabzu­ziehen und die Rechte für die kommenden Wahlen ihrer Geldgeber, d. h. besonders der Großagrarier, zu berauben. Die Wahlen wird Pilsudski für einen günstigeren Termin aufschieben. Die Sejimsession ist heute geschloffen worden, der Sejim dürfte im November zur Besprechung des Budgets für das nächste Jahr einberufen werden. In der gleichen Session wird die Regierung wahrescheinlich Zusatzkredite für das gegenwärtige vierte Quartal verlangen, da ihre Forderungen um 34 Millionen Zloty herab­gesetzt worden sind. Ob der Sejm dann noch den Mut finden wird, die Kredite wieder abzuschlagen, läßt sich noch nicht voraussagen. Als Pilsudski am Sonnabend das Sejmgebäude, wo er den Sejmmarschall von der Bildung der Regierung offiziell benach­richtigt hatte, verließ, brachte ihm eine zahlreiche Menschenmenge, Zivil und Militär, eine große Dvation dar.

Die täglichen Kommunistenverhaftungen. Wilna , 2. Oftober.( DE.) Wegen Berbreitung fommunisti. scher Agitationsliteratur sind 18 Personen ver=

Vorwärts- Verlag G.m. b. H., Berlin SW. 68, Lindenstr.3

Bostscheatonto: Berlin 37 536 Bankkonto: Bank der Arbeiter, Angestellten und Beamten, Wallstr. 65; Distonto- Gesellschaft, Depofitentaffe Lindenstr. 3.

Paneuropa.

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Zum ersten paneuropäischen Kongres in Wien . Heute tritt in Wien der erste Paneuropafongreß zusam­men, eine Veranstaltung der Baneuropäischen Union, die unter anderen auch den französischen Minister Herriot und den deutschen Reichstagspräsidenten, unseren Genossen Paul Löbe , an ihrer Spize hat. Seele des ganzen Unternehmens ist aber der junge R. N. Coudenhove Kalergi , ein politischer Schriftsteller und Propagandist von Rang, Prophet und Realpolitiker zugleich. Es ist Coudenhoves Verdienst, einen großen Gedanken, dessen Anfänge weit in die Geschichte zurückreichen, aus dem Schutt des Weltkriegs befreit, ihm zeitgerechte Form und Auftriebskraft verliehen zu haben. Wie in alten Zeiten die Duodezfürsten Deutschlands und Italiens feine Vorstellung hatten von nationaler Zusammen­gehörigkeit, sondern immerzu untereinander Krieg führten und dadurch ihre Länder reif zur Fremdherrschaft machten, so hat den Völkern Europas bisher jedes Gefühl der kontinen­talen Zusammengehörigkeit gefehlt. Heute aber ist die kon­tinentale Zerrissenheit Europas ebenso zu einer Gefahr für geworden, wie es früher die nationale Berrissenheit Deutschlands oder Italiens gewesen ist. Darum ist die fortschreitende Annäherung der europäischen Völker aneinander der Abbau des Systems der Absperrung von einander bis zu dem Ziel der Vereinigten Staaten von Europa eine Lebensfrage für alle geworden.

alle

Europa tann sich bei Strafe des Untergangs den Lurus der Kriege nicht mehr leisten. Weder der militärischen noch auch der Wirtschaftsfriege. Gegenüber den ungeheuren Wirt­schaftsgebieten Amerikas und Asiens ist es geradezu eine Lächerlichkeit, wenn in Europa jedes Land von 60, 40, 15 oder auch nur zwei Millionen Einwohnern mit eigenen Schutz­zollmauern umgeben ist. Die wirtschaftliche Entwicklung stößt sich an diesen Mauern und muß fie niederreißen. Das deutsch­französisch- belgische Eisenkartell ist ein Anfang dazu. Die europäische Bollunion steht am Ende.

k

feinen Eintritt in feiner Weise der Regierung gegenüber verpflichtet haftet worden. Die polnische Polizei vermutet Zusammenhänge erscheinen ließ, hat der paneuropäische Gedanke nicht nur an

und habe für sie auch keine Verantwortung übernommen. Ferner mit Sowjetrußland.

Der Hamburger Streik. Eine Antwort des Reichsarbeitsministers. Der Reichsarbeitsminister Dr. Brauns schickt uns folgende Erklärung:

Zum Hamburger Streif bringt der Vorwärts"( Nr. 464 vom 2. Oftober 1926) einen Artikel, der sich mit der Berantwortung des Reichsarbeitsministers" befaßt und u. a. folgende Behauptung

enthält:

Aber der Oberregierungsrat( Dr. Grabein vom Reichs­arbeitsministerium) hatte vom Minister, mit dem er in telepho­nischer Verbindung stand, eine gebundene Marschroute: Reine Lohnerhöhung ohne die Stimmen der Unternehmer, wegen der Konsequenzen für die gefamae Wirtschstaft." Dementsprechend

fällte er feinen Schiedsspruch."

Diese Behauptung ist unzutreffend. Der Tatbestand ist viel­mehr folgender: Der für die Hafenbetriebe zuständige Referent im Reichsarbeitsministerium wurde nach Hamburg entfandt, nachdem die von dem Schlichtungsausschuß und dem Schlichter für Hamburg am 16. und 24. September gefällten Schiedssprüche von beiden Seiten abgelehnt worden waren. Seine Aufgabe war, wie in solchen Fällen üblich, in einer nochmaligen Aussprache zwischen den Parteien eine freie Verständigung herbeizuführen. In diesen Ver­handlungen, die den ganzen Vormittag des 29. September in An­spruch nahmen, erwiesen sich die gegensätzlichen Auffassungen der Barteien als unüberbrückbar. Bei dieser Sachlage hielt es der Referent für angezeigt, dem Reichsarbeitsministerium fernmündlich zu berichten und sich in Erweiterung feines Auftrages zur Einleitung eines neuen Schlichtungs­verfahrens ermächtigen zu lassen. Die erbetene Ermächti­gung wurde von dem Leiter der Abteilung für Lohnpolitik erteilt, falls der Referent selber nach Lage der Sache die Voraussetzungen hierfür als gegeben erachtete. Weisungen irgend welcher Art sind weder bei dem Ferngespräch noch vorher gegeben worden. Andere Ferngespräche haben nicht stattgefunden, auch nicht mit mir. Bon einer gebundenen Marschroute" kann hiernach feine Rede sein. Alle Erklärungen, die der Referent des Reichsarbeitsministeriums bei den Einigungs- und Schlichtungsverhandlungen abgegeben hat sind also Ausdruck seiner persönlichen Ueberzeugung gewesen. Dies ist auch von ihm, wie er mir berichtet hat, zu wiederholten Malen ausdrücklich hervorgehoben worden. Erst nachdem auch der dritte Schiedsspruch abgelehnt worden war, habe ich nach persönlicher An­hörung beider Parteien meine Entscheidung getroffen.

Dr. Brauns.

Der Reichsarbeitsminister flammert sich an das Wort der gebundenen Marschroute", das nur bildlich gemeint sein fonnte. Die Tatsachen, die Herr Dr. Brauns nicht bestreitet, find folgende:

Der Oberregierungsrat Dr. Grabein fuhr im Auftrag des Reichsarbeitsministers nach Hamburg . Während der

Berhandlungen erflärte Dr. Grabein wiederholt, daß nur dann ein Schiedsspruch eine Lohnerhöhung vorsehen würde, wenn ihr auch die Unternehmer zustimmen. Die Unternehmer erklärten, selbst wohl nicht für eine Lohn­erhöhung zu stimmen, sich aber auch nicht einem Schieds­spruch zu widerseßen, der den Arbeitern in der Lohn­Trotzdem wagte es Dr. frage entgegentommen würde. Reichsarbeitsminister nach Hamburg entsandte Schlichter hat Grabein nicht, diesen deutlichen Wink zu verstehen. Der vom so sehr im Sinne von Dr. Brauns gehandelt, daß dieser den Schiedsspruch für verbindlich erklärte. Mit dieser Ver­bindlichkeitserklärung hat Dr. Brauns die Verantwortung für den Schiedsspruch übernommen, aber auch für alle Folgen, die sich aus einem derartigen Raub des Streifrechts ergeben.

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Besprechung Briand- Chamberlain.

Zur Beruhigung über Livorno .

Paris , 2. Oktober. ( Eigener Drahtbericht.) Außenminister Chamberlain ist heute auf seiner Rückreise von Italien nach England in Paris eingetroffen und am Bahnhof vom Außen­minister Briand empfangen worden. Beide hatten dann eine län­gere Unterredung. Die darüber ausgegebene amtliche Mitteilung ist so nichtssagend wie je. Es wird jedoch der Begegnung eine außerordentliche Bedeutung zugemessen, nicht zuletzt des halb, weil man in ihr den Beweis dafür erblickt, daß die Befürch= tungen einer als Gegengewicht gegen die Pläne von Thoiry gedachten englisch - italienischen Verständigung zum mindesten start verfrüht ge­wesen sind. Der Hinweis des amtlichen Kommuniqués, daß Cham­berlain Briand persönlich über seine Unterredung mit Mussolini unterrichtet hat, wird in Paris dahin ausgelegt, daß England nichts hinter dem Rücken Frankreichs zu unternehmen beabsichtige, von einer Neuorientierung der englischen Außenpolitik also nicht die Rede sei.

Lex Mussolini.

Gesetzliche Einführung der Todesstrafe. Rom , 2. Oftober.( WTB.) Der Ministerrat nahm heute einen vom Justizminister vorgelegten Gefehentwurf an, nach welchem Un­schläge auf das Leben des Königs, des Regenten, der Königin, des Thronfolgers und des Ministerpräsidenten mit dem Tode bestraft werden. Derartige Verbrechen werden von einer beson­deren kammer des affationsgerichtshofes abgeurteilt. Der Ge­fehentwurf wird dem Parlament bei seinem wiederzufammentritt vorgelegt werden.

Mussolini übernimmt das Oberkommande der faschistischen Miliz.

Seit Coudenhove vor drei Jahren sein Buch Paneuropa" Berbreitung gewonnen, sondern es ist auch mit seiner Ver­wirklichung begonnen worden. Nicht nur das internationale Eisenkartell liegt auf diesem Wege, sondern auch Locarno , Genf und Thoiry. Wollen Deutschland und Frankreich ernstlich, so können sie, wie sich selbst, so auch die übrigen Staaten Europas . soweit sie noch nicht von selbst dazu bereit find dazu verpflichten, bei Konflikten die Waffen liegen zur lassen und vor einem Schiedsgericht den Ausgleich zu suchen. Dadurch verlieren die Grenzen ihre militärische Bedeu­tung; sie behalten aber noch ihre wirtschaftliche und nationale.

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Es bleibt die Umstrickung der Produktivkräfte durch das viel­maschige Netz des Schußzzolls, und es bleibt die problema­tische Lage der nationalen Minderheiten. Eine Bewegung, die sich das Ziel Baneuropa gesteckt hat, muß und auf den Schutz der nationalen Minderheiten bedacht sein. ständig auf den Abbau der wirtschaftlichen Verkehrssperren Erst wenn der Europäer in ganz Europa mindestens ebenso

zu Hause ist, wie beispielsweise der Genfer in Zürich oder der 1 Münchener in Berlin , wird Paneuropa eine Wirklichkeit sein.

Das ist ein langer Weg, dessen Ende noch niemand sieht. Aber jeder Schritt auf diesem Wege wird ein Fortschritt sein. Darum bekennt sich die Sozialdemokratische Partei Deutsch­ lands zu dem paneuropäischen Gedanken. Darüber heißt es im Heidelberger Programm:

Die Sozialdemokratische Partei Deutschlands ... tritt ein für die aus wirtschaftlichen Gründen zwingend gewordene Schaffung der europäischen Wirtschaftseinheit, für die Bildung der Ver­ einigten Staaten von Europa , um damit zu einer Inter­effensolidarität der Völker aller Kontinente zu gelangen.

Damit ist ausgesprochen, daß Paneuropa fein Truzbund gegen außen sein soll, sondern ein Glied in der politischen Orga nisation der Menschheit.

Die Konzeption Coudenhoves schließt England und Rußland aus dem Aufbaupian des geeinten Europa aus. Aber diese Ausschließung erfolgt nicht aus feindlicher Absicht, sondern aus praktischen Gründen. England ist ein Weltreicht, das nicht nur in Europa , sondern auch in Amerika , Asien , Afrika , Australien zu Hause ist. Rußland spannt die Landbrücke von Mitteleuropa bis zum fernen Osten. Beide Reiche, in Baneuropa miteinbegriffen, würden dieses zu einem alle Erd teile umspannenden Weltbund erweitern und dieser Weltbund könnte darum in jeden Konflikt, der in irgendeinem Erden= winkel ausbricht, mit hineingeriffen werden. Darin liegt zweifellos eine Gefahr, wenn es auch auf der anderen Seite schwer ist, sich den Insel- Engländer oder auch den euro­ päischen Russen als einen Europa - Ausländer" vorzustellen. Jedenfalls hat sich die paneuropäische Union jederzeit mit Ent­fchiedenheit gegen den Verdacht gewehrt, als schwebe ihr so etwas vor wie ein Wiederaufleben der napoleonischen Konti­nentalpolitik mit einer Spike gegen England oder irgendeine andere Macht