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Nr. 472 4Z.?ahrgang
1. Seilage öes vorwärts
Vonnerstag, 7. Oktober mb
Her Hund war eigentlich immer irgendwie Polizist. Auf dem Land«, in der Einsamkeit, wo der Schutz der Gesellschaft oder ihrer Organ« nicht hinreicht, oder nicht genügt, war und ist der Hund der selbstverständlich« Wächter, Schützer und Verfolger. In den Städten befreiten ihn im Lauf der Zeit zunehmende Bevölkerung und zivili- satorische Fortschritte von dieser Funktion: aber man sah sich auch hier wieder gezwungen, auf den Hund zurückzugreifen und ihm zwar fcharfbegrenzte, aber wichtige polizeiliche Aufgaben zuzuweisen. der Erste 1 Man sagt, Professor Dr. Hans Groß  , der an den Universitäten zu Prag   und Graz   Strafrecht lehrte, sei der erste gewesen, der die moderne Polizei auf den Hund als Helfer aufmerksam gemacht habe. Genaueres läßt sich nicht feststellen. Auf jeden Fall verhallte sein Ruf ungehört. Auch der Versuch, den der Polizeiches von Gent  , E. van W a e s e m a e l, um die Jahrhundertwende mit Hunden machte, blieb ohne besondere Folgen Erst dem Polizeikommissar Laufer In Schwelm   in Westfalen   gelang die Einführung des Hundes in den Polizeidienst. Die Not war, wie so oft, so auch hier, die eigentlich treibende Kraft. Schwelm  , heute 25 000 Einwohner zählend, hat durch seine Höhenlage rauhes Klima, ferner Vorort-
so daß auch weniger zuverlässige Beamte angestellt werden mußten, in deren Händen der Revolver sehr bedenklich war. Diese Gefahren, ferner die numerische Schwäche der Polizei, die den Wunsch seiner Mitglieder, zu Zweien zu gehen, unersüllbar ließ, brachten den Kommissar Laufer auf den Gedanken, den Hund als Hilfskraft heran- zuziehen. Er richtete zunächst an sämtliche Polizeibehörden in
Polizeihund im technischen Sinne ist ein Hund, der sich nach Raste und Abstammung für den Polizeidienst eignet, besten Fähige leiten durch Erziehung und Abrichtung vervollkommnet sind, der von der Polizeibehörde bewußt und gewollt nach einer auf Grund fachwissenschaftlicher Erfahrungen und Grundsätzen aufgestellten Dienstanweisung als neue Waffe oder Hilfskraft in den Polizeidisnst gestellt und dessen Verwendung nicht dem freien Ermessen des ein- zelnen Polizeibeamten überlassen, sondern allen Polizeibeamten ohne Ausnahme dienstlich anbefohlen wird, wobei die allgemeine Verant- wortung und die Kosten von der Polizeibehörde getragen werden. Alle diese Voraussetzungen trafen zum ersten Male aufCäsar" zu, so daß man ihn den Primus der Polizeihundkategorie nennen kann. Schon, um bei den Gerichten gedeckt zu sein und um allen Beamten die Mitnahme des Hundes anbefehlen zu können, hatte Lauser für die Erfüllung der obigen Voraussetzungen Sorge getragen. Mit Cäsar", einer deutschen Dogge, hatte die Polizei in Schwelm   Glück: denn er war ein ganz vorzügliches Tier. Er leistete nicht nur im exekutiven Dienst Hervorragendes, beim Absperren, bei der Ber- folgung von Exzedenten, bei Angriffen auf seinen Begleiter, sondern er gewann auf der ersten Polizeihundvorführung, die Laufer mit ihm auf dem Hofe einer Holzhandlung in Düsseldorf   veranstaltete, der Bewegung neue Freunde. Durch seine Pascnarbeil klärle er unter anderem auch einen Einbrnchsdiebsthal auf und führte die Beamten nach einem Wäldchen, wo eine der gestohlenen Ziegen ge- schlachtet worden war. Solche Leistungen, die von der Presse in ganz Deutschland   bekanntgemacht wurden, liehen die Polizeihund- bewegung, die zunächst mit manchen Schwierigkeiten zu kämpfen hatte, bald erstarken. Leider fielCäsar" durch die Unachtsamkeit eines seiner Führer der Straßenbahn zum Opfer. Um den Polizei- Hund haben sich Redakteur Wilhelm Meister in Schwelm  , letzt Bad Oeynhausen  , und Polizeiinspektor Meyer in Hagen   besonders verdient gemacht. Meister und Laufer gründeten das FachblattDer Polizeihund", das der Bewegung sehr zustatten kam: und gemeinsam mit Meyer gründete Laufer in München-Gladbach im Jahre 1002
denVerein zur Förderung der Zucht und Verwendung von Polizei- Hunden", der die Bestrebungen gleichfalls sehr förderte. Auch den städtischen Körperschaften zu Schwelm   und demVerein für deutsche Schäferhunde' hat die Bewegung mancherlei zu danken, heule steht der Polizeihund anerkannt da. viele Polizcibeamte verdanken ihm Erhaltung von Leben und Gesundheit. Zahlreiche Verbrechen hat er aufgedeckt und, was noch wertvoller ist, viele verhindert: denn mancher hat aus Furcht vor dem Polizeihund die Ausführung eines Verbrechens unterlassen. Polizeihund und Polizeibewaffnung. Das wichtigste Ergebnis der Verwendung des Hundes im Polizeidienst liegt aber vielleicht darin, daß die überkommene Be- waffnung der Polizeibeamten problematisch erschien. Laufer erkannte, daß die Polizei militärisch, also falsch bewasfnet war. Der Hund war nicht nur Gehilse des Polizeibeamlen, sondern erschien geeignet, den Revolver zu verdrängen, mindestens aber desten Rolle zu be- schränken. Als der Polizeihund eingeführt war, machte sim Lauser, der inzwischen als Amtsanwalt nach Hanau   versetzt worden war, auf die Suche nach einem S ä b e l e r s a tz. Nach jahrelangen Per- suchen konstruierte er eine Schlagwaffe, die unter dem Namen Läufers P o l i z e i st a b" patentamtlich geschützt ist. Dieser Stab ist ein Universalinstrument, das die Leistungsfähigkeit der Polizei außerordentlich hebt. Er oereinigt in sich Schlagwasse, Signal­pfeife. Lampe  , Fesselungsgerät und Längenmaßflab. Anstatt des Fesselungsgcrätes kann auch eine Verbandspatrone, bestehend aus Binde, Watte, Belebungsmittel und Heftpflaster, in den hohlen Griff eingelegt werden. Da der Erfinder bei der besonders stark mili- taristischen Polizei Preußens mit seiner Neuerung keinen Anklang fand, wandte er sich nach Bayern   und Oesterreich. 1909 in Brünn  , 1912 in Nürnberg   und 1913 in Troppau   führte Lauser die neue
Der Weg des blinden Bruno.
17s
Roman von Oskar Baum  . 4.
Wieder hatte ein neues Schuljahr begonnen. Nach Monaten der Trennung gingen Bruno und Alwin, Arm in Arm, durch den abendlichen Garten.. Beide sehr traurig. Es gibt nichts Schönes und Wichtiges auf der Welt," sagte Bruno.. Es gibt nichts außer Unglück auf der Welt," sagte Alwin. Die erwartungsvolle Arbeitsbegier aller nach langen, faulen Wochen daheim, das Fleißfieber, schien Bruno diesmal sinnlos und betrogen. Es reizte ihn auf.Um wieviel sind wir weiter als im Vorjahr?" fragte er.Was werden wir noch lernen? Spielen wir auch Rink und Buxtehude  , mich freut nichts mehr. Die Choräle und Präludien, Messen, Kan- taten, sogar die von Herrn Opprecht, deinen mir schal und leer und langweilig. Ich kann mir oft nicht mehr zuhören, muß mich mit aller Kraft zwingen, die Finger auf den Tasten weiter hintereinanderzuletzen. Ich weiß nicht, was das ist: Kunst! ach, mir scheint das ein so aufgeblasenes hohles Wort! Wenn die Leute sich gegenseitig einreden, daß es so viel für sie bedeutet, ist das vielleicht ein Schwindel!" Wie kann einem so etwas Sorgen machen? dachte Alwin. Ihm war so ganz anders, so stumpf und hoff- nungslos weh ums Herz. Die Seinen hatten sich während der Ferien gegen ihn sonderbar benommen: Ihn versteckt, wenn Besuch kam, ihm zum Spazierengehen einen fremden Menschen gemietet! Sie schämten sich"seiner! Jugend, sagt man doch immer, sieht alles herrlicher, als es ist," höhnte Bruno,ich was werde ich später empfinden, wenn ich jetzt schon nicht begreife, wie alle so ein langes Leben aushalten, bis es nicht weiter geht und es dann noch vielen 3U Alwin hielt den Kopf sehr zur Seite und schnaufte stark. Wie hatte er sich nach der Anstalt zurückgesehnt! Und nun waren auch hier alle traurig! Franzi, ein wenig erkrankt, beunruhigend still und gleichgültig allem gegenüber: und jetzt sogar auch Bruno! Klein sind die Menschen, schimpfte Bruno,ertragen nicht die Wahrheit, daß dies bißchen Essen, Trinken, Schlafen nichts ist, müssen mit Wichtigtuerei von tausend Verboten und Geboten, mit Kultur und Menschheitszukunft einonder vor- mogeln, wer weiß wieviel da herauszuholen ist!"
Daheim, bei Tisch einmal, erinnerte sich jetz Alwin, saß er während einer Pause umgekehrt und spielte mit den Finger- spitzen in den niedlichen glatten Rillen der Sessellehne viel­leicht hatte man ihn zweimal gerufen und er hatte nicht gehört da weinte die Mutter plötzlich laut auf und lief aus dem Zimmer. Bon dem Tage an er auch nicht mehr mit den anderen zusammen, sondern allein auf seiner Stube. Das Schreckliche war: man sandte ihm immer sehr gute Dinge, seine Lieblingsspeisen, manches, das vielleicht eigens für ihn bereitet wurde. Oft nahm er sich fest vor, nichts anzurühren, einfach zu verhungern. Und immer er doch, auf: manchmal, wenn man fragen kam, ob er noch wolle, sagte er: Ja. Daß es noch einem Menschen lohnt, sich vom Fleck zu rühren, wo er gerade steht oder sitzt!" sagte Bruno. Sie schleppten die immer noch schwüle Luft nach dem langen, heißen Tag auf ihren Schultern langsam durch den Abend. Ueberall bewegte es sich in den Sträuchern, im Gras. Kamen sie an einem Nutz- oder Apfelbaum vorbei, knackte und raschelte Geheimnis in den Zweigen. Immer wieder rauschte ein Wipfel mächtig auf, und harter Früchteregen trommelte ungleichmäßigen Wirbel auf Rasen und Kies. Kichern und Wispern huschte auf vielen leisen Füßen eilig über Wege und Beete. Obstjagd war streng oerboten: der Gefahr wegen, obgleich nie ein Kletterer oder ein Baum ernst- lich Schaden genommen hatte, und das Verbot die Gefahr für beide ja nur erheblich vermehrte. Da blieb Alwin stehen. Auch Bruno lauschte schon einen Augenblick. Ein Gewebe, ein Netz zartesten, klingenden Duftes hing plötzlich um sie her, bewegte sich im Wind. Fernher, von hoch oben vielleicht, seidene Fäden: sie teilten sich, zogen feine Linien durch die Luft, schwammen dann wieder weich zu- sammen. Musik! Aber was für Instrumente, was für Stücke?" Sie eilten auf das Haus zu: So spät abends noch ein Besuch? Aber es klang von anderswo, weiterhcr. Ohne Bedenken schritten sie am Haus vorbei in den Vorgarten, wohin Zöglinge nicht durften, weil man von der Straße hin- einsah und sie der allgemeinen Neugier zu willkommene An- ziehung böten. Das war das Reich der Direktorsfamilie. Hier saßen sie an Sommerabenden mit ihren Gästen bis spät in die Nacht. Hoffentlich war heute niemand da! Das zauberhafte Konzert, bei jedem Schritt lauter und deutlicher, lockte zu sehr! Es wurde Bruno nicht leicht, den Freund zwischen den viele» kleine» Zierbeeten durch die unbekanntes schmalen
Wege kreuz und quer zum Ausgang zu ziehen. Die Töne wurden hier ganz klar und zusammenhängend, und Alwin wußte nicht mehr, wohin er die Füße setzte.Wirst du wieder zurückfinden?" fragte er, wäre aber wohl unter keinen Um- ständen umgekehrt. Mit vorgeneigtem Kopf und nach dem Takt bewegten Händen ließ er sich schleppen, stolperte, schlug mit der Stirn gegen einen Baum, warf eine Bank um und fiel einmal gar hin, als Bruno zwischen stacheligen Sträuchern auch ein wenig auf sich achten mußte. Das aber unterbrach Alwins Freude nicht. Er summte Melodien, neigte bei zartem Piano den Kopf und hob sich wie im Uebermut zappelnd, als ein wildes Allegro einsetzte. Bruno suchte den Ausgang vergebens, aber gab sich schließlich zufrieden, an einer Stelle des Gitterzaunes mit dem Freund hinter Gebüsch zu kriechen und, den Kopf zwischen den Stäben, gut zu hören. Aus großer Höhe kam es wie an einer bestimmten Stelle frei in der Luft schwebend, schien bei An- und Abschwellen zu sinken und wieder zu steigen, ein rätselvolles Wunder! Jetzt war es wohl ein Klavier, wenn auch nicht mit dem vergleich- bar, auf dem sie alle Tage übten. Oder war es das Stück, der Spieler, wodurch so ein bewegtes Leben von hundert Stimmen und Gestalten, Gesprächen. Begebenheiten, zauberhaft greifbar und eindringlich durcheinaiZer wogte, daß man Worte hätte unterlegen können? E-Moll, dreiviertel Takt," sagte Alwin. Bruno zuckte vor Verdruß zusammen. Verdeutlichen zerriß den Zauber! Es gab keinen Zusammenhang zwischen dem, was sie kannten und dieser Musik: es sollte keinen geben! Hinten, irgendwo fern läutete es zum Schlafengehen. Neun Uhr schon! Sie kümmerte es nicht! Spät, vielleicht nicht weit von Mitternacht, dehnte sich die Pause nach einem Stück so sehr, daß kein noch so geduldiges Warten sie besiegen konnte. Das Konzert war zu Ende. Die Glieder steif und kribblig von der verrenkten Stellung, schwebten sie in Seligkeit durch die unbekannte Gegend nach einer beiläufigen Richtung zurück, erschraken gar nicht über ihre weithin durch die Nachtstille knirschenden Schritte. Man hatte sie drin wohl kaum noch vermißt. Auf die Erwachseneren achtete man beim Schlafengehen nicht so genau. Aber wie kamen sie jetzt ins Haus? Ach, sie hätten sich gar nichts daraus gemacht, die ganze Nacht so umschlungen durch den Garten zu wandern, Melodien aus der Erinnerung zu heben, gegenseitig zu ergänzen, Figuren an ihrem Rhyth- mus heraufzuholen, leise zu singen und die inneren Klänge auszuatmen in Bewegungen aller Glieder. (Fortsetzung folgt.)