Einzelbild herunterladen
 

Abendausgabe

Nr. 477 43. Jahrgang Ausgabe B Nr. 236

Bezugsbedingungen und Anzeigenpreise Find in der Morgenausgabe angegeben Redaktion: SW. 68, Lindenstraße 3 Fernsprecher: Dönhoff 292-297 Tel- Adresse: Sozialdemokrat Berlin

Vorwärts

Berliner Dolksblatt

10 Pfennig

Sonnabend

9. Oktober 1926

Berlag und Anzeigenabteilung: Geschäftszeit bis 5 Uhr Berleger: Borwärts- Berlag GmbH. Berlin SW. 68, Lindenstraße 3 Fernsprecher: Dönhof 292-297

Zentralorgan der Sozialdemokratifchen Partei Deutfchlands

Zörgiebel Berliner Polizeipräsident. Südflawiens Arbeiterbewegung

Abegg Staatssekretär im Ministerium des Innern.- Weitere Ernennungen.

Der Amtliche Preußische Pressedienst teilt mit: Das preußische Staatsministerium hat in seiner Sihung vom 9. d. M., vormittags, den Staatssekretär des Ministeriums des Innern, Dr. Meister, auf seinen Wunsch in den einstweiligen Ruhestand verseht. Un seiner Stelle ist zum Staatssekretär der bisherige Ministerialdirektor und Leiter der Polizeiabteilung Dr. Abegg ernannt worden. Zum Leiter der Polizeiablei lung des Ministeriums des Innern wurde der Ministerialdirektor Dr. Klausner vom preußischen Wohlfahrtsministerium er­nannt.

Gleichzeitig hat das Staatsministerium an die Stelle des Po­lizeipräsidenten von Berlin , die durch die Ernennung lizeipräsidenten von Berlin , die durch die Ernennung des bisherigen Präsidenten Grzesinski zum Minister des Innern vakant geworden ist, den bisherigen Kölner Polizeipräsidenten Zörgiebel berufen. An die Stelle des Polizeipräsidenten Zör­giebel in Köln friff der bisherige Ministerialrat im Westreferat des Minifteriums des Innern Bauknecht.

Grzesinskis Abschied

Der neue Minister des Innern Grzesinsti hat sich heute vormittag von den Beamten, Angestellten und Arbeitern im Polizei­präsidium verabschiedet. Der große Edsalon des roten Hauses am Alexanderplat war dicht gefüllt von all denen, die noch ein letztes Wort hören wollten von ihrem bisherigen Chef, der sich uneinge schränkter Beliebtheit erfreuen tonnte bei allen Kategorien der Be­amtenschaft, der Schutzpolizei , der Angestellten und Arbeiter,

Als erster nahm Polizeivizepräsident Dr. Friedensburg das Wort, um dem Minister zu danten für seine vorbildliche Amts­führung. Er würdigte den Minister als Vorbild treueſter Pflicht erfüllung, eiserner Arbeitskraft, größter Verantwortungsfreudigkeit und als Muster unbeugsamer Hingabe an die Ideale des neuen Staates. Er hob vor allen Dingen die warme menschlichkeit hervor, die ihn in allen seinen Amtshandlungen, sowohl seinen Be­amten, wie auch der ganzen Bevölkerung gegenüber bestimmt habe. Im Namen des Beamtenausschusses der Schutzpolizei sprach Polizeioberinspektor v. Leszczynski sprach ebenfalls dem

scheidenden Polizeipräsidenten und nunmehrigen Minister des Innern die besten Wünsche und den Dank der gesamten Beamtenschaft aus. Hierauf verabschiedete sich Grzesinsti mit etwa folgenden Worten von seinen Mitarbeitern:

weise von Anhänglichkeit an mich erfahren habe, so haben mich doch ,, Wenn ich auch in diesen Tagen so außerordentlich viele Be­die freundlichen Worte, die ich heute hier von meinen Beamten gehört habe, tief bewegt. Als ich am 14. Mai vorigen Jahres hier vor Ihnen stand, war mir nicht so ganz leicht zumute. Ich hatte zwar große Behörden geleitet, aber das Polizei präsidium mit seinen über 20 000 Beamten, Angestellten und Arbeitern, mit seiner ungeheuren wirtschaftlichen und poli: tischen Bedeutung, feinen außerordentlich vielen und großen Auf­gaben war doch eine Behörde, für deren Führung die Verantwortung zu tragen mir etwas bange war. Ich wußte nicht, ob die mit arbeit, um die ich bat, mir so zuteil werden würde, wie es nötig war. Heute fann ich mit großer Freude und Genugtuung feststellen, daß mir diese Mitarbeit zuteil geworden ist, freudig und willig. Für diese Mitarbeit, nicht für die Mitarbeit an sich, danke ich Ihnen von ganzem Herzen. Sie allein hat es mir ermöglicht, das zu tun, was ich getan habe. Ich hatte mir vorgenommen, meinen Beamten, An­gestellten und Arbeitern als Menschen zu begegnen: es war mir ein Bedürfnis, in jedem zunächst den Menschen zu sehen. Ich konnte nicht alle Wünsche erfüllen und wollte es auch nicht, denn das Intereffe der Behörde, des Staates, steht obenan. Aber ich habe mit den Berufsvertretern stets gut zusammengearbeitet. Der große Erfolg, den die Polizei im letzten Jahre erzielt hat, und der sich auch in der Polizeiausstellung dokumentiert, ist darauf zurückzuführen, daß die Polizei endlich beginnt, modern zu werden, daß der einzelne Polizeibeamte beginnt, dem Bürger als Menschen gegenüberzutreten und den Bürger als Menschen zu achten. Ich wünsche, daß die Behörde so weiter, ja, noch besser geführt werden möge. Ich bitte Sie alle, das Vertrauen und die Mitarbeit auch auf meinen Nach­folger zu übertragen. Letter Endes dienen wir ja nicht der Person, sondern der Sache, dem Lande, unserem Wolfe. Als be­rufene Schützer der Republik und der Verfassung wollen wir auch weiterhin der Republik und damit dem ganzen deutschen Volte dienen!"

Gefährdung von Thoiry?

Unmögliche Wünsche de Jouvenels.

Paris , 8. Oftober.( EP.) Henry de Jouvenel veröffentlicht im ,, Matin" einen Artikel unter der Ueberschrift Eine deutsch- fran­zösische Verständigung", worin er den Standpunkt vertritt, daß eine Einigung der europäischen Bölfer auf politischem und wirtschaft lichem Gebiet ein Notwendigkeit sei, wenn diese sich nicht der Gefahr aussetzen wollten, einzeln von Amerita ruiniert zu werden. Die Vorbedingung einer solchen Politik sei eine Ver­ständigung zwischen Deutschland und Frankreich , die aber nur mög­lich sei, wenn Deutschland die polnische Grenze garantiere und auf den Anschluß an Desterreich verzichte. Dieser Verzicht auf den Anschluß Desterreichs sei notwendig, wenn ein gutes Ein­vernehmen zwischen Deutschland und Frankreich weiterbestehen soll. Wenn Deutschland wolle, daß Frankreich Konzessionen mache, so müsse Deutschland seinerseits Europa gegenüber Ron zeffionen machen.

Das große Wert der deutsch - französischen Berständigung wird durch solche Forderungen, wie sie de Jouvenel aufstellt, gefährdet. Sie sind nur allzu geeignet, die Grundlage des Bertrauens und der Gleichberechtigung zu zerstören. Darüber hinaus liegen sie noch nicht einmal im Sinne des Versailler Bertrages, dessen moralischen und politischen Tugenden zu rühmen man in Frankreich nicht müde wird. Dieser Ber­jailler Bertrag sieht die frühere Räumung des Rhein­landes ohne Gegenleistung vor. Es heißt ausdrücklich, daß es für diese frühere Räumung genügt, wenn Deutschland Sicherungen für die Vertragserfüllung gibt. Was die Repa­rationen anlangt, so ist diese Sicherung durch den Dames- Plan gegeben, was die militärische Sicherung anlangt, so ist sie durch das Vertragswerk von Locarno mächtig gefördert. Der Weg über Thoiry führt nicht ins Uferlofe, wie de Jouvenel es vorschlägt. Im Interesse des deutsch - französischen Busam­menschlusses liegt es allein, wenn die kommende Diskussion sich auf die konkreten, genau umriffenen Vorschläge Stresemanns und Briands beschränkt.

Poincarés angebliche Forderungen.

Bedingungen erfolgen:

Die Wünsche de Jouvenels haben zwar feinen amtlichen Charakter, aber sie zeigen, wie sich gewisse französische Kreise eine Berständigung mit Deutschland nur auf Kosten Deutsch­ lands denken können. Sie wollen planmäßig es nicht wahr­haben, daß der Vertrag von Locarno die französischen Sicher­heitsbedürfnisse in außerordentlich hohem Maße erfüllt: durch New York , 8. Oktober. ( TU.) New York Herald " berichtet den Berzicht auf die Revision der Versailler Grenzen im Besten, durch das Verbot jeglicher Angriffshandlung und aus Paris , daß die Räumung des Rheinlandes auf Grund der Be­durch die Bündnisverpflichtung, die England, um von Italien sprechungen in Thoiry nicht in Frage komme, weil die Frage durch die Bündnisverpflichtung, die England, um von Italien der Eisenbahnbonds einzig und allein die allierten und assoziierten zu schweigen, zugunsten Frankreichs eingegangen ist. Darüber hinaus gibt die von Frankreich gewünschte und begrüßte Mächte angehe. Die Pariser Bendung fei auf Grund von Bor­hinaus gibt die von Frankreich gewünschte und begrüßte stellungen der Kleinen Entente erfolgt, die der Meinung sei, Aufnahme Deutschlands in den Bölkerbund unseren westlichen daß auch ihre Sicherheit durch die Rheinlandfrage berührt werde. Nachbarn eine zusäßliche Sicherheit, wie sie in der Borkriegs: Die Räumung der Rheinlande könne nur unter folgenden dret zeit niemals bestand. Hat Frankreich damit über die Ver­Jailler Bertragsvorschriften hinaus alles an Sicherheit erlangt, was ihm billigerweise zugestanden werden konnte, so ist nicht daran zu denken, daß Deutschland darüber hinaus im Sinne de Jouvencls neue Bindungen eingeht. Die polnischen Grenzen find durch den Bölferbund und durch die Schiedsgerichtsverträge von Locarno bereits garantiert, zu­dem hat Polen mit Zustimmung Deutschlands einen so gut wie ständigen Siz im Völkerbundsrat erhalten, der ihm eine maßgebende Stimme in der Bundesorganisation sichert. Ein Anschluß der Deutschösterreicher an das Muttervolt ist nicht nur nach den Grundsägen eines Selbstbestimmungsrechtes politisch und moralisch gerechfertigt, er ist sogar indirekt in den Friedensverträgen von Versailles und St. Germain vor­gesehen. So wenig dies Problem im Augenblicke dringlich und lösbar ist, eine Bindung dafür, daß Deutschösterreich auf fein moralisches und Deutschland auf sein Vertragsrecht für alle Zukunft verzichtet, fann schlechterdings nicht übernommen werden. Bestrebungen dieser Art find nicht diskutabel.

1. Uebergabe der leberwachung des gesamten linken beinufers an den Völkerbund und ständige leberwachung Brückenföpfe und strategischen Punkte durch vom Völkerbund ernannte Beobachter.

al

2. Zurückziehung der Besaßungstruppen nur unter der Bedin gung, daß Deutschland sich ehrenwörtlich verpflichtet, den europäl­schen Besitzstand nicht zu ändern, so daß die Revision der Ditgrenzen, der Danziger, der Korridor, der Oberschlesien - und der Anschlußfrage völlig ausgeschaltet würde.

3. Völlige Erfüllung der Damesbestimmungen durch Deutschland oder Vorbringung eines wirklich ausreichenden Grundes für die Revifion des Damesplanes, womit zugleich ein Angebot verbunden sein müßte, um die französischen Schuldenver pflichtungen ausreichend sicherzustellen.

Der Korrespondent des New York Herald stellt hierzu ausdrück­lich fest, daß sich damit innerhalb des Bariser Kabinetts die Po­litit Poincarés gegen Briand völlig durchgesezt habe.

Von Hermann Wendel .

Vor dem Weltkrieg war in den durch bunte Grenzpfähle voneinander getrennten Teilen des slawischen Südens, aus benen sich jetzt das Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen zusammengesetzt, dem vorwiegend agrarischen Ge­präge des Landes entsprechend, die moderne Gewerkschafts­zukunftsreich. Organisierte zählte man 1913 in Slowenien bewegung zahlenmäßig nicht start, aber in sich gefestigt und 4600, in Kroatien 5188, in der Woiwodina 5000, in Bosnien 5500 und in Serbien , wo der Balkankrieg bereits Lücken­gerissen hatte 4227, insgesamt also auf der Fläche des süd­flawischen Staates von heute 24 515. Die nationale Einigung des Jahres 1918 brachte anfangs einen allerdings etwas gewaltsamen und künstlichen Aufschwung des Wirtschafts= lebens mit sich, da neue Industrien aus dem Boden gestampft wurden, aber das rasche Wachstum der Gewerk­schaften in der gleichen Spanne war weniger eine Folge der Hochkonjunktur als des Elends, in das Krieg und Kriegs­nachwirkungen die Arbeiter geschleudert hatten. Verzweiflung und Hoffnung stieß die Proletarier aus ihrer Bereinzelung unwiderstehlich in die Fachorganisationen, und die Gewerk­schaften erlebten eine Zeit, da breit alle Schleusen aufgezogen schienen, die sie bislang von der Hauptmasse der Arbeiter getrennt hatten; die Zahl 200 000 für die gewerkschaftlich Organisierten war 1920 nicht allzu hoch gegriffen. Das ent­sprach ungefähr einem Fünftel aller Lohnarbeiter, deren man 600 000 in Industrie und Gewerbe, 300 000 in der Landwirt­schaft und 100 000 in Bergbau und Verkehrswesen annimmt. Aber nicht umsonst betrachtete Moskau lange den Balkan als archimedischen Punkt, Europa aus den Angeln zu heben. So eifrig wie nirgends rollte im Südosten unseres Erdteils der Rubel und die Lehre der Sowjets, und als Folge wurde die sozialistische Partei Südslawiens, deren Folge wurde die sozialistische Partei Südslawiens, deren Kern, die serbische Sozialdemokratie, früher mit der deutschen Partei theoretisch und praktisch in Schritt und Tritt mar­schiert war, immer mehr nach links abgedrängt, bis es 1920 zur Spaltung fam, und die Kommunisten unter der weder politisch noch gewerkschaftlich geschulten Arbeiterschaft eines unentwickelten Landes reiche Ernte hielten; welche Grotesfe, als im Mittelalter steckende Gebiete wie Mazedonien und Montenegro, in denen nie ein Fabrikschornstein geraucht hatte und in denen es von Analphabeten wimmelte ,,, flassen­bewußte" Kommunisten in die Stupschtina entsandten! Mit der Partei zerbrach auch die Gewerkschaftsbewegung und wurde um so unheilvoller zerrüttet, als ein Ausnahmegesetz den Kommunisten, die zu ,, revolutionären" Schießübungen auf Herrscher und Minister übergegangen waren, offiziell den Garaus machte, und die Jünger Moskaus sich jetzt in den Fachverbänden verschanzten. Da ihr 3enfral- Ar= beiter Gewerkschaftsausschuß den der Amster­damer Internationale zugehörigen Arbeiter- Haupt­verband Südstawiens auf Tod und Teufel bekämpfte, begann bald eine Massenflucht der angeefelten Arbeiter aus den Gewerkschaften überhaupt. In dem sehr wichtigen slowenischen Kohlenbergbau etwa waren 1920: 11 230, 1924 nur mehr 723 Arbeiter organisiert, und 1923 gehörten von 100 000 Holzarbeitern nur mehr 2900, von 30 000 Lederarbeitern nur mehr 400 der Gewerkschaft an! Wenn in dem gleichen Jahr 1923 die Gesamtzahl der Ge­werkschaftsmitglieder auf 28 000 zusammengeschrumpft war, so zeigte sich ähnliches, rascher Aufschwung und jäher Ab­sturz, in den anderen südosteuropäischen Ländern: auf dem Gebiet, das heute Südslawien, Griechenland , Bulgarien und Rumänien einnehmen, gab es 1912: 35 000 gewerkschaftlich Organisierte, 1920: 744 000, 1923: 139 000!

Da aber in Südslawien der Zusammenbruch der Gewerk­schaften in die gleiche Zeit fiel wie das Abwelfen der künft­lichen Wirtschaftsblüten, sahen sich die Arbeiter schutzlos allen Unbilden der ökonomischen Krise ausgesetzt.. Wie eine schleichende Krankheit zehrt seit Jahr und Tag Massen= arbeitslosigkeit an den Kräften des Proletariats ,, aber auch die Lage der noch in Lohn und Brot stehenden Arbeiter ist erbärmlich. Während, nach Papierdinar ge= rechnet, die Kosten der notwendigsten Lebensbedürfnisse 24 mal höher sind als 1914, sind die Löhne im Durchschnitt noch nicht um das Bierzehnfache gestiegen; bei sechs Haupt­gruppen, den Arbeitern im Metall-, Holz-, Leder-, Bau- und Nahrungsmittelgewerbe und in der graphischen Industrie, erreicht der Reallohn nur 68 Proz. des Vorkriegslohns. Hand in Hand damit geht das Bestreben der Unternehmer­schaft, die sozialpolitische Gesetzgebung, die es auf dem Papier mit den einschlägigen Bestimmungen westlicher Länder auf­nimmt, außer Kraft zu setzen. 3war gehört es zu den un­richtigen Angaben in Henri Barbusses Buch Die Hen­fer", daß das Ministerium für Sozialpolitik in Belgrad ab­geschafft worden sei, aber Bemühungen zielen in dieser Richtung, und die Arbeitszeit wird trotz der gesetzlichen Fest­legung auf acht, in Ausnahmefällen auf neun und zehn Stunden, ungescheut auf zwölf, vierzehn, ja, in abgelegenen Winteln auf sechzehn Stunden täglich ausgeredt.

Die Erkenntnis, daß die südslawische Arbeiterklasse im Beichen der Zersplitterung ganz unter den Schlitten komme, beflügelte im Spätsommer vergangenen Jahres die Einigungs­tendenzen einsichtiger Köpfe hüben und drüben; gerade bei den Anhängern Moskaus trug dazu die Ueberlegung bei, daß die Verständigung zwischen Baschitsch und Raditsch, das ist: zwischen Serben und Kroaten , die letzte Hoffnung