wären, weil im letzten Fall die Verräter doch nicht wüßten, ob die Waffen dem Vaterlands erhalten blieben." „In unseren Kreisen und in allen nationalen Kreisen nennt man die hier begangenen Taten nicht Mord, gewöhnlichen Mord, sondern, ich möchte sagen, eine Iustifizierung aus vaterländischen Gründen, aus patriotischen Bestrebungen." Entwaffnungskommissar C a s s a l e t:„Man hat es in den Kreisen der Einwohnerwehr als Genugtuung und Befriedigung empfunden, als die Tötung Gareis' bekannt wurde." Es ist kein Gedanke daran, daß die Behauptungen über die in Bayern unter dem Terror der Einwohnerwehr herrschenden Zustände fallen gelassen worden wären. Die Würdigung der BeweiÄmfnahme wird zeigen, daß in hohem Maße die Charakterisierung zutrifft, die der bayerische Mi- nisterpräsident Dr. Held über das Regime K c h r geprägt hat: daß Bayern unter diesem Regime zu einer Unordnungs- zelle ersten Ranges geworden ist. Fallen gelassen worden ist durch den Genossen L e v i lediglich eine bestimmte, den jetzigen Iustizminister Gärtner beschuldigende Behauptung, die nach dem Gang der Beweisaufnahme nicht erweislich und nicht richtig war. Es ist eine selsame Verkettung, daß die daneben zielende.Behauptung und die Erregung, die sie her- vorgerufen hat, das öffentliche Interesse auf die bayerischen Dunkelheiten gelenkt und zu ihrer Aufhellung beigetragen hat. Dstse Aufhellung wird kein Vertuschungs- v e r s u ch verhindern, kein Geschrei der Rechtspresie, keine antisemitische Hetze. Es muß daran erinnert werden, daß, als Genosse L e v i sich bei der Durchprüfung des Akten- Materials im Untersuchungsausschuß den für die Einwohner- wehr, für Escherich, Kahr , Pöhner, Roth belasten- den Punkten näherte, eine infame Hetze gegen ihn ein- setzte, die sich über antisemitische Pöbeleien und die Beschuldi- gung des Landesverrats bis zur offenen Aufforderung zum Mord steigerte. Nicht nur der Genosse L e v i, sondern auch der Untersuchungsausschuß sollte terrorisiert und i n- f a m i e r t werden. An diese Hetze hat ein Teil der bayeri- schen Regierungspresse teilgenommen— bis in die letzten Tage hinein. Hetze und Terror aber werden die volle Aufdeckung der Wahrheit nicht verhindern. Es gibt nichts zu verteidigen am System des Fcme-Bayern von 1921! Die Klugheit sollte der bayerischen Regierung gebieten, der Hetze Einhalt zu tun, offen von dem Kahr -System abzurücken und für die Reini- gung der Justiz und der Behörden von den Schuldigen dieses Systems zu sorgen.
Die Volkspartei ist beleidigt. Die Verhandlungen um die graste Koalition abgebrochen. Die Fraktion der Deutschen Volkspartei im Preußischen Landtage, die gestern abend und heute morgen vertrauliche Sitzungen abgehalten hatte, gibt über das Ergebnis folgende Erklärung heraus: Die eandlagsfraktion der Deutschen volkspartel sieht nach dem bisherigen Verhallen der Regierung und der Regierungsparteien die Verhandlungen über eine Erweiterung der Regierung als ab- gebrochen an. Die Wege der Volkspartei in Preußen sind seltsam. Erst war sie mit den jetzigen Regierungsparteien zusammen in der Regierung. Dann brach sie plötzlich aus, ohne daß ein Grund ersichtkich war, unb bekätnpfte die Politik, die sie selber mit- getrieben hatte, gemeinsam mit den Kommunisten und der äußersten Rechten. Dann sagte sich Herr Leidig bei Herrn Heß vom Zentrum zu einem Besuch an: er wurde aber dafür von Herrn v. E a m p e öffentlich gerüffelt. Hierauf erklärte die Volkspartei offiziell, daß sie in dem Regierungsoerein wieder einzutreten wünsche. Die Regierungsparteien behan- delten diesen Wunsch keineswegs ablehnend, aber sie wollten sich die Sache noch bis zum Wiederzusammentritt des
Landtags am 3. November überlegen. Nun wird die Volks- Partei fuchsteufelwild und erklärt die Verhandlungen für ab- gebrochen. Aus alledem darf geschlossen werden, daß dieFührung der Volkspartei im Preußischen Landtag viel zu wünschen übrig läßt. Man hat manchmal, offen herausgesagt, den Ein- druck, als ob man es gar nicht mit erwachsenen Menschen zu tun hätte. Ueber die Gründe der neue st en Schwenkung der Volkspartei wird noch bekanntgegeben: Die Fraktion sieht in dem Berhalten der Regierung und der Regierungsparteien den Mangel des ernsten Willens, zu einer Einigung zu kommen. Es wird darauf verwiesen, daß be- reits die Ernennung des Ministerialdirektors 21 b e g g zum Staatssekretär, die erfolgte, ohne daß man mit der Bolksparkei sich in Verbindung gesetzt hatte, diesen ernsten Willen oermissen ließ. Besonders verstimmt hat auch die Tatsache, datz von dem Ergebnis der Besprechung des Ministerpräsidenten mit den Fraktionsfllhrern der Regierungsparteien der Deutschen Volks- parte! offiziell keine Mitteilung gemacht wurde, daß diese vielmehr er st aus der Presse Kenntnis erhielt. Damit wird unsere Auffassung bestätigt, daß die Volks- Partei es mit ihrer Wiederanmeldung nur deshalb so eilig hatte, weil sie die Ernennung des zuverlässigen Republikaners Abegg zum Staatssekretär im Ministerium des Innern ver- hindern wollte._ die ZollernprinzeMn in Sowjetrußlanö. Mit einer Arbeiterdelegation verwechselt. Wir haben gestern, dem Mitteilungsblatt einer Gruppe der KPD. -Opposition folgend, Berichte aus der©owjetprefse wiedergegeben, in denen von einem Besuch der Prinzessm Adalbert von Preußen erzählt wurde. Die„Rote Fahne " meint, wir hätten diese Berichte in irgendeine Verbindung mit der Frage des Hohenzollernvergleichs bringen wollen. Davon ist aber nicht die Rede. Bekanntlich ist aber dem Ge- nassen H e i n i g die Einreise nach Rußland verweigert wor- den, als bekannt wurde, daß er für den„V o r w ä r t s" über seine Reisecindrücke schreiben wollte. Daher unser Interesse für die Frage, wer nach Rußland eingelassen wird und wer nicht. Die„Rote Fahne " liefert übrigens zu den schon bekann- ten Berichten eine niedliche Ergänzung, indem sie schreibt: Ueber die Legende des„herzlichen Empfanges" der Bourgeois- gesellschaft bemerkt die Moskauer„Rabctschaja Gazctta" scherzhaft, daß das Moskauer Straßenpublikum, das über die Ankunft„der hohen Herrschaften" nicht informiert war, in ihnen, als ihre Aulo- reihen vorbeifuhren, wahrscheinlich irgendeine ausländische Arbeiter- delegalion vermutete und ihnen deshalb freundlich zuwinkte, was die argentinischen Herren(und die preußische Prinzessin. Red. d. V.) als ein Zeichen besonderer Sympathie für ihre Person auffaßten. Von einer Festvorstellung in Leningrad und von feierlichem Empfang durch den Moskaper Sowjet haben wir in den genannten Blättern nichts gefunden. Aber es ist sogar möglich, daß sich die Bour- aeoisgescllschaft in Leningrad eine Extravorstellung bezahlt hat. Es ist sogar sehr möglich, daß die Moskauer Stadtbehörden die argeMinischen Kapitalisten empfangen haben, wie solche Empfänge auch in den ausländischen Sowjetbot- schaften nichts Außergewöhnliches sind. Also die Bolschewiki empfangen ausländische Kapitalisten und mit ihnen eine mitreisende Zollernprinzessin auf das freundlichste, während sie Vertretern der deutschen fozialdemo- pratischen Arbeiterpresse die Tür weisen. Mehr wurde nicht behauptet, und das wird von der„Roten Fahne" bestätigt. Daß man in Moskau hinter jedem Paradeaufzug eine— „ausländische Arbeiterdelegation" vermutet, gehört mit zum Bilde._ Gegen Zvan Zusth, der im Bölkerbundsgebaude den ungarischen Ministerpräsidenten ohrfeigte, sollte verhandelt werden. Er ist jedoch erkrankt. Die Verhandlung wurde vertagt.
Mus öem Reichstag. Beginn der parlamentarischen Arbeiten. Im Reichstage werden in der nächsten Woche die parlamen- tarischen Arbeiten nach der Sommerpause wieder aufgenommen werden. Am Montag, den 18. Oktober, versammeln sich bereits der Sozialpolitische Ausschuß, der Beamtenausschuß und der Rechtsausschuß, die auch noch an den folgenden Tagen Sitzungen abhalten werden. Am Dienstag, den 19. Oktober, treten der O st a u s s ch u ß und der Verkehrsausschuß zu- sammen. Bon den Reichstagsfraktionen hat bisher nur die demo- kratische Fraktion eine Sitzung anberaumt und zwar für Freitag, den 22. Oktober. Auch die Reichsratsausschüsse haben ihre Tätigkeit bereits wieder aufgenommen. vor üen sächsischen Wahlen. Grenzenlose Zersplitterung. Dresden . 15. Oktober. (Eigener Drahtbericht.) Mit Donnerstag nacht 12 Uhr ist die Frist zur Einreichung der Wahloorschläge sür die bevorstehenden Landtagswahlen abgelaufen. Die Zahl der ein- gereichten Wahllisten ist unverhältnismäßig groß. Im Wahlkreis Ostsachsen ist mit 13 Listen, zu rechnen. Reben der SPD. hat die Alte Sozialdemokratische Partei eine Liste ein- gereicht, neben den Kommunisten die USP., ferner die Deutsche Bolkspartei, die Deutschnationalen, Demokraten, Zentrum, Wirt- schaftspartei, Nationalsozialisten. Deutschsoziale, außerdem noch em Aufwertungs- und Sparerbund und der Zentralverband der Haus- und Grundbesitzer. Stauning unü üie öänischenöauernfaschisien Enthüllungen angekündigt. Kopenhagen . 14. Oktober. (Mtb.) 2luf einer politischen Ber- sammlung in Kopenhagen äußerte Staatsminister Stauning über die Selvstyre-Bewegung, daß sie eine Art F a s ch i s- mus sei und daß sie ihren Ursprung habe in den Angriffen der Konservativen und der Benstre-Preffe gegen die sozialdemokratische Regierung. In den nächsten Tagen würden aufsehen- erregende Dinge ans Licht kommen. Man werde nicht sanft mit den Personen verfahren, die an der Spitze dieser Bewegung ständen, die Uebergriffe gegen die Regierung versuche. Neuerdings sind auch die Führer der sogenannten„Grenzwehr", Thomas Wind in Döstrup und Kapitän Arildskov, verhört worden. Diese gaben an, daß die„Grenzwehr" 1000 aktive und passive Mitglieder zähle und daß sie am 17. Oktober bei Bredeoro«ine.größere Uebung abhalte. Justizminister Steincke hat dem dänischen König einen Dortrag über die Affäre gehalten._ Polen ist kein Werkzeug Englanüs. Zaleski erklärt, es gibt keinen antirussischen Block. Krakau . 15. Oktober.(MTB.) Einem Vertreter des hiesigen „Illuftrowany Kurjer Codzienny" gegenüber erklärte der Minister des Aeußern Zaleski, er besitze keine greifbaren Unterlagen dafür, daß ein von England aus geleiteter antirussischer Block bestehe, und stellte nachdrücklichst fest, daß niemals irgend jemand an Polen mit dem Borschlag herangetreten sei, an einem solchen antirussischen Block teilzunehmen oder aber selbst eine antirussische Aktion ein- zuleiten. Ende des Hungerstreiks in Kollbus. Der von den politischen Gefangenen des hiesigen Zentralgefängnisies kürzlich begonnene Hungerstreik ist gestern zu Ende gegangen. Die von den Gefangenen aufgestellten Forderungen sind nicht erfüllt worden. Renaudel scheidet aus dem„Ouoiidien" aus. In der Sitzung des sozialistischen Parteivorstandes ist ein Brief des Abg. Renaudel verlesen worden, in dem dieser ankündigte, daß er als Mitglied des politischen Rates der bürgerlich-radikalen Zeitung„Ouotidien" z u- r ü ck t r e t«. Renaudel gab als Grund für seinen Rücktritt das Fehlen eines einheitlichen Zusammengehens der Radikalen und der Sozialisten an.
Stunden mit firno holz. Von Rudolf Danke. Vater Zille, selbst Freund und Bewunderer des Schöpfers der „Dafnis-Lieder" und der atembenehmenden„Jgnorabimus"-Visionen, hatte mich mit Holz bekannt gemacht, und der Dichter schrieb:„Es wird mich freuen, wenn Sie auf meiner Ihnen ja bereits genugsam bekannten Bude mit einer Tasse Kaffee vorlieb nehmen wollten. Den von uns beiden verehrten Prächtigen, der so liebenswürdig war. uns zusammenzubringen, grüßen Sie, bitte, von mir herzlichst. Das klang in der Tat einladend und enthielt Farben, die vorweg das Charakterporträt des Mannes mallen. Später fand ich ein„herrschaftliches Haus": Treppenläufer er- freuten den Fuß— aber im dritten Stock hörten sie auf, im viekten Stock auch das Licht— und im fünften, wo sonst Waschküche und Trockenboden liegen— mal was anderes: Arno Holz ' Schriftzüge als Schild an seinem Quartier.— Immerhin, nicht unwesentlich schien mir diese Exposition, dieweil der Besuch bei einem großen Mann an seiner Haustür beginnt. Um weiter zu ihm vorzudringen, bedarf es weder der Gunst des anmeldenden Dieners noch eines gebührend langen Wartens im Vorzimmer, denn der Dichter erscheint selbst, und in seinem„Kommen Se'rein" liegt Herzlichkeit. Auf dem Gaskamin brodelt das Kaffeewasser. Derweil sich Holz mit der Zubereitung des Allahtrankes beschäftigt, stehe ich unter der Suggestion des Raumes, einer mittelalterlichen Klosterzelle nicht unähnlich und auf Askese abgestimmt. Einprägsam des Dichters Kopf mit dem statuenhaften Schwung des zurückgebürsteten grauen Haares. Wie eine nervöse Libelle das Augenglas, leicht zitternd, wenn die Worte später im Raketenflug hochschießen. Und dazu bedarf es gar keines besonders erregenden Anlasses— da genügt schon die Nennung eines Namens, um des Dichters verbissene Heiter- keit— etwa rm Stil« der„Blechschmiede"— aufsprühen zu lassen. und eine sachlich wie rhetorisch vollendete Leistung ist jedes seiner Urteile, seiner Resumes. Wir sprechen von seinem Weltepos, dem„Phantasus ", jener literarischen Wunderblume im Garten der deutschen Sprachschöpfun- gen, die aus einem dünnen Heftlein 1898 über das Äuchungeheuer des Inseloerlages 191k nun in seinen„Werken" im I. H. W. Dietz- Verlag zu drei ansehnlichen Bänden angewachsen ist. Sieben Billionen Jahre vor meiner Geburt war ich eine Schwertlilie. Wie Zeilen aus des Herrgotts Regiebuch und dann wieder wie dos Riesengebet eines Geistigen fügen sich die Rhythmen, die Bisionen... „Hier an dieser Tischplatte"— sie entbehrt regelrechter Beine und ist dafür über zwei Stuhllehnen gelegt—„habe ich den größten Teil, das will heißen: nahe an tausend Seiten geschrieben. Und wenn ich es nochmal durcharbeiten könnte, es würde auf Grund dessen, was ich in den zwei Iahren an der Arbeit gelernt habe, manches noch klarer herauskommen. Zu verdenken ist es nicht, wenn etwas insoige der fortgesetzten Anspannungen und dann in der Hölle des Korrekturenlesens übersehen worden ist. Aber wer gibt mir die Zeit, die Mittet, um schaffe» uud lebe» zu tön»«»."
Holz eilt zur Tür, wo an der Erde aufgestapelt seine Bücher liegen, schleppt Pappkartons an den Tisch, stülpt ein« Anzahl Bände heraus. Seine Hände wühlen gleichsam in den Büchern, von denen er immer wieder eins aufhebt und dröhnend auf die Tischplatt« wirft. Wie ein zürnender Zeus steht er da, wenn er ausruft:„Aber mich liest ja keiner! Man arbeitet eben auf einer höheren Welle, wo man nicht mehr vernommen wird." Als ich meine Zustimmung über den gelungenen ZZergleich äußer«, unterstreicht er das nochmal:„Natürlich ist es Wellenangelegenheit— na populär gesprochen: Der Ochse ver- steht eben die Nachtigall nicht." Und nun kommt Holz in Wallung, zerrt das Sitzkisjen seines Polsterstuhles hoch, aus dem— mit Respekt zu sagen— das Seegras quillt:„Hier— so sieht's aus, nachdem man 40 Jahr« lang gearbeitet hat, und heute bin ich 63. 2lber wie sagte doch der Junge: es geschieht meinem Bater ganz recht, wenn mir die Hände erfroren sind— warum kauft er mir kein« Handschuhe." Die Gewalt seiner klaren, scharf akzentuierten Stimme erfüllt den Raum: dann schwenkt er plötzlich um:„2lb«r was quasseln wir davon, erzählen wir uns doch was anderes!"— Indessen des Dichters Ge- dankengänge alle andern Themen beiseite zwingen.„Die Völker haben sich ja all« so verhalten, und es ist Naturgesetz, daß das Oberflächliche zuerst unterkommt. 2lber nach hundert Iahren heißt es einmal: Denn er war unser! Sehen Sie die ganze spanische Literatur an— «in Name ist geblieben— Cervantes — und von ihm auch wieder nur ein Werk—„Don Ouixote!" Aber da redet man: Das Genie bricht sich selber Bahn. Was weiß die Welt von Genie, von Bahn. He, Ober, noch'n Kotelett— damit geht man zur Tagesordnung über." Später gibt sich Holz Mühe, mir die Gesetz« seiner Wortkunst zu erläutern. Feierlichkeit ist im Zinnner, wenn er zwischendurch, um sich deutlich genug zu machen, ZZerje spricht, von der Resonanz der Dachbodenwänd« begleitet.... Als der Dichter nach drei Stimden hastig aufspringt, weil die Zeit seines außerhäuslichen Abendessens längst heran ist, wird dieser Eifer gleichsam zum Ariadne-Faden, an dem man sich aus dem Labyrinth der Stimmungen zurückfindet. 2lbschiednehmend streift das Auge: Tisch— Ofen— Bett— ein paar Bilder— einen Lorbeerkranz. Aber man nimmt etwas von dem immer wieder ermutigen- den, naturgewollten Höhenbewußtsein dieses Großen mit— Der überm fauligen Tag, sein Gesicht Wundern zugekehrt» magischer Farben , Brunst mit des Geistes„Eooe" mischt..,
Richard Strauß dirigiert. Bei Kroll. Als er an dem Diri- gentcnpult erscheint, erhebt sich das Publikum spontan und grüßt den Musikmeister unserer Zeit. Und das war er und ist es geblieben. Keiner, der nach ihm so vollendet den Ton des Zeitalters traf, der einer Gesellschaft von gestern so bezeichnend den Spiegel vorhielt. Der blendendste Unterhalter zudem und im Kunsthandwerklichen ein Genie. Gestern dirigiert« er die„Salome " wie ein Weiser, ein Feld in der Brandung der Primadonnenslut, ruhig, genau, nicht ohne Leidenschaft, herrlich das Orchester mir der Bühne verbindend. Ei» paar Hundert ausländische Teilnehmer des Sexualkongresses
lauschten dem Spiel, das«inen Ausschnitt aus allen denkbaren Ka- piteln der Sexualforschung bildet. Hysterie, Erotik, Sexualität, So- domismus, Liebesselbstmord, Blutgier, Qual und Seligkeit der Liebe, Mordrausch— was alles steckt nicht verborgen und offen in diesem Wert der lodernden Sinnlichkeit. Man hört« ein« Aufführung, die in der Regie einige Extravaganzen zeigte(ohne Billigung zu finden), die aber Glanz erhielt durch die schönst gewachsene Salome der Göta Ljundberg. Ihre Stimme ist etwas scharf, in der Tiefe schwach, doch fesselnd durch ihr Timbre und noch am Schluß durch- haltend ohne Ermüdung, glänzend das tänzerische Spiel sowie die Haltung in der höchst intellektuell beherrschten Rolle. Neben ihr hatte nmh der torkelnde Herodes von Saht persönlichen Ausdruck. Beifall ohne Ende für die Salome und Strauß. K. S. Emil Ludwigs Reise durch Sowjelrußland. Auch Emil Ludwig ist unter die Rußlandentdecker gegangen. Da er nun einmal in Sowjctrußland war, so hielt er es für nötig, vor einem großen Auditorium im Blüthnerfaal eine Stunde lang bald geistreich, bald an der Obersläche plätschernd, über Sowjet- rußland zu plaudern. Er mag schon recht haben: Potemkinsche Dörfer wird man ihm nicht gezeigt haben. Man glaubte es ihm auch gern, daß er nur Erschautes und Erlauschtes seinen Zuhörern zum Besten gab. Aber auch Folgerungen und Schlüsse können Potemkinschen Dörfern gleichkommen, lind daß Emil Ludwig der Psychose der Rußlanddarstellung zum Opfer siel, ohne das Land früher gekannt zu haben und ohne die Möglichkeit zu besitzen, ver- gleichend vorzugehen, bedeutet sür ihn kein Ruhmesblatt. Im übrigen meinte er, Rußland sei Asien , die russischen bolschewistischen Rezepte mögen wohl für Rußland gut sein, keinesfalls jedoch für Deutschland . Die Versuche, die der Bolschewismus gemacht hat, sind trotzdem bewunderungswürdig, denn es herrscht eine neue Kameraderie. Jedr Mensch muß arbeiten. Jeder Arbeiter kann studieren, die Bauern haben es so gut wie nie zuvor. Desgleichen die Schriftsteller und Gelehrten. Die Museen sind auch des Abends oft geöffnet: Bon neuer Kunst merkt man aber nichts. Die Kauf- leute werden bestrast, weil sie Geld haben. Auf der Straße tragen alle Menschen Mützen. Die Kommunisten sind eine Sekte, mit den Jesuiten vergleichbor oder mit der früheren preußischen Adelskast«. Es herrscht militärischer Geist. Ob die bolschewistische Jugend die gleichen Führereigenschaften wie die Alten besitzen wird, erscheint zweifelhaft. Jedenfalls trinken sie bei offiziellen Festlichkeiten keinen Wodka. Das Geheimnis des Erfolges der alten Kommunisten liegt in der harten Schule, die sie durchgemacht haben. Zur Religion halten noch die Alten, nicht die Jungen. Es gibt zwei Heilige in Rußland : Lenin und Ford. Ueberhaupt wird da in höchst un- marxistischer Art Persönlichkeitskultus getrieben. Sowjetrußland ist im höchsten Grade nationalistisch usw. Und zum Schluß: Deutsch- land wird in Rußland sehr hoch geschätzt. Ein Bündnis Deutschlands mit Rußland widerspricht nicht einem Bündnis Deutschlands mit Frankreich . Westeuropa wird sich vielleicht entradikalisieren. So werden beide zusammenkommen. Denn auf dem Banner Sowjetruß- lands steht:„Proletarier aller Länder vereinigt euch"— Also waren alle Anwesenden zufrieden. Die einen lasen in den Worten des Vortragenden Berachtung für Sowjetrußland, die anderen größte Hochachtung, und jeder konnte sich seine Potemkinschen Dörfer bauen. L.R.