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Abendausgabe

Nr. 493 43. Jahrgang Ausgabe B Nr. 244

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Vorwärts

Berliner Dolksblatt

10 Pfennig

Dienstag

19. Oktober 1926

Berlag und Anzeigenabteilung: Geschäftszeit bis 5 Uhr Berleger: Borwärts- Berlag GmbH. Berlin SW. 68, Lindenstraße 3 Fernsprecher: Dönhoff 292-297

Zentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands

Das Freihandelsmanifest der Unternehmer

Internationale Wirtschaftssolidarität- auf den Wegen der Arbeiterschaft.

Das wiederholt angekündigte Manifest der Führer der Privatwirtschaft von 16 Ländern für den Freihandel liegt nunmehr vor. Es wendet sich mit großer Schärfe gegen die verheerenden Folgen der gegenseitigen Absperrung der Bölker. Die Kundgebung der internationalen Unternehmer für den internationalen Freihandel bedeutet den Sieg eines Gedankens, der von der Arbeiterschaft bereits vertreten wurde, als ein großer Teil der Unterzeichner dieses Manifests noch in den beteiligten Ländern dieselbe Hochschutz­zollpolitik betrieb, die jetzt verurteilt wird! Die Sozial­demokratie hat sich im Heidelberger Programm ent­schieden für den Freihandel und die Schaffung der europäischen Wirtschaftseinheit ausgesprochen, der Internatio­nale Gewerkschaftsbund in Amsterdam anläßlich der letzten Zolldebatten auf seiner Tagung fest,

daß in der Nachkriegszeit in allen europäischen Ländern in steigendem Maße eine protektionistische Handelspolitik getrieben wird, die die Völker gegeneinander abschließt, statt sie zu einen... Hiergegen erhebt der Internationale Gewerkschaftsbund in Amster: dam seine warnende Stimme und ruft die gewerkschaftlichen Landeszentralen seines Bundes hierdurch auf, in allen Ländern, die die Völker belastende Schutzzollpolitik zu bekämpfen, die Vermeh rung der Arbeitslosigkeit und Verteuerung der Lebenshaltung mit sich führt, und sich energisch dafür ein zusehen, daß ein allgemeiner Abbau der Zölle eingeleitet wird mit dem Ziel, einen einheitlichen Wirtschaftsverband zu schaffen, der die Aufgabe hat, die internationale Verteilung der Rohstoffe zu sichern, und der den freien Zugang zu allen Märkten der Welt sichert und damit jede illoyale Konkurrenz zwischen den Nationen durch Schwißsystem oder Dumping unmöglich macht."

Diese Kundgebung erfolgte im Herbst vorigen Jahres. Heute bekennen die Unternehmer, die in den Parlamenten der beteiligten Länder durch ihre Parteien diese Forderungen der Arbeiterschaft niederstimmen ließen, den gleichen Willen zum Freihandel. Wenn je, so hat sich hier wieder gezeigt, daß die politische Vertretung der Arbeiterschaft berufen ist, auf dem Gebiete der internationalen und der nationalen Wirtschaftspolitik führend zu sein und die furzfichtige Interessenwirtschaft der Kapitalisten und ihrer Berbände zurückzuweisen.

Kundgebung nicht herausgebracht, erst in endlosen For­ich ungen zu flären haben, ob man nun den internationalen Freihandel will oder nicht. Diese grundlegende Frage fann jetzt als entschieden gelten, und es bedarf lediglich der Zustimmung der Regierungen zu der programmatischen Arbeit, die durch die Stellungnahme der Arbeiter- und Unter­nehmervertreter vorgezeichnet ist. Viele unnötige Arbeit wird so vermieden und die Weltwirtschaftskonferenz wird bereits am Anfang sich mit der positiven Problem ftellung befassen fönnen, wie nicht mehr ob die nicht mehr ob die Niederreißung der künstlichen Zollschranken praktisch durch geführt werden kann. Auch dafür liegen bereits bedeutsame Borarbeiten vor.

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Für die internationale Wirtschaftsverständi­gung, die von der Sozialdemokratie seit jeher gefordert wurde, ist also ein großes Stück Bahn freigemacht worden. Die Arbeiterschaft hat also Anlaß, diese durch ihre unbeirrte internationale Politik mindestens geförderte, wenn nicht bewirkte Wendung der Unternehmergesinnung zu begrüßen.

Die internationale Rundgebung der Wirtschaftsführer von 16 Staaten hat den folgenden Wortlaut:

Um diese neuen Grenzen in Europa zu kennzeichnen und zu verteidigen, wurden Lizenzen, Tarife und Verbote eingeführt, deren Resultate sich für alle Beteiligten bereits als höchst nachteilig erwiesen. Der eine Staat verlor seine billige Nahrungsversorgung, der andere seine Belieferung mit billigen Waren, Industrien litten unter Kohlenmangel, Fabriken durch das Fehlen von Rohmaterialien. Hinter den Zollmauern wurden, ohne wirkliche ökonomische Grund­lagen zu haben, neue 2okalindustrien begründet, die infolge der Konkurrenz nur dadurch am Leben erhalten werden konnten, daß die Zollmauern noch höher wuchsen. Eisenbahntarife, die, von politischen leberiegungen beeinflußt, festgesetzt sind, mechen Transit­verkehr und Frachttransporte schwierig und teuer. Die Preise sind allgemein gestiegen und eine

fünftliche Teuerung

ist hervorgerufen worden. Die Produktion als Ganzes genommen ist zurückgegangen, die Kredite haben sich verringert und der Geld­umlauf hat abgenommen. Zu viele Staaten haben in Verfolgung

verfehlter Borstellungen von nationalem Inter=

effe ihren eigenen Wohlstand in Gefahr gebracht und die gemein­

samen Interessen der Welt außer acht gelassen, indem sie ihre fommerziellen Beziehungen auf die ökonomisch unsinnige Basis stellten. allen Handel als eine Form von Krieg zu betrachten. Daher fann feine Erholung in Europa eintreten, bis die Politiker in allen Ein Appell zur Beseitigung der Einengungen des Ländern, den alten und den neuen, sich darüber klar geworden europäischen Handels. sind, daß

Wir wünschen als Geschäftsleute die Aufmerksamkeit auf ge­wisse schwerwiegende und beunruhigende Zustände zu lenken, die, unserem Urteil nach, der Rückkehr zum allgemeinen Wohlstand im Wege stehen.

Man kann nicht ohne Bedenken mitansehen, in welchem 2us­maßarifbarrieren, Speziallizenzen und Verbote seit dem Kriege sich in den internationalen Handel einzuschieben und feinen natürlichen Ablauf zu behindern vermochten. In feiner Periode rährend der neueren Geschichte hat es der Handel not­wendiger als heute celobt, von solchen Einengungen frei zu sein, um der Handeltreibenden zu ermöglichen, sich den neuen und schwierigen Bedingungen anzupassen. Und zu feiner Zeit haben sich die Beschränkungen des freien Handels so gefährlich vermehrt, ohne daß man der daraus entstandenen ökonomischen Konsequenzen gewahr geworden wäre. Der

. Zusammenbruch von großen politischen Gebietseinheiten Innerhalb weiter Gebiete, deren Einwohner bis dahin ihre Pro: in Europa war ein schwerer Schlag für den internationalen Handel. dufte i freien Handel ausgetauscht hatten, wurden eine Anzahl neuer Grenzen errichtet, die durch Zollgesetze eifersüchtig gesperrt ten Gemeinschaften auseinanderreißen, deren Interessen untrennbar werden. Alte Märkte verschwanden. Rassengegensäge fonn­miteinander cerwoben waren. Eine nicht unähnliche Situation würde entstehen, wenn ein Staatenbund die Bande zerreißen wollte, die fie miteinander verknüpfen, und anfangen würde, den gegenseitigen fördern. Es kann kaum bezweifelt werden, daß unter diesen Um­Handel zu hemmen und mit Strafen zu belegen, anstatt ihn zu ständen der Wohlstand eines solchen Landes sich rapide vermin­

Im Namen der Unterzeichner fommt zum Ausdruck, daß es insbesondere die internationale Finanz, und unter ihnen an erster Stelle die 3 entralnotenbanken sind, die sich jetzt für den internationalen Freihandel einsetzen. Daneben ist aber unverkennbar, daß auch die internationale Konzernbildung zu dem Stimmungsumschwung des Unternehmertums beigetragen hat. Von dem schwedischen Zündholzmagnaten Ivar Kreuger über den Desterreicher Böhler bis zum Beherrscher des deutschen Stahltrusts, Gene­raldirektor gler, findet man gerade diejenigen Vertreter der internationalen Konzerne, die durch inter­nationale Zusammenballung der Industrie ein materielles Interesse an der Erschließung freier Abfazmärkte gewon­nen haben. Wie stark dieses materielle Interesse auch in anderen Ländern ein sehr starkes ist, geht daraus hervor, daß namhafte Vertreter der faschistenfreundlichen italienischen Indu strie, wie Fiat und Olivetti vom italienischen Industriever­band, ihre Namen unter das Dokument gesetzt haben, ebenso mie die Hochfinanz der hochschutzöllnerischen Bereinigten Staaten, einem Lande, in dem der Widerspruch zwischen seinen internationalen finanziellen Interessen und der nationalen Abschließung großer Märkte immer stärker zum Ausdruck Keiner will den Entwurf verantworten.

tommt.

Ueberbies fehlen unter den Unterschriften auch noch Namen mancher Industrieführer, von denen bekannt ist, daß fie persönlich für die internationale Berständigung feit langem tätig sind. So fehlt der Name Loucheurs. Es ist anzu­nehmen, daß sich der Rundgebung sehr bald eine große An­zahl anderer Persönlichkeiten anschließen wird, da die bis­herigen Unterzeichner nur eine Gruppe von Führern dar stellen, die bereits bisher größtenteils in der internationalen Handelskammer gemeinsam tätig waren.

dern würde.

Handel fein Krieg ist, sondern ein Auslaufchprozeß, und daß in Zeiten des Friedens unsere Nachbarn unsere Kunden find, und daß ihr Wohlstand eine Vorbedingung für unser eigenes Wohlergehen ist. Wenn wir ihren Handel behindern, vermindern wir damit auch die Möglichkeit, ihre Schulden abzuzahlen und unsere. Produkte zu laufen. Eingeschränkter Import bringt auch, Beschränkung des Erports mit sich, und keine Nation kann es fich leisten, ihren Exporthandel zu verlieren. Da wir alle von der Einfuhr und Ausfuhr von Waren abhängig sind, sowie von dem Prozeß des internationalen Güteraustausches, fönnen wir nicht ohne schwerwiegende Bedenken eine Politik mitansehen, die die Verarmung. Eurcpas bedeutet. Glücklicherweise sind Anzeichen vorhanden, daß endlich die öffentliche Meinung in allen Ländern zur

Erkenntnis diefer drohenden Gefahren gefominen ist. Der Völkerbund und die Internationale. Handelskammer sind am Werke, alle Formalitäten, Verbote Unausgeglichenheit in diesen Zuständen, außer in den Zolltarifen, und Einschränkungen auf ein Minimum zu reduzieren, um die zu beseitigen und Passagier- und Güterverkehr zu erleichtern. Ein­flußreiche Persönlichkeiten in einigen Ländern sehen sich für völlige der Abschluß von langfristigen Handelsverträgen vorge­ufhebung der 3olltarife ein. Von anderen Seiten ist schlagen worden, die in jedem Falle eine Meistbegünstigungsklausel enthalten sollen. Einige Staaten haben in fürzlich abgeschlossenen Berträgen die Notwendigkeit anerkannt, den Handel von allen nieder­auch andere, daß das drückenden Beengungen zu befreien. Und Erfahrung lehrt allmählich

Niederreißen der ökonomischen Hindernisse zwischen den einzelnen Nationen fich als sicherstes Heilmittel

Das Diktaturgesetz- eine Mystifikation?

Das Reichsinnenministerium rückt ab.

Die Veröffentlichung des Entwurfs zu einem Ausführungsgesetz| wurf eines Diftaturgefeßes loszuwerden, ist es nüßlich, sich an die über den Artikel 48 der Reichsverfassung und die vernichtende Borgeschichte unserer Enthüllung zu erinnern. Bereits Ende Kritif, die dieser Entwurf in der republikanischen Presse erfahren hat, scheint eine panische Flucht vor der Verantwortlichkeit für dieses Machwerk hervorgerufen zu haben. Das Reichsministerium des Innern läßt mitteilen, daß der veröffentlichte Entwurf nicht einmal ein Referentenentwurf sei, der zur Grundlage einer Besprechung der beteiligten Refforts gemacht werden könnte; auf unerklärliche Weise müsse der Gewährsmann der republikani­schen Blätter" in den Besitz einer Bor studie oder eines on 3eptes gekommen sein, daß er irrtümlich für den Referenten entwurf gehalten habe.(!) Und die Reichsregierung beeilt sich zu wurf dieser Art und dieses Inhalts befaßt sei, und falls im Reichs­ministerium des Innern ein derartiger Entwurf vorliegen sollte, dann stehe noch gar nicht fest, wie er im Reichskabinett behandelt

Kon­

Wenn die französischen Unterzeichner Bor­behalte gemacht haben, die die Bedeutung der Franken­fanierung in den Vordergrund stellen, so ist es durchaus ver­ständlich angesichts der Tatsache, daß alle vom Währungsversichern, daß fie felbft in feiner Weise mit einem Gefeßent schwund betroffenen Staaten gegen die fremde Konkurrenz besonders empfindlich sind. Die Frankenstabilisie rung ist ein notwendiger Bestandteil jeder internationalen Handelspolitik, die eine Gesundung der Märkte anstrebt.

Die praktische Bedeutung des Manifestes fann gar nicht überschätzt werden im Hinblick auf die Tatsache, daß das Unternehmertum in diesen außerordentlich wichtigen Fragen eine Stellung einnimmt, die die Arbeiterschaft längst vor= her befundet hat. Die vorbereitende Weltwirtschafts­fonferenz hat bekanntlich zum Studium der inter­nationalen Handelsfragen eine eigene Kommission eingesetzt. Die Kommission würde, hätten die Unternehmer die neue

werden würde.

Ueber den Inhalt des Referentenentwurfs selbst erklärt man, noch nichts fagen zu können, weil Inhaltsangaben von Refe rentenentwürfen herkömmlicherweise nicht früher veröffentlicht würden, als der betreffende Entwurf von den beteiligten Ressorts gründlich beraten sei.

Angesichts diefes famosen Verfuchs des Reichsinnenministeriums, die Verantwortung für den heute morgen von uns fritisierten Ent­

August nämlich famen die ersten Andeutungen in die Presse. Schon damals wurde, namentlich von der Frankfurter Zeitung ", auf einen Entwurf hingewiesen, dessen Inhalt off entsichtlich der gleiche ist, den wir heute morgen veröffentlichten. Schon damals war dem Minister diese Veröffentlichung peinlich. Er rückte von diesem Entwurf persönlich ab und ließ erklären( Borwärts", Nr. 408 vom 31. August), daß er ,, den Entwurf nur als Grundlage zu Ver­handlungen mit dem Reichswehrministerium und dem Reichsjustiz­minifterium" betrachte. Also schon damals gab das Ministerium zu, daß dieser Entwurf vorhanden, und nicht nur vorhanden, sondern auch Verhandlungsgrundlage sei. Kurz darauf wurde denn auch be­richtet, daß der Entwurf dem Reichsjuſtizministerium vorliege. Daraufhin richtete der Reichstagsabgeordnete Erkelenz am 12. Septem­ber eine Anfrage an das Reichsinnenministerium in dieser Sache, und erhielt zur Antwort, daß voraussichtlich der vom Ministerium aus­gearbeitete Entwurf im Laufe des September und Oktober vom Reichskabinett verabschiedet werden würde.

Das also ist die Geschichte des heute morgen veröffentlichten, vor zwei Monaten im Reichsinnenministerum vorbereiteten und in den Berhandlungen mit den beiden anderen Ministerien benutzten Entwurfes!