Rechtsdrehung 90°Linksdrehung 90°
 100%
 100%
 0%
 0%
 0%
 
Einzelbild herunterladen
 

Abendausgabe

Nr. 495 43. Jahrgang Ausgabe B Nr. 245

Bezugsbedingungen und Anzeigenpreise find in der Morgenausgabe angegeben Redaktion: Sw. 68. Lindenstraße 3 Fernsprecher: Dönhoff 292-297 Tel- Adresse: Sozialdemokrat Berlin

10 Pfennig

20. Oktober 1926

Vorwärts=

Berliner Dolksblatt

Ja

Verlag und Anzeigenabteilung: Geschäftszeit 82 bis 5 Uhr Berleger: Borwärts- Verlag GmbH. Berlin SW. 68, Lindenstraße 3 Fernsprecher: Dönhoff 292-297

Zentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands

Politischer Mord in Ostgalizien .

Ermordung des polnischen Schulkurators für Ostgalizien .

*

Warschau , 20. Oktober. ( Eigener Drahtbericht.) In Cem-| sehen, so sehen sich die Weißrussen und Ukrainer von slawi­berg fiel der Schulbezirkskurator Dr. Sobinsti einem politischen schen Brüdern" bedrückt. Sind doch, wie aus zahllosen Sejm Attentat zum Opfer. Von zwei ukrainischen Studenten wurde anträgen und anfragen der Weißrussen hervorgeht, er am Dienstag nachmittag 6 Uhr durch zwei Revolverschüffe ihre Schule n so gut wie vollständig unterdrückt und deren getötet. Der Beweggrund zu dem Mord liegt in einer Broschüre Lehrer fast ausnahmslos um Stellung und Verdienst ge­Dr. Sobinskis, in der er die Ansprüche der Ruthenen( Ukrainer ) auf bracht. Und im ukrainischen Ostgalizien , das Polen nur fraft schulpolitischem Gebiet bekämpfte. seiner offupierenden Militärmacht befizt, herrscht ebenso wie in Cholm und Podolien der reine Kriegsabsolutismus. Ist doch z. B. erst vor wenigen Tagen selbst in Lemberg eine Kon­ferenz der ukrainischen Sozialdemokraten und Agrarfozia­listen von der Polizei als Kommunistentagung" auseinander­gesprengt worden, was allerdings die bald danach vollzogene Bereinigung der beiden Parteien nicht gehindert hat. Ohne daß etwa die Kommunistische Partei durch Gesetz in Polen verboten wäre, wird ihr jedoch jede legale Betätigung ver­wehrt, sie also zur Illegalität gezwungen, auf die wieder schwere Strafen gesetzt sind und die naturnotwendig der Lock pigelei ein reiches Betätigungsfeld gibt. Daran fehlt es auch abgefägte, letthin genaue Angaben darüber veröffentlicht, in Oberschlesien nicht; hat doch gerade Korfanty, der Viel­welchen Hauptanteil Bolizeiferle an den Bombenatten taten usw. in der Wojewodschaft Kattowiz haben!

Dieses neue Attentat wird wieder einmal das Interesse für die Minderheitsvölker des polnischen Staates erwecken. Was zunächst die Behandlung der Deutschen anbelangt, für die ja auch der Kattowizer Prozeß ein Symptom war, so hat erst jüngst der Schweizer Vorsitzende der Oberschlesien­fommission, Altbundespräsident Calonder, die polnischen Maßnahmen als vertragswidrig verworfen, die möglichst viele deutsche Kinder, selbst unter Fälschung des Willens der Eltern, deutschen Schulen entziehen sollten, um dann diesen Schulen ,, mangels Bedürfnis" den Garaus machen zu können Siedlungsgebiet von Lodz eifrig versucht worden ist, nur daß ein Verfahren, das übrigens auch in dem alten deutschen die Minderheit dort nicht den Schutz Calonders oder des Völkerbundes anrufen kann.

-

Nun hat die polnische Regierung, häufigen Versprechungen gemäß, eine besondere Minderheitsfommission ein gefeßt. Man wird ja sehen, was dabei herauskommen wird. Die Welt hat so nach und nach gelernt, daß die aller­meisten Kommissionen nur Verschleppungszwecke haben. Ziem­lich gleichzeitig haben die Nationalparteien der Minderheits­völker im Sejm eine Art Zweckverband gebildet, um zunächst durch ein gemeinsames Pressebureau dem Ausland die Beschwerden der Minderheitsvölker Polens vorzutragen. Die bittersten Klagen hört man von den östlichen Minder­heitsvölkern Bolens. Ist es für die Deutschen Westpolens schmerzlich und erbitternd, von Deutschland losgeriffen zu sein historisch allerdings, aber menschlich desto weniger berech und nur allzu oft ihre Beschwerden mit dem höhnischen, tigten Hinweis auf die brutale Germanisierungspolitik der verflossenen königlich preußischen Herrschaft beantwortet zu

|

=

Gerade weil der moderne Sozialismus immer gefordert hat, daß das polnische Bolt seine staatliche Selbständigkeit wieder erhalte, und weil wir Sozialdemokraten dem polni schen Bolt wünschen, daß es seine Freiheit für immer ge­wonnen haben möge, verwerfen wir eine polnische Minder­heitenpolitik, die gerade die territorial gefchloffen siedelnden Litauer, Weißruffen und Ukrainer zwangsläufig zu Irredentisten macht, da neben ihnen das gleiche Volf im eigenen Staat lebt, frei von andersnationaler Unter­drückung. Was aber die Behandlung der Deutschpolen an­belangt, so können ihre Beschwerden nicht damit erledigt werden, daß die Deutschen in Polen nicht ein geschlossenes dings Preußen seine selbst anerkannten Schulverpflichtungen Siedlungsgebiet darstellen, und auch nicht daran, daß aller­gegenüber der polnischen Minderheit in Westoberschlesien und Südostpreußen noch nicht genügend erfüllt.

Die Bedeutung von Thoiry.

Jouvenel sucht sie zu verkleinern.

Deshalb ist es vielleicht gut an den Wortlaut des offiziellen Kommuniques zu erinnern, das un­mittelbar nach dem Frühstück in Thoiry von Briand und Stresemann herausgegeben wurde:

,, Im Verlauf dieser Unterhaltung prüften sie der Reihe nach alle ihre beiden Länder interessierenden Fragen und suchten ge­meinsam nach den geeignetsten Mitteln, um die Lösung diefer Fragen in deutschem und französischem Interesse und im Geiste der von ihnen unterzeichneten Vereinbarungen sicherzustellen. beiden Minifter brachten ihre Auffassungen über eine Gesamtlösung Die der Fragen in Einklang, wobei sich jeder von ihnen vorbehielt, seiner Regierung darüber Bericht zu erstatten. Wenn ihre Auf­faffungen von ihren beiderseitigen Regierungen gebilligt werden, werden sie ihre Zusammenarbeit wieder aufnehmen, um zu den gewünschten Ergebnissen zu gelangen."

Paris , 20. Oftober.( Eigener Drahtbericht.) Im Matin" er-| redung Briand- Stresemann als möglichst bedeutungslos und greift Senator Henri de Jouvenel zum erstenmal wieder sett unverbindlich hinzustellen. seinem Rücktritt vom Amte des Oberkommissars in Syrien das Wort. Es ist charakteristisch, daß dieser erste Artikel des Chefredakteurs des Matin" der Politik von Thoiry gewidmet ist. De Jouvenel erklärt, in Deutschland übertreibe man die Bedeutung von Thoiry ungeheuer. Er unternimmt es deshalb, auf Grund seiner Kenntnis der Charaktere Briands und Stresemanns", das Gespräch auf seine richtige Bedeutung zurückzuführen. Er erklärt, Stresemann habe in der Unterhaltung zuerst begonnen, genauer zu werden. Briand habe ihm glücklich zugehört, habe nicht ja und nicht nein gesagt. Er habe die Möglichkeit einer Disfuffion gesehen, habe sich aber sofort überlegt, was die einzelnen Regierungen und die öffentliche Meinung Europas dazu sagen werden. Das Wesentliche set in seinen Augen gewesen, daß Stresemann anerkannt habe, daß, wenn er viel verlange, er auch einiges geben müsse. Man sei sich schließlich, so versichert de Jouvenel, einig geworden, daß es beffer sei, zusammen zu frühstücken, als sich zu befriegen. Dann sei jeder zufrieden nach seiner Seite abgegangen. Stresemann habe von der Unterhaltung das zurückbehalten, was er selbst dabei gefagt habe. Im Ministerrat habe Briand dann seine Unterhaltung erzählt, einer der Minister habe drei kleine Bemerkungen eingeworfen und Poincaré have Briand gedankt und erklärt, daß seine Mittei lungen sicherlich zu ernstem Nachdenken Anlaß seien.

Um seine Auffassung zu erhärten, daß die Bedeutung von Thoiry übertrieben werde, berichtete de Jouvenel von einer Unter redung zwischen Briand und einem Gemeinderatsmitglied feiner Heimat. Hier habe Briand in zwanglofer Unterhailung erflärt, von den 16 deutschen Milliarden müsse man zuerst die erste wirk lich in Aussicht haben. Es sei noch gar nicht festgelegt, es sei noch nicht einmal in flaren Worten die Forderung nach der Räumung des Rheinlandes gestellt worden. Aber welches Intereffe habe Frant reich denn, fünf Minuten länger am Rhein zu bleiben, wo man dody von dort fortgehen müsse? Briands ländlicher Unterhaltungspartner habe erklärt, die Handlungsweise Briands sei durchaus richtig, wenn er einem deutsch - französischen Duett ein volles Konzert aller europäischen Nationen vorziehe; mit Deutschland müffe man doch wohl noch ein wenig vorsichtig sein Ich weiß nicht", schließt de Jouvenel seinen Artikel, was Briand darauf geantwortet hat. Aber haben Sie nicht gemerkt, daß die deutsch - französischen Unterhaltungen fich ein wenig in die Länge ziehen?"

**

Bielleicht erkundigt sich der Senator de Jouvenel beim französischen Ministerpräsidenten, wer der Urheber dieser offiziellen Verlautbarung gewesen ist.

minister ihren Kabinetten Bericht erstattet und beide sind Inzwischen haben, wie angekündigt, die beiden Außen­beglückwünscht worden. Danach müßte man annehmen, daß man mit der Verwirklichung des Programms von Thoiry beginnen fönnte. Wenn Jouvenel meint, daß sich die Dinge gar zu sehr in die Länge zu ziehen scheinen, so fann man ihm nur beipflichten. Andererseits muß auch vor gewissen Quertreibereien gewarnt werden, die sich in beiden Ländern gegen die Politit von Thoiry bemerkbar machen. Dazu gehört u. a. die kürzlich vom selben Jouvenel erhobene Forderung eines abermaligen Anschlußverbotes, einer neuen Garantie der deutschen Ostgrenzen und dgl. Der heutige Versuch Jouvenels, die Besprechungen von Thoiry als unverbindliche Bagatelle hinzustellen, wird zwar große Freude bei den deutschen Nationalisten erwecken, die sich jetzt auf das Zeugnis eines Mitgliedes der französischen Völkerbunds­delegation berufen können, er entspricht aber feineswegs den Tatsachen und wohl auch nicht den Ansichten Briands.

Ein diftaturtreuer Taschendieb. Einige Teilnehmer einer Batriotenliga"-Bersammlung in Barcelona ließen einen anderen Teilnehmer verhaften, weil er einen Anschlag auf den Ministerpräsidenten plane. Borher verprügelten fie ihn erft. Auf Wenn es auch richtig ist, daß manche Kreise in Deutsch der Polizei konnte der Angeschuldigte beweisen, daß er ein ehr­land geneigt sind, die Bedeutung der Unterredung von Thoirnicher und friedlicher Bürger und trotzdem Mitglied des Batrioten­verbandes ist. Seinen Angeber aber erkannte man insofern zu übertreiben, als sie sich bezüglich des Tempos Dieb und fand eine Anzahl Messer, Gabeln, Löffel und der Entwicklung Illusionen hingeben, so find zweifellos in Likörgläser in seinen Taschen, die er aus dem Festsaai ent­Frankreich Kräfte an Werke, die bestrebt sind, die Unter- wendet hatte.

als

Internationale Sozialpolitik.

Die Pionierarbeit der Sozialdemokratie. Das Bedürfnis, den Arbeiterschuh nicht nur im eige= nen Lande zu regeln, sondern dahin zu wirken, daß dieser Schutz auch in anderen Ländern durchgeführt wird, wurde schon frühzeitig erkannt. Bereits Robert Owen bemühte fich, die Regierungen der Länder der heiligen Allianz davon zu überzeugen, daß die gleichmäßige Verkürzung der Arbeits­zeit und die allseitige Annahme des in seinen Betrieben durchgeführten Arbeiterschutzes wirtschaftliche Schädigung für tein Land bringen könne. Jedem Lande würde im Gegenteil der höhere Arbeiterschutz zugute kommen und die Volkskraft im allgemeinen hätte davon Nuzen. Die Regierungen zeigten kein Verständnis für diese von Owen aufgestellten Forderun­gen. Es zeigte fich schon damals, daß Sozialpolitik im eigenen Lande und auf internationaler Grundlage nur zu verwirk­lichen ist, wenn starte gewerkschaftliche und poli tische Kräfte der Arbeiterschaft dahinter­stehen.

des Arbeiterschutzes und des Arbeitsrechts regeln, find daher Die Beschlüsse, die auf internationaler Grundlage Fragen noch jüngeren Datums. Einheitliche Befchlüsse von größerer baues des internationalen Arbeiterschußes gewertet werden och jüngeren Datums. Einheitliche Beschlüsse von größerer Bedeutung, die als Ausgangspunkt eines systematischen Aus­fönnen, wurden erst 1906 in Bern gefaßt. Erst nachdem die rung aufgestellt hatte und der politische Wille zu seiner Ver­Sozialdemokratie auf internationalen Kongressen die Forde­wirklichung dahinter stand, fonnte die Idee greifbare Formen annehmen. Fortschrittlich gesinnte Sozialpolitiker verschiede­ner Länder schlossen sich 1900 in einer Bereinigung für matischer Weise die öffentliche Meinung und die Regierungen gefeßlichen Arbeiterschutz zusammen, um in syste= für eine internationale Regelung bestimmter Fragen des Arbeiterschutzes zu beeinflussen. Diese Vorarbeit führte dann fchließlich 1906 zur Annahme zweier Internationaler ventionen über das Verbot zur Verwendung weißen lebereinkommen, den sogenannten Berner Kon Bosphors in der Zündholzfabrikation und das Berbot der deren Annahme für 1914 vorgesehen war, tamen infolge des Bosphors in der Bündholzfabrikation und das Berbot der Machtarbeit für Frauen. Weitere Uebereinkommen, Kriegsausbruchs nicht zur Annahme.

Der Forderung und dem unablässigen Drängen der orga­nisierten Arbeiterschaft aller Länder ist es schließlich gelungen, beim Friedensschluß zu erreichen, daß im Teil XIII des Friedensvertrages zum ersten Male in Friedensverträgen

-

Bestimmungen über den Arbeiterschuß und seine internationale Regelung aufgenommen worden sind. Die endgültige Form, in der die Wünsche der organi­fierten Arbeiter verwirklicht wurden, erfüllte bei weitem nicht alle Hoffnungen. Aber die Tatsache, daß überhaupt der Teil XIII Bestandteil des Friedensvertrages werden konnte, ist von welthistorischer Bedeutung.

Die Internationale Arbeitsorganisation mit dem Internationalen Arbeitsamt in Genf ist auf Grund dieser Bestimmungen errichtet worden. In ihr sind neben den Regierungen der 56 Staaten des Bölker­bundes auch die gewerkschaftlich organisierten Arbeiter und die organisierten Unternehmer vertreten. Hier ist jetzt das geistige Zentrum für internationale Sozial­politik, hier sind die Triebkräfte, die sie immer weiter vor­amtes besteht in der Vorbereitung der jährlichen Arbeits­wärts treiben. Die Hauptaufgabe des Internationalen Arbeits­konferenz, des Weltparlamentes für internationale Sozial­politik, das die internationalen Uebereinkommensentwürfe über Arbeiterschutz und Arbeitsrecht diskutiert, formuliert und beschließt.

Bis jetzt liegen 24. folcher Uebereinkommensentwürfe vor. Ein ermutigender Anfang internationaler Sozialpolitik. Aller­dings nur ein Anfang. Denn leider bilden diese angenom­menen Uebereinkommensentwürfe nicht ohne weiteres ver­müssen diese Entwürfe erst noch ratifizieren, d. h. durch bindliches, internationales Recht. Die angeschlossenen Staaten ihre gefehgebenden Körperschaften annehmen lassen, bevor sie verbindliches Recht für die Mitgliedsstaaten werden. Damit laffen sich aber verschiedene Staaten noch sehr viel Zeit. Diese Unvollkommenheit ist die Ursache für sehr viele Schwie­rigkeiten, die der Berwirklichung des Zieles der inter­nationalen Sozialpolitik im Wege stehen. Diese Schwierig­feiten zu überwinden, ist die besondere Aufgabe der organi­fierten Arbeiterschaft in iedem Lande. Sie muß von ihrer Regierung und ihrem Parlamente die Ratifizierung der Uebereinstommensentwürfe der Genfer Arbeitskonferenz ver­langen, dem erst die Ratifizierung durch die einzelnen Länder schafft das angestrebte, einheitliche, internationale Arbeitsrecht. Besonders bas für Uebereinkommen über den Achtstunden tag begegnet auf die Arbeiterschaft wichtige dem Wege feiner internationalen Annahme erheblichen Schwierigkeiten Es ist bisher nur von zehn Ländern rati­fiziert worden, und darunter sind noch drei, die diese Rati­fitation unter Vorbehalt machten. Gerade in diesen Tagen haben die Arbeitervertreter im Verwaltungsrat des Inter­nationalen Arbeitsamtes heftige Anklage gegen die in diesem Berwaltungsrat vertretenen Regierungen erhoben. Wir haben allen Anlaß, die endliche Ratifierung des Achtstundenabkom­mens auch durch Deutschland zu verlangen und alle Kraft dafür einzusehen, daß das vom Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbund verlangte Notgefeß über den Achi­stundentag zur Annahme gelangt.