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Nr. 49S 43. Jahrgang

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Einst und jetzt. Von Hugo Heimann . Weit und hoch hat sich die Sozialdemokratische Partei ihr Ziel gesteckt. Sie will, daß ein Geschlecht freier, glück» licher Menschen die Erde bewohnen soll, sie will eine Gesell» schaftsordnung, die weder Herren noch Knechte kennt, in der es keinen prunkenden Reichtum einzelner, keine bittere Rot der vielen mehr gibt, in der jeder in die Lage versetzt ist, nach seinen Fähigkeiten dem Ganzen zu dienen, und keiner, der etwas leisten will und kann, in erniedrigenden, menschen» unwürdigen Verhältnissen zu leben gezwungen ist. Die höchsten Grundsätze der Menschlichkeit zu verwirk- lichen, ist das Ziel der Sozialdemokratischen Partei. Darum sind ihr in den Jahrzehnten ihres Wirkens immer neue Mil» lionen von Mühseligen und Beladenen zugeströmt und haben sich mit ihr verbunden zum Kampf gegen alle Hindernisse, die der Machtwillc der Herrschgewohnten, der Eigennutz der vom Glück Begünstigten ihr in den Weg legten. Es gab eine Zeit sie liegt noch nicht weit zurück, in der, um das Grundlegende hervorzuheben, die Stimme des Staatsbürgers in Staat und Gemeinde nach der Fülle seines Geldbeutels gewogen wurde, und die weibliche Hälfte des Volkes vollkommen entrechtet war. Heute ist Deutschland eine Republik , in der alle Volks» genossen, Männer und Frauen, die gleichen politischen Rechte besitzen. Niemand kann leugnen, daß es dank dem Wirken der Sozialdemokratie vorwärtsgegangen sst und vor» w ä r t s g e h t, wenn auch für unsere Wünsche bei weitem nicht schnell und weit geeug. Um schneller vorwärts zu kommen, müssen wir unseren Einfluß auf Staat und Gesell- schaft dadurch zum entscheidenden machen, daß wir die Mehr- heit unseres Volkes von der Richtigkeit unserer Auffassungen überzeugen. Wir streben nach Macht. Denn unsere Macht ist die Macht des schaffenden Volkes selbst. Aber wir lehnen .den Gedanken ab, durch Gewalt unsere Herrschaf» aufm- -richten oder zu behaupten. Die großen Zlele des Sözicrfis- mus sind erst dann erreichbar, wenn sie von der Mehrheit des Volkes klar ins Auge gefaßt sind und diese Mehrheit ent- schlössen ist. den Weg zu ihnen mit uns zu gehen. Dazu rufen wir in dieser Werbewoche unsere Volksgenossen und Volksgenossinnen auf. Schritt um Schritt müssen unsere Ziele im Reich. Staat und Gemeinde erkämpft werden. Sind in Staat und Reich die einzelnen Schritte nicht immer klar ersichtlich, so ergreift die Tätigkeit der Gemeinde den einzelnen schnell und un- mittelbar. Hier liegen auch die Wege, die die Sozialdemo- kratie geht, die Etappen, die erreicht sind, klarer und offener selbst vor den politisch Indifferenten als unser Wirken in den verschlungeneren Verhältnissen von Staat und Reich. An unserer Arbeit, an unseren Erfolgen in der Gemeinde ist daher leicht aufzuzeigen, was die Sozialdemokratie im Inter» esse der werktätigen Bevölkerung geleistet hat. Die Sozialdemokratie ist sich klar darüber, ja sie begrüßt es als wichtigsten Ansporn zu weiteren Fortschritten, daß Ziele, die lange Zeit hindurch heiß erstrebt wurden, von dem Augenblick an, in dem sie erreicht sind, kaum noch oder nicht mehr gewertet wurden. Wie schnell verblaßt zum Beispiel die Erinnerung an jene Zeiten, in denen die einfachsten und selbstverständlichsten Betätigungen des kommunalen Lebens unendliche Weiterungen und Schwierigkeiten, ja erbitterte Kämpfe auslösten. Die Verlegung eines Druckrohrs, die Durchführung einer Straße, die Einrichtung einer neuen Straßenbahnlinie konnten, wenn überhaupt, stets erst nach langwierigen Verhandlungen mit den in Betracht kommen- den Gesellschaften, den zuständigen zahlreichen Kommunal- behörden und den staatlichen Aufsichtsinstanzen durchgeführt werden. Die Aufstellung moderner großzügiger B e- bauungspläne. die Schaffung zweckentsprechender Freiflächen erwies sich als vollkommen unmöglich. Jede Gemeinde stellte ihre Bebauungspläne lediglich in Rücksicht auf die eigenen Interessen auf, kümmerte sich nicht einen Deut um den Nachbar, und die in den Gemeindeverwaltungen ausschlaggebenden Grundbesitzer hatten nur Sinn dafür, die Grundrente innerhalb ihres Gemeindebereichs in die Höhe zu bringen. Verhandlungen auf dem Gebiete des Verkehrs» wesens waren, wie Oberbürgermeister Kürschner es wieder» holt ausdrückte,ein wahres Kreuz" für alle Beteiligten. Nicht nur weil hier den Dutzenden von Kommunen in der Großen Straßenbobngesellschaft" ein von einer Zentralstelle aus geleiteter, rücksichtsloser und illoyaler Gegenkontrabent gegenüberstand, sondern auch weil die Gesellschaft es verstau» den hatte, die Kommunen unter sich uneins und gespalten zu erhalten. D'e Einheitsgemeinde Berlin , in der ackt Stadtgemeinden, 59 Landaemeinden und 27 Gutsbezirke zusammengeschlossen sind, best-'tigte mit einem Schlage alle diese unhaltbaren Zustände. Sie wurde von der SoMaldemo- kratie als Ziel aufaestellt und erstrebt, als ein solches Ziel von allen anderen Parteien glattweg für eine Utopie erklärt wurde. Konnte die Forderung nach der Einheitsgemeinde rest- los verwirklicht werden, so sind zahlreiche Aufgaben, insbe- sondere auf sozialem Gebiet, nicht so gefördert worden, wie es nach unseren Wünschen hätte der Fall sein müssen. So tief bedauerlich das ist, kein objektiv Denkender kann der Sozialdemokratischen Partei daraus einen Vorwurf machen.

Die Unzuoerläfsigkeit der Kommunisten, die selbst beim Vor- handensein einerLinksmehrheit" stets ausbrechen, sobald es gilt, eine Verantwortung zu übernehmen und in dem der Gemeinde gesteckten Rahmen für die Aufbringung der be- nötigten Mittel zu sorgen, sowie die traurigen wirtschaftlichen Verhältnisse der Nachkriegszeit haben hier Schranken er- richtet, die bisher nicht zu beseitigen waren. Blickt man in» dessen einige Zeit zurück, so erkennt man, wie unaufhaltsam allen Widerständen zum Trotz sozialdemokratische Grundauf- fassungen auf allen Gebieten sich Bahn gebrochen haben. Vor verhältnismäßig kurzer Zeit noch verlacht und verspottet, haben sie sich heute in dein Sinne durchgesetzt, daß kein Gegner mehr wagt, ihnen mit den Einwänden von früher entgegen- zutreten. Gewiß stehen der Durchführung unserer Forde- rungen nach wie vor die materiellen Interessen der besitzen- den Klassen entgegen, und diese werden mit dem gleichen Eifer wie früher verfochten. Aber das Kampffeld ist überall zuunserenGunstenverschoben, und unsere Gegner

Die stzfalHllsiDc Gemeinde hl unsere Eurg

führen den Kampf zum Teil wider ihre bessere Ueberzeuguna, nur weil ihr materielles Interesse es ihnen gebietet. Das ist ein Fortschritt, der die Gewähr für den Sieg unserer Auf- fassungen in sich trägt. Dieser Sieg wird kommen, sobald es gelungen ist, die Mehrheit der Berliner Bürger von der Richtigkeit unserer Gemeindepolitik zu überzeugen. Bei der Zusammensetzung der Berliner Bürgerschaft, die zu einem großen Teil die gleichen kulturellen und materiellen Interessen hat, ein Ziel, weit weniger utopisch, als manches andere der bereits er- reichten. Möchte die Werbewoche eine wichtige Etappe diesem Ziel entgegen werden! Was ist zu tun? Von Ernst Reuter . Es ist richtig: Taten sind besser als Worte. Trotz- dem kann man für unsere jahrelange Aufbauarbeit, die wir in der Berliner Einheitsgemeinde als sozialdemokratische Fraktion geleistet haben, sehr wohl der Meinung sein, daß wir über sie viel zu wenig berichtet haben. Andere Städte sind Berlin in der Schilderung ihrer kommunalen Leistungen weit voraus, und wir haben keine Veranlassung, das, was in Berlin in den letzten Jahren geleistet worden ist, geringer einzuschätzen als die Leistungen anderer Städte. Es ist unverkennbar, daß durch alle Zweige der Berliner Verwaltungsarbeit in den letzten Jahren ein frischerer und lebendigerer Zug gegangen ist, daß man energi- scher und zielbewußter an die Lösung wichtiger Aufgaben heranging, als man es früher gewohnt war und als vielleicht auch früher möglich war. Es ist eine gewaltige Auf- h a u a r b e i t geleistet worden. Die R i e s e n w i r t- schaftsunternehmungen der Stadt sind jetzt auf einer soliden wirtschaftlichen Grundlage aufgebaut, die sozialpolitischen Leistungen zeigen mit ihren Riesenziffern von beinahe 200 Millionen Mark in dem laufen- den Etatsjahre die ungeheure Bedeutung, die die Verände- rung der politischen Verhältnisse für die minderbemittelte Be- völkerung gehabt hat. Auf dem Gebiete des Wohnungs- Neubaues ist endlich das Eis gebrochen und in diesem Jahre werden wir zum erstenmal, wenn auch nicht zufrieden sein, so doch sagen können, daß wir voran kommen. Wir hätten alle Veranlassung, viel mehr als wir es tun, darauf hinzuweisen, daß im Berliner Roten Hause die Hände nicht in den Schoß gelegt werden. Trotzdem bleibt aber auch für uns der Satz immer richtig, daß wichtiger als Worte und Agitation unsere Taten sind. Wir müssen uns darüber im klaren sein, was wir im Berliner Rathaus in den nächsten Jahren leisten wollen und leisten können. Wir werden die Konkurrenz in großen Versprechungen nicht schlagen, aber was wir versprechen, werden und müssen wir halten. Es gibt zwei große Aufgaben, auf die wir uns in erster Linie zu konzentrieren haben: AusbaudesVer- k e h r s und intensive Förderung des Wohnungsneu- b a u e s. Für die erste Aufgabe, für den Ausbau des Verkehrs haben wir nach jahrelangen Vorarbeiten jetzt durch den Er- werb der Hochbahn den letzten Schritt getan, der not- wendig war, um die Vorbedingungen für eine intensive Ent- Wicklung der Berliner Verkehrsmittel zu schaffen. Das Pro- gramm, das wir uns weiter zu stellen haben, ist klar und eindeutig: nachdem die drei großen Verkehrsunternehmungen, von einigen bedeutungslosen Kleinigkeiten abgesehen, im wesentlichen der Stadt gehören, müssen sie von uns a l s eine wirtschaftliche, betriebliche und tech- nische Einheit behandelt werden. Die organisatorische Arbeit muß geleistet werden, damit durch einheitliches Ar- betten in allen drei Unternehmungen durch Ersparnisse und

Zusammenlegungsmaßnahmen auf die rationellste und spar- samste Weise gearbeitet wird. Die vorübergehende Belastung. die uns der Ankauf der Hochbahn bringt, muß schon dadurch wieder ausgeglichen werden, daß wir die Verbilligungsmög- lichkeiten, die im gemeinsamen Arbeiten, in vereinfachter Ver- waltung, in der gemeinsamen Betriebsführung usw. liegen. voll ausnutzen. Im übrigen muß alle Energie auf den Aus- bau der Verkehrsunternehmungen gelegt werden. Die Straßenbahn muß in den nächsten Jahren ihre Verbin- düngen bis in die letzten Außenbezirke legen und im Innern der Stadt müssen die bekannten Schnellbahnbauten mit größter Energie gefördert werden. Ausreichende gute und schnelle Verkehrsmittel find für uns eines der wichtigsten Hilfsmittel zur Belebung des Wirtschaftslebens in dem großen Berliner Verkehrszentrum und zur H e b u n g des Lebens st andards der Arbeiterschaft. Da- durch wird die Freizügigkeit und Unabhängigkeit der Ar- beiterschaft gefördert, werden ihre gesundheitlichen Verhält- nisse gebessert und dadurch erst bekomint unsere Arbeit für den Wohnungsneubau Sinn. Am Schluß der jetzigen Wahl- Periode müssen wir zeigen, daß Berlin sich in dieser Beziehung in vier Jahren gewaltig entwickelt hat. Schon die Arbeiten, die jetzt im Gange sind, zeigen, daß wir auf dem rechten Wege sind. Die zweite Aufgabe und noch wichtigere als die erste ist der Wohnungsneubau. Endlich, zum erstenmal, sind wir in diesem Jahre ein Stückchen voran gekommen. Aber mit dem Erreichten können und wollen wir uns nicht zu- frieden geben. 14 000 Wohnungen reichen im Jahre nicht aus, wir müssen die Neubautätigkeit um ein Erheb- liches weiter steigern, westn wirklich eine fühlbare Abhilfe geschaffen werden soll. Hier liegen die Hauptschwie- rigteiten einmal auf deni Gebiete der Reichs- und Landes- Politik, von der wir abhängig sind, zum anderen bei u n- seren eigenen finanziellen Dispositionen. Ich wage die Behauptung, daß die Energie, die für den Bau von Spiel- und Sportplätzen und für andere gewiß nützliche Dinge aufgewandt worden ist. vielleicht- richtiger aus den Wohnungsbau hätte konzentriert werden müssen. Die Widerstände, die uns entgegenstehen, sind, wenn auch nicht ganz, so doch teilweise zu brechen. Unsere eigenetr finanziellen Dispositionen in der Stadt waren zu zaghaft und z u ängstlich. Auch andere Parteien, auf deren Mitarbeit wir ja angewiesen sind, begreifen allmählich, welch große politische und wirtschaftliche Bedeutung einer zielbewußten Förderung des Wohnungsbaues zukommt. Neue Wohnungen sind das beste Vorbeugungsmittel auf sozialpolitischem Gebiet. Die Elendshöhlen der inneren Stadt müssen verschwinden, es muß und wird erreicht werden, daß wir die Berliner Arbeiter- schaft in Wohnungen unterbringen, die uns trotz aller daraus entstehenden Lasten nachher Ausgaben für Kranken- Häuser, für Kinderverschickung und für alle möglichen an- deren sozialpolitischen Zwecke ersparen. Soziales Unter- stützungswesen ist sehr schön. Es ist ein ungeheurer Erfolg, daß heute auf diesem Gebiete mehr geleistet wird als früher. Aber wichtiger ist die vorbeugende, voraus- schauende Arbeit. Am Ende der Wahlperiode müssen wir beweisen können, daß Zehntausende von neuen Wohnungen entstanden sind und daß Hunderttausende in ihnen ein besseres und gesünderes Dasein führen. Doneben treten hundert Einzelheiten. Schon ändert der O st e n und Norden unserer Millionenstadt sein Antlitz. Es enfftehen Parkanlagen und Grünflächen, es wird endlich dafür gesorgt, daß auch in dem steinernen Häusermeer der Proletarierviertel mehr für die Gesundheit und für das Wohlergehen der Bevölkerung gesorgt wird als früher. 'Schon gibt es Stadtteile und östliche Vororte, die man heute kaum wieder erkennt, wenn man ihren heutigen Zustand mit dem früheren vergleicht. Wir dürfen nicht rasten, bis auch die proletarischen Stadtteile den früher reicheren westlichen Gegenden gleichgestellt sind. Wir müssen weiter von Stadt wegen alles tun, um das Wirtschaftsleben in Berlin zu entwickeln und zu för- dern. Schon ist von den ersten Anfängen unserer Arbeit am Kaiserdamm ein starker Impuls ausgegangen. Die nächsten Jahre müssen den Ausbau dieser Arbeiten bringen. Berlin , früher die Stadt der Hohenzollern und des Hofes, des Militärs und der hohen Bureaukratie, muß sich in das neue Berlin , in das Berlin der Wirtschaft und der Arbeit verwandeln. Unsere Stadt muß ent- sprechend den starken wirtschaftlichen Kräften, die in ihr tätig sind, nicht nur zu einem geistigen und kulturellen Zentrum des neuen Deutschland werden und unsere ganze Tätigkeit im Roten Hause muß darauf gerichtet sein, diese Entwick- lung zu fördern. Davon hängt für die Stellung der Berliner Arbeiterschaft ungeheuer viel ab, mehralsvieleglau- den, die wie die Kommunisten der Meinung sind, Ar- beiterinteressen vertrete man nur dann, wenn man sich um das Nächstliegende kümmere. Die wirtschaftliche Auf- wärtsentwicklung Berlins bedingt und erleichtert die wirtschaftliche und kulturelle Aufwärtsbewegung der Arbeiter- schaft. Eins ist nicht ohne das andere denkbar, und alles, was wir dafür tun, wirb uns direkt oder indirekt zugute kommen. Es gibt genug Arbeit in Berlin . Wir wissen auch, wo sie und wie sie zu leisten ist. Wir haben die gröbsten Schmie- rigkeiten überwunden. Wir wollen voran kommen und wir werden voran kommen.