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Nr. 50843. Jahrg. Ausgabe A nr. 259

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Donnerstag, den 28. Oftober 1926

Tirpitz und die Akten.

Wenn Tirpit eine Regierungserklärung inspiriert.

Der kaiserliche Großadmiral a. D. v. Tirpik hat sich von jeher| dung" gegen Tirpitz der Kopf abgetreten worden. In der Tat wirfte als Lehrmeister der Deutschen gefühlt. Dieser Lehrmeister ist nun diese Erklärung auf die Deffentlichkeit auch so, wie sie von ihren nicht verstummt, als sein Lehrgebäude zusammenstürzte und das deutsche Volk unter seinen Trümmern begrub. Als seinen lezten Dienst, den er seinem Baterlande erweisen" fonnte, schrieb er 1919 feine Erinnerungen", damit es aus der jetzt eingetretenen Bersumpfung und Zuchtlosigkeit sich zu einem neuen Leben in Ehren erhebe". Als seinen allerlegten Dienst ließ er 1924 die poli tischen Dokumente" erscheinen, damit das deutsche Volf seine Betörung durch die November- Männer volltommen abschüttele. Als neuesten aber wer weiß, ob als nun wirklich allerlegten

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Dienst ließ er vor einigen Wochen die Deutsche Ohnmachts­politif im Weltfriege" herausgeben, damit das junge Ge­schlecht in schonungsloser Erkenntnis vergangener Schwäche hart"

werde.

Für diese Erzieheraufgabe an seinem Bolle ist Alfred ven schonungslose Erkenntnis der Bergangenheit recht vor Augen zu führen, begnügte er sich nicht damit, Urkunden, die ihm gehörten, zu veröffentlichen. Er benutzte auch Dokumente, die nicht sein Eigentum waren.

Tirpik kein Mittel zu gering. Um dem jungen Geschlecht die

Nach dem Erscheinen der Dokumente wurde aus den Kreisen derer, die der Erzieherrolle des Herrn von Tirpitz am deutschen Bolle verständnislos gegenüberstehen und nicht wünschten, daß er Reichskanzler werde, behauptet,

Tirpitz habe fich amfliche Aften angeeignet und diese zu seinen Beröffentlichungen verwandt. Es war die Sozialdemokratische Fraktion, die am 17. Januar 1925 daraufhin eine Interpellation im Reichstage einbrachte. Die Antwort der Reichsregierung auf diese Interpellation wurde so gründlich und

sorgfältig vorbereitet, daß mehr als ein Jahr darüber hin­

ging, ehe sie erteilt wurde. Genau dreizehn Monate später, am 17. Februar 1926, verlas bei der Beratung des Juftizetats der

Reichstanzler Marg eine Erklärung der Reichsregierung. Es hieß

darin:

,, Eine Prüfung, ob die veröffentlichten Schriftstücke bei den genannten Behörden fehlen, hat folgendes ergeben:

Die aus dem Bereiche der Marineverwaltung abgedruckten Urkunden sind sämtlich bei den zuständigen Stellen vorhanden. Auch Schriftstücke aus dem Amtsbereich des Auswärtigen Aintes befinden sich mit einer Ausnahme in dessen Archiv... Hiernach fonunt eine widerrechtliche Aneignung, die zur Einleitung eines Er mittlungsverfahrens hätte Anlaß geben können, nicht in Frage. Eine straftrechtlich zu ahnende Bekanntgabe von Staatsgeheimnissen liegt nicht vor."

Ein Tirpizjünger, der Reichstagsabgeordnete Rapitänleutnant a. D. Treviranu s, erklärte damals in der Reichstagsdebatte, mit dieser Erklärung der Reichsregierung fei der Schlange der Berleum­

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Urhebern gedacht war: als eine Reinigung des Großadmirals von dem schweren Vorwurf der Attenunterschlagung und widerrechtlichen Aneignung. Dennoch blieb der Zweifel bestehen, ob nicht die Reichs­regierung, der Reichstag und die Deffentlichkeit wieder einmal ein Opfer der Regiefünfte eines Tirpik und feiner Schüler geworden sei. Nachdem es mun Tirpitz Tirpitz und seinen amtlichen und außeramtlichen Helfershelfern gelungen war, die Reichsregierung als Schild gegen Angriffe der Linken zu benutzen, glaubte er hinter der Deckung des amtlichen Dementis auf den ersten den zweiten Band der Dokumente folgen lassen zu können. Nachdem aber Tirpig einen neuen Angriff auf die hinters Licht geführte Deffentlich feit unternommen hat, ist es Zeit, noch einmal die Frage auf Die Geschichte der widerrechtlichen Attenbenutzung durch Lirps hat sich folgendermaßen abgespielt: Um die Jahreswende 1918/19 hat der Kapitän 3. S. a. D. Widenmann unter dem Vorwand, fie vor dem Zugriff der Spartakisten sichern zu müssen, für Tirpik wichtige

zurollen: Wo hatte Tirpig die Aften her?"

Aften an sich genommen und in feiner Wohnung untergebracht. Er hat sie dann Tirpiß, wohl aus eigenem Antrieb, zur Verfügung gestellt. Dieser hat die ihm übergebenen Originale zur Manuskript­herstellung benutzt, dabei selbst oder durch seine Helfershelfer die Originalurfunden mit der Schere zerschnitten und dem Manuskript einverleibt. Als in der Deffentlichkeit der Borwurf erhoben wurde, daß Tirpitz widerrechtlich in den Besitz der Alten gelangt sei, find die Akten wieder zufammengeleimt und in das Marinearchio

zurückgeschafft

worden. Daher fonnte dann die Reichsregierung erklären, daß die

Aften alle vorhanden seien.(!) Die damals amtierende Reichs

regierung hat also amtlich, auf Anstiften des Marinearchivs und des Reichswehrministeriums etwas erflärt, was zwar nicht falsch war,

aber wesentliche, für Tirpik, ungünstige Umstände verschwieg.

Das Reichskabinett war irregeführt werden und die Reichsregierung führte daraufhin den Reichstag und die Deffentlichkeit irre. Der Vorwurf der widerrechtlichen Artenbenugung war also vollauf berechtigt gewesen. Nur die Tatsache, daß über ein Jahr zwischen der Anfrage der sozialdemokratischen Fraktion und der Antwort der Reichsregierung verging, hat es Tirpik und seinen Helfershelfern ermöglicht, das amtliche Eigentum zurückzugeben. Der Vorwurf der widerrechtlichen Attenbenutzung bleibt auf Tirpig haften. Pathetisch rief Treviranus am 17. Februar 1926 im Reichstag über Tirpiz aus: Es wird die Spur von seinen Erden agen nicht in 2leonen untergehen." In der Tat, die Erinne­rung an die Tirpitzsche Baltenbiegetun st wird dem deut­schen Bolte bleiben wie die Erinnerung an einstigen Ruhm und Größe. Tirpitz Erzieheraufgabe am deutschen Bolte aber ist wohl nun endgültig ausgespielt.

losenfürsorge statt. Der Unterausschuß des Reichstages wird am

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Bostichedtonto: Berlin 37 536 Bankkonto: Bank der Arbeiter, Angeftelten und Beamten. Wallftr. 65; Diskonto- Gesellschaft. Devoktentaffe Lindenstr. 3.

Wider die Reaktion!

Bon Philipp Scheidemann .

,, Dieser Aufsatz ist mit Erlaubnis des Herausgebers dem ersten Heft der von Dr. Joseph Wirth heraus­gegebenen und am 1. November zum ersten Male er­scheinenden republikanischen Wochenschrift Deutsche Republik" in gefürzter Form entnommen.

Je unwissender die politischen Führer der ,, nationalen" Geheimorganisationen sind, desto vernichtender fallen ihre Urteile über die Republik aus. Je weniger sie von der guten alten Beit wissen, desto heftiger urteilen sie über das Neu­gewordene in der Judenrepublit". Nun ist unbestreitbar, daß auch die Republik Not und Elend nicht hat bannen, oder gar jeden armen Teufel zu einem wolhabenden Menschen hat machen können, denn auch ihr ,, wächst tein Kornfeld auf der flachen Hand". In der guten alten Zeit, für die die jüngsten Jahrgänge der Hakenkreuzler am lautesten schwärmen, ist allerdings auch nicht alles schön und gut gewesen, andernfalls hätte doch der letzte Hohenzoller feinen Anlaß gehabt, lärmend zu perkünden, daß er uns herrlichen Zeiten entgegenführen wolle! Also selbst der Kaiser ist der Ansicht gewesen, daß die gute alte Beit, ganz abgesehen von dem sozialen Massenelend, ihre großen Mängel gehabt hat. Dabei hat er gewiß nicht an die Notschreie der Professoren gedacht, die wissenschaftliche Arbeiten nicht fortsetzen konnten, weil es an den erforderlichen Mitteln gefehlt hat. Nein, gewiß nicht, ihm steckten wohl vor allem viel zu wenig Menschen im Waffenrock. Nur sieben­hunderttausend Mann, die Tag für Tag das blutige Kriegs­handwerk, übten, war das nicht geradezu kläglich? Herr= lichen Zeten sollten wir deshalb entgegengeführt werden, herrlichen Zeiten mit mehr Schiffen, Soldaten und Kanonen.

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In der guten alten Zeit dirigierte in letter Linie Einer das deutsche Bolt. Sic volo, sic jubeo!" ,, Wer sich mir Reichstag, zu dem geheim, direkt, und angeblich auch entgegenstellt, den zerschmettere ich. Freilich gab es einen gleich gewählt worden ist. Wie diese Gleichheit aus­nach dem Gesetz auf je 100 000 Einwohner ein Abgeord gesehen hat, möge das nachfolgende Beispiel zeigen. Obwohl neter gewählt werden sollte, bestand infolge einer infam Wirklichkeit folgende ausgeflügelten Wahlgeometrie in Wahlberechtigte, die einen Abgeordneten wählen konnten, im Gleichheit": Es gab 1907 im Wahlkreise Walded 12 777 Wahlkreife Teltow- Charlottenburg- Schöneberg gab es zur felben Zeit 248 160 Wahlberechtigte, die ebenfalls das Recht hatten, einen Abgeordneten zu wählen. In Waldeck hatte also jeder Wähler nahezu zwanzigmal mehr politisches Recht, als der Wähler in dem Groß- Berliner Kreis. Bon wirklich gleichem Wahlrecht war nirgends im Reich die Rede, obwohl diese Gleichheit gefeßlich" vorgetäuscht wurde. Mit unüber­trefflicher Brutalität begründeten die Wahlgefeße für den Breußischen Landtag und die kommunalen Körperschaften in Preußen die Borrechte des Geldsacks. Aehnlich war es bei den Stadtverordnetenwahlen in Preußen. Hier wurde die Ungerechtigkeit noch dadurch gesteigert, daß in jeder der drei Klaffen der Stadtverordneten mindestens die Hälfte Hausbefizer sein mußten. Die Wahlen waren außerdem bontottiert werden konnte. So sah die gute alte Zeit aus.

Reichsregierung und Erwerbslosenfürsorge Donnerstag abend die Beratungen über die Erwerbslosenfürsorge öffentlich, so daß jeder Wähler tonirolliert, denunziert und

Der Stand der Verhandlungen.

Die Beratungen des Unterausschusses des Reichstages, der auf Antrag der sozialdemokratischen Reichstagsfraktion eingesetzt wurde, haben gezeigt, daß die völlig ablehnende Haltung der Reichsregierung von den eigenen Parteien nicht gebilligt wird. Die bürgerlichen Parteien haben die eindringlichen Darlegungen der sozialdemokra­tischen Mitglieder des Unterausschusses nicht entfräften fönnen und damit zugegeben, daß ein Ausbau des Arbeitslosenschutzes notwendig ift. Ueber den Umfang gehen die Meinungen allerdings noch m: it auseinander. Die sozialdemokratische Frattion fordert mit allem Nachdruck, daß die jetzt vorzunehmende Zwischenlösung bis zur Verabschiedung des Arbeitslosenversicherungsgesetzes die auf­gestellten vier Punkte zu umfassen hat: Wesentliche Erhöhung der Unterstügungsfäße, Verlängerung der Unterſtügungsdauer, Be­seitigung der Bedürftigkeitsprüfung, und Beseitigung der Pflicht­arbeit. Es handelt sich hier im wesentlichen um die Forderungen, die die Spizenverbände aller Gewerkschaftsrichtungen schon vor Mo­naten geltend gemacht haben. Bisher hat sich nur die sozialdemo= fratische Reichstagsfraktion für die Erfüllung der Gewerkschaftsfor­derungen mit allem Nachdruck eingesetzt. Es bleibt abzuwarten, ob Zentrum und Demokraten den Mut aufbringen, die be rechtigten Forderungen der ihnen nahesteheden Gewerkschaftsrich tungen abzulehnen.

Der soziale Ausschuß des Reichstages hat die Weiterberatung des Arbeitsgerichtsgesetzes bis Donnerstag nachmittag ausgefeßt; im Laufe des Bormittags finden Beratungen der Koalitions. parteien mit dem Reichstanzler über die Fragen der Erwerbs­

fortsetzen.

Zuchthausurteil in Landsberg .

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Beihilfe zum Mord. Sechs Jahre Zuchthaus. Das Schwurgericht in Landsberg a. d. W. hat den Angeklagten Kowalewiti wegen Beihilfe zum Mord zu sechs Jahren Zuchthaus und fünf Jahren Ehrverluft verurteilt.

Die Untersuchungshaft wurde auf die Strafe nicht angerechnet. Die Urteilsbegründung bezeichnet das Verbrechen des Kowalewsti als schändliche Tat. ( Bericht siehe 3. Seite.)

Hinterrücks und feige.

Ein Werturteil über die Fememorde. Im Landsberger Prozeß ist ein Angeklagter wegen Beihilfe zum Mord zu sechs Jahren Zuchthaus verurteilt worden. Der Berliner Lokal- Anzeiger" schreibt seine Geschichte in folgenden Worten:-

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,, Berführter junger Mensch, der ein Auto fährt, in dem ein Gewaltsterl der entflohene Feldwebel Fahlbusch einen anderen hinterrüds und feige totschlug wegen Verdachts des Spigeltums." Hinterrüds und feige man wird es sich merken müssen, dies Werturteil des Lokal- Anzeigers". Wie war es mit den Erzberger Mördern? Den tätern? Wie war es mit den bayerischen Fememör Rathenau Mördern? Den Scheidemann Atten bern? Sie haben alle hinterrücks und feige gemordet.

Die Werturteile bes ,, Lokal- Anzeigers" über diese Mörder laute­ten anders. Nun fragen wir: warum die Unterscheidung?

Was will die Reaktion eigentlich? Sehnt sie fich nach den geschilderten, von Tirpitz als häßliches Klaffen­und Kastenwesen" gebrandmarkten Zuständen zurück? Es mag sein, daß den vielfach bevorrechtet gewesenen Schichten die heutige Rechtsgleichheit unerträglich erscheint; daß der Leutnant, den uns fein Land der Welt nachmachen könne", Don manchen Kreisen wieder herbeigesehnt wird, ist schließlich auch verständlich; aber was wollen eigentlich die Lehrer an den höheren Erhulen und Universitäten mit ihrem teils offenen, teils versteckten Kampfe gegen die Republik ? Und was wollen gar die den Geheimorganisationen in hellen Haufen zulaufen­den Jünglinge, die beim Ausbruch des Krieges kaum oder noch gar nicht auf den Schulbänken Platz genommen hatten? Wir brauchen und wollen uns darüber die Köpfe nicht zer­brechen, aber das sei doch gesagt: In einem Staate, in dem die Rechte nach dem Inhalt der Börsen und Kassenschränke zu gemessen werden, in dem vollkommene Rechtsungleichheit besteht, ist der Kampf um bessere Verhältnisse nicht nur berechtigt, da ist er eine sittliche Pflicht. In einem Volksstaate mit gleichen Rechten, mit Rede- und Preffefreiheit ist der gegen den Staat mit Gewaltmitteln geführte Kampf ein Verbrechen, dem mit größter Energie entgegengewirkt werden muß.

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Die junge deutsche Republik hat in den ersten Jahren ihres Bestehens den reaktionären Bestrebungen nicht mit der gewesen wäre. Unter den schwierigsten Berhältnissen ent­Energie entgegentreten fönnen, die unbedingt am Blake standen, von äußeren und inneren Feinden Tag für Tag bedroht, mußte die Republik sogar nach dem Putsch der Herren Rapp und Ludendorff( 1920) ein Auge zudrüden. Diese