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Abendausgabe

Nr. 517 43. Jahrgang

10 Pfennig

Dienstag

2. November 1926

= Vorwärts=

Ausgabe B Nr. 256

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Dolksblatt

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Zentralorgan der Sozialdemokratifchen Partei Deutschlands  

Faschisten morden einen Unschuldigen. Seipel und sein Alexander Weiß.

Der Knabe Zamboni nicht der Täter. Verbrecherische Lynchjustiz.

Rom  , 2. November.  ( WEB.) Wie die Agentur Stefani mit­teilt, fehlt bisher von amtlicher Seite eine zuverläffige Bestäti­gung dafür, daß der gelynchte Urheber des Attentats auf Muffo­lini entsprechend den Angaben der Zeitungen mit Anfeo 3am- boni identisch ist.

Geiseln für Mussolini  . Mailand  , den 2. November.( TU.) Einige faschistische Blätter verlangen, daß geheime Listen aufgestellt werden sollen, die die Namen derjenigen Männer enthalten, deren Leben von demjenigen Namen derjenigen Männer enthalten, deren Leben von demjenigen Muffolinis abhängig gemacht werden soll.

Die amtliche Meldung der Agentur Stefani ist ein fürchterliches Geständnis. Das Geständnis des Faschismus, einen Unschuldigen, ein schuldloses Kind aus Rachgier gelyncht zu haben.

Zamboni war ein Kind. Ein Knabe von fünfzehn Jahren. Ein Kind, betreut von seinen Eltern. Bis fünf Uhr nach mittags durfte der Knabe am Mussolini  - Tage der Stadt von zu Hause wegbleiben. Als er nicht fam, machte sich der besorgte Bater auf die Suche. Er fand ihn auf der Polizei als Leiche, das Opfer von Mördern.

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Zambonis Bater war Faschist. Sein Bruder faschistischer Miliasolbat, einer von der alten Garde. Er war mit Mussolini  auf Rom   marschiert. Der Knabe selbst war in einer faschi­stischen Jugend organisiert.

Oskars Zigaretten.

Selbst die Allergetreueften entsetzen sich. Der Prinz Os far von Preußen, Sohn Wilhelms von Doorn, Bruder Wilhelms von Dels und Gatte einer mecklenburgischen Gutsbesitzerstochter, hatte, wie wir bereits meldeten, den Stresemann- Attentätern mit einem ,, huldvollen" Begleitschreiben ein Patet 3igaretten ins Gefängnis geschickt. Die Nachricht von dieser Hohenzollern- Brinzengeste erschien niemandem verwunderlich, der das Auftreten dieses Oskar bei sogenann ten ,, vaterländischen" Kundgebungen beobachtet hat.

Nur der Läglichen Rundschau", dem Blatt mit der Prozentgefinnung, war die Meldung unglaubwürdig por­gefommen. Aber heute früh muß sogar dies Organ eines im Zollern und Gottesglauben so starten Mannes, wie Domprediger Doehring einer ist, leidvoll befennen:

Es stellt sich nun leider heraus, daß die Meldung tat. sächlich stimmt, und daß der Begleitbrief des Prinzen Oskar, der der Schachtel Zigaretten beigefügt war, echt ist. Wir müssen von diesem Tatbestand unseren Lesern Kenntnis geben, da dieser Fall in der Presse weiter erörtert werden wird, und da man damit rechnen muß, daß er noch zu lebhaften poli tischen Auseinandersehungen führt.

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Richtig, diese 3ollern 3igaretten für die eines Attentats planes auf den Reichsaußen. minister beschuldigten und dringend verdächtigen Unter­fuchungsgefangenen, diese 3ollern 3igaretten mer­den noch lebhafte politische Auseinandersetzungen herbei führen. Es hat nicht nur einen ausgleichenden Reiz, daß Stresemann dem Zollern- Sproß Wilhelm Don Wieringen nach Dels verhalf und daß- zum Dant dafür der andere zollern- Sproß den völkischen Atten tätern auf Stresemanns Leben huldvoll Zigaretten mit Brief schickt. Es hat nicht nur persönlichen Reiz, wenn diese Liebesgabe gerade an Menschen erfolgte, die den schönen Reim fabrizierten: Stresemann  , verwese man!" und hinzufügten: Das Schwein muß gefillt wer den". Der im Prozeß erwähnte Brief nach München   mit diesen eindeutigen Bezeichnungen und Bedrohungen des Außenministers war seit Monaten befannt, er hatte in der ganzen Bresse   wenigstens dem Sinne nach gestanden.

Deshalb ist die Zigarettensendung eine offene Sympathie wenn nicht Solidaritätserflä rung mit den des Attentats beschuldigten Bölkischen. Diese Sympathieerklärung erfolgt durch einen Mann, der nach Angaben der Hohenzollern  - Lafaien bisher fast hungern mußte. Was wird dieser Zoller erst beginnen, wenn die vom Landtag beschloffene Auseinandersetzung mit feiner Familie voll erfüllt ist! Durch wieviel Zigaretten sendungen und Handschreiben soll die Zollern- Familie noch den Beweis ihrer Staatsfeindlichkeit liefern, bis Reichsregierung und Reichstag ihre republikanische Pflicht gegen sie erfüllen?

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Der kleine Zamboni wurde gelyncht. Unschuldig gelyncht. Eigenhändig von Mussolinis Begleitern gemeuchelt. Die Blutschuld des Faschismus schwillt noch immer.

Die offiziöse Heldenlegende.

Rom  , 1. November.  ( Stefani.) Der Unterstaatssekretär im Ministerium des Aeußeren, Grandi, der im Kraftwagen Mussolinis mitfuhr, gab dem Giornale d'Italia" folgenden Bericht: Der Duce fuhr durch die dichte, ihm zujubelnde Volksmenge in einem offenen Kraftwagen. Er erwiderte lächelnd die zahllosen Grüße der Menge, die Blumen warf und Fahnen schwenkte. Während der Kraftwagen an einer Ede seine Fahrt verlangsamte, hörten wir dicht neben uns eine scharfe Explosion. Wir sahen rechts von uns zwischen dem Truppenspalier und dem Kraftwagen in sehr geringer Entfernung ein Individuum von ziemlich kleiner Gestalt mit erhobenem Revolver. Der Duce, anstatt sich zu büden oder eine Abwehr­bewegung zu machen, gab den Befehl zum Halten. Auf meine be­sorgte Frage, ob er verlegt sei, antwortete der Duce lächelnd: Richts! Es ist nichts!" Er fügte gelassen hinzu:" Ruhe jetzt, und daß niemand den Kopf verliert!" Sodann fuhr er fort, die Menge zu grüßen, die von dem Anschlag nichts wußte. Inzwischen spran­gen aus dem nächsten Kraftwagen hinter uns Unterstaatssekretär Balbo, Abgeordneter Ricci und Bonaccorsi und warfen sich auf den Angreifer, der, von tausend Armen ergriffen, unverzüglich in dem Tumult verschwand. Der Duce setzte seine Fahrt zum Bahn­hof fort. Ich habe ihn niemals so stolz und gelassen gesehen.

Wiener  

h. sch. Wien  , 30. Oftober 1926.

Die Rolle des

Die

Im Mittelpunkt des politischen Lebens der österreichischen Republik steht seit längerer Zeit ein Komplex von Enthüllun­gen skandalöser Vorgänge, die man in ihrem Zusammen­hange als ein wahres Panama   bezeichnen fann. Diese Enthüllungen stüßen sich auf authentische Bucheinsichten und ihr Urheber ist ein parlamentarischer Unter= juchungsausschuß, in dem allerdings den Sozial­demokraten die Funktion des Anklägers zufällt, der aber im vollen Lichte der Deffentlichkeit tagt und dieser völlig ge­sicherte Tatbestände zum Urteil vorlegt. Leibtragenden spielt dabei allerdings die herrschende bürger­liche Partei der Christlich   sozialen, denn all der Korruptionsgestant, der da aus den entsiegelten Konto­büchern verfrachter Banken und der zu ihrer Rettung gepreßten 3entralbant deutscher Sparkassen aufdampft, hat sich unter ihrer Aegide entwickelt. Sozialdemokraten, denen vor allem die gesunde Entwicklung unserer Demokratie am Herzen liegt, und die es daher gerne mit anständigen bürgerlichen Gegnern zu tun haben möchten, haben diesen traurigen Triumph, den übrigens die bürgerlichen Blätter verkleinernd einen einen Wahlschlager" nennen, beileibe nicht gewünscht. Er hat fich ihnen auf­gedrängt durch die Tatsache, daß man plöglich, um schwere Erschütterungen des Wirtschaftslebens zu vermeiden, aus Staatsmitteln der Zentralbank deutscher Sparkassen, die vor dem Zusammenbruch stand, mehr als sechzig Millionen Schillinge in den Rachen schmei Ben mußte, ohne begründete Aussicht, sie jemals wieder zu sehen. Die Sozialdemokraten haben diese Rettungsaktion, allerdings unter heftigen Einwendungen gegen die Form, in der sie geschah, zwar toleriert, dann aber mußten sie nach dem Rechten sehen und die Schuldigen zur Verantwor tung ziehen.

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Es erwies sich bei der Untersuchung, daß die 3entral bant deutscher   Spartaffen von der herrschenden Partei dazu mißbraucht worden war, all die faulen, fo­genannten chriftlichen Bankgründungen, die sich unter christ­

Die Anflage richtet sich gegen die Abgeordneten Stöder, Roenen, Sedert u. a., die beschuldigt werden, den Ham burger Aufstand und ähnliche Borgänge im Reich insze. niert zu haben. Die Einleitung der Untersuchung erfolgte' zu einer Beit, in der das Mandat der Abgeordneten abgelaufen war, diese also nicht immun waren. Der Antrag auf Einstellung des Verfahrens ist, wie gesagt, schon zweimal abgelehnt worden. Wir haben uns mit dieser Angelegenheit schon wiederholt be- lich- sozialer Vormundschaft in der Inflationszeit und schäftigt und der Ueberzeugung Ausdrud gegeben, daß diese Anflage iurift fch ein Mißgriff und politisch eine Dumm. beit ersten Ranges ist. Der Reichstag   würde gut tun, dem Einstellungsantrag endlich stattzugeben.

Thoiry im Auswärtigen Ausschuß.

Berichterstattung und Debatte.

Der Auswärtige Ausschuß des Reichstags beriet heute über Thoiry und Fragen der Entwaffnung. Reichsaußen miniſter Dr. Stresemann und General Bawels erstatteten Bericht. In der Debatte sprachen Stöder( Romm), Dauch( Bp.) und Hoesch( Dnat.), dem Minister Dr. Stresemann ent­gegnete. Es folgten Ausführungen von Gräfe( Völk.), Dern burg( Dem.) und Hilferding  ( Soz.).

Noch eine Unterwerfung. Schljapnikow und Medwedjew kapitulieren.

großes Heil widerfahren. Erst haben Troßzki und Sinowiew Der Stalin  - Mehrheit der ruffischen Kommunistischen Partei ift erklärt, daß sie zwar ihre Auffassungen nach wie vor für richtig halten, daß fie aber doch zweckmäßigerweise sich der stärkeren Macht fügen wollen. Jetzt gibt die andere Oppositionsgruppe, die von Sljapnikom und Medwedje w geführte Arbeiter opposition" ebenfalls eine Loyalitätserklärung ab. Diese beiden Oppofitionellen gehen sogar inhaltlich über die Erklärung der Tropki Großer Jubel Opposition in der Selbsterniedrigung hinaus. herrscht ob dieser Erklärung in der Moskauer   und in der Berliner  Brawda". Jezt ist bewiesen, daß Stalin   recht hat. Wo alles fich ihm beugt, wie fönnte er da auch Unrecht haben. Er hat in Rußland   die Tscheta und verteilt für Deutschland   das Geld. Das find allerdings beweisträftige Argumente.

Labour- Sieg in England.

Mächtige Erfolge bei den Gemeindewahlen.- Leeds  

und Sheffield   erobert.

London  , 2. November.  ( Eigener Drahtbericht.) Am Montag fanden in ganz England, mit Ausnahme Londons  , in über 300 Städten die Gemeindewahlen statt. Sie stellen einen über alle Erwartungen großen Sieg der Arbeiterpartei dar. Schon nach bisher vorliegenden Teilergebnissen hat die Arbeiterpartei 157 Size gewonnen und nur 11 verloren, also einen Reingewinn von 146 Sitzen. Alle anderen Parteien haben schwere Berluste, die Konservativen 68 Size, die Liberalen 48 und unabhängige Gruppen 25 Size. In Leeds   und in Sheffield   wurde die Mehrheit errungen. In Nottingham   gewann die Arbeiterpartei 5, in Birmingham   8 Sige.

Ein juristischer Mißgriff. Der Hochverratsprozeß gegen die KPD.  - Zentrale. Am 18. November ist beim Reichsgericht Termin für den Der Daily Herald" erklärt, die bei den Gemeindewahlen Hochverratsprozeß gegen die KBD. 3entrale errungenen Erfolge überträfen die kühnsten Erwar­wegen der Borgänge vom Jahre 1923 angefeßt. Die kommunistische fungen. Die vernichtende Niederlage der Konservativen sollte Fraktion wird aus diesem Anlaß ihren bereits zweimal gestellten dem Premierminister zu denken geben. Von guter Vorbedeutung Antrag, das Verfahren gegen die angeklagten Reichstagsabgeord| für die Bergleute sei der Sieg ihres Vorsitzenden Herbert neten einzustellen, wieder aufnehmen. Smith in Barnsley  .

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zwar durchweg unter Mitwirkung von jüdischen Schiebern vollzogen hatten, unter ihren Schutz zu nehmen sie zu fanieren". Es erwies sich aber darüber hinaus, nämlid), daß alle diese Banten   Herde verwegenſter Spekulation und Rorruption gewesen sind. Die Giftgase der Inflationsepoche hatten auf die Biedermeierseelen der österreichischen Provinz, zumal auf die der grünen Steiermart, besonders verheerend gewirft. Um den Landeshauptmann Rintelen herum, der diesem Treiben mit großzügiger Lässigkeit nach der Devise Laßt sie verdienen", zusah, breitete sich allmählich ein tiefer Sumpf. Die Zahl der höheren Beamten, die da hineingeraten sind, und deren Spetulationsschulden dann gestrichen wurden, ist beträchtlich, ebenso beträcht­lich aber die Zahl der öffentlichen Funktionäre, die sich mit zweifelhaften Geschäften und zweifelhaften, provisions= tragenden Vermittlungen beschmußt haben. Es sind feines­wegs bloß Leute der zweiten oder dritten Garnitur, zumal der Dechant Prisching und der ehemalige Finanzminister Dr. Ahrer, die bereits in der Versenkung verschwunden sind, haben zu den führenden Geistern der christlichsozialen Partei gezählt.

In dieser peinlichen Situation entstand der herrschenden christlichsozialen Partei trotz ihrer antisemitischen Ideologie ein Bundesgenosse in der liberalen bürgerlichen Preffe, die hier fast ausschließlich dem Kommando jüdischer Finanz­mächte gehorcht. Aus den Berichten und Darlegungen jener bürgerlicher Blätter, aus denen fich auch das Ausland mit Borliebe informiert, hat niemand über die Vorgänge Klar­heit gewinnen können, sie bedienten sich der Taktik des Tintenfisches, der jedesmal, wenn er sich in Gefahr wähnt, durch Aussprigung eines braunen Sefrets das Wasser um sich herum trübt. Manche Blätter hatten sogar die Unver­schämtheit, die Sache so zu drehen, daß ihr Lesepublikum von den Tatbeständen überhaupt nichts erfuhr, dagegen um so mehr von einer forrupten Parteidemagogie der Sozial­demokraten", die bloß darauf bedacht seien, sich Borteile zu schaffen und durch Herummühlen in den Rückständen der Schieberepoche die Wirtschaft und den Kredit zu gefährden. Mit schamlosen Berdrehungskünften wurde dem halb oder ganz verschwiegenen Banama der Regierungspartei die Tatsache gleichgesezt, daß einer der Anfläger, der National­ rat   Dr. Eisler, das Land Steiermark   nebenbei bemerkt auf einstimmigen Beschluß einer von allen Parteien ge­bildeten Kommiffion bei Aufnahme einer Investitions­anleihe juristisch vertreten hatte.

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Ist diese Taktik angesichts der Größe des Panama   noch verständlich, so ist es um so unverständlicher, daß sich die regierenden Mächte der österreichischen Republik nunmehr gegen die Sozialdemokraten einen Bravo gedungen haben, der bis in die letzte Alpenhütte als verurteilter Erpresser bekannt ist. Einen gebrandmarkten Korruptionisten von einem Format, wie es sich in der gesamten Geschichte der Presse nicht wieder­findet; einen Mann, in dessen Figur das bildliche Wort Preffe pirat" buchstäbliche Bedeutung erlangt hat. Seit einiger Beit erscheint unter dem Titel Das Tribunal" ein Wochenblättchen, das sich die Berleumdung der sozialdemokra tischen Vertrauensmänner zur alleinigen Aufgabe gefeßt hat. Der Gründer und Macher dieses Blättchens heißt Alexan­

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