fibenSausgabe Nr. 525 ♦ 43. Jahrgang Ausgabe B Nr. 260
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Nacht öes Schreckens. Faschistische Brandstifter. - Die Verwüstung im Hause der Genossin Lerda-Olberg.
Die Wiener„Arbeiterzeitung" verössentlicht folgenden Brief, den Genossin Oda Olberg-Lerda. früher fahre- lang auch Korrcspondentin des„Vorwärts", über die von uns schon kurz mitgeteilte nächtliche Verwüstung -ihres Dauses durch Faschistenbanden schrieb. Der Brief wirkt in seiner schlichten Eindeutigkeit so er- schütternd, daß wir auf jeden Zusatz verzichten können. Red. d.„Vorwärts". Obwohl mir ein Polizeiverbot seit vielen Monaten jede politische Berichterstattung, soweit sie Kritik der Regierung ist, verbietet, möchte ich das schildern, was ich mit meiner Familie in der Nacht vom 31. Oktober zum I. November erlebt habe. Ich kritisiere nicht: ich schildere. Ob das Thema politisch ist, lasse ich unentschieden. Man kann es auch feuilletonistifch nennen. Gegen neun Uhr abends gewahrten wir in der Nähe unseres Häuschens, dessen Mieter der sozialistische Partei- vorstand, der Gewcrkschaftsbund und die italienisch« Filiale des Internationalen Transportarbeiteroerbandes sind, eine u n- gewöhnliche Häufung von Polizei und Kara- b i n i e r i. Wir wußten noch nichts von dem in Bologna erfolgten Anschlag auf den Premierminister und glaubten also, daß es sich um eine Wiederholung der am 16. Oktober in unserer Privaiwohnung vorgenommenen H a u s d u r ch- f u ch u n g handle. Um zehn Uhr heftiges Klingeln und Ein- stürmen von einigen zwanzig Schwarzhemden, die mich zwingen wollen, die Schlüssel der Bureaus abzuliefern. Als man auf meine Erklärung, die Schlüssel nicht zu haben, zu energischerer Ueberredung greifen will, erscheint ein Wacht- meister der politischen Polizei und weist die Faschisten hinaus Sie ziehen sich knurrend, aber sehr schnell zurück, versuchen ein:n zweiten Angriff gegen elf Uhr mit etwas verstärkten Kräften und gleichem Erfolg. Die Bewachung vor dem Hause und im Vorgarten wird auf neunzehn Mann, teils in Zivil, teils in Uniform, erhöht, die sich in telephonischcr Ver- b'ndung mit den vorgesetzten Behörden erhalten. Gegen %I2 Uhr fahren dröhnend mehrere Lastautos voll F a s ch i st e n vor. Die Polizei wirft sich ihnen entgegen, ich lösche das Licht, schließe die Haustür und versuch«, zu telepho- nieren. Das Telephon befindet sich dicht neben der Haustür und ich knie nieder, um nicht gesehen zu werden, als man schon die Tür sprengt und— ohne mich zu bemerken— an mir vorbei, teils über mich weg, in das Haus dringt. Vom D'mkel geschützt, entwische ich auf die Treppe, wohin mir tastend ein Mann folgt, der dann langsam kehrt macht. Unten fängt der Hexensabbat an, während wir oben Kriegsrat halten: mein Mann, meine zwanzigjährige und meine dreizehnjährige Tochter und die Hausgehilfin, die erst seit drei Tagen bei uns ist, aber abgelehnt hatte, sich nach dem zweiten Angriff von den Polizisten in Sicherheit bringen zu lassen, mit dem Bemerken, sie wolle unser Schicksal teilen. Wir beschließen, daß die drei jungen Menschen auf der Terrasse über dem dritten Stock Zuflucht nehmen sollen, während wir den Eingang unserer Privatwohnung verteidigen. Unten krachen die Türen, klirren die Scheiben: man H:bt die Fensterladen aus, deckt das kleine Dach über der E-ngangstür ab. schleudert knallend die drei Schreibmaschinen aus dem Fenster. Dazwischen hört man das Dröhnen und Fauchen neuer Lastautos mit neuen Faschisten und dann das Geschrei: A morte i socia- listi! A morte! A morte! Dazwischen ruft ein Wacht- m ei st er, dem schon die Uniform in Fetzen hängt, dröhnend um Hilfe. Kein Schuß ertönt, nur das Krachen und Klirren d e r B e r w ü st u n g. Wir sind im Dunkeln. Die Kmder auf der Terrasse haben eine deutlichere Vision der Vorgang«: sie seh:n. daß man Fackeln aus zusammengeballten Zeitungen macht, umBiandzulegen. Die Aeltestc, obwohl Rekon- valesmntin von langer Krankheit, schleppt eine Leiter über die Wendeltreppe auf die Terrasse, steigt auf die von keinem gehaltene Leiter, ihr Schwesterchen auf dem Arme, und hilft ihr so. über die beinahe dreieinhalb Meter hohe Mauer zu steigen, die unsere Terrasse von der des Nachbarhauses trennt. Als die Kleine geborgen ist. stellt sie das Ultimatum: ich steige nur nach, wenn auch die Mutter kommt. Aber die Leiter ist zu kurz- man muß sie auf einen Stuhl stellen, wo sie wankt und zurückzuschlagen droht. Erst kommt di« Tochter, dann die Hausgehilfin, dann ich. Mein Mann, der die unsichere Leiter halten muß, bleibt im Hause Kaum sind wir Frauen geborgen, so geschieht etwas Ekel- Haftes: aus einem der Nachbarhäuser, wo sich Kopf an Kopf staut, umdas Kino gratis zu genießen, kreischt eine Frauen- st mme:. Sie sind entwischt! Sie sind entwischt!" Aber das Tosen dm Verwüstung übertönt die Worte. Als Eindringlinge im fremden Hause finden wir keinen Menschen und drücken eine Scheibe ein, um aus der Terrasse
unter Dach zu kommen. Wir sind eingeschlosien, ohne Ausgang nach der Straße. Auf einmal öffnet sich die Tür: nian setzt mir einen zierlichen Revolver an die Brust. In diesem Falle bin ich derEinbrecher und sage höflich zu meinem unfreiwilligen Gastgeber:„Herr Rechtsanwalt, ich glaube, den Revolver brauchen wir nicht!" Dann erkläre ich der erstaunten und erschreckten Familie die Gründe unseres Eindringens. Inzwischen ist es ein Uhr geworden. Unten ist alles v e r w ü st e t: Telephon zerschlagen, elektrische Leitung zerfetzt, die Jrradiatoren der Zentralheizung aus dem Fenster ge- warfen: kein Fenster, keine Tür, kein Laden heil. Die Straße liegt voller Bücherschränke in den ver- schiedensten Graden der Zerstücklung. Im Lokal des Partei- Vorstandes ist buchstäblich kein Nagel geblieben: in den beiden anderen Räumen liegen Möbelreste. Der Trüm- merhaufen füllt noch den ganzen Hof, obwohl man schon eine Wagenfuhre der„unheilbaren" Stücke weggebracht hat. Merkwürdigerweise hat sich von den drei Schreibmaschinen nur ein einziger Teil gesunden: offenbar hat das übrige der Wind verweht, mit Telephon, Cyclostyle und anderem. Zum Schluß sei noch gesagt, daß ich nach Abzug der Faschistenmasse mein jüngstes Töchterchen zu einer Freundin begleitete, damit es dort schlafe. Auf dem kurzen Wege drohten uns zwei junge Faschisten mit wuchtigen Möbel- resten:„Wir schlagen dir und dem Kinde den Schädel ein!" Das war der Nachtgruß. In der Nacht kamen dann noch mehrere Nachzügler, die fragten, ob noch etwas zu verwüsten sei, und sich dann selbst antworteten: man kann nur noch das Haus anstecken. Nach Aussage der Polizisten belief sich die Zahl der Angreifer auf etwa zweihundert. Solange die Polizei mit der Anwendung der Waffen drohen konnte, hielt sie die Bande in Schach . Sobald die Faschisten sahen, daß die Polizei nicht schießen durfte, gewannen sie die Oberhand. Alle Energie der Polizei, die teilweise bis zum
hoch st en Mut ging, hat gerade ausgereicht, um das Ein- dringen in unsere Privatwohnung und das Jnbrand- st ecken der Trümmer und somit des ganzen Hauses
zu verhüten. Das Haus ist jetzt völlig schutzlos: das Parterre ohne Fenster und ohne Laden, durch keine Tür von dem Rest der Wohnung abzusondern. Vier Karabinieri halten Wache und das Publikum blickt neugierig durch die hohlen Augenhöhlen und in die Wüstenei des Gärtchens. Das Schauspiel wird geboten in einer der Hauptstraßen des neuen Rom . Die Hauptstadt hat eine Garnison von mehreren zehntausend Mann und doch hat man einen zwei Stunden vorher gemeldeten Angriff nicht verhüten können auf ein Haus, in dem nur ein siebzigiähriger Mann, drei Frauen und ein Kind waren.... die Schreckensherrschast. Aus Lugano erhalten wir von unserem Korrespon- denten über die Schreckensherrschaft in Italien eine Schilderung, die den Brief der Genossin L e r d a- O l b e r g aufs"Wirkungsvollste ergänzt. Wir entnehmen ihr folgende Einzelheiten: Alle bisherigen Repressalien sind offiziell nicht nur gebilligt, sondern verherrlicht worden. Es ist absolut unmöglich, auch nur einen annähernden Ueberblick über die vollzogenen Bluttaten, Ver-
die Besprechungen im englischen Streik. Tie Schwierigkeiten noch nicht behoben. London . 6. November.(Cp.) Obwohl die Morgenpresse allgemein anertennl. daß die Besprechungen in den letzten Togen zur Beilegung des Kohlenstreiks, insbesondere wegen der Bereil- willigkeil der Bergarbeiter, lokale Abkommen abzuschließen, einen weiteren Fortschrill bedeuten, warnt sie vor all zu hoch gespannten Erwartungen, da die von den Bergarbeitern an ihre Zugeständnisse geknüpften Bedingungen, die sich vor allem aus die Mindestlöhne, das nationale Rahmenabkommen und aus eine nicht über m Stunden hinausgehende Arbeitszeil beziehen, noch ernste Schwierigkeiten befürchten lassen. Räch den bisher vorliegenden Anzeichen bestehen die Grubenbesitzer hartnäckig aus ihrer ablehnenden Haltung gegen alles, was nach einem nationalen Abkommen aussieht. sowie auf ihrer Forderung nach dem Achtstundentag. Für heute nachmittag Ist eine Besprechung der Minister mit den Vertretern der Grubenbesitzer angesetzt, an die sich eine neue Zusammenkunsl mit den Arbeitervertretern anschließen wird. Die„Mestminster Gazette" will wissen, daß der Premierminister bereits gestern die Vorschläge der Bergarbeiter, die im großen und ganzen von der Regierung als befriedigend betrachtet würden, dem Arbeilgeberführer William» vorgelegt hat.
Wüstungen und Plünderungen zu geben. In Rom ist die Druckerei des„M o n d o" vollkommen zerstört worden, ebenso die des Ge- nossen Morara: da die„Voce Republicana" in einer privaten Druckerei hergestellt wurde, gab man dort die Verwüsümgsarbeit auf halbem Weg« auf. Völlig verwüstet wurde die Wohnung des Journalisten Cianca, Chefredakteur des„Mondo", teilweise die unseres Parteisekretärs Zanarini, des Kommunisten Bonibacci und zahlreicher anderen. Der Sitz des Parteivorstandes der früheren Einheitspartei ist auf die nackten vier Wände reduziert: ohne Fenstern, ohne Türen, ohne Telephon, ohne auch nur ein Andenken an etwaige Möbel, Bücher usw. In ähnlichem Zu- stände befindet sich der in demselben Häuschen gelegene Sitz des internationalen Transportarbeiterverbandes, Filiale Rom , und der Generalkonföderatton der Arbeit. Drei Versuch«, in die über den Bureauräumen gelegen« Wohnung der Familie Lerda- Olberg zu dringen, wurden in der Nacht zum 1. und in der zum 2 November von den Carabinieri abgeschlagen. Di« geplant« und vorbereitete Brandlegung des ganzen Hauses wurde durch den hin- weis verhindert, daß das Feuer unfehlbar auf die Nachbarhäuser übergegangen wäre. Nicht unineressant ist, daß die Squadristen be- sonders durch vier römisch« Rechtsanwälte aufgehetzt wurden, auch in die Wohnung der früheren„Vorwärts"-Korrespondentin zu dringen. Bei dieser und ib-em Gatten fand wenige Stunden nach der Invasion«ine vierstündig« Haussuchung statt, mit Beschlagnahmung von Briefen und Dokumenten. Angeblich handelt es sich darum, Mitschuld an dem Attentat festzustellen. In Genua wurde die Reaktion und die Druckerei des„Lavoro " vernichtet. Beim Angriff auf die Wohnung des Abg. Genossen Possi erschossen die Faschisten einen Carabiniere und hatten dann ihrer- seits zwei Tot«. Die Zahl der Verwundeten ist unbekannt. In Mailand hat man wie üblich den„Avant!" zerstört, die dortige Zentrale der Konföderation der Arbeit, und hat dann mehr oder weniger geglückt« Invasionen in den Bureaus und Privat- Wohnungen der Genossen Claudio Treves , Gonzales, Dugoni, Bentini und zahlreicher anderen gemacht. Der Sachschaden beläuft sich auf viel« hunder- tausend«. In Cagliari hat der antifaschistische Abgeordnete Lussu einen in seine Wohnung eindringenden Faschisten erschossen. Wie- viel der unseren in' ganz Italien zum Opfer gefallen sind, wird man wohl erst nach Wochen erfahren. Denn ein weiteres Merkmol der neuen Situation ist die Unter- drückung aller Oppositionsblätter, von der stockkonservativen„Stampa" in Turin bis zur kommunistischen„Unita", vom„Avant!" bis zu kleinen Lokalblättern, wie dem„Gazzettino" in Venedig und zum „Cittadino di Brescia"... Im ganzen sind elf Zeitungen„aufge- hoben": die„Giustizia " und das„Lavoro " fehlt in der List«. Da hat man sich wohl aus die völlig verwüstetten Lokale verlassen.
Ausgeschlossene Reichstagsabgeorünete. Neue Verluste der KPD . Das Zentralkomitee der Kommunistischen Partei hat die Reichstagsabgeordneten Urbahns, Scholem und Schwan aus der Partei ausgeschlossen. Ihr Aus- schluß steht in unmittelbarem Zusammenhang mit den monatelangen Kämpfen und Auseinandersetzungen innerhalb der Kommunistischen Partei. Die Ausgeschlossenen haben sich geweigert, ihre früheren Erklärungen zur russischen Parteidiskussion zu widerrufen. Die„Rote Fahne " ver- schweigt bisher diesen Beschluß. Offenbar ist der er läuternde Artikel aus Moskau noch nicht ge"
Selbstverständlich wird morgen die„Rote Fahne" fest- stellen, daß das revolutionäre Proletariat einen neuen „S i e g" errungen hat. Wieder find drei„Verräter" über Bord geworfen, die Kommunistische Partei ist drei„Agenten der Bourgeoisie" losgeworden. Selbstverständlich ist sie nach diesem Verlust neu„gestärkt" und zu neuen Taten gewappnet. Die neuen Taten werden auch nicht lange auf sich warten lassen. Sie werden in dem Hinauswurf weiterer Verräter bestehen. U r b a h n s und Scholem werden nicht die einzigen sein, die die Abgabe einer entwürdigenden Unterwerfungserklärung ablehnen. Die Verluste der kommunistischen Reichstagsfraktion werden allmählich beachtlich. Die Ausgeschlossenen können demnächst eine Fraktion der„Verräter" bilden. Bis jetzt sind hinausgeflogen: Frau Gohlke(Ruth Fischer ), Katz, Dr. Korsch, Neddermeyer, Schlagewerth, Scholem , Schwan , Schwarz und U r b a h n s. Weitere Kandidaten für den Hinauswurf sind vorhanden. Mindestens kommen in Betracht Florin, Schlecht, Schütz und Weber. Das Dutzend wird also bald voll sein. 45 Mitglieder zählte die ganze Fraktion. Man kann nicht sagen, daß die Verluste klein sind. Der Ausschluß von Urbahns und Scholem wird nicht nur die KPD.„stärken", er wird auch die außerhalb