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Dienstag

16. November 1926

Unterhaltung und Wissen

Amandus der Weltrekordler.

Don Mag Pflieger.

Amandus Schwanih war non der Vorsehung zum Choristen am Lappdorfer Stadttheater ausersehen. Er spielte die stummen Diener, gebückten Greise, die lautlos über die Szene huschen und im Volks­gemurmel und Windesbrausen lag seine stärkste Begabung. Galt es einen sturmgepeitschten See oder ein sanftes Frühlingsbrausen akustisch zu demonstrieren, so war Amandus totsicher im Besitz einer tragenden Rolle.

,, Sie haben das, was nicht zu kaufen ist," sagte ihm der Direktor, dachte aber dabei immer an die hohen Preise der Donner- und Bindmaschinen. Und im Lappdorfer Anzeiger schloß jeder Theater­bericht mit den anmutigen Worten: Wind und Wetter lagen wieder in den bewährten Händen unseres Schwaniz."

War es aber ein Wunder, wenn er, durch diese höchsten An­erkennungen verführt, sich selbst zu dem Unmöglichsten fähig hielt. Dabei war er im Grunde seines Wesens neidlos und machte in seiner Bewunderung vor den größten Leistungen feineswegs bei Heldentenören und Schauspielerprominenten halt. Nein er bestaunte ehrfürchtig jeden Rekord, der in jeder Betätigung erreicht wurde.

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Und weil sein enthusiastisches Fühlen nach bildlichem Schauen drängte, so sammelte er mit fanatischem Eifer alle Photos der Spigenleistungsinhaber. Er schnitt aus illustrierten Zeitungen be­rühmte Köpfe, kaufte Hunderte von Bildkarten und nagelte mit Reiß­nägeln alles Berühmte an seine schwamifverseuchten Mansarden wände. Da gab es tomische Nachbarschaften. Raffael   war neben Rausenberger, dem Erfinder der 42-3entimeter- Kanone, Schopen­ hauer   neben Frau Löblein, der Verfasserin des besten Kochbuches der Weltliteratur. Friedlich ruhten die sanften Blicke des jungen Hölderlin auf seinem Gegenüber, dem Meisterboger Dempsey und die englische Tabakspfeife des Mister Sherlock Holmes  , der ehedem der farbige Kopf einer Detektivromanserie war, stach unehrerbietig unter das Kinn des indischen Heilandes Gautama- Buddha  . So ging es funterbunt an den vier Wänden weiter, Napoleon  , der Fußball­fönig Schaffer, Ford, Shakespeare  , Caruso, Sophofles, Columbus, der Erfinder des Bubitopfes und hundert andere.

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Seine Annäherungen an die Meister aller Dinge waren jedoch nie bildlicher oder platonischer Natur. Bon rasendem Ehrgeiz erfüllt, er seit seiner frühesten Jugend selbst Hans" oder besser ,, Amandus auf allen Suppen". Er sag, turnte, malte und dichtete, erfand Verbesserungen an Kragenknöpfen und war Vorstandsmitglied sämtlicher Vereine von Lappdorf und Umgebung.

So geschah das Unausbleibliche. Wie ein junger Efeu an seinem Gatter emporfriecht, so rankten sich seine Wünsche und Be­gierden an feiner feltenen Bilderschau hoch, faßten zitternd an anfänglich bestaunten Köpfen und überschatteten schließlich alles. Gleichtun wollte er es allen. Uebertrumpfen wollte er sie. Eine fleine Anzeige in einer Großstadtzeitung wies ihm den Weg in die große Welt.

Eines Morgens erschien ein feister, doppelkinnbehafteter Impresario in Lappdorf, besichtigte das Training Amandusens, sprach knappe zehn Minuten und der mitgebrachte Kontraft frug zwei unterschriften.

Telegramme fauften. Sagten Fehde und Herausforderungen an. Die Meister aller Fakultäten zitterten nach allen vier Winden, fuchten vergebens nach Krankheiten und anderen wichtigen Ver­hinderungsgründen. Doch der sadistische Enthusiasmus ihrer Ge­meinden zog an der Kandare und trieb die Renner in die Arena.

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Ursache und Wirkung.

Beilage des Vorwärts

Durch Einlegung zahlreicher Ueberstunden ist es der deutschen   Industrie gelungen-

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Am 15. Mai war Schwaniz mit Manager und einem Heer von Sportreportern in Amerika   gelandet und am 16. trat er in der Camping Hall mit seinem Gegenüber in den Ring. Der fommende Ermeister war bleich, als der Leiter den zweimalhunderttausend Zuschauern mit einem Riefenmegaphon die Bedingungen des Kampfes bekannt tat. Es sollte fünfzehn Runden lang mit Neun­Unzen- Handschuhen ein Filet gestrickt werden, dessen Muster aus der Handarbeitsschule von Groß- Döberitz stammte. Ergriffen lauschte die Menge auf den Gongschlag. Vier ledergepolsterte Fäuste schlen­ferten unbehend die Nadeln, die Manager hielten die Garnrollen aufgerollt in den Händen. Zweite Runde. Der Titelhalter hatte feine Ruhe zurüderlangt. Amandus, in steigendem Tempo. Nach der vierten Runde erlitt der amerikanische   Favorit den ersten Schwächeanfall. Man schüttete Kübel voll Waffer über ihn hinweg, hielt Salmiakflaschen unter seine Nase- ein Aufschrei aus zwei hunderttausend Kehlen, als er endlich die Augen öffnete.

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Aber nichts half mehr. Rettungslos unterlag er dem Endspurt, um in der elften Runde selbst aufzugeben. Die Schiedsrichter maken mit Kaliber und Mitrometerschraube die fertigen Stücke, eine ge­mischte Kommission prüfte die Faustarbeiten auf fünstlerische Form­gebung, und entschieden, daß Amandus mit einem Vorsprung von 5,81 Zentimeter Filet und feiner Durcharbeitung die Weltmeister­schaft an sich gerissen habe.

Am gleichen Abend besiegte er noch den ersten Tenor der Erde, Signor Pollo vor dem Publikum der Metropolitan im einarmigen Reißen mit einem Plus von fünfzehn Pfund. Das Brillanthuf­eisen" tobte. Am Morgen lagen 1500 Heiratsanträge von Mil­lionärstöchtern in seinem Hotel.

So stürmte Amandus von Erfolg zu Erfolg. Der Nobelpreis­träger für das Friedenswert, Professor Carter von der Havard­Universität, unterlag im Taubenstechen, der Langstreckenläufer Nurmi   im Kopfrechnen und der erfolgreiche angelsächsische Dramatiker Mister World mußte seinen Dichterlorbeer in einem dreistündigen Schönschreibeduell an den Deutschen   abgeben.

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Nach zweimonatlicher Siegesfahrt rüstete sich das alte Europa  , um den berühmten Sohn wieder zu empfangen. Man hatte in Deutschland   längst Schwanih- Plätze- Amandus- Brunnen Schwaniz- Bars und Schwaniz- Zigaretten. Die Jungfrauen der Heimat trugen die Initialen seines Namens tätowiert zwischen den Brüsten, die Postkartenindustrie brachte nur mehr die eine Norm Schwanik" in den Handel und die Universität der Reichshauptstadt errichtete einen Lehrstuhl für Schwanihologie.

Aber alles sollte anders kommen. Nicht zufrieden mit seinem überlegenen Siege über die neue Welt, wollte Amandus auch Europa  in Sturme überrennen. Seine fire Idee, Erster und Einziger über­haupt zu sein, faufte wie ein losgelaffener Rodelschlitten weiter und war nicht mehr zu halten.

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diesen Maffenartikel in Millionen Exemplaren herzustellen.

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erstens: der Geniologie in A. Schwaniz teinerlei Abbruch| elegant und zitternd wie ein nur halbgezähmter arabischer Hengst getan ist, sondern nur als ein Epiphänomen einer Akcidenz an­zusehen ist;

zweitens: daß alles Denken, das sich in diesem Falle dem Kasualismus nähert, a priori als extramundan des Schwanitschen Phänomens kommen müßten.

Bei seiner zweiten Niederlage, einem tombinierten Schafkopf, in dem ihn sein Partner, der berühmte Philosoph, Erfenntnis­theoretiker und Leuchte des alten Erdteils, Ordinarius Professor Dr. Ignaz Huber, mit siebzehn gespielten Eichelsolos weit hinter sich ließ. rückte das ganze akademische Deutschland   mit einem Schlage von ihm ab. Die Künstler folgten, als der herausgeforderte Lyriker Schwanenfug mit 47:38 Glas Märzenbier Sieger blieb.

An seiner ersten Niederlage, wo er einem gefeierten Hunger­fünstler einen Freßmatsch antrug und schmählich unterlag, ging das Baterland noch stillschweigend vorüber. In Telegrammen und Refolutionen wurde ihm die unwandelbare Treue der Nation ver­fichert. Der Außerordentliche auf dem neugebackenen Lehrstuhl wies in einer längeren Broschüre nach, daß

In wahnsinniger Vermessenheit und um seinen schwindenden Ruhm zu festigen, wagte Amandus das lezte. Ein General, ein Fast- Sieger in vielen Schlachten, trat ihm auf einer Halde im Teutoburger Walde zu einem Blindekuhtreffen gegenüber. Aber alle Schlauheit und Kombinationsgabe wurde an diesem hohen Militär zu Schanden. In sechsstündigem Suchen hinter Felsen, Büschen und Bäumen gelang es Amandus nie, seines Gegners habhaft zu werden. Das Bürgertum jubelte dem Sieger zu, holte aus Speichern und Kellern vergessene Bilder und schmückte sie mit neuem Lorbeer.

trat neben ihn der Morgenländer, langföpfig, sprühend und springend, faum vierzig und schon dicht vor dem Ende einer un­gebärdig durchrannten Bahn, ein großer Zeichner, der in blenden­den Skizzen seinen Formtrieb erschöpft, phantastisch und gedanken­voll, entlaufen aus der Schule der Ideen, ins Tätige verschlagen, doch auch hier mehr mit den hinreißenden Worten fechtend, den Blick in die Zukunft gerichtet. Jener war ganz aus der Scholle emporgediehen. Vorfämpfer seiner Klasse, nach einer Abenteurer­iugend zu den geschlossenen Formen des Lebens und Besizes zu­rückgelangt, aus denen er stammte, und doch als Staatsmann ge= fühllos, bereit, mit jedem Bolt und jeder Staatsform zu gehen. wenn sie der feinigen nuzte; dieser, als Jude und Bürger ohne Heimat, in zäher Jugendarbeit emporgeklettert, bekämpfte seine Klasse und sein Erbe, entzündete das leichtbewegte Herz mit dem Aufschwung der Nation, zu der er raffenmäßig, und mit dem Auf­schwung der Klasse, zu der er klaffenmäßig nicht gehörte. Bismarc opferte nichts, als er begann, Laffalle gefährdete alles, jener feſtigie sundheit, und wenn jener mit 32 begann, im Stil seiner Kreise zu Stand und Stellung, dieser verlor in Gefängnissen Freiheit und Ge­tonfurrieren, so hatte der Jüngere gleichzeitig mit 22 begonnen, den Stil der seinigen in allem zu verleugnen.

Und doch wurden beide von den gleichen Impulsen bewegt: Stolz. Mut und Haß haben den jüdischen Sozialisten wie den pommerschen Junker zum Handeln getrieben, in beiden haben diese Motive den Willen zur Macht erzeugt, feiner hat sich gefürchtet, feiner den übergeordneten Menschen ertragen, feiner im Grunde

Amandus Schwanih war seit jenem Tage spurlos verschwunden geliebt. Wie Bismard das mächtigere Desterreich stärker haßte, als und niemand hat ihn mehr gesehen.

Bismarck und Lassalle.

Von Emil Ludwig  .

In seinem neuen Bismard- Bud widmet Emil Ludwig   der menschlichen Beziehung zwischen Bismard und Lassalle den hier im Vorabdrud wiedergegebenen Abschnitt, bevor er auf die poli­tische Seite diefer Beziehung eingeht.( Verlag Ernst Rowohlt  ,

Berlin  .)

er die Preußen liebte, so hat Lassalle   weniger mit dem vierten Stand gefühlt als gegen den dritten; deshalb hat jener unter preußischen Junkern, dieser unter heraufgekommenen Führern feine Freunde gesucht oder gar gefunden, jener lebte nicht höfisch, dieser nicht volkstümlich, beide waren vpn Galle   voll gegen die Beschränkt. heit ihrer Stände und ähnelten einander auch in Ironie und 3ynismus.

Aber durch seine stabile Basis in der Lebensform war Bismarc zeitlebens zu dienen verurteilt: er hatte den König gewählt, Lassalle  die Menge. Wohnte jener in einem festen Schlosse, so hörte er doch über sich immer die Schritte eines Mannes, unter dem zu wohnen sein Schicksal war; dieser hörte niemand über sich, aber sein Schloß war von Luft und seine Nerven zitterten stärker vom Winde der Zukunft als von den Reibungen in der Realität, die Bismarcks Nerven ruinierten. Waren beide künstlerische Naturen, so war doch Schauspieler seiner selbst, weshalb jenen Ehrgeiz, diesen Eitelkeit stärker beseelte. So kam es, daß Lassalle sich an Erfolgen und Aussichten berauschen konnte, in denen er eine fernere Zukunft vor fich jah, als Bismarck  , der weniger, aber festeres wollte und des halb mehr Geduld entwickelt hat. Darum hat einer den anderen um das Doppelte an Jahren überlebt und doch ist Lassalle   reicher an Augenblicken des Glücks gewesen.

Damals war Bismards Geist in Europa   ohne Konkurrenz. Die Könige und Kaiser konnten nicht denken oder nicht handeln. Franz Joseph   war zu unerfahren, Napoleon   zu verbraucht, Alexander Aeltere Schachspieler gegen andere Mächte, der Jüngere mehr der zu stumpf, Wilhelm, Viktoria, Viktor Emanuel   waren zu mittel mäßig, um nach inneren Visionen Politik zu treiben: Gladstone und Disraeli   waren noch nicht in voller Macht, Gortschakow   zu eitel; bedeutsam in seiner Art Cavour, der starb, als Bismard kam. Nur in Preußen war noch ein politisches Genie. Obwohl fast ohne Partei und überaus revolutionär, weder durch Gedanken anziehend noch durch die Macht, wurde es von seinem großen Gegenspieler doch rasch erkannt: es war allein die Suggestion des genialen Bruders, die Bismarck   und Lassalle   zusammenführte.

Massiv und schwer an Körper und Stimmung, fuppelföpfig, in langsam vorschreitendem Gange, nach langer Ouvertüre und im Vorblick auf viele Jahrzehnte, den großen deutschen   Bildgießern ähnlich, die auf jedes ihrer figurenreichen Werte ein Menschenalter menden konnten, die Phantasie durch Sachlichkeit gezähmt, Worte wägend und Taten vorbereitend, lieber mit Größen rechnend als mit Ideen: so stand Bismarck  , der Realist, mit gegen 50 Jahren am Beginn seines Wertes, gerade auf der Schwelle. Schlant,

Auch in der Nachwelt. Als sie fich trafen, erkannten sie wechsel seitig ihren Wert, bevor ihn die Welt erkannte. Wäre Bismard damals, im Jahre 1863, im Duell mit Virchow gefallen, sein Name hätte höchstens den Rang von Radowiß, der längst vom Volke ver­gessen ist; Lassalle, obwohl ein Jahrzehnt jünger, fiel in genau den­felben Anfängen seines Werkes, das zunächst ganz zu verschminden drohte, und dennoch steht sein Name im Bundesliede von Millionen Menschen aller Bölker. Er scheiterte und wurde weltberühmt, weil er die Ideen von übermorgen verwirklichen wollte; Bismard ge. langte an sein Ziel von morgen, sein Denkmal blieb im Lande.