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Nr. 557 43. Jahrg. Ausgabe A nr. 284

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Zentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutfchlands

Redaktion und Verlag: Berlin SW. 68, Lindenstraße 3 Fernsprecher: Dönhoff 292–297.

Freitag, den 26. November 1926

Vorwärts- Verlag G.m.b.H., Berlin SW. 68, Lindenstr.3

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Prager Büttel Mussolinis.

Auflösung einer sozialdemokratischen Versammlung.

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Gegen den Faschismus

darf nicht gesprochen werden.

löste er die Versammlung auf, und wenige Minuten später drangen etwa 40 bewaffnete Poliziften in den Saal und räumten ihn.

Chinas Erwachen.

Von der Anarchie zur Selbstregierung. Bon Professor E. Lederer Heidelberg..

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Der Herbst 1926 wird vielleicht in einer späteren Zukunft als der Wendepunkt in der chinesischen Ge= Prag, 25. November. ( Eigener Drahtbericht.) Heute abend| sammelten. Er teilte mit, daß er von der Polizeidirektion den Auf- schichte erscheinen, als der Beginn einer Epoche, in welcher wollte die bekannte Vorfämpferin der internationalen Revolution trag habe, in der Versammlung kein politisches Wort über Italien sich ein neues China aufbaut. Die letzten Jahre waren er­und Bekämpferin des italienischen Faschismus, Angelika Ba sprechen zu laffen. Unter der ungeheuren Empörung der Anwesen füllt von Generalstriegen nicht von Bürger­labanow, in einer öffentlichen, von der Deutschen Sozialdemo- den, unter denen sich führende deutsche und tschechische Sozialdemo- melbete. Denn Bürger und Bauern( und Bauern bilden ja kriegen, wie die europäische Presse immer wieder fälschlich tratischen Partei einberufenen Versammlung im Heinesaal in Prag fraten befanden, in China noch die Hauptmasse der Bevölkerung) haben durch über das Thema: Italien , Mussolini und der Faschis. mus" fprechen. Genoffin Balabanom, die schon während des Tages ganz China feinerlei Feindschaft gegeneinander. Ihre ge­meinsamen Feinde sind die Generale und deren Armeen, zur Polizeidirektion zitiert worden war, um dort über ihre Person welche sich auf dem Rücken der friedlichen Bevölkerung be­Rede zu stehen, wurde beim Eintritt in das Bersammlungslokal von fämpfen. Diese Armeen hält nur das brutale Interesse zu­den beiden erschienenen Regierungsvertretern mitgeteilt, sammen, die Wehrlosigkeit des Volkes, das nur dazu da ist, um Kontributionen aufzubringen. In diesem Bilde dürfen durch Subsidien und mehr oder minder geduldeten Waffen­wir aber auch nicht die fremden Mächte vergessen, welche schmuggel diese Armeen stützen, während sie gleichzeitig mit der Zentralregierung in Beking als dem offiziellen Adressaten verkehren. Ein eigentümliches Bild: ein großes Kulturvoll, das sich in den Jahren der Revolution nicht zu organisieren vermochte, das als ein Bolt von Privaileuten­von Bauern, Handwerkern und nunmehr auch Bankiers und Großindustriellen in die kapitalistische Aera hineingleitet und zeigt, wie der Gedanke des freien Handels und Wandels, des freien Spiels der Kräfte" selbst in dem Lande der Schriftgelehrten, in dem Lande friedfertiger Bürger zur anarchischen Herrschaft einer hemmungslosen Soldateska führen muß.

daß sie nichts Politisches über Italien sprechen dürfe, und kaum hatte sie ihr Referat begonnen und im einleitenden Satz den Faschismus gekennzeichnet, als einer der beiden Regierungs­vertreter sie unterbrechen und verwarnen ließ. Beim zweiten Satz, mo sie von der Friedhofsruhe sprach, die über Stalien lagert, unter­brach sie der Regierungsvertreter wieder und er sprach troß des Protestes des Borfizenden und der Bersammlung selber zu den Ber­

Schmuß und Schund.

Heute zweite Lesung im Reichstag. - Ein unmögliches Gesetz Heute beginnt im Reichstag die zweite Lesung des Belezes zur Bewahrung der Jugend vor Schmuh- und Schundschriften. Das Schicksal des Gefeßentwurfes ist ungewiß.

Die Berireter des Geistes und des freien literarischen Schaffens haben gegen dies Gesetz Widerspruch erhoben, teils mit zorniger Empörung, teils mit tiefem Mitleid gegenüber dem Geift, der dies Gefeß erfüllt- immer aber aus ernster Sorge um die Freiheit des Geistes und der Kunst, aus Gorge, daß dem Muckertum ein Girid in die Hand gegeben werden soll, mit dem es das freie fünstlerische Schaffen würgen kann. Schutz der Jugend vor Schmus und Schund, jawohl! Es gibt Schmutz und Schund in der Literatur, von dem sich jeder mit zorniger Verachtung abwendet, der für die Würde des geiftigen Schaffens und der Kunst, für die Berantwortung gegenüber den kommenden Generationen ein sicheres Gefüh! in sich trägt.

Aber man fann dies sichere Gefühl nicht in die Definition eines Gesetzes fajfen. Das Gesetz, das dem Reichstag vorliegt, hat den Verfuch dazu nicht unternommen. Es hat die Ent­scheidung, die notwendig ein künstlerisches Werturteil in sich schließt. Prüfungsstellen von Fall zu Fall überlassen.

Man kann die Jugend vor Schmutz und Schund nicht durch negative Präventivmaßregeln schützen, und zugleich den Geist Metternichscher Polizeischnüffelei züchten. Was man auf der einen Seite vielleicht und dies vielleicht muß unter­

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strichen werden an geistiger Erziehung der Jugend gewinnt,

perdirbt man auf der anderen Seite durch die Züchtung eines Geistes des Mudertums, der eines freien Boltes unwürdig ist. Es ist technisch gegen diesen Gesetzentwurf ungeheuer viel einzuwenden. Alle gesezestechnischen Einwände aber stehen zurück hinter dem Widerspruch, den der Geist dieses Gesetzes

hervorruft.

Es wäre besser, die Blicke auf die positiven Mittel zur Bewahrung der Jugend zu wenden. Ein gutes Buch in der Hand der Jugend ist ein nachhaltigerer Schutz gegen Schmutz und Schund, als jede Zensur. Die Bewahrung der Jugend vor Schmutz und Schund ist die positive Aufgabe der Erziehung nicht der Literaturpolizei.

Es ist ein grotesfer Gedanke, die Jugend vor sittlicher Berberbnis durch Schundlieratur schüßen zu wollen, während sie in den Großstädten, den Zentren der sozialen Not, täglich den Schmuß der Kokottenkultur vor Augen hat, und in ihrer nächsten Umgebung mehr sieht, als ihnen die Phantafie eines Schmuhliteraten vormalen fann.

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Das Gesetz eine gefährliche Handhabe für heuchlerisches Mudertum wirkt angesichts dieses Gegenfages wie ein Feigenblatt, das die große foziale und moralische Not der Jugend verbergen soll.

Würde es angenommen es wäre eine Schande für Deutschland .

Justiz gegen Reichsbanner. Ein Massenprozeß im Harz. Was die Staats. anwaltschaft für Nötigung hält.

Braunschweig , 25. November. ( Eigener Drahtbericht.) Am Frei­bag beginnt in dem Harzftäbtchen Haffelfelde ein Prozeß gegen 14 Reichsbannerleute. Die Angeklagten werden

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An Ort und Stelle wurde den Bersammlungsteilnehmern von der Bersammlungsleitung mitgeteilt, daß anschließend eine§- 2- Ber­sammlung( das ist eine für geladene Gäste bestimmte Versammlung) im Tschechischen Boltshaus stattfinden würde, das die tschechischen Genossen zu diesem Zweck zur Verfügung gestellt hatten. Dort drang nochmals ein Vertreter der Polizei ein und zog erst nach einem hochnotpeinlichen Verhör der Versammlungs­leiter ab. Dann erst konnte Genoffin Balabanow sprechen ohne von der Bolizei gehindert zu werden.

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beschuldigt, während eines Ausfluges nach Allrode im Harz , als in ihren Fadelzug geschossen wurde, in ein Haus eingedrungen zu sein und nach dem Täter gesucht zu haben. Dabei sollen sie sich Tätlichkeiten gegen die rechtsradital eingestellten Woh nungsinhaber haben zuschulden tommen lassen. Die Staatsanwalt schaft hat 14 Monate lang den Fall untersucht, bevor sie den Ter­min ansetzen fonnte. Sie hat zunächst 122 3eugen ge laden, aber jetzt schon auf 70 verzichtet.

Gegen den Redakteur des sozialdemokratischen Harzer Echo" in Blantenburg, der zu einer Demonftra­fion aufforderte und sagte, daß am Sonntag der dröhnende Schrift des Reichsbanners der Justiz in die Ohren flingen müffe, ist schnell Staats­noch ein Berfahren wegen Nötigung(!) vom anwalt eingeleitet worden.

Die Staatsanwaltschaft hat wegen des Brozesses die Landjäger aus dem ganzen Bezirk in dem kleinen Städtchen zusammengezogen, trotzdem natürlich niemand an Gewalttätigkeiten denkt.

Landtagsbeginn in Sachsen .

Wahl des Präsidiums.

Dresden , 25. Rovember.( Eigener Drahtbericht.) Am heutigen Donnerstag fand die erste Sigung des neugewählten Sächsischen Landtages statt. Mit 89 von 95 abgegebenen Stimmen wurde der von der Sozialdemokratischen Partei vorgeschlagene Genoffe Schwarz zum Bräsidenten des Landtages gewählt.

Für den Posten des ersten Vertreters des Landtagspräsidenten wurde vorgeschlagen der Kommunist Lieberasch und der Deutsch­nationale Dr. Edardt. Kommunisten und Deutschnationale haben die gleiche Anzahl von Mandaten. Es wurde mit 51 gegen 44 Stimmen der deutschnationale Dr. Edardt gewählt. Für Dr. Edardt stimmten die Bürgerlichen und die vier Abgeordneten der alten Sozialdemokratischen Partei. Für Liebe.

rasch stimmten Sozialdemokraten und Kommunisten.

Für die Wahl des zweiten Stellvertreters des Vorsitzenden waren vorgeschlagen der deutschool? sparteiliche Abgeordnete Hid­mann und der Kommunist Lieberasch. Der Boften hätte den Kommunisten gegeben werden müssen, weil die Kommunisten 14 Mandate haben, die Deutsche Bolkspartei aber nur 10. Der Abg. Wirth von der alten Sozialdemokratischen Bar tei erklärte jedoch, daß diese für einen Kommunisten als Präsidenten nicht stimmen fönnte, und zwar deshalb nicht, weil die Kommunisten Gegner des Parlamentarismus feien. Genosse Böchel entgegnete darauf, daß sie dann auch nicht für einen Deutsch Bei der Wahl wurde der Volts nationalen stimmen fönnten. parteiler i mann mit 47 bürgerlichen Stimmen gegen Lieberasch, der die 44 Stimmen der Sozialdemokraten und Kommunisten erhielt, gewählt. Die vier Mann von der alten Sozialdemokratie enthielten fich der Abstimmung.

Die nächste Sigung findet am Dienstag, den 30. November, statt. Auf der Tagesordnung steht die Wahl des Minister präsidenten.

Rücktritt der Regierung Heldt. Nachdem der Landtag die Abgg. Lieberasch( Komm.) zum ersten und Muder( S03.) zum zweiten Schriftführer gewählt hatte, gab Ministerpräsident Heidt im weiteren Verlauf der Sigung namens der Regierung die Erflärung ab, daß sie ihre Aemter in die Hände des Landtags zurücklege und die Regie­rungsgeschäfte bis zur Neuwahl des Ministerpräsidenten weiter. führen werde.

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Die ersten Versuche, sich dieser Herrschaft zu erwehren, begannen schüchtern in den großen Städten. Die großen Unternehmungen des Handels und der Industrie sind an sich schon gesellschaftliche Organisationen, deszipliniert durch die moderne Technik der Produktion und des fommerziellen Be­triebs. 3ft es möglich, daß sich die Küstengebiete und die reichen Teile des Landes mit solchen fapitalistischen Unter­nehmungen durchsehen und daß gleichzeitig, sozial in der Luft ftehend, Riesenarmeen auf dem Lande und von dem Lande leben? So jetzte zuerst in den großen Städten eine spontane Selbsthilfe ein: Schuttruppen gegen Räuber= banden. Zugleich war in ihnen eine Warnung an die Generale gegeben, den Bogen nicht zu überspannen. Zu gut wissen andererseits die Organisatoren solcher Schuttruppen, daß sie damit die Gefahr des Militarismus heraufbeschwören aber fönnen sie hoffen, die Gewaltherrschaft zu überwinden, ohne selbst Gewalt zu gebrauchen?

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Die Selbstorganisation gesellschaftlicher Kräfte fann je= doch nicht bloß etwas Negatives fein. Sie hat eine Dynamit im sich, ein Wollen. So führt gerade die Anarchie zum ge­sellschaftlichen Wollen, und zwar dort, wo sich schon in der Revolution des Jahres 1912 die Bolfskräfte zuerst zusammen­gerafft und aufgebaut hatten: im Süden. Nach so manchen Jahren wechselvoller Geschehnisse scheint dieser gesellschaft­liche Wille des Südens vorstoßen und den größeren Teil Aus welchen Gründen Chinas durchdringen zu können. dieser Vorstoß jetzt gelingt( oder: man muß in China immer vorsichtig sein, zu gelingen scheint), ist nur dann verständlich, wenn man sich vergegenwärtigt, was in Kanton geschah: Dort hat sich um die Persönlichkeit von Sunŋatsen eine festgefügte Partei gebildet, welche Prinzipien vertritt. Es find die Grundsätze, die staatspolitischen Ideen Sunnatsens, welche sich anschicken, China zu erobern.

Wir find in Europa so sleptisch gegenüber der Kraft der Ideen, daß wir eines darüber vergessen: die Existenz eines großen Boltes als politische Nation, die Regelung seiner Schicksale im eigenen Haus, ebenso wie das Handeln nach außen ist nur möglich, wenn die ungefüge, formlose Masse ihr dumpfes Wollen und alle die ungeregelten Einzelkräfte, die weit auseinanderliegenden Willensrichtungen in Or ganisationen bindet, formt und zu aktivem Handeln, zu gestaltendem Handeln bringt. So kann sich das chinesische Bolt ber parasitären Armeen, die von ihm leben, einfach nicht erwehren, weil überall im Land nur blinde, stumpfe, unver­bundene Oppofition lebt, die nicht zur fozialen Macht werden fann, weil den Gefühlen der Abwehr, den moralischen leber­zeugungen der Bürger( die stärker sind als in Europa ) die Fähigkeit fehlt, sich auszudrüden und die Wirklichkeit mit­zubestimmen. Sunyatsen hat erkannt, daß dieses Volk, welches nur in der Familie lebt, nur die private Existenz fennt, nichts von Staat, von Großorganisation, von Zwangs­systemen wissen will: daß es der Spielball von Ge= walthabern werden muß, wenn es sich nicht selbst eine Organisation gibt, wenn es nicht die Methoden der europäisch­amerikanischen Demokratie anwendet.

Denn die ideenlose Gewalt der chinesischen Generale hat fich als unfähig erwiesen, diefen ungeheuren Erdteil, dieses Land mit nahezu 400 Millionen Einwohnern zu ordnen. Bald schien der eine, bald der andere im Borteil zu sein, und der geduldige europäische Zeitungslejer hörte mit Gleichmut,