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Nr. 55$ 45. Jahrgang

) Heilage ües Vorwärts

SonnabenÜ, 27. November 1424

Me märkijche KleinMöte aussehen:

Eine große Zahl von Berlinern wirh aus die Frage: Kennen Sie Bernau ? antworten: Na. gewiß doch, ich bin schon xmal durch- gefahren. Und eine gleich große Anzahl wird beteuern, daß es ein famoser Plag sei, von dem man wunderschöne Ausslüge in die nördliche Waldgegend machen könne... ein kleiner Teil der Gc- fragten wird seine Unkenntnis offen eingestehen. Nun, demDurch- geeilten" wie demNichtkenner" wird man den Rat geben können, das bisher Versäumte nachzuholen: an keinem anderen Ort in der Umgebung Berlins wird ihm das Wesen der alten wahrhaften Klein- stadt so eindringlich zu Gemüte geführt wie in Bernau . Ein paar Stunden vergehen im Fluge und die bequeme Verbindung mit der elektrischen Vorortbahn ist nicht nur dem Eiligen willkommen. Oer alte Staütcharakter. Wenn man nach der Ursache forscht, wie ein nur drei Meilen von Berlin entferntes, mit der Riesenstadt durch zweimal fünfzig Züge verbundenes Städtchen seinen Kleinstadtcharakter so unver- fälscht erhallen konnte, so ergibt sich die Antwort aus dem Fehlen der Industrie. Gleich hinter Blankenburg hört der großstädtische Einschlag auf: man erblickt wohl noch zerstreute Siedlungen, aber das freie Land herrscht vor. Und auch der massive Wald fehlt, ebenso ein breites Wasser die von Bernau kommende Pauke ist doch nur ein Bach!, und so legt sich zwischen Berlin N. und Bernau ein Gürtel poesieloser Ackerfläche, die dem Uebergreifen Berliner Sen- sationen und Geschmacklosigkeiten im Wege steht. Als Wohnort für Leute mit bescheidenem Einkommen hat sich Bernau allmählich zu einer Bevölkerungszahl von rund 10 000 aufgeschwungen: ein gut Teil davon sind Arbeiterfamilien, deren Oberhäupter nach Berlin zur Arbeit fahren. So ist in gewisser Hinsicht Bernau doch tribut- pslichtig geworden, ober andererseits hat es der Versuchung wider- standen, sich zum Sklaven des aufBetrieb" und kapitalistische Bodenausnutzung bedachten Berliner Geistes zu machen. Obgleich Endpunkt einer Vorortverkehrslinie, ist es kein Vorort Berlins geworden. Eine freundliche Stille umfängt den Besucher, und die Spione", die an den Fenstern angebrachten Spiegel, belehren den Eingeborenen, daßFremde" da sind, die sich die altertümlichen Häuser und Mauern ansehen. Sicht man von der Sage ab, daß Bernau 1142 begründet sei, so findet man als erstes beglaubigtes Datum die Nachricht, daß Dernau mit dem Barnim 122S zur Mark gekommen sei: 12Z2 empfing der Ort das Stadtrscht. Sein durch seine Wehrhaftigkeit geschütztes Aufblühen beruhte auf seinem Braugewerbe, das nach

dem Dreißigjährigen Kriege bedeutend war: 1669 wurden in Berlin noch 4328 Tonnen Vernauer Biet eingeführt. Von den damals ge- übten Brausitten mag dieBierprobc" erwähnt werden: Bürger- meister, Rats- und Brauherren setzten sich, mit bockledernen Hosen bekleidet, auf Schemel, die mit dem zu erprobenden Bier begossen waren. Nach ausgiebigem Zechen mußten die Hosen an dem Schemel kleben bleiben dann hatte das Bier die Probe bestanden. Auch bei der hussilenschlacht 1432 spielte das Bier eine gewichtige Rolle: volle Fässer, deren Inhalt durch Zusatz von Stechapfel, Bilsenkraut und anderes vergiftet worden war. wurden zu den Toren hinaus-

Der Weg um die Stadtmauer.

gelassen: der Feind berauschte sich daran und so konnten die Ber - nauer Burger �einen Aussall wagen, zumal das Entsatzkorps Fried- nchs I. von Spandau her eingetroffen war. Die Niederlage der Hu, fiten war eine vollständige, das Hufsitenfest und das' kleine Hussttenmuseum haben die Erinnerung an diese Tot festgeljalten. Die Zahl der damals bestehen Brauereien wird auf 32 angegeben: daß das Bier für gut angesehen wurde, bezeugt der Reim: �och wer Bernau'sch Bier verachtet, Der ist wert, daß er verschmachtet. Aber allmählich ist das Gewerbe dahingestinkcn, und wenn heute ein Bernauer Bier trinkt, so ist es kein Bernauisches. Der Sieg über die Hufstten war für Bernau um so wichtiger, als kurz vorher, 1406, ein großer Brand fast die ganze Stadt zerstört hatte. Im 16. Jahr- hundert hauste die Pest in Bernau : 1110 Personen wurden 1316 von der Seuche hingerafft. Andererseits konnte die Stadt 1611 dem Berliner Kammcrgericht eine Zuflucht gewähren, als es aus Berlin wegen der dort herrschenden Pest flüchtete. Aus jener an Nor reichen Zeit sei noch erwähnt, daß am 22. April 1342 der Dichter Rollenhagen hier geboren wurde, dessen Gedicht vomFrosch- mäuseler, der Frösch und Mäuse wunderbare Hofhaltung" von Literaturhistorikern noch gebührende Beachtung geschenkt wird. Dernau gehört also zu den wenigen märkischen Kleinstädten, die Berühmtheiten" hervorgebracht haben. Das Staötinnere. Schreiten wir nun aus dem Dunkel der Geschichte in das helle Licht des Tages, klettern wir vom hochgelegenen Bahnsteig her- unter, so stehen wir beim Austritt vom Bahnhof vor einem Wunder: ein großer farbiger Stadtplan zieht unsere Blicke auf sich. Die Freude, eine oft erhobene Forderung erfüllt zu finden, läßt über einige Mängel hinwegsehen. Daß der Plan aus neuester Zeit stammt, lehrt der Name Eberislraße, den die rechte Hälfte der Kaiserstraße führt. Vom Bahnhos rechts an der Post und der 1908 fertiggestellten, an die bekannte Berliner Massenfabrikation er- innernde katholische Herz-Iesu-Kirche vorbei, gelangen wir zum Königstor, das der wohlerhaltenen Stadtmauer so recht den Halt gibt, da es mit dem vom Storchennest geschmückten Wari- türm ein architektonisches Ganzes bildet. In ihm befindet sich das hussitenmuseum; seine spitz zulaufende Durchfahrt gewährt Einblick in die den Ort ganz durchschneidende Berliner Straße. Diese ver- folgen wir bis zur Bürgermeistcrstraße, die uns zum Markt führt. Rechts das einfache, aber durch die Freitreppe architektonisch ge- hobene Rathaus, dem gegenüber einige weniger glücklich moderni­sierte Häuser sich befinden. Aeltere Bauten befinden sich um den Markt herum, in der Grünstraße Blick auf den Pulverturin und Tuchmacherstraße. Hinter dem Häuserblock westlich vom Markt die stattliche Marienkirche, eine dreischissige gotische Hollenkirche, die an der Nordseite ein viertes Schiff aufweist. Dort ein Rund- bogenportal von dem 1341 vollendeten alten Bau. Durch Feuer im 13. Jahrhundert zerstört, wurde die Kirche dann in Backstein in größerem Ausmaße wieder aufgeführt. Eine Erneuerung fand 1843/46 statt, wobei gleichzeitig der nicht glücklich wirkende Turm hinzugefügt wurde. Im Innern der Kirche ein gotischer Altar mit reichem Schnitzwerk und vielen Bildern aus der biblischen Geschichte. Ferner Sakramentshäuschen, Taufstein, Gedenktafeln und Gemälde. Die bedeutende Vergangenheit Bernaus spricht sich in diesen Werken aus. lind nun zum Schluß der Rundgang um die Stadtmauer. Bald gepflastert, bald nur sandiger Weg, läuft eine innere Straße an ihr entlang, und ältere und neuere Pforten sichern den Anliegern be- quemen Zugang zu chren draußen gelegenen Aeckern. Der llebel- stand, daß der sandige Teil, rechts vom Königstor nach Eintritt 4n die Stadt sich hinziehend, nach Regenwetter nur einen wenig er- freulichen und für Damenhalbschuhe recht unliebsamen Balancier- gang gestattet, sollte vom Magistrat nicht geduldet werden. Die stille Poesie solcher historischen Stätte braucht nicht durch modernen Schmutz nochechter" gemacht zu werden. » Hat Bernau eine Zukunft? Zurzeit ist es ein Ackerstädtchen, das sich vor den meisten märtischen Orten dadurch auszeichnet, daß zwei Drittel seiner Bevölkerung linksgerichtet ist. Das Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold zählt 130 Mann, ein gutgehender Konsumverein mit schönem Laden macht Propagandadurch den Magen". Ar- beiterturnoerein und Radfahrverein besteht: die Stadt verfügt über einen großen Sportplatz. Geistige Genüsse muh Berlin befriedieen, was ja auch leicht möglich ist. Soll der Charakter von Bernau er- halten bleiben, was durchaus zu wünschen ist, so kann ein Aufschwung der Stadt nicht durch künstliches Hochpäppeln von Industrie erzielt

Die Wunöer öer Klara van Haag. 23] Bon Johannes Buchholtz . Aus dem Dänischen übersetzt von Erwin Magnus . Ich glaube, Sie wissen alles, Herr Lund! Sie können gewies das Gras wachsen hören, nicht wahr?" Lund lachte triumphierend:Dies und jenes hört man ja. Das Gras wachsen hören kann niemand, denn das macht kein Geräusch. Aber Frau Egholm kommt und kauft eine Jacke für den Jungen. Da denke ich, was will sie mit der Jacke mit blanken Knöpfen.... Und... nicht wahr, ein Kauf- mann muß zusammenreimen können. Die Jacke ging für 8,90. Die wurden angeschrieben. Aber das tut nichts. Ich sehe nicht auf den Mann herunter, der Schulden macht, da- gegen wohl auf einen, der nichts kauft... Schlimmstenfalls kann man sich an seinem Boot bezahlt machen." Acht K"onen und neunzig. Wollen Sie die in Ihrem Buch löschen," sagte die Gnädige und zog ihr flaches, graues Geldtäschchen heraus. Ist das nicht edler Gedankengang!" sagte Lund und strich eifrig im Journal.Aber Egholms find es auch wert. Ganz reizende Menschen. Ich habe mich auch einmal für die Familie interessiert." Sie?" sagte die Gnädige. Sie war im Begriff, zu gehen. Jetzt blieb sie wieder stehen. Ja," nickte Lund zufrieden.Damals, als er ein kleines Dampfboot erfand. Ich warnte ihn. Tun Sie es nicht! sagte ich. Ich war wohl der einzige, der das sagte. Ich weiß, was man vorausschauend nennt. Später ging die Erfindung ja auch richtig in Flammen auf. Pscht weg war die ganze Herrlichkeit. Haha!" Oh ja, es war traurig, wie es dem arinen Mann erging." Wieder ein nobler und edler Gedankengang. Ich hatte damals übrigens genau denselben. Ich habe viel für den Photographen getan, das darf ich wohl sagen. Als er dies scbrecklickie Hühnerhaus baute, sagten die Leute: Dos ist eine Schonb» für d-e S�odt. Das müßte verboten werden! Ich

sag'

ilui nur bauen iiar- wird keine Schande, sondern

eine Sehenswürdigkeit für die Touristen. Die wollen gerade solche ausgefallenen Dinge haben. Jetzt haben wir dreierlei:

Die Lage, die Kirche und die Abbruchvilla, wie wir Egholms Villa nennen. Wissen Sie, daß wir Touristen herbekommen, Frau Haag? Jawohl, nächsten Sommer! Wir sind ein Konsortium, das Bangs Hotel gepachtet hat und Badegäste aufnimmt. Die Idee habe ich gehabt! Ich habe auch die Lage entdeckt. Ich habe Leute sagen hören, daß Knarreby schöner sei als Kopenhagen und Skagen zusammengenommen. Bessere Lage, wie gesagt. Glauben Sie, daß es gehen wird, Frau Haag?" Frau van 5)aag sagte, daß sie von dem Touristenzustrom weder etwas verstände, noch sich dafür interessierte, und wollte gehen: aber Lund trat ihr einfach in den Weg und sagte mit reißender Schnelligkeit:Ich glaube es! Sie kommen. Sie sollen sehen, daß sie kommen. Es werden Leute mit flotten Kleidern kommen, die auch unseren Geschmack in die Höhe bringen werden! Wer hat jetzt Geschmack in der Stadt. Nie- mand außer der Postmeisterin! Sie ist eine Dame, die sich zu kleiden versteht. Sie sollten sie im Winter mit Pelz beladen die Straße herunterkommen sehen. Vor Pelzwerk bricht sie fast zusammen, sage ich Ihnen. Haben Sie auch Pelze, Frau Haag? Ich habe nie gehört, daß eine Zöllnerin sich von einer Postmeisterin zu lumpen lassen braucht!" Nichts Nennenswertes." Aber ich," sagte Lund und sprang eine Elle hoch.Jetzt werde ich Ihnen«inen schicken und billigen Abendfuchs zeigen, mit dem ich unglücklicherweise liegen geblieben bin." Das muß jedenfalls noch warten..." sagte die Gnädige, ängstlich vor der kleinen, braunen Spinne. Jawohl, jawohl, natürlich, jetzt ist keine Zeit für Pelz- werk. Aber in Sommerblusen habe ich eine ganz vorzügliche Auswahl. Wenn gnädige Frau eine Sekunde warten wollen, werde ich Ihnen meinen Vorrat in lebhaften Stoffen zeigen." Nein, ach, nein, danke. Sie sollen nicht..." Sehen Sie!" sagte Lund und riß wild Pappschachteln herunter.Crepe de Chine, 7,35. Sehen Sie: Schottisch, Halbseide. Ich glaube, die Stadt geht einer großen Zeit ent- gegen. Gerade in Blusen. Sehen Sie: Römischer Stoff, 6,85. Jetzt verlegen sie ja den Bahnhof. Die Eisenbahn möchte gern Egholms Hans und das Feld darum kaufen, aber das sswollen w i r nicht. Wir wollen, daß die Babn ganz von die'em Sadtteil weakommt und der Bahnhoi in den Königswald gelegt wird, der enteignet werden soll das j heißt: Der Kämmerherr soll gegen seinen Willen zum Verkauf»

gezwungen werden, er will nicht das wollen w i r. Gefällt Ihnen diese Hellila mit jugendlichem Kragen nicht?" Nein, mir gefällt keine von ihnen. Aber sagen Sie mir: Wann soll die Verlegung des Bahnhofs stattfinden?" Sobald der Reichstag das Geld bewilligt hat. Nächstes Jahr hoffentlich. In solchen Blusen gehen sonst alle besseren Damen. Alle. Auch gewöhnliche Dienstmädchen haben ein, zwei, drei Stück zum Wechseln hängen." Ja, danke, aber... Sagen Sie, dann müßte also der Königswald gefällt werden, wo der Bahnhof liegen soll? Ja, natürlich." Nur ein winziges Stückchen davon. Nicht ein Baum mehr als notwendig wird gefällt um nicht der Lage zu schaden. Na, jetzt habe ich mich in der Schachtel geirrt, das sind keine Blusen, sondern Damenhemden. Darf ich mir erlauben...." Nein, danke, in Hemden bin ich nicht so arm wie in Blusen und Pelzen. Aber jetzt muß ich gehen. Ich habe Ihnen sicher große Mühe gemacht." Lund schmiß die Pappschachteln hin und schoß vor den Ladentisch:Keine Mühe! Allzuwenig Mühe! Aber, was ich sagen wollte. Hemden und Hemden sind zweierlei. Man braucht keine Spitzen mehr am Hemd. Man braucht Festons. Niemand geht mehr mit Spitzen. Festons! Die Beinkleider sollen jetzt auch am Knie geschlitzt sein." Da fühlte Frau van Haag, die jetzt auf der Steintreppe stand, daß die Kaufmannsaugen des kleinen Lund ganz durch ihre Kleider hindurch sahen. Es kribbelte ihr unangenehm am Körper, aber sie fand kein Wort, das sie ihm ins Gesicht schleudern konnte, dagegen sagte sie, um Entschuldigung bittend und errötend:Aber ich habe wirklich auch andere, als mit Spitzen, Herr Lund, mein großer Koffer war nur verkehrt gegangen. Aber jetzt kommt er!" Lund zog sich in den Laden zurück: er war blaß von der erlittenen Spannung. Er fuhr sich mit der Hand durchs Haar. Das war in den letzten par Iahren dünn und grau geworden. Kurz darauf kam er zu sich, ging an die Hintertür und rief die Treppe hinauf:Minna! Minna!" Oben ging eine Tür und eine schrille Stimme rief:Ja!" Hast du die Zöllnerin gesehen?" Ja. Nahm sie sie?" Nein! Sie hat weder Bildung noch Geschmack. Sie nahm eine kleine, häßliche Dienstmädchenjacke, du kannst also gern jetzt die mit den Spitzen habe»"(Fortsetzung folgt.)