Nr. 571 43. Jahrg. Ausgabe A nr. 291
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Sonnabend, den 4. Dezember 1926
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Ein schwarzer Tag für die deutsche Kultur.
Das Schundgesetz mit 250 gegen 158 Stimmen bei drei Enthaltungen angenommen. Die Demokraten gespalten.
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Der Reichstag hat gestern in dritter Lesung das Schmutz- Kulturfrage eine Brüde zum 3entrum zu schlagen, und, und Schundgesetz mit 250 gegen 158 Stimmen bei 3 Ent- die Boltspartei half, diese Brücke zu befestigen. haltungen angenommen. Dagegen stimmten Sozialdemokraten Auf dem hessischen Landesparteitag der Bolkspartei hat und Kommunisten sowie 15 Demokraten. 11 Demokraten stimmten Herr v. Rardorff die Einigkeit seiner Partei mit den für das Gefeh. Deutschnationalen in allen Fragen der Wirtschafts-, Steuerund Sozialpolitit festgestellt. Er hat die Sammlung der bürgerlichen Barteien als Ziel seiner Sehnsucht erkennen laffen. Das Berhalten der Volkspartei dem Schundgesetz gegenüber liegt ganz in diefer Richtung. Man hat das bißchen ,, Kulturliberalismus", das man sonst gern zur Schau trägt, dem Streben nach dem Bürgerblod geopfert. Als Partei der Bildung und des Besizes" hat sich die Bolkspartei früher gern bezeichnet, als sie noch die National liberale Partei hieß. Aber immer, wenn Bildung und Besiz miteinander in Konflitt famen, mußte die Bildung vor dem Besiz tapitulieren. Die befizenden Kreise der Bolkspartei wollen mit ihren Klassengenossen von den Deutschnationalen und dem Zentrum gemeinsam Birtschafts-, Steuer- und Sozialpolitik treiben. Durch Protefte des geistigen Deutsch land, das nicht das arme Opfer bet diesem Geschäft sein möchte, läßt man sich da nicht im allergeringsten beirren.
Am Schluffe der Beratung gab namens der sozialdemokratischen Reichstagsfraktion Genoffe Dr. David folgende Erklärung ab: Der Reichstag steht vor einer ernsten Entscheidung. Er will ein Gefeh verabschieden, das für das literarische und künstlerische Schaffen große Gefahren heraufbeschwört und daher den leidenschaftlichen Protest des geistigen Deutschlands wachgerufen hat. Und mit Recht: Gewiß ist die deutsche Jugend durch die wirtschaftliche Not der Zeit noch mehr als früher gefährdet. Seine Partei hat das fo start empfunden und so rechtzeitig erkann, wie die Sozialdemokratie. Und von keiner Partei ist das Elend der Arbeiterjugend von jeher so entfchloffen bekämpft worden, wie von ihr. Es heißt aber, nur eine Rebenerscheinung treffen, wenn man mit großem gefehgeberischen Aufwand einer gewiffen los an die Jugend herangetragenen Schundliteratur entgegenfritt. Dennoch häite die sozialdemokratische Frat.ion fich einer Befämpfung der Schundliteratur, auch auf dem Wege der Gesetzgebung, nicht entzogen, wenn Sicherheiten gegeben wären, daß ein folches Gesetz fich wirklich nur gegen Schund und Schmutz und nicht gegen das freie geistige und fünstlerische Schaffen richten würde.
Die Kunst bedarf der Freiheit,
wenn sie gedeihen soll, sie erträgt nicht die Fesseln überlebter oder zufällig zur Herrschaft gelangter, einsei.iger Moralbegriffe. Was heute der Durchschnittsmensch mit feinem angeblich normalen filtlichen Empfinden für schmutzig und unfifflich hält, gilt oft genug in späteren Zeiten als natürlich und selbstverständlich. Der Künfiler, der Dicher muß Dinge gestalten dürfen, vor denen der Durchschnittsmensch von heute noch verständnislos zurückschreckt. Darum soll sich der Gesetzgeber hülen, der künstlerischen Schaffens lust Zaum und Zügel anzulegen. Das aber geschieht durch den vorliegenden Gesetzentwurf.
Bor aller Welt wollen wir in diesem letzten Augenblid noch einmal laut und deutlich feststellen:
dieses Gesetz in feiner jeßigen Form ist eine ständige Bedrohung von Literatur und Kunst! Mißtrauen gegen die künstlerische Schaffensfreiheit, dem man die Einstimmigkeit der Entscheidung zum Opfer gebracht hat, und der Geist elender kleinstaalerei, der das fachlich unbegründete Zugeständnis verschleierter Landesprüfftellen durchgesetzt hat, haben ihm ihren Stempel aufgeprägt.
Die Anhänger dieses Gesetzes bestreiten diese Gefahr. Sie verlaffen sich auf eine vernünftige Anwendung der neuen Bestimmungen. Die sozialdemokratische Fraktion hat keinen Grund, diese Zuversicht zu teilen. Wir werden daher die Waffen, mit denen wir bisher das Gesetz und die dahinter verborgenen Absichten bekämpft haben, nich aus der Hand legen. Wir werden auf der Wacht stehen, und wir sind sicher, daß das geistige Deutschland mit uns sein
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Eines ist jedoch zuzugeben: Die Berlockung war zu groß, als daß man ihr hätte widerstehen können. Denn der Rechtsblock, der sich bei dieser Gelegenheit bildete, marschierte und schlug unter der Führung eines demokratischen Reichsminister. Ein Bürgerblock mit der Monumentalfigur des Herrn Külz als frönendem Abschluß der Gedanke war so schön, daß er nur erfaßt werden mußte, um in die wirklichkeit umgesetzt zu werden.
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Leidtragender bei dem Handel ist die Demokratische Bartei. Sie brach bei der Abstimmung auseinander. Zehn ihrer Abgeordneten stimmten mit Ja, fünfzehn mit Nein, einer enthielt sich. Die fünfzehn fonnten mit ihrer Abstimmung ihre Seele retten, nicht aber ihre Partei. Die bleibt mit dem Gesetz belastet, das ihr Külz gemacht hat, und mit den zehn, die ihm zustimmten.
In dieser Zeit, in der die stille Große Roali tion" eine beliebte Redensart der bürgerlichen Bresse ist war sie jemals mehr?, ist eine Kluft aufgerissen worden, die die Sozialdemokratie von der Mitte trennt und die mitten durch die Demokratische Partei hindurchgeht.
War das die Absicht? Bei den zielbewußten Anhängern einer neuen Rechtsregierung unbedingt! Konnte das aber auch in der Abficht jener Kreise der Mitte liegen, die einem wußte Politik getrieben, so hätten sie unter allen Umständen neuen Rechtskurs widerstreben? Hätten jene Kreise zielbevermieden, jetzt eine Vorlage zur Entscheidung zu bringen, die das Zentrum an die Rechte bindet, es aber von der Linken trennt. Nach dem Einspruch Preußens, nach dem Verlauf der zweiten Lefung hätte Herr Külz die bequemste Gelegenheit
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gehabt, den Gefeßentwurf zurückzuziehen. Er hätte sich mit dieser Absicht wenn er sie gehabt hätte- wohl auch im Kabinett durchsehen können. Aber entweder hat er sich von den Ereignissen schleifen lassen oder aber ihm war die Stellung als Schlußstein in einer Bürgerblockkombination gerade recht. Er hat freilich seine eigene Partei geradezu in eine Katastrophe hineingetrieben- aber vielleicht war ihm auch das gerade recht.
Man muß schon sagen: Die Demokraten haben Glüd mit ihren Ministern!
Herr Külz, der Demotrat, findet sich mit lächelndem Gleichmut damit ab, daß in Bayern und in Württem berg das Reichsrecht gebrochen wird. Die Berfassung und die Freiheit der Kunst finden bei ihm selbst offenfundig rechtswidrigen llebergriffen gegenüber feinen Hüter. Diefer Mann an der Spiße des Reichsinnenministeriums bietet jede Gewähr dafür, daß das neue Gesetz zur Fesselung des geistigen, des fünstlerischen Schaffens nicht nur gebraucht, sondern sogar mißbraucht werden wird.
Was gestern wurde, war von einem Teil derer, die es machten, gewollt. Bei anderen war es wohl mehr Zufallsprodukt. Denn die Mitte weiß nicht, was fie will. Sie ist regierungsunfähig, nicht weil sie keine Mehrheit hat, sondern weil sie teine Einheit darstellt und keine Führung befigt. Ihr Grundübel ist nicht die Schwäche der Bahl, sondern die Schwäche des Willens.
Die von rechts beobachten gespannt die Zeichen des Verfalls. Sie sehen sich dem Bürgerblock einen Schritt näher. So schreibt jetzt die Deutsche Tageszeitung":
Regierte im Deutschen Reichstag mehr die Vernunft als das Ruliffenspiel, dann wäre die Koalition mit dem demotratifchen Frattiönchen vom heutigen Tage an ledigt. Es bedürfte gar keiner besonderen Begründung durch Zentrum und Boltspartei mehr, sondern nur einer fleinen Portion festen Willens. Werden diesen die genannten Parteien aufbringen? Ein schwacher Ansah dazu ist zweifellos der heutige Entschluß, ohne Rücksicht auf die Demokraten die Rechte zur Unterschrift aufzufordern. Ist damit vorläufig der Vorrat an Energie verbraucht? Oder folgen weitere Schritte? Wir erwarten ge= spannt die nächste Entwidlung.
Ja, es war ein schwarzer Tag- die Eulen und Fledermäuse wären sonst nicht so munter.
Aber das eine muß zum Schluß noch gesagt werden: War das auch ein schwarzer Tag für die deutsche Kultur und für die deutsche Sozialdemokratie! Im Gegenteil, für die deutsche Politit, so war es doch kein schwarzer Tag dieser Tag hat die Sozialdemokratische Partei als Opposition gegen den Rechtsblock in glänzender Stellung gezeigt. Sollte also das, was wir gestern erlebten, nur ein Vorspiel gewesen sein, dann haben wir Sozialdemokraten von dem, was weiter wird, wahrlich nichts zu fürchten!
Der ungarische Wahlterror.
Verhinderung oppositioneller Kandidaturen.
wird. Eine Mehrheit für dieses Gefeh kann nur zustandekommen, wenn die Vertreter des alten Kulturliberalismus, der seinerzeit mitgeholfen hat, die Vorgängerin dieses Gesetzes, die Leg Heinze, zu Fall zu bringen, ihre liberale Tradition preisgeben. Würde das Gesetz scheitern, so wäre nichts verloren, der gefährdeten Jugend tann auf andere und wirksamere Weise geholfen werden. Budapest , 3. Dezember. ( Eigener Bericht.) Der„, trodene Wird das Gefeh aber angenommen, fo bedeutet der heutige Tag Raposar unterschrieben 2560 Wähler den Wahlvorschlag für Terror" der Verwaltungsbehörden dauert unvermindert an. In einen schwarzen Tag für die deutsche Kultur. den liberalen Kandidaten Karl Rassay. Einige Stunden vor dem Ablauf des Termins wurde ein Einbruch in das Wahlbureau verübt und die Unterschriften gestohlen. Es ist fraglich, ob in der noch zur Verfügung stehenden Frist neue Unterschriften in genügender Bahl gesammelt werden können. In Dios Györ, wo die große staatliche Waggonfabrik ist, kandidiert der Sozialdemokrat Banoczy. Heute wurde die ganze Stadt von Detektivs befeßt, bei den als Sozialdemokraten bekannten Arbeitern wurden Haus fuchungen vorgenommen und die Unterschriftbogen beschlagnahmt. In dem Bergarbeiterbezirt Dorog hielt der Kandidat der Regierungspartei eine die Sozialdemokratie beschimpfende Rede. Die anwesenden Arbeiter protestierten dagegen, es entstand eine Keilerei, bei der mehrere Arbeiter schwer verlegt wur den. Der Sozialdemokratikhen Partei wurde vertraulich mitgeteilt. daß die Regierung in Debreczin einen besonders niederträchtigen Streich plant, mit dem die Unterschriften aller oppofitionellen Kandidaten estamotiert werden sollen.
Als einen schwarzen Tag für die deutsche Kultur bezeichnet die sozialdemokratische Fraktionserklärung den gestrigen Tag, an dem der Reichstag das Schmutz- und Schundgesez mit 250 gegen 158 Stimmen annahm. Es war auch ein schwarzer Tag für die deutsche Politit.
Denn es waren nicht rein sachliche Gründe, die diese Entscheidung herbeiführten. Die Fanatiker, die vor einer Fesselung des geistigen Schaffens nicht zurückschreckten, wenn sie nur auf ihre Art die Sittlichkeit heben fonnten, waren eigentlich nur eine Minderheit. Der Mehrheit der Deutsch nationalen ist diese Frage Hetuba. Die Volkspartei hätte eigentlich, wenn sie noch in irgendeinem Sinne eine libetale Partei sein wollte, gegen das Gesetz sein müssen. Aber die Deutschnationalen sahen die Möglichkeit, in dieser
Zum Bezirk Budapest Land gehören alle Industrieorte Budafok und viele andere. Der Bezirk hat in geheimer Abstimmung in der Umgebung von Budapest : Neupest, Csepel, Erzsebetfalva, und Listenwahl fünf Abgeordnete zu wählen und hat eine fast rein proletarische Bevölkerung. Die Arbeiter tonnten es aber in vielen Ortschaften nicht magen, die Kandidatenliste zu unterfertigen. So entstanden folgende Wahlvorschläge: die Regierungspartei 28 074 Unterschriften, die bürgerlichen Demokraten 7119, die Rassenschüßler 8488, die chriftliche Wirtschaftspartei 6305 und die Sozialdemokraten 6083 Unterschriften. Bei den letzten Wahlen hatten die Sozialdemokraten von den fünf Mandaten drei erobert. Die Arbeiter werden in den großen Betrieben mit der Entlassung bedroht, wenn sie die Regierungs- oder Rassenschüßlerliste nicht unterschreiben. Es ist aber noch immerhin möglich, daß sie, da die Abstimmung geheim ift, gegen die Kandidaten stimmen werden, deren Listen sie unter 3wang unterschrieben haben. Jedenfalls dient aber die große Unterschriftenzahl zur Entmutigung der Ar beiter. Angesichts dieser Lage werden viele Stimmen laut, die den Gedanken propagieren, die Sozialdemokratie solle ihre Kandidaten überhaupt zurüdziehen.