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wenn ein Kanal stirbt.
Das Versenken der Düker an der Ifoßstraßenbrücke.
Seit dem 8. IM ist die R o st st r a ß e n b r ü ck« für den Wagenoerkchr gesperrt, und tief in die Straß« hereinreichende Erd- schllttungen, Gerüst«, Böcke, herumstehende Lastautos ärgerten Passanten und Anlieger.„Die verdammt« Buddeleil"— Ein Segen, daß die guten Wünsche, die auf das Haupt der„Schuldigen" herab- hagelien, sich nicht alle erfüllten!— Was ging hier überhaupt vor, mozu mar die niederträchtige Brrddclei?— Nun, hier liegt das schwierigste und interessanteste Stück der Arbeit, die sozusagen der Nachlaß des Luisen st ädtischen Kanals war. Man kann sich angenehmere Erblosser denken!— Die Abwässer, die bis dahin der Luisenstädtische Kanal aufgenommen hatte, sollten direkt, und zwar an der Kurfürstenbrücke in die Spree geleitet werden. Bis zur Wallstraße ging die Sache glatt nach dem Projekt des Magistrats, ober dann kam die erste Schwierigkeit: die Untergrund- bahn mußte untertunnelt werden. Ein großer Stollen, wie zuerst vorgesehen war, hätte die Sicherheit der Untergrundbahn gefährdet. Da trat die Firma Zimmer Nachf. mit einem neuen, gairz von den Magistrotsplänen abweichenden Projekt auf den Plan. Statt des einen großen Tunnels schlug sie zwei kleinere, parallel laufende Stollen vor, die einzige Möglichkeit, ohne jede Störung und Gefährdung des großstädtischen Verkehrs die Arbeit durchzuführen. So wurde von diesem Abschnitt an die Arbeit von der genannten Firma übernommen. 14 Meter unter dem Straßen- Niveau, noch unter dem Tunnel der Untergrundbahn, noch unter dem Grundwasser, arbeiteten die Mineure, es mußte eine dreistufige Sen- fung des Grundwassers vorgenommen werden. Dann kam die Fort- führung der Abwäsierungsanlag« durch den Spreeorm an der Roß- straßenbrücke. Hier sollen zwei große, schmiedeeisern« Dllkerrohre von je 24,50 Meter Länge und 1,40 Meter lichter Weit« versenkt werden, zwei Riesen von zusammen(500 Zentner Gewicht. Für die
ganz« Arbeit, Zusammenseßen der Rohr « usw. stand aber nur die kleine, schntal« Baustelle auf Straße und Brücke zur Verfügung. Und damit nicht genug! Es erwies sich, daß die städtischen Pläne über dieses Stück des unterirdischen Berlin durchaus ungenau waren. Gerade in der Baugrub« lagen zwei wunderschöne, alt« Düker , die hier im November 1854 verlegt waren und Gas- und Wasserleitungs- rohr« enthielten. Di« Arbeiten wurden dadurch erheblich verzögert, denn es war nun nötig, die alten Düker erst zu entfernen. Das ein« dieser Rohre wurde zerschlagen, das andere wandert« in das Museum der städtischen Gaswerke— es ist ein alles Wertstück von einer Guß- eisenqualität, wie es heute nirgends mehr zu finden ist. An der gleilhen Stell« fand man auch«in Kabel, aus derselben Zeit stammend — wohl das älteste T« le g r a p h« n k a be l Berlins . Und um das Finderglück voll zu machen, fand man an der Kreuzung der Gertraudtenstraß« in den Fundamentresten des alten Berliner Rathauses die Urkundenlift« von der Grundsteinlegung am 10. September 1710 mit Dokumenten, Gold- und Silbermünzen. Di« Kiste ist jetzt im Märkischen Museum ausgestellt. Die Ausführung dieser schwierigsten Baustrecke lag in den Händen des Oberbauleiters Jng. Schwenk, die Arbeiten wurden als Notstands- arbeiten durchgeführt, nur einig« Spezialarbeiter Mineure), die hier nicht zu haben sind, wurden nicht vom Landesarbeitsamt über- nommen. Ueberstunden wurden möglichst vermieden, dafür wurde zum Teil mit Tag- und Nachtschicht gearbeitet, um den Bau in kürzerer Frist als den vom Magistrat vorgesehenen sechs Monaten fertigzustellen, damit die Schädigung der anliegenden Geschäftsieute auf das Mindestmaß herabgedrückt wird. Noch vierzehn Tage, noch vor Weihnachten, werden alle Zäun« und Gerüst« endgültig ver- schwunden. sein, wie auch der Luisenstädtische Kanal gestorben und begraben ist.
Um öie berliner käsen. Merkwürdige Kritiker. Gostern tagte der Ausschuß, welcher die Verträge nachprüfen sollte, die mit der Stadt Berlin und der„Berliner Hasen- und Lagerhaus A.-G." abgeschlossen wurden. Zu diesem Zweck war ein großer Teil von Sachverständigen geladen, und zwar aus den Kreisen der Berliner Industriellen, der Fuhrherreninnnung, Lebensmittel- und Großhandel und Herr Simon. Die Sozialdemokraten beantragten im Ausschuß ein Obergutachten einzufordern, ob eine Aufhebung der Verträge möglich wäre. Ist das letztere der Fall, so seien sie bereit, andere Verträge abzuschließen. Ein Herr Bi ermann, der als Vertreter der Arbeitsgemeinschaft als Sachvelständiger vertreten war, betonte, daß sich eine K a m p s g e m e i n s ch a s t gebildet habe, die das Berliner Hafennionopol beseitigen wolle. Sie ver- langten mit allen Mitteln, daß diese Vertrage gekündigt, resp. auf- gehoben werden müßten und andere Verträge an ihre Stelle gesetzt würden. Bei dem Neuabschluß von Verträgen müßten alle interessierten Stellen mithinzugezogen werden. Er verlangte weiter, daß der Bertrag mit der Behala ausgehoben werden müßte, weil diese Gesellschast die Möglichkeit hätte, durch diesen Vertrag in die Geschäftsgeheimnisse der anderen Firmen Einblick m nehmen. Ein anderer wichtiger Grund zur Aufhebung des Vertrages wäre, daß die Finna ja noch nicht einmal Berliner Firma wäre und aus diesem Grunde würde sie Behala boykottieren. Auf die Frage von Aus- schußmitgliedern, ob die in Frage kommenden Herren in Form von Kapital oder sonstigem Einfluß beim Abschluß von neuen Verträgen mitbeteiligt sein wollten, oder ob die Häsen in kommunale Regie oenomnien werden sollten, erklärte der Vertreter der Arbeitsgemein- sthast, sie wünschten nicht, daß die Häfen in kom- munale Regie übernommen würden, sondern wün- schen die Gründung einer Gesellschaft, bei der die Stadt Berlin das ganze Geld hengeben soll, die ab« genügend Einfluß im Aufsichtsrat und sonstigen Körperschaften hätten. Man fragte weiter, ob die einzelnen Interessenvertretungen bereit wären, eine gewisse Tonnen- zahl in diesen Häfen zu lagern, wenn die Stadt Berlin sie am Ab- jchsuß des Vertrages ohne finanzielle Belastung beteilige. Auch hier gaben die Vertreter eine ausweichende Antwort. Herr Otto Simon, der die Broschüre geschrieben„Berliner Verkehrs- Wirtschaft"—„Berliner Häfen"—„Berliner Uebegreiflichkeiten" war für die Mitglieder des Ausschusses etwas Unbegreifliches. Es schien so, als wenn er sich entschuldigen wollte, daß die Broschüre seinen Namen trage. Alles in allem war das, was die Herren vor- trugen, ein heilloses Durcheinander. Sie wünschen, daß, so wie früher, wieder Delegierte in die Hasendeputation entsandt werden, um dort an jeglicher Maßnahme, die von der Behörde vorgenommen wird, zu kritisieren. Sie lehnen es aber ab, irgendein"Risiko zu über- nehnien. Der Ausschuß wollte gestern bereits die Beratung zum Abschluß bringen, hat sich aber vertagt, um noch die Vertreter der Behala einmal zu hören. Das Urteil des Ausschusses kann auch noch der Vernehmung der Mitglieder der Behala nicht zweifelhaft sein. das Ende üer Konsumverems-Verbeschau. In den Räumen des Gewertschaftshaufes awi E n g e l u f« r ging gestern die erste Werbeschau des Berliner Konsumvereins zu Ende. Die Veranstaltung war«in großer Erfolg. In den"wenigen Tagen, die die Aus- stellung geöffnet war, sind über 25 000 Besucher gezählt worden. Di« größte Anziehungskraft übte das zum ersten Mal« den breiten Massen gebotene Bild der Modeschau der Konsum- Warenhäuser aus. Es ergab sich dl» Notwendigkeit, daß die Modeschau fast halbstündig wiederholt werden mußte, um dem ge- wältigen Andrang zu genügen. Am vergangenen Sonntag betrug die Besucherzahl weit über(5000. Besonders erfreulich an der Mode- schau war, daß man sich nicht auf die Vorführung von nur über- schlanken Modellen beschränkte, sondern auch den nicht gerade über- schlanken Frauen Gelegenheit gabt, sich für sie Passendes auszusuchen. Daß die Werbeschau des Berliner Konsumvereins«in sehr glücklicher Gedanke war, zeigen die während der Schau er- folgten zahlreichen Neuaufnahmen von Mitgliedern. Es ist nur zu wünschen, daß diese Art praktischer und höchst wirksamer Reklame in Zukunft wiederholt und villeicht auch in noch größerem Rahmen durchgeführt wird._ Unsere Uorwarts-Ausgabestelle Eharlollenburg VI befindet sich jetzt Kant st r. 128, Laden. Geöffnet zur Zeit der Morgenaus- gäbe und nachmittags von 2 bis 6 Uhr.
Die wunöer öer Klara van Haag. 3Ij Don Johannes Vuchholh. Aus dem Dänischen übersetzt von Erwin Magnus . „Du bist toll Hedwig!" flüsterte Poulsen. „Toll. Warum?" „Du weckst ihn ja!" „Das waren Sie doch, Poulsen. Was wollen Sie hier?" „Ich muß doch hinauf, ihn wecken, das weißt du doch gut." „Aber dann ist es ja besorgt." „Ach du-- ," sagt Poulsen und spricht nickst mehr. Sie verstehen sich nicht. Auf die Art zu wecken— einen Zollverwalter! Nein, Hedwig ist soweit ganz gut, aber es wird ihr noch einmal schlecht ergehen, sie verliert ihre Stelle durch ihre Respektlosigkeit. Paß nur auf! Und das schlimmste ist, daß sie andere mit ins Unglück zieht. Jetzt steht Poulsen vor der Schlafzimmertür. Cr atmet nicht, schlägt zweimal mit dem Knöchel gegen die Tür und atmet wieder nicht. „Ja!" antwortet es drinnen. , Es ist halb neun!" „Danke. Poulsens Mission jst beendet. Er schlürft erleichert ab. „Du sollst den Unsinn lassen, Hedwig. Das ist nicht amü- sant. Hör' nun auf mit dem Unsinn, kleine Hedwig, mit mir altem Mann." „I ch? Was ist denn los? Darf man jetzt nicht mehr einen Besen h'nstellen, wo man will. Das wird bald zu bunt. In seiner eigenen Küche! Habe ich mich je hineingemischt, wo Sie unten Ihre FederhaUer hmlegen?" „Hedwig, oerdreh nicht die Wahrheit und tu, als ob du lügst." „pta , das ist aber doch stark... ich bin selbst so nervös vor Bleichsucht. Das ist wirklich wahr, ich habe Bleichsucht, Poulsen. Aber lügen... Ich kenne nur einen in der Welt, der lügt. Und das sind leider beweisbor— Sie, Poulsen. Sie sagten, es sei halb neun, und hören Sie. jetzt pfeift es acht, und hören Sie, jetzt Mögt die Kirchenuhr acht. Und sogar vor dem Zollverwalter." Poulsen sieht sich hilflos um. Sie haben den Gegenstand schon früher diskutiert. »Du weijzt ja gut, daß ich das auf Order des Herrn Zoll-
Verwalter van Haag sage. Wenn er es verlangt... Wasser- mann verlangte es nicht, aber..." „Ja, es hilft nichts, daß Ihr ein Komplott schmiedet," sagte Hedwig strafend.„Lüge bleibt Lüge, nicht wahr?" Was sollte der alte Poulsen antworten? Ja, Lüge war auch nach seinen Prinzipien Lüge, aber durfte er sagen, wie süß ihm gerade diese Lüge erschien und wie ungeheuer spannend zugleich. Denn wie schwer war es doch, den Zeiger genau auf acht zeigen zu sehen und dann mit fast kecker Stimme zu rufen: Es ist halb neun! Nein, hier war Poulsen in etwas hineingeraten, das er selbst nicht verstand. Hier mußte der Zollverwalter die Verantwortung übernehmen. „Na. na, kleine Hedwig. Nichts für ungut. Nichts für ungut. Ich habe mir nichts gedacht mit dem, was ich vorhin sagte. Aber vergiß nicht: kein Spektakel. Nie wieder. Ein alter Mann! Guten Morgen, Hedwig." Der Zollverwalter drinnen streckte die Hand aus und nahm seine Taschenuhr vom Nachttisch. Acht. Gut. Er nickte. Poulsen war ein zuverlässiger Alter. Jetzt pfiff und tutete es wie eine eidesstattliche Bekräftigung in der Stadt. Der Zoll» sich durch das Ausstellen seiner Order eine kleine trockene sich durch das Ausstellen seiner Orden eine kleine trockene Freude verschafft. Poulsen sagte, es sei halb neun, und doch konnte er noch eine halbe Stunde liegen bleiben, ohne zu spät zu kommen. Selbstherrscher. Er bestimmte sogar den Gang der Zeit. Es vergehen etwa zwanzig Minuten. Der Zollverwalter hat sich aufgesetzt: mit weitgeöffneten Augen sitzt er! Ihm fehlt es nicht an Schlas, aber er sehnt sich nur danach, daß die halbe Stunde bald vergehen soll. Stände er jetzt auf, so wäre ja nichts gewonnen. Nicht einmal die Bartbinde darf vorzeitig gelöst werden. Jetzt fällt ihm etwas ein und er wendet den Kopf. In dem andern Bett liegt Frau Klara, weiß und rot vom Schlafen, ihr verschwenderisches blankbraunes Haar auf- gelöst auf den Kissen. Es sieht so üppig aus, als wäre es diese Nacht hervorgeschossen. Wer weiß, ob Herr van 5)aag nicht an die Herrlichkeit dieses Haares denkt. Allerdings ist keinerlei Rührung in seinem Gesicht zu spüren. Aber er hält doch seinen Zollverwalterblick mit einer gewissen Kraft darauf gerichtet, denn als einige Sekunden vergangen sind, gleitet Frau van Haags linkes Augenlid ein einziges Mal schwer beiseite und enthüllt etwas Schwarzweißes, ein Mysterium von Schwarz und Weiß. Tausendmal mehr: einen Blick? Das Lid hat sich wieder über das Schwarzweiß« gesenkt.
Etwas wie ein Lächeln schlängelt sich über Herrn van Haags Bartbinde und seine Augen. Aber die Gnädige spielt ihre große Komödie. Sie straft den Blick mit ihrer naturgetreuen Schläfrigkeit Lügen. Hört, sie seufzt vor geistesschwacher Schläsrigkeit. Tag und Lehen sind ihr so vollkommen gleich- gültig. Sie hat es leicht, seht, sie bohrt sich tiefer ins Kopf- kissen hinein. Eine Locke kitzelt sie, seht, wie träge und ver- schlafen ihre Hand in deren Nähe tastet. Endlich hat sie sich in verdrießlicher Hilflosigkeit auf die andere Seite geworfen, seufzt wieder und schläft, schläft. Der Zollverwalter steht auf und geht mit unerschütter- licher Selbstverständlichkeit zum Waschtisch und zurück. Als er die Hosen an hat, spreizt er einige Male Arme und Beine. Das ist sein Turnsystem. Die Gnädige schläft fester als zuvor: dreht er sich schnell um, so begegnet er keinem Myste- rium von Schwarz und Weiß. Ja, ja, da beginnt er vor sich hinzusprechen. Wer will, kann zuhören. Jedes Wort wird ihm langsam, wie an einem Faden, aus der Nase gezogen. „Wenn das Wetter heute gut wird, muß mein Zeug ge- klopft und gebürstet werden. Es ist nötig." Nicht schlecht gewählt. Es ist schlimm genug, fest zu schlafen und nicht sagen zu können: Kümmere dich um deine eigenen Sachen! Das Zeug braucht nicht geklopft zu werden. Es wurde es erst Freitag, wie du wohl noch weißt." „Und sie soll mich rufen, wenn sie fertig ist. Sie ist zu ungeschickt, ich will es selbst auf die Bügel hängen. Es ist ein Skandal, wie sie das letzte Mal hingen. Und das graue, kleingewürfelte kann überhaupt draußen bleiben. Postmeisters kommen vermutlich zum Fünf-Uhr-Tee." Gut! Ein guter Einfall. Hätte Herr van Haag scharfe Augen gehabt, so würde er gesehen haben, wie die Wangen der tiefschlafendcn Gnädigen die Farben wechselten. Unge- heuer schwer, der Versuchung zu widerstehen, seinen Abscheu zu zeigen und sich zu empören. Ja, dann darfft du die beiden Idioten allein unterhalten und füttern! Ich gehe unterdessen zu meinem guten Freunde Egholm, wenn du es wissen willst. Frau Klara widersteht der Versuchung. Ihr Mann band sich die�Krawatte und fuhr fort:„Man muß Wert darauf legen, mit den wenigen Gebildeten, die es in der Stadt gibt, zusammenzukommen. Postmeisters wollen im Frühjahr nach der Sächsischen Schweiz , dann können wir zusammen bis Berlin reisen.", (Fortsetzung f«lgt.)