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Abendausgabe

Nr. 576 43. Jahrgang Ausgabe B Nr. 285

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Vorwärts

Berliner Volksblaff

10 Pfennig

Dienstag

7. Dezember 1920

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Zentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands

Landesverratshehe!

Tenunziation der ,, Roten Fahne" gegen Genossen Breitscheid- Moskauer Dementi

Die Rote Fahne " ist in einer verzweifelten Lage. Einerseits darf sie nicht gegen die Interessen der russischen Außenpolitik verstoßen und nicht zu dumm lügen, anderer­seits darf sie ihren fommunistischen Lesern die Wahrheit über die Bewaffnung der Gegenrevolution durch Sowjetrußland nicht sagen. Sie lenkt trampfhaft ab: wo stammen die Ent­hüllungen des Manchester Guardian" her? Was ist ihr 3wed? Wer hat sie fabriziert? Sind wir Kommunisten nicht immer brav oppositionell gegen Geßler gewesen? Hat uns nicht Geßler selbst bescheinigt, daß wir gegen ihn immer brav opponiert haben?

In ihrer Berzweiflung behauptet fie, Genosse Breitscheid habe die Enthüllungen des Manchester Guardian" veranlaßt. Sie spielt mit der Rechtspresse Hand in hand. Die Rechts­presse schreit ,, Landesverrat", und die Rote Fahne" be­hauptet: Breitscheid hat ihn begangen. Eine Denunzia­tion, um von der Wahrheit abzulenten, würdig der faulen Ausreden, die die Rote Fahne" verzapft.

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Es ist also nur eine halbamtliche Ableugnung und noch dazu eine sehr ungeschickte. Wer hat denn die Meldungen der ,, Manchester Guardian" widerrufen? Ein amtliches De­menti der Sowjetregierung ist nicht ergangen, und Herr Tschitscherin hat sich lediglich darauf herausgeredet, daß er ,, nicht informiert" jei.

Hat die Sowjetregierung diese Dementierkunft vom Reichswehrministerium gelernt? Man ist versucht zu sagen: ein echtes Reichswehrdementi. Es streitet zu viel ab: denn der Junkers- Vertrag ist schließlich nicht aus der Luft gegriffen. Mit Lügen werden weder die deutschen Kommunisten noch die Sowjetregierung durchkommen.

Eine Erklärung des Genossen Breitscheid . Genosse Breitscheid schreibt uns:

Aber das sind alles Nebenfragen. Worum es geht, ist das: find die Maschinengewehre und Geschütze der Reichswehr mit Sowjetmunition geladen, ja oder nein? Darum geht es, und darauf muß geantwortet werden: ja, fie sind mit Sowjet- wissen, in der Lage, sehr genaue Auskunft darüber zu geben, wer munition geladen.

Die Sowjetregierung läßt durch die Telegraphenagentur der Sowjetunion folgende Ableugnung verbreiten: ,, Anläßlich der erneuten Berbreitung bereits wider. rufener Meldungen der englischen Bresse durch den Borwärts" über angebliche geheime Beziehungen zwischen den deutschen und somjetrussischen Behörden betreffs militärischer zu fammenarbeit weisen maßgebende Kreise darauf hin, daß diese Meldungen volltommen aus der Luft gegriffen sind und auf eine Verschlechterung der Beziehungen zwischen Deutsch land und Sowjetrußland abzielen."

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Die Rote Fahne " behauptet, zu wissen, daß die Nachrichten des Manchester Guardian" über Beziehungen der deutschen Reichs­ wehr zu Rußland von dem Berliner Korrespondenten des Man­chester Guardian" ausgehen, und daß die Informationen aus den stammen. Sie fügt hinzu: Herr Breitscheid ist, wie wir genau Kreisen des sozialdemokratischen Parteivorstandes diese Enthüllungen in den Manchester Guardian" lanciert hat und welchem Zwede diese Enthüllungen dienen sollen." Leider traut mir die Rote Fahne" mehr Wissenschaft zu, als ich besize. Um die Aufmerksamkeit der deutschen kommunistischen Arbeiter von den für sie wenig erfreulichen Tatsachen abzulenten, macht sie den plumpen und verlogenen Versuch, dem sozialdemokra. tischen Bartelvorstand und mir die Berantwortung für die Ver­öffentlichung zuzufchieben. Der Berliner Vertreter des" Manchester Guardian" befindet sich, wie ich höre, feit voriger Woche in Genf . Ob er geneigt ist, der Roten Fahne" nähere Auskunft über die Herkunft der Nachrichten seines Blattes zu geben, weiß ich natür lich nicht.

Die Privatmeinung des Herrn Scholz.

Offiziell für die große Koalition- persönlich dagegen.

Die selbstverständliche Antwort der Sozialdemokratie auf die provokatorische Rede des Herrn Scholz hat an manchen Orten Betroffenheit hervorgerufen. Die Germania " will in dieser Rede nur eine Extratour" sehen, und ausgerechnet im ,, otal Anzeiger" liest man:

demokraten die Tendenz dieser Rede außerordent. Man kann sich des Eindruces nicht erwehren, daß die Sozial lich aufbauschen und sie als eine willkommene Gelegenheit betrachten, um sich von Vereinbarungen wieder zu rüdzuziehen, die ihnen angesichts der Sachlage im Parlament offenbar unbequem geworden sind."

Die Tendenz diefer Rede aufgebauscht? Die Sozialdemo fraten schuld am Bruch der Vereinbarungen? Man versteht: wenn Herr Scholz für die Deutschnationalen arbeitet, muß die deutschnationale Bresse Herrn Scholz gegen den berech tigten Borwruf der Krisenmacherei decken.

Aufgebauscht? Die Tägliche Rundschau" vers öffentlicht heute morgen noch einmal den von der Telegraphen Union verbreiteten provokatorischen Text der Scholz- Rede und fügt hinzu:

Diese klaren Auseinanderlegungen des Borsigen den der Reichstagsfraktion der Deutschen Volkspartei sind um so danfenswerter, als die Insterburger Tagung von der Links presse benutzt wird, um an der ihr sehr unbequemen Haltung der Deutschen Volkspartei Kritif zu üben."

Schließlich: Herr Scholz selbst rebet weiter. Die Telegraphen- Union meldet aus Königsberg :

Im Palmensaal des Königsberger Tiergartens sprach am Mon­tag abend vor Mitgliedern der Deutschen Volkspartei Reichs minister a. D. Dr. Scholz noch einmal über die Außen- und Innen. politik der Partei. Er mies wie in Insterburg mit besonderer Betonung auf die flefe Kluft hin, die die Deutsche Volkspartei von der Sozialdemokratie in der Einstellung zur Reichswehr trenne." Herr Scholz denkt also nicht an Abschwächung. Er unterstreicht.

Herr Scholz gibt in der Königsberger Allgemeinen Beitung" zu unseren Ausführungen über seine Rede folgende Erklärung ab:

Die Erregung sozialdemokratischer Kreise über meine im engeren Kreise der Vertrauensmänner meiner Partei in meinem Wahlkreis gemachten Ausführungen ist mir um so unverständ­I ich er, als ich an der Spiga dieser Darlegungen ausdrücklich betont habe, daß die Deutsche Boltspartei entsprechend ihrer bisherigen Haltung auch zu Berhandlungen über die Große Roa lition durchaus berett ist. Die grundsätzliche Auf­

faffung der Deutschen Volkspartei über die Frage der Regierungs. bildung ist in dem allgemein bekannten Fraktionsbeschluß pom 12. Januar 1923 festgelegt, an beffen Grundlagen fich nichts geändert hat. Daß ich persönlich die Aussichten eines etwaigen taftischen Zusammengehens mit der Sozialdemokratie unter

den augenblicklichen Umständen steptisch beurteile, das aus. zusprechen, ist mein gutes Recht, das mir wohl nicht bestritten werden fann."

Herr Scholz steht der Großen Koalition steptisch gegen über. Er sieht darin ein Experiment, das nur wenige Wochen Seine Ansicht muß bei der Stellungnahme der Sozialdemo­Dauer haben fönne. Er hat diese Ansicht offen ausgesprochen. fratischen Partei schwer ins Gewicht fallen. Seine Erklärung ändert an der Wirtung seiner Rede nichts.

Korruption?

Deutschnationale unter sich.

Die Schwerindustrielle Telegraphen- Union meldet: Der deutsch nationale Bandtagsabgeordnete Gaudig ist vom Borstand des Landesverbandes Potsdam 2 aus der Partei ausgefchloffen worden. Wir können die lakonische Mitteilung ergänzen. Graf Bestarp hat diesen Ausschluß befohlen, weil Dipl.- Ingenieur Gaudig, Borstand der Ortsgruppe Neutölln, angeblich sein Landtagsmandat erschwindelt, das Sekretariat der Partei verpfändet und innerhalb seines Machtbereiches eine Betternwirtschaft geführt hat. Dipl.- Ing. Gaudig erklärt demgegenüber, sein Sündenregister bestehe lediglich darin, drei Mit glieder des Ortsvorstandes aus dem Vorstand hinausbugfiert zu haben, weil der eine seit 1923 Gelder unterschlagen habe, der andere Falschspieler sei und das dritte weibliche Borstands mitglied einen unfittlichen Lebenswandel führe. Da sich der Ortsvorstand hinter Gaudig stellte, enthob der Landes porftand Potsdam 2 den gesamten Vorstand seines Postens und be. traute einen tommissarischen Ausschuß mit der Stellvertretung. Das wollen sich nun die Deutsch nationalen Reuköllns nicht gefallen laffen. Sie haben sich in einer Mitgliederversamm lung hinter Gaudig und seinen Vorstand gestellt, obwohl Graf Bestarp in einem persönlichen Schreiben es anders befohlen hatte. Das Dittatorspielen ist anscheinend nicht so einfach, wie es sich der Graf nach seinen Erfolgen in der deutschnationalen Reichstagsfraktion vorgestellt hat.

Preußischer Landfreistag. Am 13. und 14. Dezember b. 3. tritt der Borstand des Preußischen Landkreistages in Münster zusammen, um über die Gestaltung des Wohnungsbauprogramms und die Zukunft der Hauszinssteuer zu verhandeln. Auf der Tagesordnung stehen weiter besonders wichtige Bunfte, wie die Auf­nahme einer großen Straßenbauanleihe, die Beschaffung lang. fristigen Meliorationstrebites und einschneidende Organisations. fragen der Girozentrale.

25 wegen Hochperrates angeklagten Bozener endete mit einem Zu­Zufammenbruch der Unflage in Verona . Der Prozeß gegen die fammenbruch der Anklage. Sämtliche Angeklagten wurden mit ausnahme zweier freigesprochen, bie je ein Jahr und vier Monate Gefängnis erhielten, um den Schein aufrechtzuerhalten, als ob doch etwas Greifbares vorgelegen habe.

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Reaktion in Prag .

Die Bürgerregierung der Tschechoslowakei . Bon Josef Hofbaur.

Prag , am 5. Dezember. Daß die Prager Bersammlung der Genossin Bala­ banoff von der Polizei aufgelöst wurde, das war nicht ein so seltsames und feltenes Ereignis, wie es dem Auslande, das in der Tschechoslowakei noch immer eine geradezu muster­hafte demokratische Republik fieht, erscheinen mochte Ber­fammlungen werden hier oft genug verboten oder aufgelöst. Die Möglichkeiten zu solcher Bevormundung der ,, Untertanen" hat sich die Tschechoslowakei durch Ueber­nahme der alten reaktionären Gesetze Desterreichs geschaffen. Nur der besondere Anlaß, die besondere Brutalität, mit der Liebedieneret für Mussolini hat dieser Ber jammlungsauflösung so großes Aufsehen verschafft.

Aber freilich, nur der eine Zwed wurde erreicht, ein etwaiges unwilliges Stirnrunzeln des Diktators zu ver­fcheuchen, nicht aber der andere, die Verkündung der Wahr­heit über das faschistische Mordregime zu verhindern. Zu hoch gingen die Wogen der Empörung, als daß man es hätte wagen fönnen, Angelita Balabanoff auszuweisen. Man be­gnügte fich mit ihrer Bespigelung, mit ihrer unaus­teiversammlungen, in denen sie dann noch sprach, nicht ver­gefeßten Bewachung, aber man fonnte die geschlossenen Bar­bieten. Diese Parteiversammlungen aber wurden zu ge­maltigen Majfentundgebungen, denn die Säle vermochten die vielen Arbeiter, die gekommen waren, um gegen den Faschismus zu protestieren nicht nur gegen den italienischen, denn es gibt auch in der Tschechoslowakei Nach­ahmer Mussolinis! nicht zu faffen. Die achtzehn Versamm Lungen, in denen Genoffin Balabanoff sprach, haben ungemein piel beigetragen zu neuer Aufrüttelung berjudeten deutschen Arbeiter. Das Bersammlungsverbot in Prag und die Ueberwachung der Rednerin haben ihnen gezeigt, daß auch sie bedroht werden durch das An­wachsen der Reaktion.

Nicht nur Bersammlungsverbote und-auflösungen fennzeich nen den Weg der Reaktion. Er wird ebenso deutlich sichtbar in der Kulturpolitif. Auch in der Tschechoslowakei wurde der Potemkin Film nur arg verstümmelt gezeigt, noch dazu mit einem recht reaktionären Tert. Aber diese Konfistation hat weniger Aufsehen erregt als die Zensurkunststücke in Deutschland , weil man sich in diesem Nachfolgestaat Defter reichs längst daran gewöhnt hat, eigentlich doch noch in Desterreich zu leben. Die Deffentlichkeit hat sich auch nicht son derlich erregt, als die Oper 083et" auf behördlichen Befehl vom Spielplan abgefegt wurde, weil Fa schistenjünglinge die Aufführungen dieses deutschen" Wertes gestört hatten. Und daß die Vorträge des Arbeiter- Radio­ist, daß sie von Sozialisten gehalten werden, nun, das bundes so zenfuriert werden, daß ihnen faum noch anzumerken ärgert die Arbeiter, aber sonst niemanden.

druck der Tatsache, daß das Bürgertum nach allen Seiten Kleinigkeiten? Vielleicht, aber doch symptomatische. Aus­hin seine Herrschaft befestigt. Es hat sich durch die neuen

Lebensmittel und Industriezölle neue Profite gefichert, es will nun die sozialen Lasten" abbauen, indem es die eben erst in Kraft getretene Sozialversicherung novelliert, es schickt sich an, durch eine große Steuerreform die hohen Einkommen vor derbem Zugriff zu sichern und es schreitet langsam auch an den Abbauber Demokratie. Das Wahlrecht der Soldaten, eine der revolutionären Er­rungenschaften, auf die stets mit besonderem Stolze verwiesen murde, soll beseitigt werden.

Nachdem der Staat, der nun ganz uneingeschränkt von ihr beherrscht wird, der Bourgeoisie gegeben hat, oder doch zweifellos noch geben wird, was sie von ihm forderte: Steuer­entlastung, Bollprofite, Drosselung der Sozialpolitik ist fie nun auch bereit, dem Staate zu geben, was ,, des Staates ist". Schon haben die deutschen Regierungsparteien den für eine ganze Reihe von Jahren vorgesehenen Rüstungstredit bewilligt, nun zieren sie sich nur noch ein wenig, ehe fie auch dem Geseze zustimmen, das die Beibehaltung der acht­zehn monatigen militärischen Dienstzeit vor­fieht. Von der Einführung der Miliz ist, obwohl sie gesetzlich vorgesehen ist, nicht mehr die Rede.

Selbstverständlich auch nicht mehr von der Trennung von Kirche und Staat. Im Gegenteil: es wird ein konfor dat vorbereitet! Nicht mehr durch Staatsgefeße will man die Stellung ter Kirche im Staate und in der Schule bestimmen, sondern durch Vereinbarungen mit dem Vatikan . Darauf drängen schon die tschechischen Kleritalen und die deutschen Chriftlichsozialen, die beiden katholischen Regierungsparteien, das ist aber auch ein Teil des Kaufpreises der slowakischen Klerifalen, die der Ministerpräsident Schwehla gewinnen will zur Bildung einer dauernden festen Mehrheit.

Und die nationale Frage? Nun, deutsche Schulen merden noch immer gesperrt, sobald sich ein einigermaßen plaufibler Bormand findet, deutsche Staatsangestellte werden noch immer wegen ungenügender Beherrschung der Staats­Sprache entlassen und die deutschen Minister Spina und Mayr Harting bereiten ihre Gefolgschaft langsam darauf vor, daß find, und da die Schaffung einer ausgleichsgünſtigen Atmo­fie, da sie ja ohne Vorbehalt in die Regierung eingetreten sphäre Zeit braucht, feine nationalen Zugeständnisse heim­bringen werden. Das bereitet auch dem deutschen Bürgertum man von gewissen Intellektuellenschichten absieht

wenn teine