Abendausgabe
Nr. 57843. Jahrgang Ausgabe B Nr. 286
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10 Pfennig
Mittwoch
8. Dezember 1926
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Zentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands
Vorschläge zur Einigung.
Vandervelde ist hoffnungsvoll. Militärische und juristische Sachverständige
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an der Arbeit.
Brüssel , 8. Dezember. ( Eigener Drahtbericht.) In den hiesigen| Regierungsfreisen betrachtet man den Ausgang der Verhandlungen in Genf auf Grund der von Bandervelde vorliegenden amtlichen Berichte optimistisch und hält eine Einigung bis zum Ende dieser Woche für unbedingt wahrscheinlich. Hinsichtlich der Kontrollfrage hat sich nach den hiesigen amtlichen Mitteilungen Frantreich der deutsch - englisch - belgischen Interpretation des§ 213, nach der eine Böllerbundskontrolle nicht ständig sein tann, start genähert. Dagegen glaubt man andererseits, daß sich Deutschland mit dem Bölkerbundsprotokoll von 1924 als Provisorium abfinden wird und zwar unter der Voraussehung, daß die Interalliierte Militärkontrollkommission fofort zurückgezogen wird. Im Mittelpunkt der Genfer Debatten ſteht augenblicklich der belgische Vorschlag, die Ueberwachung in der nicht militarisierten Rheinlandzone entsprechend der Curemburger Entschließung mit Deutschland als gleichberechtigtem Teilnehmer vorzunehmen.
Auf deutscher Seite werden, wie der Brüffeler Korrespondent des " S03. Pressedienst" von zuständigen Stellen in Brüssel über die BeAnstrengungen gemacht, um den Eintritt in die koloniale Mandatsfommiffion zu erreichen. Diese Bemühungen find augenblidlich aber fast fo gut wie aussichtslos. Im übrigen aber verlautet, daß die Geschichte des Ankaufs der Deutschen Allgemeinen Zeitung", ganz allgemein betrachtet, die Stellung der deutschen Dele
firebungen der deutschen Delegation in Genf weiter erfährt, starke
Deutschland soll selber kontrollieren! London , 8. Dezember. ( EP.) Wiederum melden die„ Times" in ihren Berichten aus Genf , daß noch vor Ende der Woche ein Abkommen zwischen den Mächten in der deutschen Frage erzielt werden würde, das, wenn es nicht an sich selbst endgültig sein werde, dennoch die Grundlage für ein endgültiges Abkommen
hilden würde. Die Methode von Locarno scheine wiederum den Erfolg davonzutragen Auf französischer Seite fühle man, daß es unmöglich sei, etwa auf Grund des Versailler Vertrages auf einer besonderen Kontrolle für das Rheinland zu
bestehen. Die„ Times" nehmen in einem Leitartikel in scharfer
Weise gegen ein weiteres Fortbestehen der Interalliierten Kontroll tommission Stellung. Diese set veraltet und ohne jeden praktischen Nutzen. Sie verhindere nur die Entwicklung der neuen internationalen Politik in Europa . Die Aufgabe in Genf bestehe eigent. lich darin, alte Formen ohne Boreingenommenheit entsprechend
der Verhandlungslage umzuformen. Die„ Times" befürwortet eine unmittelbare Einigung zwischen Frankreich und Deutschland , fieht jedoch eine Möglichkeit zur Einigung darin, daß die Räumung des Rheinlandes durch eine entsprechende Inspektion der ent militarisierten 3one erzielt wird.
Der„ Daily Herald" weist darauf hin, daß die englische Fordes rung in der Frage der Einschränkung des Exports von Kriegs
Sowjetgranaten für die Reichswehr . Und Kampfflugzeuge aus Sowjetrußland obendrein.
Wir sind auf einem fläglichen Rückzug. Unser Enthüllungsschwindel über die Sowjetgranaten ist völlig zu sammengebrochen. So steht es in der Roten Fahne", damit die kommunistischen Arbeiter nicht fopfscheu werden vor der Sowjetrepublik, die ihnen Brüdergrüße schickt, der Reichswehr aber Granaten und Kampfflugzeuge.
Aber warum sind wir auf einem fläglichen Rückzuge? Weil wir die Veröffentlichung des Manchester Gu ardian" über die Junters- Werte abgedruckt haben. Eine Flugzeugfabrik weiter nichts, so sagt die„ Rote Fahne", das ist nicht neu. Wir wissen nicht, ob sie Bomben aus Kampfflugzeugen für harmloser hält als Sowjetgranaten? Sie findet nichts daran, daß die Reichswehr ohne Bewilligung des Parlaments sich eine Flugzeugfabrit in Rußland einrichtet. Sie darf nichts daran finden.
Aber diese Flugzeugfabrik- hinter der verschwindet alles andere. Wenn der ,, Borwärts" die Enthüllungen des„ Man chester Guardian" über die Junkers- Werte veröffentlicht, dann ist nicht mehr wahr, was er vorher veröffentlicht hat- das ist die Logit der Roten Fahne". Wenn wir fünftig etwa Herrn GeBler öffentlich auf illegale Beziehungen der Reichswehr zu Rechtsverbänden in Gießen stellen würden, dann ist nicht mehr wahr, was wir über solche illegale Beziehungen in Fulda gesagt haben.
Die verantwortlichen Kreise in der Reichswehr und Herr Geßler haben vielleicht dumme Verteidiger die Kommunisten sind doch die dümmsten von ihnen.
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Es bleibt- trotz Junkers! wahr, daß die Reichs bleibt- trog mehr Sowjetgranaten bezogen hat und noch bezieht, es bleibt dabei, daß Reichswehrmunition im Kubangebiet fabriziert wird, es bleibt bei den Transporten über Stettin und manchem anderen, darunter auch bei der Fabrikation von deutschen Kampfflugzeugen durch Junkers in Rußland .
Vielleicht fragt die Rote Fahne" im Reichswehrminifterium an? Es würde ihr gut anstehen.
material die Verhandlungen nur erschweren fönnte, da man nicht mit Unrecht einen Angriff gegen die deutsche chemische Industrie zugunsten der englischen hierin erbliden fönne, und führt aus, daß damit die Frage der Militärkontrolle eine breite Basis angenommen habe.
Der gestrige Tag der Sachverständigen. Paris , 8. Dezember. ( Eigener Drahtbericht.) Die Pariser Morgenpreffe spricht von dem gestrigen Tag in Genf als dem Tag der Sachverständigen"." Petit Parisien" glaubt zu wissen, daß sie den Auftrag haben, den Borbehalten Stresemanns über den permanenten Charakter der Investigation in möglichst weitgehendem Maße Rechnung zu tragen. Die Ergebnisse der juristischen Beratungen follen ähnlich wie bei dem Bakt von Locarno schließlich in einem
Sonderdokument zusammengefaßt werden.
Der Sonderforrespondent des Petit Journal" in Genf weiß darüber hinaus zu melden, daß die Frage einer Räumung des Rheinlandes in den letzten Tagen starte Fortschritte gemacht hat. Es sei in der Besprechung zwischen Briand und Stresemann ausführ lich von ihr die Rede gewesen. Briand habe Stresemann aufgefordert, ihm Borschläge zu unterbreiten. Diese Vorschläge seien zwar bisher ihm Borschläge zu unterbreiten. Diese Vorschläge seien zwar bisher von Stresemann nicht gemacht worden, aber nichts destoweniger existierten sie und befänden sich in den Händen der Sachverständigen. Es handele sich dabei um die Ausarbeitung eines Kontroll systems für die demilitarisierten Rheinlande, das Deutschland nicht aufgezwungen, sondern das es freiwillig annehmen würde. Deutschland werde es mit anderen Mächten, die in Locarno den Rheinpaft abgeschloffen haben, unterzeichnen.
,, Anpassung" des Protokolls.
Genf , 8. Dezember. ( Eigener Drahtbericht.) Am Dienstag
abend sind die drei juristischen Sachverständigen der Regierungen Deutschlands , Frankreichs und Großbritanniens zusammengetreten, um das Investigationsprogramm von 1924, d. h. seine Umgestaltung und Anpassung an die veränderten Verhältnisse zu beraten. Es verlautet, daß sich die erlösende Formel hauptsächlich in der Richtung bewegt, an den Investigationsplänen des Völker bundes vom Jahre 1924/25 einen Anhang zu machen, in welchem den deutschen Bedenken gegen den Plan Rechnung getragen wird. Es fönnte sich natürlich auch hierbei nur um eine provisorische Lösung handeln, so daß die Bereinigung des Investigationsplanes einer späteren Tagung des Rates zufallen würde.
Stresemann erkrankt.
Genf , 8. Dezember. ( WTB.) Reichsminister Dr. Stresemann, der sich eine leichte Erkältung zugezogen hat, ist ohne Fieber. Auf Vorschlag des Arztes wird er jedoch auch heute nachmittag nicht an der Ratssigung teilnehmen.
Eine humoristische Erklärung Painlevés. Ueber die Truppenbewegung in Südostfrankreich vom Abge ordneten Simon Reynaud in der Kammer befragt, gab Kriegsminister Painlevé eine Erklärung ab, die wie ein Wig flingt, aber in Wirklichkeit eine deutliche Mahnung an Mussolini enthält:
,, Ich möchte die öffentliche Meinung Frankreichs beruhigen. Ich brauche faum zu betonen, daß die Regierung nicht die Absicht hatte, irgendeinen französischen Soldaten nach China zu schicken, wie dies in den Blättern behauptet wurde. Aus Marofto find in der letzten Zeit Truppen zurückgekehrt. Dies hat eine Umgruppierung gewiffer Garnisonen in Südfrant reich an der italienischen Grenze nach fich gezogen. Weder die franzöfifche öffentliche Meinung noch die Meinung des Aus landes mögen darin den Anlaß zu irgendwelcher Beunruhigung sehen. Frankreich wird in China nicht intervenieren."
Daß Truppenentsendungen nach China beabsichtigt seien, ist bisher weder in diesem noch in einem anderen Zusammenhang von irgend jemand behauptet worden. Auch die Truppentransporte aus Marotto haben mit der Angelegenheit offenkundig nichts zu tun. Painlevé hätte ebensogut erflären fönnen, er bestreite entschieden, daß die Truppenbewegungen an der italienischen Grenze sich gegen itauen oder merito richteten.
Neuer Faschistenüberfall in Ventimiglia . Paris , 8. Dezember. ( EP.) Nach einer Meldung aus Nizza im Bahnhof von Ventimiglia ereignet. Ein Schlaffaal, in dem hat sich in der vergangenen Nacht ein neuer 3 wischenfall fich französische Eisenbahner befanden, wurde von einer Gruppe faschistischer Miliz überfallen, die den Schlafsaal ein gehend durchsuchte. Infolge dieses Zwischenfalles haben die französischen Eisenbahner erklärt, daß sie die 3üge in 3utunft nicht mehr über die Grenze führen werden.
Der Rechtsausschuß des Reichstages nahm einen Antrag an, monach die Anwälte der Amtsgerichte ohne jede Einschränkung auch an den übergeordneten Landgerichten zugelassen sein sollen. Diese Bestimmung soll mit dem 1. April 1927 in Kraft treten,
Militärkontrolle. Bölkerbundsaufsicht.- Räumung. Rheinlandkontrolle.
Bei den Genfer Verhandlungen handelt es sich um vier, wohl von einander zu unterscheidende Probleme: die Beendigung der Militärkontrolle, um die Einigung über die Völkerbundsaufsicht, die Räumung des Rheinlandes und um eine Kontrolle der entmilitarisierten Zone.
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Die Militärkontrolle ist eine interalliierte“ Angelegenheit, sie wird deshalb von der Botschafterkonferenz der ,, Alliierten" in Paris formell entschieden. Sie fällt ihre Entscheidung auf Grund der Berichte der Interalliierten Kontrollfommission in Berlin und dem Gutachten des interalliierten Militärkomitees in Versailles . Um eine Einigung über die noch ausstehenden Streitpunkte Kasernen, ostpreußische Befestigungen, Stärke der Polizei schnell zu erzielen, ist der deutsche General Pawels nach Paris gesandt, um dort mündlich mit den interalliierten Militärstellen eine Einigung zu erzielen. Dies geschah gestern; der gestrige Dienstag wird daher von der Pariser Presse als ein„ Tag der Sachverständigen" bezeichnet. Ein Bericht über die Einigungsvorschläge, die diese Sachverständigen gestern in Paris angebahnt haben, und über die Meinungsverschiedenheiten, über die sie sich nicht einig sind, ist von dem Generalsekretär der Botschafterton= ferenz nach Genf gebracht worden. In Genf wird zwischen den Außenministern also erstens darüber verhandelt, inwieweit fie die Borschläge der Sachverständigen annehmen, ablehnen, ergänzen oder erweitern wollen. Ist zwischen ihnen eine Einigung erfolgt, dann kann die Botschafterkonferenz zumilitärfontrolle beschließen. Der deutsche Standpunkt ſammentreten und über die 3urüdziehung ist dabei, daß die deutsche Entwaffnung erledigt ist und die Interalliierte Kontrollkommission ihre Daseinsberechtigung verloren hat. Die Gegenseite scheint sich diesem Standpunkt an=
zunähern.
der
Formell davon unabhängig, aber dennoch gleichzeitig, wird in Genf zwischen den Ministern- oder in ihrem Auftrage zwischen ihren Rechtssachverständigen Gaus, Fromageot und Crowe- über das sogenannte Inveſtigationsprotokoll des Völkerbundes verhandelt. Dies Protokoll ist 1924, als Deutschland noch nicht Bundesmitglied war, vom Rate beschlossen worden. Es enthält die Ausführungsbestimmungen zu dem furzen Artikel 213 des Friedensvertrages, in dem sich Deutschland verpflichtet hat, " jede Untersuchung seiner Militärverhältnisse zu dulden, die Dieses Brotokoll" regelt also das Verfahren im Rate, wenn eine Mehrheit des Bölkerbundsrates für notwendig erachtet". ein Antrag( z. B. von Frankreich oder Polen ) gestellt wird, festzustellen, ob Deutschland gegen die Abrüstungsvorschriften gefehlt hat; es bestimmt die Größe, Zusammensetzung und Befugnisse der Untersuchungskommission, die dann nach Deutsch land entfandt werden muß. Das Protokoll sah gleichzeitig vor, daß der Ratständige Elemente" in der entmilitarisierten Zone stationieren fönne und ging damit über den Friedensvertrag hinaus, der feine dauernde Kontrolle, sondern nur Untersuchungen von Fall zu Fall vorfieht. Da dieses Protokoll aber nun nur durch einstimmigen Ratsbeschluß geändert werden könnte, wird jezt darauf verzichtet, es im ganzen von neuem zur Debatte zu stellen. Der Weg des Kompromisses läuft anscheinend dahin, daß man sich durch ein usahprotofoll" darüber einigt, welche Bestimmungen Deutsch land nicht anzuerkennen braucht. Das wird die Anpassung an die durch den deutschen Völkerbundseintritt geänderte Lage genannt.
Die endgültige Gestaltung dieses Zusagprotokolls hängt von der Einigung, die über die Räumung des Rheinlandes in Aussicht genommen ist, ab. Statt sich mit den in Locarno gegebenen Sicherheiten zu begnügen, will Frankreich noch wieder eine Sicherheit, bevor es die Truppen zurückzieht. Die französische Deffentlichkeit scheint allerdings eingesehen zu haben, daß ohne Räumung feine Verständigungspolitit möglich ist. Aber trotzdem will Frankreich diese Räumung nicht ohne neue Konzessionen. Diese neuen Sicherheiten sollen darin be stehen, daß sich Deutschland mit einer Ueberwachung des Rheinlandes abfindet. Die Gefahr, daß diese Ueberwachung die Form der ständigen militärischen Elemente" annimmt, die das Investigationsprotokoll vorsah, scheint beseitigt. Dagegen steht zur Debatte, ob Deutschland lieber auf eine frühzeitige Räumung verzichtet, so daß dann keine befondere leberwachung des Rheinlandes mehr stattfindet, oder ob das Rheinland bereits in nächster Zeit völlig geräumt wird, dafür aber Deutschland sich mit einer Ueberwachung der entmilitarisierten Zone abfindet die ja wesentlich größer ist
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als das besetzte Rheinland . Hierbei geht der diplomatische richtet werden foll- ob fie z. B. aus Zivilisten, wie z. B. Rampf erstens darum, wie eine solche Ueberwachung eingeRonsuln der Rheinpaftmächte, mit oder ohne Hinzuziehung deutscher Bertreter bestehen soll. Zweitens dreht es sich darum, ob eine solche Rheinlandaufsicht nur solange vorhanden sein soll, wie die Alliierten das Rheinland befeht halten dürfen, oder ob sie für die Dauer eingerichtet wird. Beides wäre eine große Konzession Deutschlands , da weder die Rheinlandaufsicht auf Zeit noch die auf Dauer im Friedensvertrag vorgesehen ist. Im Gegenteil sieht der Friedensvertrag eine konzesionslose frühere Räumung ausdrücklich für den Fall vor, daß Deutschland seine Abrüstungsverpflichtungen erfüllt hat und seine Reparationszahlungen gesichert erscheinen.