Dienstag
14. Dezember 1926
Unterhaltung und Wissen
( Aus dem Litauischen übertragen von
Grete Neufeld.)
Bor Jahren lebte ein Mädchen. Sie erreichte als Jungfrau ein ziemlich hohes Alter, tam aber schließlich zur traurigen Ueberzeugung, daß niemand mehr auf ihren Jungfernfranz lauert, und sie beschloß daher, ihn Gott zu opfern.
Sie begann ein sehr frommes Leben zu führen und hütete sich selbst vor schlechten oder auch nur ungehörigen Gedanken.
Ihr Kämmerchen erinnerte an eine Kirche oder Kapelle, so sehr war es mit Heiligenbildern ausgefüllt, und es roch darin nach geweihten Kräutern. Ihr jungfräulicher, unschuldiger Körper, ganz eingetrocknet durch das viele Fasten und Beten, war über und über mit Kreuzen, Rosenfranzen, Stapulieren und sonstigen sichtbaren Zeichen der Liebe zu Gott behangen.
Und mit jedem Jahr wuchs die Zahl dieser sichtbaren Zeichen des frommen Lebens der Jungfrau, mit jedem Jahr erlosch aber in ihrem Herzen auch immer mehr die Liebe zu den Mitmenschen.
Sie hielt die ganze Welt für efelhaft und verdorben und sie glaubte sich von ihr durch eine Mauer von Heiligkeit abgrenzen zu müssen. Trotzdem hörte sie nicht auf, sich mit ihren Nächsten zu beschäftigen, für sie zu leiden.
Eines Tages entbrannte diese gottgefällige Frau über irgendeinen anstoßerregenden Vorfall derart in heiligen Zorn der Empörung, daß ihr die Galle überging und sie davon frant wurde.
Die Kunde von ihrer Krankheit durcheilte bligartig die ganze Gegend und zog bald ganze Scharen von Weibern an ihr Lager.
Die versammelten Weiber sangen bei brennenden geweihten Kerzen fromme Lieder und warteten sehnsüchtig auf den Augenblid, wo sich die reine Seele vom Körper loslösen wird.
Da entstand um Mitternacht, es schlug soeben die zwölfte Stunde, im Ramin plötzlich ein Lärm, der alle bestürzt machte; bald darauf erschien auf den glühenden Kohlen der durch den Kamin heruntergefallene Teufel in eigener Person vor den totenbleichen Weibern .
Die Worte der heiligen Psalmen erstarben auf ihren Lippen und bevor noch die mutigeren von ihnen Zeit fanden, den Teufel mit Weihwasser zu besprengen, stürzte er sich wie ein Habicht auf das Hühnchen auf die frante Jungfrau, preßte aus ihr die Seele heraus und flog mit einem entseglichen Wiehern auf demselben Wege wieder davon.
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Der Teufel täuschte sich aber sehr, als er dachte, die Seele der Jungfrau so leicht in die Hölle zu bringen, wie der Wolf ein Lämmchen in den Wald.
Kaum war er außerhalb des Kamins, troch ihm die Frömmlerin auf den Rücken, und nachdem sie es sich hier so bequem gemacht hat, wie sie das sonst im Kirchenchor neben dem Kantor zu tun pflegte, begann sie mit ihrer dünnen, pfeifenden Stimme Salve Regina " zu fingen.
"
Verrece!" murmelte der Teufel unwillig, benn die Worte des Liedes gingen ihm nicht zu Herzen. Nach einer Weile sprach er: ,, Du hast eine häßliche Stimme, höre doch auf, zu miehern!" Die Frömmlerin sette ihr Lied, ohne auf die häßlichen Bemertungen zu achten, mit einer noch dünneren Stimme fort. Der Teufel fonnte es nicht ertragen und er schrie rasend: Halte das Maul, Weib, sonst werfe ich dich hin, daß du nichts zu Lachen haft!"
die Ruhe des Himmels.
Sie aber fang mit noch größerer Ruhe kreischend weiter und ihr Geschrei erscholl jetzt nicht nur auf der Erde, sondern störte auch Der Teufel schäumte vor But und er erhob bereits die Faust, um sie auf sein Opfer niederfausen zu lassen, als er plöglich zwischen den Hörnern und am Nacken einen brennenden Schmerz verspürte; blitzschnell griff er mit der Hand hin und fühlte zwischen den Fingern das Stapulier der Frömmilerin. Allen Menschen ist es doch bekannt, daß nichts die Macht des Teufels wirksamer bekämpft, als ein Stapulier; selbst Luzifer hat davor Angst, geschweige denn ein gewöhnlicher, ordinärer Teufel.
Wie gierig immer er auch nach der Seele einer unschuldigen Jungfrau lechzte, in diesem Augenblid hatte er alles vergeffen; er schüttelte sich und wie ein scheu gewordenes Fohlen warf er die unbequeme Last vom Rücken und verkroch sich mit vor Angst hervor quellenden Augen in die Hölle.
Die Seele der Frömmlerin aber fiel auf die Erde. Da sie jedoch ohne Körper war, nahm sie feinen Schaden. Sie richtete fich auf, zupfte sich ihr Unschuldskleid zurecht und überlegte, was sie nun mit fich beginnen solle.
In den Körper zurückzukehren schickt sich nicht... Wohin soll ich mich aber begeben? Ah, ich werde mir schon helfen! Ich fliege geradewegs in den Himmel- ich habe ihn mir doch redlich verdient." Eie flatschte in die Hände und hob sich in die Höhe; bald war sie auf der Milchstraße und sie flog auf dieser Straße weiter, denn sie hatte, als sie noch auf der Erde weilte, vernommen, daß sich die Himmelspforte am Ende dieser Straße befinde.
Drei Tage und drei Nächte dauerte diese Reise in den Himmel und endlich am vierten Tage lehnte sie müde, matt und erschöpft am Himmelszaun. Sie schleppte sich entlang dieses Baunes fort und suchte vergeblich nach einer Deffnung oder einer Lücke, um in den Himmel zu schlüpfen. Endlich fand sie ein Fensterchen und sie begann zu klopfen. Zuerst leise, dann stärker, schließlich aus voller Kraft. Wer ist dort? Was willst du hier?" fragte der heilige Betrus ein wenig unwillig.
"
" Was ich will, fragst du? Ich bin gekommen, mir für mein frommes Leben den Lohn zu holen; da ich mein ganzes Leben in Unschuld verbracht, meinen Leib durch Fasten und Beten gemartert habe, bin ich doch der Himmelstrone würdig geworden?... D, o, ich bin nicht so, wie die anderen Mein Körper ist durchs Faſten bis an die Knochen eingetrocknet, soll das alles umsonst gewesen sein? Und wie vielen Bruderschaften habe ich während
meines Lebens angehört?!"
Und sie knüpfte ihr Bündel auf, in dem sie alle sichtbaren Zeichen der Gottesliebe mit sich trug.
Der greife Himmelsschließer aber blickte aus unbekannten Gründen schief auf ihr Bündel und er beeilte sich gar nicht, die Pforte zu öffnen.
" Da gibt es nichts zu überlegen!" schrie die Frömmlerin ungeduldig, als sie den Heiligen zögern fah.„ Ja, ja, da gibt es fein Zögern die Pforte muß geöffnet werden!..."
"
Wenn es sein muß, gut; aber..."
„ Was für ein Aber!" rief fie, schon ganz aufgebracht;„ man fieht boch, daß ich Gott geliebt habe?..
,, und deinen Nächsten?" entgegnete Petrus , hast du den Leidenden, den Schluchzenden auch nur einmal die Tränen getrocknet?. Hast du den Armen auch nur mit einem einzigen hoffnungsvollen Wort getröstet?... Hast du den im Dunkel Wandelnden geleuchtet? Ich frage dich: Hast du deinen Nächsten geliebt?..
Beilage
des Vorwärts
Fahnenweihen und kein Ende!"
Von Adolph Hoffmann.
Die Frömmlerin schwieg. Sie dachte eine Weile nach und Und wenn man die Feste des Reichsbanners und auch der sozialerwiderte endlich:
„ Sie sind der Liebe nicht würdig! Es gab keinen, der so war, wie ich!...
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Da schloß sich geräuschvoll das Fenster, es donnerte, ein Bliz schlug ein und die Seele der Frömmlerin wurde von den himmlischen höhen auf die Erde hinabgestoßen, wo sie von den Winden davon getragen und im Weltall zerstreut wurde..
*
Am Grabe der Frömmlerin, das nie jemand besucht, stöhnt nur der Wind, wachsen Disteln und Brennesseln. Und diese Unträuter flüstern oft miteinander:
,, Sie hat keinen Menschen geliebt!..."
Hans im Glück.
FÜR DEN
Zyx
Stresemann:„ Ich danke der deutschen Sozialdemokratie für ihre unermüdliche Friedensarbeit. Sie war nicht vergeblich. Ich habe den Nobelpreis dafür bekommen."
Schutzimpfung gegen Tuberkulose.
Der französische Forscher er Calmette bemüht sich schon seit einigen Jahren mit einer von ihm erdachten Schuhimpfung gegen Tuberkulose . Während sämtliche früheren Forschungen auf diefem Gebiete zu dem Schlusse geführt hatten, daß nur eine Impfung mit lebenden, voll ansteckungsfähigen Tuberkelbazillen einen Schuß gegen Tuberkulose verleihe, also ein Verfahren, das für die Praxis unbrauchbar ist, behauptet Calmette und sein Mitarbeiter Guerin, durch fortgesetzte Züchtung von Tuberkelbazillen auf bestimmten Nährböden( nämlich Galle) Stämme zu gewinnen, die zwar eine hohe Schutzkraft gegen Tuberkulose verleihen, dabei aber doch selbst nicht mehr tuberkulöse Erscheinungen im Körper hervorrufen sollen. Dieser so gewonnene Bazillenstamm wird als BCG.( Bazillus Calmette- Guerin) bezeichnet. Impft man Kälber mit diesen Bazillen, so bleiben sie solange immun gegen Tuberkulose, als die Bazillen sich im Körper aufhalten, also ungefähr ein bis zwei Jahre. Es gelang auf diese Art, Tiere vor Tuberkulose zu schützen, trotzdem sie in schwer verseuchten Ställen gehalten wurden. Auch beim Menschen wurde das Verfahren in Paris in großzügiger Weise durchgeführt. Hier handelt es sich hauptsächlich darum, Säuglinge, die durch ihre Umgebung schwer gefährdet find, zu schüßen und dadurch die so unheilvolle tuberkulöse Infektion in den allerersten Lebensjahren möglichst auf einen späteren Zeitpunkt zu verschieben, in welchem der Körper schon genügend natürliche Schuß fräfte befigt, um der Krankheit Herr zu werden. Bis November dieses Jahres wurden in Paris 16 000 Säuglinge mit BCG. be handelt, darunter viele, die in höchster Infektionsgefahr lebten. verabreicht werden. Die Beobachtungszeit reicht bei den ältesten Das Mittel tann entweder eingespritzt, oder auch mit der Nahrung Fällen bis zu vier Jahren. Die behandelten Kinder follen im Gegensatz zu den nicht behandelten eine Tuberkulosesterblichkeit von nur 0,7 Broz. gegen 25 bis 32 Proz. unter den gewöhnlichen für Paris für die ersten Lebensjahre geltenden Verhältnissen zeigen. Freilich war es nicht möglich, alle Kinder fortlaufend zu kontrollieren; es beziehen sich die erwähnten Zahlen nur auf ungefähr 3000 Kinder und meist nur mit ein- bis zweijähriger Beobachtung. weit das Calmettesche Verfahren geeignet ist, in größerem Maße Die schwierige und verantwortungsvolle Frage, ob und inwie in der Praxis durchgeführt zu werden, war der Gegenstand der legten Sitzung der Wiener Mikrobiologischen Gesell schaft. In derselben berichteten der bekannte Bakteriologe Prof. Kraus und Dozent Gerlach, daß es ihnen im Gegensatz zu den Angaben von Calmette doch gelungen sei, beim Bersuchstier ( Meerschweinchen und Ziegen), freilich durch sehr große Mengen der Bazillen, tuberkulöse Veränderungen durch BCG. hervorzurufen. Doch sind diefelben auffallend gutartig, heilen meist nach furzer Zeit aus, während bei der Infektion mit gewöhnlichen Tubertelbazillen besonders das Meerschweinchen fast stets zugrunde geht. Ueber besonders günstige Erfahrungen bei der Schuhimpfung des Kalbes gegen Tuberkulose berichtete ein anwesender Assistent des italienischen Forschers Ascoli; er hat bis jetzt 2000 Kälber mit BCG. behandelt; den Bauern fällt es auf, um wieviel besser sich die geimpften als die nichtgeimpften Tiere entwickeln, so daß fie unaufgefordert ihre Tiere der Behandlung zubringen. Man benft auf Grund diefer Erfolge in Mailand bereits ernstlich daran, das Calmettesche Werfahren in größerem Maßstab auch beim
Menschen durchzuführen.
Gerade bei der Tuberkulose find schon so viele Verfahren empfohlen worden, und hat man schon so viele und schwere Enttäuschungen durchgemacht, daß die größte Vorsicht am Blaze ist, im besonderen Falle um so mehr, als doch von Kraus und Gerlach eine, wenn auch nur ganz geringe Infektiosität des BCG. nachgewiesen wurde. Wie Prof. Löwenstein berichtete, war das Calmettesche Verfahren auch auf dem diesjährigen internationalen Tuberkulosentongreß in Washington Gegenstand einer lebhaften Debatte. Die Vertreter fast aller Staaten empfahlen größte Reserve. Und selbst. wenn das Verfahren wirklich erfolgreich sein sollte, so wird es noch bis zu einem endgültigen Urteil über Dr. A. N. seinen Wert einer jahrelangen Arbeit bedürfen.
Diese Worte hört man oft aus dem Munde der besten Genossen. demokratischen Bezirke, Abteilungen und Kreise verfolgt, so fönnte man wirklich zu der Frage kommen, ob des Guten nicht zu viel getan wird.
Dem ,, Reichsbanner" wird man zugute halten müssen, daß es ein Gegengewicht gegen die monarchistischen Stahlhelme und monarchistischmilitaristischen Organisationen schaffen wollte, und den schwarzweißroten Provokateuren durch die Reichsbannerfarben Schwarz- Rot- Gold ein Paroli bieten will.
Aber
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sagt ein Teil der Genossen muß denn die Sozialdemokratie das nachmachen? Während der andere Teil sagt: Hierdurch kommt wenigstens die rote Farbe zur Geltung, die sonst ganz verdrängt wird.
Jede der verschiedenen Ansichten hat gute Argumente für sich. Im vorigen Jahrhundert, als wir noch nicht die rote Fahne ungestraft entfalten konnten, wurde von manchem Genossen gesagt: 3u was brauchen wir eine Fahne? Geistige Waffen, aufklärende Schriften brauchen wir nötiger, als alles andere. Wenn einst die Revolution tommt, und wir marschieren, nehmen wir eine Stange, hängen eine zersprengte Rette daran und stecken ein Viergroschenbrot darauf. Das versinnbildlicht unseren Kampf für Freiheit und Brot."
Aus dem Zeizer Kreis weiß ich mich eines Falles zu entsinnen, wo mit dieser Begründung eine Fahne zu Geld gemacht wurde und dafür Bücher getauft wurden. Allerdings war das nicht eine rote Fahne, sondern eine Kriegervereinsfahne, und das kam so:
Bei den Karnevalswahlen im Februar 1887 wurden in einem Bergarbeiterdorf für den friegsbegeisterten bürgerlichen Sammelfandidaten einige fünfzig Stimmen weniger abgegeben als der Kriegerverein Mitglieder zählte, während der Sozialdemokrat Hoffmann die übergroße Mehrheit im Dorfe überhaupt erhielt.
Darob großes Entsetzen. Landrat und Regierungspräsident wurden in Bewegung gesetzt, der Kriegerverein von ihnen aufgefordert, alle Mitglieder, welche sozialdemokratisch gestimmt hätten, auszuschließen.
Der Vorstand antwortete: Da die Ausübung des Reichstagswahlrechts nach dem Gesetz geheim wäre, könne der Berein den Wunsch der Behörde nicht, erfüllen."
Nunmehr wurde der Verein aufgefordert, die Sozialdemokraten auszuschließen. Die Antwort war furz und bündig: ,, Unmöglich, da in der soeben abgehaltenen Versammlung sich alle Mitglieder zur Sozialdemokratischen Partei bekannt haben."
Darauf ging dem Vorstand eine Verfügung zu, nach welcher den Mitgliedern des Vereins das Tragen der Waffen und Entfalten der Fahne untersagt wurde. Ueber die Auflösung, hieß es in dem Schriftstück, entscheidet die Reichsbehörde.
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Der Vorstand teilte darauf der Behörde mit, daß ihre Verfügung zu spät eingetroffen wäre. Wir haben die Gewehre bereits verkauft maligen Waffenschrank ist die Inschrift übermalt und es steht jetzt und für den Erlös geistige Waffen angeschafft. An unserem ehe
daran: Bibliothek des Arbeiter- Bildungsvereins." Wegen der Fahne stehen wir bereits mit einem Färber in Verhandlung, um sie färben zu lassen."
Eine Antwort hat der Vorstand des neuen Arbeiter- Bildungsam vereins nie erhalten.
Die Unterhandlungen mit dem Färber zerschlugen sich, befondersi wohl darum, weil es damals feine Möglichkeit gab, rote Fahnen offiziell zu weihen und zu entfalten. Schließlich hat man die Kriegervereinsfahne an die sieben Mann, die in der ausschlaggebenden Berfammlung nicht erschienen waren, den Kriegerverein aber weiterführen wollten, verkauft, und dafür weitere Bücher angeschafft.
Zwedentsprechender hat wohl faum je ein Kriegerverein in Deutschland sich umgewandelt.
Während des Sozialistengesetzes tam es allerdings öfter vor, daß die rote Fahne gegen den Willen der Behörde luftig im Winde flatterte. Es gab fast feinen sozialdemokratischen Gedenktag, an dem nicht an vielen Ecken und Enden des„ teuren" Vaterlandes rote Fahnen zum Troß der Tyrannei" flatterten, bei dem Bürgertum helles Entfezen, bei der Polizei aufregende Tätigkeit und bei den Arbeitern vergnügtes Schmunzeln und vielsagendes Augenzwinkern hervorrufend.
In Halle a. d. S. hatte man zu Lassalle's Geburtstag zwischen Giebichenstein und Trotha mitten über die Gaale ein rotes Banner gehängt. Mehr denn hundert Meter über dem Wasserspiegel. Alles mar paff. ,, Wie sind die Teufelskerle da hinaufgekommen?" fragten erstaunt Spieß und Spießer.
Sehr einfach. Ueber der Saale ging von der Burg Giebichenstein nach dem jenseits der Saale bei Trotha gelegenen Feldberg ein Telegraphendraht. Auf diesen setzten wir in der Burg eine eiserne Rolle mit einem Halen, hängten daran das Banner, gaben der Geschichte einen Stoß und das Schwergewicht des Drahtes, das diesen ein Stückchen weiter, lehrte dann langfam bis zur Mitte zurück und mitten über der Saale sentte, tat das feine. Das Banner rollte sogar blieb dort hängen.
Als es Tag wurde, sammelten sich die zu den Fabriken wandernden Arbeiter; natürlich auch sehr bald die Behörde. Lange stand diese ratlos da. Als aber die Arbeiter auf der Cröllwitzer Pontonbrüde sich immer mehr ansammelten und gar noch die Marseillaise anftimmten, holte man schleunigst einen Feuerwerfer herbei, der mit Raketen und daran befestigtem Bindfaden nach vielen vergeblichen VerBindfaden die Fahne nach dem Feldberg hinüberzog. suchen Bannerstab und Hakenrolle durchschoß und dann an diesem stangen je ein Gendarm, um den Umsturz des Staates" zu verhindern. Bon jetzt ab stand in den kritischen Nächten an beiden TelegraphenAn Kaisers Geburtstag, der in dem polizeilichen Erinnerungsfalender für sozialistische Feste noch nicht vermerkt war, flatterte wieder ein„ aufrührerisches" Banner an derselben Stelle über der Saale . Diesmal war es das der Internationale, welches bei unzähligen Haussuchungen in Leipzig gesucht, aber nicht gefunden wurde. vollkommen. Wir hatten auch gelernt. Statt der zwei Schnüre von Der abermalige Verfuch mit dem Feuerwerker mißlang diesmal der Rolle nach den Enden der Bannerstange war in der Mitte der Stange ein mit Scharnier beweglicher starter Draht angebracht. Und wenn der Feuerwerfer seine Schnur endlich über dem Banner hatte und anzog, bewegte sich die Stange wie der Wiegeballen an einer Wage und die Schnur rutschte ab.
Es blieb nichts übrig, als sich an die Postdirektion in Halle zu
wenden, um die Erlaubnis zu erhalten, den Draht abzuschneiden. Der Boſtdirektor war zufällig zu einer Konferenz in Magdeburg , und bevor von dort die Erlaubnis eingeholt war, standen nicht nur auf der Brücke, sondern an beiden Ufern die Arbeiter der Cröllwitzer Fabriken und halb Giebichenstein . Auch halb Halle war auf den Beinen, um das neueste Lebenszeichen der von Bismarck durch das Sozialistengesetz getöteten Sozialdemokratie zu bewundern.
Beim Abschneiden des Drahtes fiel das Banner herunter. Als die Polizei an der Uferstelle erschien, wo ein Spreeschiffer mit seinem Anhängefahn diefelbe herausgefischt hatte, erklärte derfelbe, die haben eben schon zwei Mann abgeholt. Ich habe geglaubt, das find Geheeme."
Bon nun an wurde Burg Giebichenstein nachts durch bissige Hunde und der Feldberg durch einen Gendarmen gesichert. ( Schluß folgt.)